Ökumenische Bildungsreihe

Feu sacré – von brennenden Dornbü schen und feurigen Fanatikern Ralph Kunz 1. Bombastischer Einstieg Zugegeben: Wer das geflügelte Wort vom „Heiligen Feuer“ verwendet, denkt nicht an Bomben, Selbstmordattentäter und Terror. Und wir sind uns wohl alle einig. Mit diesem „feu sacré“ haben wir nichts am Hut. Bombastisches,feu,sacré
Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass es einen Zusammenhang gibt. Geben wir es zu: Wenn von religiösem Eifer, heiligen Krieg und Fanatismus die Rede ist, haben die meisten von uns ein mehr oder weniger klares Feindbild vor Augen. Mohammed, IS, Dschihad, El Kaida, Talibani, Boko Haran und wie sie alle heissen. Sie sind die Schuldigen, wir – die westliche Welt, unsere Lebensweise und die Werte der Demokratie – sind die Zielscheibe. Es herrscht Krieg. Beinahe 1 täglich lesen und hören wir Schreckensmeldungen. Was treibt diese Menschen zu solchen Schreckenstaten? Von welchen Teufeln sind sie geritten? Und was hat das alles mit Religion und dem Heiligen zu tun? Wahres'feu'sacré!
Im Untertitel der ökumenischen Vortragsreihe heisst es „vom inneren Feuer“. Gemeint sind positive Emotionen und Energien, die uns antreiben: Leidenschaft, Passion, Hingabe, Kraft und Begeisterung. Ein Feu sacré brennt, wenn wir Feuer und Flamme für eine Sache oder Personen sind. Wenn wir über uns hinauswachsen und bereit sind, Opfer zu bringen, wenn Begeisterung da ist oder Enthusiasmus. Auf deutsch – voll von Göttern en theois oder bei der Begeisterung voll von Geistern. Die Frage ist, welche Geister und welche Götter. In diesem Licht betrachtet, ist die Gewalt, die sich und andere verbrennt, eine dämonische Perversion. Ganz und gar unheilig. Wo Bomben in die Luft gehen, geht es nicht um Liebe, sondern um Fanatismus, nicht um Glauben, sondern um einen Wahn. 2 Ein$Islam*Problem?
Wir können es uns also einfach machen. Inneres Feuer ist fix und äussere Feuer sind nix. Jesus ist Top und Mohammed ein Flop. Wenn Lunten gezündet werden, ist es unheilig, wo Kerzen brennen wird es heimelig. Ist es das Problem der Anderen? Konkret: Hat der Islam oder nur der Islamismus ein Gewaltproblem? Sind wir fein raus? Feu$sacré
1$Unheilige(Allianzen(in$der$Christentumsgeschichte:$
Fegefeuer$und$Scheiterhaufen
2$Heiliges(Feuer(in(der(Bibel:$von$Moses$bis$Jesus
3$Und(wir?(Von$feurigen$Christen$und$abgelöschten$
Scheinheiligen
3 Wenn es nur so einfach wäre. Es ist komplizierter – wir sind komplizierter. Unsere Religion, die Religionen der Anderen, Gott und das Heilige sind es. Darüber möchte ich nachdenken und mit Ihnen ins Gespräch kommen, danach fragend, wie wir die Geister unterscheiden können und wie es kommt, dass das Heilige sich in unheilige Allianzen verwickeln lässt. Ich frage, was die Bibel zu diesem Thema sagt und welche Schlussfolgerungen sich für unseren Glauben und unser Leben ziehen lassen. Ich muss allerdings betonen, dass ich kein Islam-­ oder Islamismus-­Experte bin. Ich rede als christlicher Theologe und der Hinweis auf die Gewalt der anderen Religionen ist mit der Selbsteinsicht verbunden, dass jede Religion und jede Ideologie ein Gewaltpotential in sich trägt. Mein bombastischer Einstieg soll auf diesen Zusammenhang aufmerksam machen. Denn wir dürfen nicht die Augen davor verschliessen, dass im Keller unserer Religion auch ein paar Leichen liegen. Es wurden schreckliche Verbrechen begangen im Namen des Christentums. Dem müssen wir uns zunächst einmal stellen, bevor wir das Feuer der Liebe zünden. 2. Unheilige Allianzen in der Geschichte des Christentums – von Scheiterhaufen, Fege-­ und Höllenfeuern Fegefeuer Nehmen Sie es mir also bitte nicht übel, dass ich beim feu sacré zuerst auf Zerrformen des eigenen Glaubens zu sprechen komme. Dazu zähle ich auch Höllen-­ und Fegefeuer. Um klar zu machen, dass Sie ich Ihnen nicht einheizen will und uns für das Thema ein wenig anzuwärmen, zünden wir als Erstes eine Pfeife an: 4 Sooft ich meine Tobackspfeife -­ Erbauliche Gedanken eines Tobacksrauchers Sooft ich meine Tabakspfeife, Mit gutem Knaster angefüllt,
Zur Lust und Zeitvertreib ergreife,
So gibt sie mir ein Trauerbild -­
Und füget diese Lehre bei,
Dass ich derselben ähnlich sei. Wenn nun die Pfeife angezündet, so sieht man wie im Augenblick der Rauch in freier Luft verschwindet, nicht als die Asche bleibt zurück. So wird des Menschen Ruhm verzehrt Und dessen Leib in Staub verkehrt. Wie oft geschieht's nicht bei dem Rauchen, Dass, wenn der Stopfer nicht zur Hand, Man pflegt den Finger zu gebrauchen. Dann denk ich, wenn ich mich verbrannt: O, macht die Kohle solche Pein, Wie heiß mag erst die Hölle sein? Bach hat das Gedicht vertont. Der Humor erleichtert den Zugang zu einer zündenden Idee der christlichen Lehre. Dass nämlich dem, der nicht recht glaubt, ewiges Feuer droht. Darüber machen wir Witze. Dieses monströse Bild hat sich uns aber eingebrannt. Dantes Inferno, der Teufel als Brandmeister, brennende Leiber gehöre zur Ikonographie des Schreckens. Es sind abartige Folterfantasien. Ich kann ihnen nichts abgewinnen. 5 Hölle,&Himmel,&Fegefeuer&…
Man muss jedoch unterscheiden. Im sogenannten Fegefeuer steckt mehr als nur der Gedanke der Strafe. Auf Latein heisst dieses Feuer auch purgatorium. Das Unheilige soll verbrennt werden. Im Unterschied zur Hölle, die mit ewiger Verdammnis und Pein droht, vermittelt die Vorstellung der schmerzhaften Strafe nach dem Tod einen Rest Hoffnung. Es ist die reinigende Kraft des Feuer-­Gerichts. Nachdem das Feuer durchlitten ist, kann die gereinigte Seele zum Himmel aufsteigen. Purgatorium
6 Im späten Mittelalter haben Himmel, Hölle und Fegefeuer enorm an Bedeutung gewonnen in der kirchlichen Lehre und der staatlichen Verfolgung. Ihr Brennstoff war in erster Linie die Angst. Das Resultat ein Aberglaube und kollektiver Wahn. Wer die Pein abkürzen wollte, musste investieren in Totenmessen. Ablasshandel
¨Der Ablasshandel florierte, Bussprediger heizten ein und erwirtschafteten Gewinne für die Kirchenfürsten. Zwingli und Bullinger lehnten die Lehre vom Purgatorium jedoch strikte ab. Sie sei nicht biblisch. Jean%Calvin
7 Anstelle der Angst zündeten sie neue Feuer: Glaube, Liebe Hoffnung. Das feu sacré ist einem kleinen Wörtchen ausgedrückt: sola. Sola scriptura, sola fide, sola gratia. Man kann es ideologisch missverstehen: nur die Bibel allein. Man soll es als Ausdruck der Begeisterung verstehen. O Sole mio, Chhristus ist einzigartig, sola gratia heisst amazing grace und das sola fide vertraut voll und ganz auf die Güte Gottes. Scheiterhaufen Leider können wir das Problem der religiös motivierten oder religiös verschleierten Gewalt mit einer theologischen Klärung nicht einfach abhaken. Die Flammen loderten weiter in den Scheiterhaufen, die errichtet wurden für Ungläubige, Ketzer und Hexen. Hexenwahn(und(Scheiterhaufen
Vor allem die Zeit des Dreissigjährigen Krieges war eines der dunkelsten Kapitel der Christentums-­ und Kirchengeschichte. Doch selbst in diesem Wahn steckt ein Rest von Liebe – wenn auch völlig verdreht und verkehrt. 8 Der Feuertod wurde als eine Strafe angesehen, die den Verurteilten die Hölle ersparen wollte, sozusagen ein irdisches entfachtes Purgatorium zur Rettung der Seelen. Aufklärung Sie fragen sich, warum ich Ihnen alle diese schrecklichen Dinge erzähle. Und ich könnte noch fortfahren: Kreuzzüge, Zwangstaufe und natürlich Religionskriege sind Teil unserer Geschichte. Ich erwähne es, weil diese Verirrungen sich ja nicht ungeschehen machen lassen. Sie sind Teil der Schuld der Kirche – sie haften an dem, was wir in unserer Kultur mit dem Heiligen verbinden. Es sind die Schatten, die das Feuer wirft. Es sind die Leichen im Keller, an die das Gedächtnis der Religionskritik erinnert. Was uns zu denken geben muss, ist die unheimliche Verwechslung des Heiligen mit dem Unheiligen. Aufklärung
Religion ist offensichtlich etwas Gefährliches. Und wir wissen es. Vor dreihundert Jahren entfachte die Aufklärung ein feu 9 sacré für die Vernunft, die Freiheit und die Gleichheit. Ihr Symbol die Sonne, das Licht des Verstands. Seither begleitet uns der Verdacht, dass das Religiöse selbst einen glühenden Docht hat, der sich entzünden und einen Brand stiften kann. Mit anderen Worten: wir rationalisieren und relativieren das Heilige. Der aufgeklärte Verstand sieht die Gefahr überhitzter religiöser Gefühle. Psychoanalyse
Im 20. Jahrhundert kam zur Kritik der Vernunft die Lehre der Psychologie. Das Selbstverständnis der religiösen Entwicklung verfeinert sich. Es geht nicht nur um Kirchen oder Religionsgemeinschaften. Jeder Einzelne ist gefordert sich zu prüfen. Religiöse Verirrungen lassen sich auch psychologisieren. Wo früher Glaube und Aberglaube unterschieden wurde, spricht die Psychologie im Falle einer fanatischen, intoleranten oder gewalttätigen Religiosität von Krankheit. 10 Wir sehen also die Gefahr. Haben wir sie im Griff? Haben wir begriffen, was schief geht? Können wir mit Ratio, Recht und Therapie den Brandstiftern das Handwerk verbieten und das Mundwerk verschliessen? 3 Heiliges Feuer in der Bibel Dornbusch Sie hören meine Skepsis! Ich glaube nicht, dass wir die Gefahr der unheiligen Allianzen von Gewalt und Glaube ohne das Heilige bewältigen. Dazu müssen wir aber genauer wissen, was darunter zu verstehen ist und die Bibel aufschlagen. ‫ַהסְּ נֶה בּ ֵֹער‬
Im Buch Genesis werden Anfänge des Heiligen erzählt: Schöpfung, Fall und Sintflut – dann die Geschichte der Väter Abraham, Isaak, Jakob und Josef, dessen Nachfahren in Ägypten in Gefangenschaft gerieten. Es ist der Anfang eines neuen Kapitels in der Geschichte Gottes mit seinem Volk. Dort steht Schlüsselgeschichte, die uns auf die Spur des Heiligen Feuers führt. Sie handelt von einem Mann namens Moses, der ein Hitzkopf und offensichtlich leicht entzündbar 11 war. Im Zorn hatte er einen ägyptischen Aufseher erschlagen. Jetzt versteckte er sich bei seinem Schwiegervater Jethro. Er hütete die Schafe als er die seltsame Erscheinung sah. Einen Dornbusch, der brannte, aber nicht verbrannte. Das Feuer war ein himmlisches Feuer – ein Symbol und keine chemische Reaktion, bei der am Schluss nur ein Häufchen Asche bliebe. Mose sah kein physikalisches Feuer. Was sich ihm zeige, war ein Zeichen. Und er hörte eine Stimme, die das Heilige dem Heiligen zuordnet. Das Heilige hatte einen Namen. Es ist ein Du, das sich offenbart und Moses seinen Namen nannte: JHWH. Ein Wortspiel, ein Name der enthüllt und zugleich verhüllt. Ich bin, der ich sein werde. Mit dem Namen gab sich Gott zu erkennen als ein Gott, der in die Geschichte Mose eingreift. Aus dem Flüchtling wurde ein Führer, ein Prophet und ein Mittler der Gebote, die Gott seinem Volk auf den Weg in die Freiheit mitgeben sollte. Das war der Plan, den Moses mitgeteilt bekommt. Sonntagsschulstoff. Sie kennen die Geschichte.. Sie ist bekannt und doch fantastisch. Und die Geschichte geht noch weiter. Nachdem Mose Israel aus Ägypten hinausführte, offenbarte Gott auf dem Berg Sinai die Zehn Gebote. Das erste Gebot ist zu einem Schlachtwort. Es gibt nur einen Gott. Zehn%Gebote
12 Man kann die Zehn Gebote in zwei Tafeln aufteilen. Die ersten fünf Gebote machen klar, mit Gott ist nicht zu spassen. Er ist Herr. Und er duldet keine anderen Götzen neben sich. Er will allein verehrt werden, ist eifersüchtig. Der Heilige besteht darauf, geheiligt zu werden. Er ordnet an, dass die Israeliten den siebten Tag dafür reservieren. Was für eine seltsame Idee. Alle – nicht nur die Priester – soll einen Tag heiligen. Sabbat
Sie kennen die Geschichte. Sonntagsschulstoff. Ich hoffe, ich kann etwas davon vermitteln, was unter und hinter dem Bekannten liegt. Eine ganz und gar verrückte Geschichte, wild und schön, dramatisch und berührend. Denn diese Stimme, die aus dem brennenden Busch ruft, will Gemeinschaft, sucht die Liebe in der Verehrung. Das feu sacré der Heiligung ist die Sehnsucht Gottes nach seinem Menschen. Darum der Sabbat! Die Macht, die den Kosmos schuf, ein Du, das vor allen Zeiten war, will Beziehung zu seinem Geschöpf. Er sucht uns, ruft uns und bittet uns, IHM zu folgen. In der Geschichte Israels öffnet sich uns ein Fenster. Wir sehen in das Herz Gottes. Und wir sehen durch die Erzählung dasselbe Feuer brennen wie Moses. Immer wieder wird es entzündet und verbrennt nicht. 13 Die Zehn Gebote sind freilich nur das negative Konzentrat seines Willens. Sie definieren, auch das, was wir nicht tun sollen, wenn wir das Feuer des Heiligen hüten: nicht töten, nicht stehlen, nicht lügen. Es ist eine Thora, die man auswendig kann. Das Alte Testament umfasst jedoch ganze Gesetzesbücher. Und wenn man mit Recht sagen kann, dass die beiden Tafeln der Zehn Gebote die Grundlagen unserer Zivilisation bilden, ist uns der grosse Teil der sogenannten Reinheitsgebote doch sehr fremd. Der Verdacht Fremd und befremdlich, dann und wann auch unheimlich sind Geschichten vom Bann, von der Landnahme und vom Gericht, das über Israel hereinbricht, als es sich den fremden Götzen zuwandte. Der Monotheismus – die exklusive Verehrung eines eifersüchtigen Gottes – fordert seinen Preis. Und ich muss den furchtbaren Verdacht, dass das Heilige ins Unheilige kippen kann, aussprechen. Ist am Ende Gottes Anspruch auf Heiligung der Anlass und die Ursache der religiösen Gewalt? Sehen wir den Keim der Intoleranz? Legt die exklusive Verehrung des Heiligen die Saat für den Fanatismus? Jan$Assmann$– Gewaltverdacht
14 Es gibt Leute, die das behaupten. Zum Beispiel der renomierte Heideberger Ägyptologe Jan Assmann. Und Gelehrte, wie er. raten dazu, dass wir den Gott des Alten Testaments mit seinen übersteigerten Loyalitätsanforderungen hinter uns zu lassen. Der Monotheismus sei ein Brandherd. Schliesslich kämpfen ja auch die Dschihaddisten mit der Losung „Gott ist einer“ auf den Lippen. Die Frage an uns: Können wir uns von diesen Fanatikern distanzieren und gleichzeitig daran festhalten, dass Gott auf unserer Seite steht? Oder machen wir nicht genau dasselbe – etwas weniger drastisch – wenn wir an einen Gott glauben? Oder unseren Gott als einzigen verehren? Über diesen Verdacht müssen wir reden. Er ist ungeheuerlich. Und er ist kreuzfalsch. Wir müssen ihn widerlegen. Wir stehen als Christen in der Pflicht, diese Schlussfolgerung als Kurzschluss zurückzuweisen. Denn Kurzschlüsse sind bekanntlich nicht ganz harmlos. Sie können auch Brände erzeugen. Es ist ein Kurzschluss, wenn man Altes und NT auseinanderreisst. Die Verbindung hat einen Namen. Jesus%Christus
15 War Jesus ein feuriger Christ? Jesus Christus ist ihr Name. Er ist das Gesicht JHWHs. Hier ein altes Mosaik, das in der Hagia Sophia in Istanbul gefunden wurde – in der Kirche, die wieder Moschee werden soll, wenn es nach dem Willen von Donald Erdogan gehen soll. Das Bild zeigt Jesus als Herrn. Und Herr ist der Titel, den die masoretische Bibel dort einsetzte, wo der heilige Name JHWH stand. In der griechischen Bibel steht kyrios. Davon kommt auch der Name Kirche. Kyriakois. Das, was dem Herrn gehört. Das Bekenntnis Jesus Kyrios offenbart nichts Neues, sondern erzählt die Erfüllung des Heilsplan Gottes. Zugespitzt: Jesus ist das personifizierte feu sacré des Schöpfers. Im Johannesevangelium sagt ER es mit einer anderen verwandten Metapher: Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, wir nicht länger im Dunkeln wandern. Er sagt auch: Ihr seid das Licht der Welt. Nichts Neues unter der Sonne. Es ist dieselbe wechselseitige Beziehung, die den Kern des so genannten Heiligkeitgesetzes im Buch Leviticus ausmacht. JHWH sagt: Ihr sollt ein heiliges Volk sein. Im Heiligkeitsgesetz stehen Sätze, die klipp und klar machen, was damit gemeint ist. Du sollst Gott, Deinen Herrn, lieben aus ganzem Herzen, mit all Deiner Kraft und Deinem Verstand und Deinen Nächsten wie Dich selbst. Jemandem die Leviten lesen, meint, ihn daran zu erinnern, was das Gebot ist: Gott heiligen, seinen Namen Ehre geben und den Menschen dienen. Im Doppelgebot kommt das Gesetz zur Erfüllung. Gott und den Menschen lieben ist eins und nicht zwei. Wer sagt, er liebe Gott und hasst den Menschen, lügt. Jesus bläut es uns regelrecht ein – und ist kein bisschen blauäugig. Gott lieben heisst den Menschen lieben, den Menschen lieben heisst Gott lieben, aber wir können es nicht. Es ist uns 16 unmöglich. In seiner ganzen Schlichtheit ist das Liebesgebot zu radikal. Es überfordert uns. Wir können unsere Feinde nicht lieben, unseren Schuldigern nicht vergeben und das Böse nicht überwinden. Jesus%Tora
Die Worte kommen Ihnen bekannt vor. Jedes Kind weiss sie – oder sollte sie wissen. Sie sind wie die Zehn Gebote Konzentrat. Allerdings in Form des Gebets und nicht in Form des Gebots. Heiligung wird nicht gefordert, sie wird erbittet. Das Unservater ist das Vermächtnis Jesu. Es ist Ausdruck seines Gottvertrauens. Wir sollen zu Gott reden, wie zu einem himmlischen Vater, seinen Namen heiligen, ihn bitten um das tägliche Brot, die Vergebung unserer Schuld so in Anspruch nehmen, wie wir auch bereit sind, anderen zu vergeben und er soll uns bewahren vor der übermächtigen Verführungskraft der eigenen Triebe: der Habgier und Rachgier. Er soll uns befreien von der Angst, zu kurz zu kommen und unbedeutend zu sein. Er soll uns erlösen von den Bösen und 17 hinführen zur Schönheit der Anbetung, zum grössten Glück und tiefsten Frieden, den Menschen erfahren können. Ich beschreibe ihnen das Programm der Heiligung und Sie merken den Sog der Predigt. Weil das Heilige in der Vision Jesu eine Anziehungskraft entwickelt. Sie steckt an, wie ein Feuer. Sie ruft uns. Aber sie eckt auch an und ruft Widerstand hervor. Oder in der Bildlogik der orthodoxen Kirche: Er schaut uns an, er ruft uns, er erwählt und nicht wir ihn. Wir gehören IHM, aber er gehört nicht uns. Wir besitzen ihn nicht. Wir bitten an seiner statt: Versöhnt Euch mit Gott. Einige fühlen sich angesprochen, andere abgestossen. Das gehört zum heiligen Feuer der Freiheit. Was wir anhand seines Lebens und Sterbens sehen, ist das Gegenteil eines Aufrufs zur religiösen Gewalt. Das Verrückte an seiner Geschichte ist die Verkehrung – das Kreuz mit der Religion. Der$Gekreuzigte$
– das$Ende$der$Gewalt$
18 Jesus predigt die Gewaltlosigkeit: Selig sind die Sanftmütigen. Jesus predigt liebet Eure Feind. Und er, ausgerechnet er, erleidet die Gewalt. An ihm tobt sie sich aus. Wenn wir seine Hingabe, seinen Tod erkennen und seine Botschaft glauben, zeigt sich uns das wahre Feuer. Weit und breit keine Bomben, keine Schwerter oder hassvolle Tiraden. Seine Heiligkeit scheidet die Geister, entlarvt die Lügen der Unheiligen. Es gibt keine Entschuldigung mehr für Unterdrückung von Anderen. Wer behauptet, Gott zu lieben und Menschen zu hassen, lügt. Nun wissen ehemalige Sonntagsschüler, bibelfeste Christenmenschen und gelegentliche Kirchgängerinnen, dass mit Jesus nicht immer Zuckerschlecken war. Er konnte hart reden – auch mit seinen Gegnern. Jesus%im%Tempel
Jesus war sozusagen ein feuriger Christ … Aber schauen und hören wir genau hin. Diejenigen, die er konfrontierte, fehlten in seinen Augen in zwei grundlegenden Forderungen der Liebe. 19 Jesus verurteilt aufs Schärfste Heuchelei oder Missbrauch von Kindern: Wer eines dieser Kleinen verführt. Er greift die Unbarmherzigen frontal an. Und er mahnt seine eigenen Jünger und Freunde, dass sie seine Mission nicht begriffen hätten und wenn sie ihn zum Helden küren, statt ihr Leben hinzugeben. Nichts wäre nun falscher, als daraus eine Lehre zu zimmern von den bösen Pharisäern und den dummen galiläischen Fischern. Die Evangelien halten uns einen Spiegel vor die Nase. Wir schauen in unsere Kleinkrämerseelen. Und wir lernen, dass die Heiligkeit Gottes, wie sie Jesus verkörpert, zwar ersehnt wird, aber zugleich den politischen und religiösen Betrieb massiv stört. Wir sehen beides: dass dort, wo die Bewegung Fuss fasst, Begeisterung um sich greift, wir lesen von Dämonen, die zittern und Kranken die geheilt werden. Aber wir lesen auch von der Volksmenge, die ihm zujubelt und am nächsten Tag seinen Tod wünscht. Nachfolge Ein$Islam*Problem?
20 So bin ich eingestiegen: mit diesem zutiefst verstörenden Bildern von religiösen Eifer. Und ich habe es Ihnen und mir nicht einfach machen wollen. Denn es wäre zu einfach, mit dem Finger auf die Anderen zu zeigen. Jesus%nachfolgen%…
Und das hat eine Konsequenz für unser Reden vom heiligen Feuer Jesu. Es gehört uns nicht. Es gebührt uns nicht, es für uns zu beanspruchen. Höchstens als Anspruch an uns. Die Antwort auf die Frage, wie wir es mit der Religion und Religionskritik halten, lautet schlicht: Nachfolge. Für Christus einstehen, bedeutet auch für Christus einstecken. Wir werden, wenn wir ihm nachfolgen, an seiner statt in Mitleidenschaft gezogen – in sein Leiden für die Welt. Hört sich an, wie ein Martyrium. Wenn es einen unheimlichen Zusammenhang zwischen Übereifer und Gewaltbereitschaft gibt, die in einen Selbsthass kippen kann, gibt es auf der anderen Seite diesen manchmal heimlichen und dann wieder offensichtlichen Zusammenhang 21 zwischen dem Gottvertrauen und dem Leiden an Christi statt, dem Martyrium, das zum Glück werden kann. Es ist das schwierige und doch so tiefe Glück, sein Kreuz zu tragen. Es ist die teure Gnade, die unsere Leidenschaft für Gott weckt. Nachfolge
Jesus-ruft-in-die-Nachfolge-nicht-als-Lehrer-und-Vorbild,sondern-als$der$Christus,$der$Sohn$Gottes.
Dietrich$Bonhoeffer,$Nachfolge$(1934)
Dietrich Bonhoeffer beschreibt diesen Zusammenhang als heilige Verbindung. Er schrieb 1934 ein Buch mit dem Titel Nachfolge. Es ist keine angenehme Lektüre. Denn er führt seinen Lesern vor Augen, dass die Gnade nichts Billiges ist. Man kommt nicht zum Glauben ohne Gehorsam und man kommt nicht zum Gehorsam ohne Glauben. Und daran scheitern wir und werden im Scheitern immer wieder ermutigt, wieder anzufangen. Wer am Morgen aufsteht mit den Worten: ich bin nur ein unnützer Knecht, hat den Gehorsam verweigert und den Ruf überhört. Wer am Abend sagt: Herr, ich danke Dir, bin ich gerechter und frömmer als andere Heuchler, hat Gnade nötig … Heiliges Feuer, so will ich es zusammenfassen, ist beides: das Vertrauen darauf, dass sich mir der brennende Dornbusch 22 zeigen wird und ich mein Licht nicht unter den Scheffel stelle, aber auch die Demut, die sagt: ich bin ein glimmender Docht. Herr, entzünde mir das Feuer Deiner Liebe. Pfingsten und die Gemeinschaft der Heiligen Frauen und Männer Diese Bitte wurde und wird erhört. Tausendfach, Millionenfach. Ein Wolke von Zeugen bezeugt es uns: Theresa von Avila, Niklaus von der Flüh, Anna Bullinger, John Wesley oder Nina Hagen. Die una sancta ist eine Riesenschar. Die heilige apostolische katholische Kirche Trägerin der Verheissung und doch dieselbe Kirche, die gesündigt hat. Es wäre darum ein fataler Kurzschluss und irregeleitete Toleranz, wenn wir meinen, wir müssten das feu sacré an einem anderen Ort suchen, weil unsere Religion versagt hat. Als ob es eine bessere gäbe. Wir landen dann doch bei uns selbst. Bei unserer Zündhölzli-­Spiritualität. Und alles, was wir erreichen, ist ein Burnout. Nein, das wahre feu sacré ist kein Privatfeuerwerk. Ich möchte deshalb schliessen mit einem Feuerbild, das die Gemeinschaft betont. Pfingstfeuer
23 Es ist bekannt. Sonntagsschulstoff. An Pfingsten kommt das Feuer, das Moses als Dornbusch gesehen hat, wieder vor. Lukas macht in der Schilderung der Ereignisse die Verbindung zur Geschichte in Genesis, wenn er erzählt, dass über den Köpfen der Apostel lodernde Flammen zu sehen waren. Es isr kein physikalisches Feuer, sondern ein Zeichen für die anbrechende Gottesherrschaft. Das Feuer ist nicht mehr in einem Dornbusch. Es ist vom Propheten zum Volk, das die zwölf Apostel symbolisieren. Und sie sprechen, singen und loben Gott in fremden Sprachen. Syrisch, persisch, arabisch … Es sind die Sprachen der Völker. Israels Auserwählung Gottes heiliges Volk zu sein dehnt sich aus. Was in der Geschichte von Babel eine Straf-­ und Vorsichtsmassnahme Gottes war, verwandelt sich im Pfingstwunder zur Verheissung alle Völker zu vereinen. Der Heilige Geist ist ausgegossen und wohnt in den Herzen derer, die sich Gott anvertrauen, die bereit sind, ihm nachzufolgen und in der Gemeinschaft der Heiligen ein Licht der Welt zu sein. Auch in Syrien. 4 Helvetische Scheinheilige Wir kommen zum Schluss. Ich habe Ihnen von unheiligen Auswüchsen erzählt und von der höchst anspruchsvollen biblischen Vorstellung der Heiligung. Was läge nun näher zu sagen, dass wir das Eine nicht wollen und das andere nicht können. Das heisst: etwas feu sacré hätten wir schon gerne. Nur die Finger wollen wir uns nicht verbrennen Religiös fährt man doch am besten mit einem Kompromiss. Das wäre dann auch typisch helvetisch. Bitte keine Extreme. Ein bisschen Meditation, hin und wieder ein Stossgebet und ein wenig Andacht an Heilig Abend müssen reichen. Religiöse feu sacré beschränken wir besser auf Kerzen am Weihnachtsbaum. 24 O"Du"seliges"
Weihnachtschristentum
O Du fröhliches o Du seliges Weihnachtschristentum. Samt Wunderkerzen. Genügt es uns? Man könnte zu diesem Schluss kommen, aber ich will es Ihnen heute Abend nicht so einfach machen. Schliesslich ist nicht Heiligabend. Und Jesus sagte: ich bringe Euch ein Feuer und wollte es brennte schon. Jesus suchte Menschen, die nach Gottes Reich hungern und traf auf Satte. Genau das ist Problem der Durchschnittsfrömmigkeit. Dass sie Gott schon satt hat, bevor sie nach ihm dürstet und sich in ihrer Selbstzufriedenheit selbst genügt. Sie ist scheinheilig. Es fehlt ihr die Hingabe, das Feuer der Liebe, der Wunsch, Gott zu lieben von ganzem Herzen. Durchschnittsfrömmigkeit, die aus Angst vor Burnout jede Hitze meidet, ist ein Ablöscher. Sie kann nicht begeistern. Sie wärmt nicht, weil sie kalt lässt. Ich bin überzeugt: Gott wünscht sich mehr heiliges Feuer in unseren Kirchen. Mehr Freude, mehr Geist und mehr Vertrauen auf ihn und Hingabe für sein Reich. Wenn jetzt einer sagt, das 25 sei gefährlich, weil fanatisch und intolerant, könnte man ja auch fragen, ob es am Ende törichter ist, seine Lampen nicht anzuzünden. Und wenn Sie mich fragen, was das konkret heisst, riskieren Sie ein Feuerwerk. Wenigstens fünf Schluss-­
Lichter will ich setzen. Es sind Grundsätze der Kirche von England, five marks of mission. Five%marks%of%mission
• To%proclaim%the%Good%News%
of%the%Kingdom
• To%teach,%baptise and%nurture%
new%believers
• To%respond%to%human%need%
by%loving%service
• To%transform%unjust%
structures%of%society,%to%
challenge%violence%of%every%
kind%and%pursue%peace%and%
reconciliation
• To%strive%to%safeguard%the%
integrity%of%creation,%and%
sustain%and%renew%the%life%of%
the%earth
• Das%Evangelium%des%
Gottesreiches%verkündigen%
• Menschen%lehren,%taufen%und%
auf%dem%Weg%des%Glaubens%
begleiten%
• Auf%menschliche%Not%mit%
Liebe%zu%antworten
• Ungerechte%Strukturen%
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begegnen%und%für%Friede%und%
Versöhnung%einstehen.
• Rettung%und%Bewahrung%der%
Schöpfung,%Erhaltung%und%
Erneuerung%aller%Kreaturen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe mein Referat war erhellend und herzerwärmend. Danke!
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