31.01.2017, Erdogans langer Arm in Deutschland - Bespitzeln

Manuskript
Beitrag: Erdogans langer Arm in Deutschland –
Bespitzeln, drohen, verfolgen
Sendung vom 31. Januar 2017
von Ahmet Senyurt und Ulrich Stoll
Anmoderation:
Das türkische Parlament hält Erdogan nicht auf. Es hat dem
Präsidenten den Machtausbau genehmigt. Anfang April muss
noch das Volk zustimmen, und dann gibt es kein Halten mehr,
keinen Ministerpräsidenten und kein Recht des Parlaments, die
Regierung zu kontrollieren. Erdogan herrscht dann allein. Der
starke Mann am Bosporus wird noch stärker, sein langer Arm, der
bis nach Deutschland reicht, noch länger. Schon jetzt greift
Erdogan hier willkürlich nach seinen Gegnern, die bespitzelt und
bedroht werden. Ahmed Senyurt und Ulrich Stoll berichten.
Text:
„Märtyrer sterben nicht, das Vaterland ist unteilbar!“ rufen sie.
Deutsche Erdogan-Anhänger demonstrieren im November 2016
in Berlin.
O-Ton:
Allahu akbar!
O-Ton Mann:
Wir stehen hinter dir, so Gott will!
Erdogan, der islamische Glaube und der türkische Nationalismus,
das eint diese Deutschtürken. Einige machen das Zeichen der
rechtsextremen Grauen Wölfe – das wird hier akzeptiert. Auch
der Hass auf Erdogans politische Gegner in der Türkei.
Zehntausende wurden verhaftet.
O-Ton Mädchen:
Das sind alles Terroristen, sie haben kein Recht dazu, in
Freiheit zu sein. Sie gefährden die Türkei, sie gefährden die
Demokratie und deswegen sollten sie alle eingesperrt
werden.
Tausende Lehrer, Richter und Soldaten sitzen im Gefängnis,
doch Erdogans Willkür lässt viele Demonstranten hier kalt.
O-Ton Mädchen:
Es gab keine Verhaftungen, falsch, alle, alle deutschen
Medien lügen.
Ihre Wut richtet sich auch gegen Journalisten, wie den vom
Regime verfolgten Zeitungsmacher Can Dündar.
Can Dündar, Chefredakteur bei Cumhüriyet, wurde im Mai 2016
zu knapp sechs Jahren Haft verurteilt. Das Blatt hatte
Waffenlieferungen der Türkei an islamistische Milizen enthüllt. Als
Dündar auf sein Urteil wartete, schoss ein Attentäter auf ihn. Can
Dündar floh nach Deutschland.
O-Ton Frontal 21:
Was soll mit Can Dündar geschehen, der ist nach
Deutschland geflohen?
O-Ton Mann:
Mit wem? Ganz klar und offen: Der soll aufgehangen werden,
das ist einer der größten Staatsfeinde.
Erdogans langer Arm reicht bis nach Deutschland. Der Hass trifft
Andersdenkende, wie die islamische Gülen-Bewegung. Die hatte
Erdogan zur Terrorgruppe erklärt.
So wird der Berliner Ercan Karakoyun plötzlich als Terrorist
verdächtigt − nur weil er eine Stiftung leitet, die der GülenGlaubensgemeinschaft nahe steht.
O-Ton Ercan Karakoyun, Stiftung Dialog und Bildung:
Also ich habe inzwischen über 15 Morddrohungen
bekommen. Die bekomme ich dann über Facebook, über
Twitter und per Mail. Hier habe ich zum Beispiel mal eine:
„Ercan, sobald ich dich schnappe, bekommst du eine Kugel
in dein Gehirn.“ Das sind Sachen, die einen überlegen
lassen, ob man nicht doch lieber doch noch nach rechts oder
nach links schaut, ob man im Café vielleicht doch nicht mit
dem Rücken zur Tür sitzt. Es ist einfach ein Gefühl der
Angst, was dadurch entsteht.
Die Kölner Zentralmoschee. Der Träger, der Moscheeverein
DITIB, wird von Ankara kontrolliert. In DITIB-Moscheen werden
Gülen-Anhänger als sogenannte FETÖ-Terroristen verleumdet.
Schweinfurt. Offene Drohungen an der Tür der DITIB-Moschee:
„Vaterlandsverräter, Feinde der Religion und
Sympathisanten der FETÖ haben absolut keinen Zutritt zur
Moschee.“
Im rheinischen Betzdorf denunziert der Religionsbeauftragte
Musa C. mehrere türkische Muslime mit Erwähnung ihre
Geburtsorte als Anhänger von FETÖ – der angeblichen GülenTerror-Organisation.
Frontal 21 liegen Dutzende solcher Spitzelberichte vor.
Denunziationen, die nach Ankara gemeldet werden.
O-Ton Ercan Karakoyun, Stiftung Dialog und Bildung:
Von der deutschen Politik erwarte ich deutliche Worte. Sie
soll nicht erlauben, dass ein türkischer Politiker namens
Erdogan sich in Deutschland in die Moscheegemeinden
einmischt. Es darf nicht erlaubt sein, dass hier denunziert
wird.
DITIB räumt Bespitzelungen ein. Die Bundesanwaltschaft
ermittelt. Der Verdacht: geheimdienstliche Agententätigkeit.
Der frühere Bundestagsabgeordnete Memet Kiliç von den Grünen
wird seit Jahren bedroht, weil er die autoritäre Politik Erdogans
offen kritisiert.
O-Ton Memet Kiliç, Rechtsanwalt:
Es gibt Einschüchterungsversuche, Morddrohungen, übelste
Beschimpfungen und Beleidigungen. Wenn ich morgens aus
der Tür herausgehe, steige ich nicht einfach ins Auto,
sondern schaue ich mal, ob alles einigermaßen in Ordnung
aussieht.
Rechtsanwalt Kiliç berät den türkischsprachigen Sender YOL-TV.
Der strahlte sein Erdogan-kritisches TV-Programm bislang von
Deutschland aus − via Satellit. Die Türkei verbannte YOL-TV jetzt
vom Satelliten. Für Kiliç ist das Zensur, um die Türken auf einen
nationalistischen Kurs zu bringen.
O-Ton Memet Kiliç, Rechtsanwalt:
Diese Radikalisierung findet gerade in der türkischen
Gesellschaft statt. Und das ist für die Zukunft eine riesen
Gefahr und die Islamisten werden uns auf allen Ebenen
herausfordern.
Auch der türkische Geheimdienst MIT ist in Deutschland aktiv.
Das ist Fatih S., er gab sich als Sympathisant der verbotenen
kurdischen PKK aus, schlich sich als Reporter bei einem
kurdischen Sender ein. Fatih S. interviewte Funktionäre
kurdischer Organisationen, die in der Türkei verboten sind.
Auch der Bremer Yüksel Koç gab dem angeblichen Reporter ein
Interview. Heute weiß Koç, Vorsitzender eines PKK-nahen
Kurdenvereins: Er wurde von Fatih S. ausspioniert.
O-Ton Yüksel Koç, Demokratischer Gesellschaftskongress
der Kurden:
Sie haben mich observiert, sie wissen, wo ich wohne, sie
haben mein Umfeld ausgespäht.
Frontal 21 liegen Spitzelberichte von Fatih S. vor - Dossiers über
Zielpersonen:
„Von mir übernommene Aufgabe: Informationen über die
Rekrutierung von Aktivisten.“
Der vermeintliche Reporter verfolgte die Reisebewegungen von
Yüksel Koç:
Aus den Notizen von Fatih S.:
„Ich habe erfahren, dass er nach Toulouse gefahren ist. Ich
habe Informationen über die Person bekommen, bei der er
untergekommen ist. Er soll ein Restaurant in Frankreich
betreiben.“
Koç bekam die Notizen von einer Informantin. Die ist jetzt im
Zeugenschutz der Polizei, lebt an einem geheim gehaltenen Ort.
Nachdem die Zeugin Koç informiert hatte, erhielt der per SMS
eine anonyme Morddrohung mit genauer Angabe seiner Adresse.
O-Ton Yüksel Koç, Demokratischer Gesellschaftskongress
der Kurden:
Wir werden dich vor deinem Haus begraben. Ihr seid gerade
noch davongekommen. Sei froh, dass diese Hure Bescheid
gesagt hat. Wie du wird auch sie dafür büßen.
Die türkische Botschaft erklärt auf Nachfrage, die Behauptung,
Yüksel Koç sei durch den türkischen Geheimdienst ausgespäht
worden, entspreche nicht der Wahrheit. Doch Fatih S. sitzt
inzwischen in Haft. Die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen
geheimdienstlicher Agententätigkeit.
Spitzeln, drohen, verfolgen – politischer Druck bis in den
Bundestag. Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen kritisiert
seit Jahren Erdogans Politik in Bundestagreden und Vorträgen.
Das Klima ist aggressiver geworden.
O-Ton Sevim Dagdelen, DIE LINKE, MdB:
Ich habe massive Aufmärsche von Erdogan-Anhängern
erlebt bei Veranstaltungen, wo ich mein Erdogan-kritisches
Buch vorgestellt habe, die dann nur unter massiven
Polizeischutz stattfinden konnten. Die Bundesregierung und
alle Behörden haben hier eine Pflicht, die Menschen, die in
Deutschland leben und sich nichts zu Schulden haben
kommen lassen, außer ihre Meinungsfreiheit zu benutzen,
diese müssen in Schutz genommen werden vor den Agenten
und den Schergen der türkischen Regierung hier in
Deutschland.
Die neueste Offensive der Erdogan-Anhänger: die Allianz
Deutscher Demokraten − ADD. Die Partei tritt zur Landtagswahl
in Nordrhein-Westfalen an. Parteigründer Remzi Aru gibt die
Linie vor.
O-Ton Remzi Aru, Gründer ADD:
Es gibt in der Türkei keinen Bürgerkrieg, es ist ein
Rechtsstaat. Und ich persönlich würde mich eher dem
türkischen Rechtsstaat als dem deutschen Rechtsstaat
hingeben und vertrauen.
ADD-Chef Remzi Aru behauptet, Deutschland stecke mit
Erdogans Feinden unter einer Decke.
O-Ton Remzi Aru, Gründer ADD:
Hier in Deutschland laufen von Interpol steckbrieflich
gesuchte Massenmörder herum. Mörder laufen hier herum.
Die Menschen umgebracht haben, nachweislich umgebracht
haben, laufen hier herum und sind völlig unbehelligt und es
kann doch nicht sein, dass Deutschland das Hinterland für
Menschen ist, die Hunderte, Tausende, Zehntausende
Menschen auf dem Gewissen haben. Damit muss Schluss
sein. Daran werden wir arbeiten.
Das Programm von Arus Partei ADD, ganz im Sinne Erdogans:
Die „Gülen-Bewegung“ wird dämonisiert mit dem Begriff
„Internationaler Terrorismus“. Die ADD kritisiert die Trennung von
Staat und Religion, will den Islam in Deutschland stärken:
„Die ultrasäkularistischen totalitären Ideologien der Moderne
haben Europa in eine noch nie zuvor gekannte Katastrophe
geführt.... Diskriminierende Bestimmungen wie
Kopftuchverbote müssen fallen.“
Archiv vom 25.Mai.2014
Parteigründer Remzi Aru ist kein Unbekannter.
O-Ton Peter Hahne, ZDF-Moderator, am 25.5.2014:
Ich freue mich, dass ein Mitglied der Union EuropäischTürkischer Demokraten UETD da ist.
Früher trat Aru im Namen der UETD auf – einer
Lobbyorganisation für Erdogan in Europa. Auf ihrer Homepage
präsentiert die Ruhr-Sektion der UETD Opfer des
Putschversuches gegen Erdogan und fordert: „Bei Gott, wir
wollen die Todesstrafe.“
Die UETD behauptet heute, ADD-Chef Remzi Aru sei nie Mitglied
gewesen.
O-Ton Sevim Dagdelen, DIE LINKE, MdB:
Remzi Arus Partei ist eine türkische PEGIDA, die darauf
abzielt, eine Zersetzungskampagne gegenüber allen
Erdogan-Kritikern in Deutschland hier auch zu führen. In
anderen europäischen Ländern gibt es schon längst Parteien
der AKP, die dort aktiv sind im Sinne der türkischen
Regierung und sie versuchen hier auf die Community
natürlich Einfluss zu gewinnen.
Erdogans Politik spaltet die Türken in Deutschland - in
bedingungslose Gefolgsleute und Todfeinde.
Abmoderation:
Übermorgen reist die Kanzlerin nach Ankara und zum Spagat in
der Flüchtlingspolitik. Einerseits braucht sie Erdogan in ihrem
Wahlkampf, um Flüchtlinge von Deutschlands Grenzen
fernzuhalten. Andererseits suchen immer mehr Menschen
Zuflucht in Deutschland vor Erdogans Regime: Zuletzt sollen 40
türkische Soldaten aus NATO-Einrichtungen hier politisches Asyl
beantragt haben.
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