125 EDITORIAL Aus kritischer Sicht Therapie der gastroösophagealen Refluxkrankheit Prof. Dr. med. Christian Alexander Gutschow Klinik für Viszeral- und Transplantationschirurgie, UniversitätsSpital Zürich Christian A. Gutschow Die gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD) ist eine zu einer relevanten Einschränkung der Lebensqualität der häufigsten Erkrankungen in der westlichen Welt. [3]. Es ist unstrittig, dass die Antirefluxchirurgie in Doch obwohl die therapeutischen Optionen in den letz- diesem Zusammenhang einen wertvollen Beitrag liefern ten Jahrzehnten mit der Einführung der Protonenpum- kann, da sie im Gegensatz zur medikamentösen Be- penhemmer (PPI) enorm verbessert wurden, nimmt handlung einen kausalen Therapieansatz bietet. Durch ihre Prävalenz ständig weiter zu. Die Ursachen dieser die Rekonstruktion der Barrierefunktion des Sphinkter- Entwicklung sind unklar; neben der klassischen Life- apparates werden sowohl azider und nicht-azider Reflux style-Trias aus Stress, falscher Ernährung und Über als auch die häufigen und für die Betroffenen sehr gewicht ist hierfür möglicherweise auch die erhöhte unangenehmen Volumenregurgitationen zuverlässig Aufmerksamkeit, die dieser Erkrankung nicht zuletzt unterbunden. Die langfristige Wirksamkeit und auch durch die umfangreiche Bewerbung entsprechender die Verbesserung der Lebensqualität nach Antireflux- Medikamente zuteilwird, mitverantwortlich. chirurgie sind in vielen hochrangigen Studien gut be- PPI-Präparate gehören heute zur Standardmedikation legt. Es verwundert daher, dass diese bewährte thera- sehr vieler Patienten. Sie werden regelrecht mit dem peutische Option in dem aktuellen Übersichtsartikel Füllhorn und häufig nur fraglich indiziert verschrie- nicht erwähnt wird. ben – beispielsweise vorbeugend als Magenschutz oder Auch die Empfehlung, PPI als Prophylaxe der malignen bei unklarer beziehungsweise nicht sicher nachvoll- Degeneration bei Barrett-Metaplasie ohne dysplastische ziehbarer Symptomatik. Sie sind klassische Goldesel Veränderungen einzusetzen, darf nicht unwiderspro- der Pharmaindustrie; die Umsätze steigen parallel zur chen bleiben. Die von den Autoren zitierte Arbeit zeigt Inzidenz der GERD und trotz potentieller schwerer zwar eine signifikante Reduktion der Progression in Nebenwirkungen sind sie hierzulande mittlerweile ohne Richtung Barrett-Karzinom [4], ist aber nicht unum- Rezept und in einigen Ländern sogar im Supermarkt stritten. Neuere Arbeiten aus den Niederlanden und frei erhältlich. Man könnte den Eindruck gewinnen, dem Vereinigten Königreich konnten weder einen pro- dass sich hier ein lukrativer Markt selbst erschaffen tektiven Effekt von PPI, noch von Statinen oder nicht hat und mittlerweile völlig ausser Kontrolle geraten ist. steroidalen Antirheumatika nachweisen [5]. Dies gilt Wohlgemerkt, PPI sind hochwirksame Präparate, die im Übrigen auch für die chirurgische Option: Es gibt in aus der Behandlung der GERD nicht mehr wegzudenken der Literatur keinen Hinweis darauf, dass eine Anti wären: Schwere Folgen, wie die peptische Stenose, sind refluxoperation in dieser Situation das Karzinomrisiko mit ihrer Einführung zu Raritäten geworden. Nicht zuverlässig senken könnte. Eine allgemeine Empfehlung geringer geworden durch den massiven Einsatz säure- zur PPI-Gabe in dieser Situation ist allerdings unseres supprimierender Medikamente ist allerdings die In Erachtens anhand der aktuellen Evidenz ebenfalls zidenz der Barrett-Metaplasie und ihrer weiteren Eska- nicht begründbar. lationsstufen in Richtung Adenokarzinom. Bei Nachweis eines Frühkarzinoms im Barrett-Öso In der im aktuellen Swiss Medical Forum publizierten phagus, insbesondere bei multifokalen Befunden in Übersichtsarbeit von Seewald et al. [1] bleiben aus unse- langstreckigen und entzündlich veränderten Barrett- rer Sicht einige Aspekte der aktuellen Therapie der Segmenten, sollten die Vorzüge der endoskopischen GERD unberücksichtigt. Die Gabe säuresupprimieren- Therapie mit denen einer kurativen chirurgischen Re- der Medikamente als erste Wahl bei klarer Refluxsym- sektion sorgfältig abgewogen werden. Für die endosko- ptomatik ist sicherlich unbestritten. Dennoch gilt es pische Therapie sprechen sicherlich die niedrigere ein- festzuhalten, dass ein grosser Prozentsatz (etwa 30%) griffsspezifische Morbidität und auch die kurzfristig der unter PPI stehenden Patienten mit ihrer Therapie geringeren Kosten. Diese Vorteile müssen allerdings nicht wirklich zufrieden ist [2]. Insbesondere fortbe mit dem grundsätzlichen Fortbestehen des Karzinom- stehende Regurgitationen führen bei vielen Patienten risikos erkauft werden. Selbst wenn es nach Ablation SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(6):125–126 126 Editorial eines Barrett-Segmentes zu einer vollständigen Reepithelialisierung mit normalem Plattenepithel kommt, sind unter der makroskopisch unauffälligen Mukosa Disclosure statement Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. häufig noch Nester metaplastischer Mukosa erhalten, die maligne entarten können. Hieraus resultiert auch die Notwendigkeit einer lebenslangen endoskopischen Surveillance mit entsprechender psychischer Belastung der Patienten. Nichtsdestotrotz bietet die aktuelle Arbeit der Kollegen Seewald et al. einen äusserst lesenswerten und informativen Überblick. Diagnostik und konservative Therapie Korrespondenz: der gastroösophagealen Refluxkrankheit, der Barrett- Prof. Dr. med. Christian Metaplasie, ihrer dysplastischen Formen sowie der Alexander Gutschow Barrett-Frühkarzinome werden anhand der aktuellen Klinik für Viszeral- und Transplantationschirurgie Literatur und vielfältiger Diagramme sehr anschaulich UniversitätsSpital Zürich diskutiert. Es ist anzuerkennen, dass es den Autoren in Rämistrasse 100 CH-8091 Zürich christian.gutschow[at]usz.ch besonderer Weise gelungen ist, diese umfangreiche Thematik zu ordnen und übersichtlich zu vermitteln. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(6):125–126 Literatur 1 Seewald S, Bannwart F, Müller A, Sauter B, Bertschinger P. Refluxerkrankung und Barrett-Ösophagus. Schweiz Med Forum. 2016;17(6):135–142. 2 El-Serag H, Becher A, Jones R. Systematic review: persistent reflux symptoms on proton pump inhibitor therapy in primary care and community studies. Aliment Pharmacol Ther. 2010;32:720–37. 3 Kahrilas PJ, Jonsson A, Denison H, et al. Impact of regurgitation on health-related quality of life in gastrooesophageal reflux disease before and after short-term potent acid suppression therapy. Gut. 2014;63(5):720–6. 4 Singh S, Garg S, Singh P, et al. Acid-suppressive medications and risk of esophageal adenocarcinom a in patients with Barrett’s esophagus: a systematic review and meta-analysis. Gut. 2014;63(8):1229–37. 5 Masclee GMC, Coloma PM, Spaander MCW, et al. NSAIDs, statins, low-dose aspirin and PPIs, and the risk of oesophageal adeno carcinoma among patients with Barrett’s oesophagus: a population-based case–control study. BMJ Open. 2015;5:e006640.
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