Urolithiasis-Harnsteinerkrankung (PDF Available)

10
Urolithiasis-Harnsteinerkrankung
Michael Straub und Richard E. Hautmann
10.1
Epidemiologie
10.2
Pathogenese und Risikofaktoren
10.2.1
10.2.2
10.2.3
Formale Pathogenese – 260
Kausale Pathogenese und Risikofaktoren
Harnsteinarten – 264
10.3
Symptomatik
10.3.1
10.3.2
Kolik – 269
Obstruktive Pyelonephritis
10.4
Diagnostik
10.4.1
10.4.2
Notfalldiagnostik – 271
Metabolische Diagnostik zur Abklärung
der Harnsteinbildungsursache – 277
10.5
Therapie und Harnsteinmetaphylaxe
10.5.1
10.5.2
10.5.3
Akuttherapie der Kolik – 281
Akuttherapie der obstruktiven Pyelonephritis – 282
Konservative Steinaustreibung und interventionelle
Therapieverfahren – 282
Metabolische Therapie und Sekundärprävention – 286
10.5.4
– 260
– 260
– 262
– 269
– 271
– 271
– 280
260
Kapitel 10 · Urolithiasis-Harnsteinerkrankung
10.1
Epidemiologie
Die Harnsteinerkrankung ist im Zunehmen begriffen.
In Deutschland liegt die Prävalenz, d. h. die Häufigkeit
im Laufe des Lebens einen oder mehrere Harnsteine zu
bilden, aktuell bei 4,7%. Die jährliche Neuerkrankungsrate, also die Inzidenz des ersten Steines beträgt 1,47%
(. Tab. 10.1).
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es demnach
rund 4 Millionen Bundesbürger, die Harnsteine bilden.
> Damit ist die Harnsteinerkrankung anderen Volkskrank heiten, wie dem Diabetes mellitus oder dem
Rheuma vergleichbar. Grundsätzlich findet man in
westlich orientierten Wohlstandsgesellschaften mit
hohem sozioökonomischen Standard eine hohe Prävalenz, in den USA beispielsweise von bis zu 18%.
10
Die Harnsteinbildung wird neben einer kochsalz- und
eiweißreichen Ernährung durch die häufige Bewegungsarmut in den westlich orientierten Gesellschaften gefördert. Neuerdings gibt es Hinweise, dass auch kardiovaskuläre Risikofaktoren zu einem erhöhten Harnsteinbildungsrisiko beitragen. Demgegenüber treten in
Entwicklungsländern bevorzugt infektassoziierte
Harnsteine auf, was vor allem mit dem schlechteren
medizinischen Versorgungsstandard dort und der verbreiteten Mangelernährung zusammenhängt.
Je nach Harnsteinart beträgt das Rezidivrisiko einer unbehandelten Harnsteinerkrankung 50–100%,
bei entsprechender Sekundärprävention lässt sich das
Risiko auf 10–15% senken.
In den vergangenen 20 Jahren hat sich das Geschlechterverhältnis nahezu angeglichen. Das Ersterkrankungsalter rückte im Durchschnitt von der 5. in die
2. Lebensdekade. Die Gründe hierfür sind vielfältig.
Ursachen für das frühere Ersterkrankungsalter
bei Urolithiasis
Unter anderem wird vermutet, dass der Einsatz von Antibiotika (7 Kap.2) zur Behandlung von Infekten bereits in jungen
Jahren zu einer Veränderung der Darmflora führt. Zumindest
6
. Tabelle 10.1. Epidemiologische Entwicklung
der Harnsteinerkrankung in Deutschland.
Gegenüberstellung der INFAS-Studien
Jahr
Prävalenz
Inzidenz
1979
4,0%
0,54%
1984
4,0%
0,40%
2000
4,7%
1,47%
beim Kalziumoxalatharnstein konnte ein Zusammenhang
zwischen der Darmkolonisierung mit Oxalobacter formigenes
und dem Harnsteinbildungsrisikos gezeigt werden. Bei der
Harnsäuresteinbildung wird die »Fast-Food-Ernährung« als
mögliche Ursache angesehen.
Die Harnsteininzidenz im Kindesalter wird mit 0,01%
angegeben.
10.2
Pathogenese und Risikofaktoren
10.2.1 Formale Pathogenese
> Voraussetzung der Harnsteinbildung ist eine Übersättigung des Urins mit steinbildender Substanz.
Das Löslichkeitsdiagramm (. Abb. 10.1) kann hierzu
einen ersten Einblick geben:
Beim Löslichkeitsdiagramm eines beliebigen Harnsteins wird die Konzentration der steinbildenden Substanz (Ordinate) gegen den pH-Wert des Urins (Abszisse) aufgetragen. Unterhalb der Sättigungskurve findet
sich die lithogene Substanz in ihrer flüssigen, nicht kristallinen Phase. Zwischen der Sättigungskurve und der
Übersättigungskurve entsteht ein Feld, das dem Bereich
der metastabilen Übersättigung entspricht. Im Übersättigungsbereich kommt es zur spontanen Kristallbildung.
Beim Konzept der homogenen Nukleation liegt
die übersättigte Lösung einer steinbildenden Substanz
vor. Aus mehreren Kristallen kann sich innerhalb kürzester Zeit ein Nukleus bilden, der durch weitere Anlagerung von gleichartigen Kristallen zum Kristallaggregat und schließlich zum Harnstein heranwächst. Die
Bildung von Harnsäure- und Zystinsteinen erfolgt nach
diesem Muster.
Die Entstehung von Infektsteinen und kalziumhaltigen Steinen hingegen beruht auf dem Prinzip der
heterogenen Nukleation. Hierbei befindet sich die
Lösung der steinbildenden Substanz im Bereich der
metastabilen Übersättigung. Die Kristallisation erfolgt
nicht spontan, sondern wird durch andere Kristallkeime oder Zelldetritus ausgelöst. Neben der Übersättigung des Urins mit steinbildender Substanz spielt bei
diesem Konzept der »cristal cell interaction« eine wesentliche Rolle (. Abb. 10.2).
»Cristal cell interaction«
Der Begriff »cristal cell interaction« beschreibt die direkte Einwirkung eines spontan gebildeten Harnsteinkristalls auf die
Nierentubuluszelle. Durch den Kontakt des Kristalls mit der
Zellmembran wird ein Transzytoseprozess von luminal nach
basolateral im Tubulusepithel ausgelöst. Da Kristalle wie Kal-
6
261
10.2 · Pathogenese und Risikofaktoren
10
Konzentration
g/l
C labile Übersättigung
D
B
metastabile
Übersättigung
A
Untersättigung
E
Übersättigungskurve
Sättigungskurve
F
pH
. Abb. 10.1. Löslichkeitsdiagramm für einen beliebigen
Harnstein. Die Sättigungskurve und die Übersättigungskurve grenzen ein Gebiet der metastabilen Übersättigung ab.
Konzentriert man eine untersättigte Lösung, so setzt eine
spontane oder eine homogene Kristallbildung nicht beim
Schnittpunkt der Verdampfungslinie mit der Sättigungskurve (also in Punkt B), sondern erst bei einer erheblich höheren Konzentration (also einer größeren Übersättigung
in Punkt C) auf der Übersättigungskurve ein. Die Übersätti-
gungskurve verbindet die Punkte der spontanen Kristallbildung. Zwischen der Übersättigungskurve und der Sättigungskurve befindet sich der Harn in einem Zustand der unterschiedlichen Übersättigung; hier kann ein z. B. in Punkt D
eingebrachter Kristall bis zum völligen Abbau der Übersättigung (Punkt B) zwar einerseits wachsen, andererseits kann
aber keine neue Kristallbildung einsetzen. Die Sättigungskurve ist also eine Gleichgewichtskurve zwischen kristalliner
und flüssiger Phase. (nach Hautmann 1985)
. Abb. 10.2. Modell der
»cristal cell interaction« bei
der Harnsteinbildung
ziumoxalat zytotoxische Wirkung haben, kann es zum Untergang der Tubuluszelle bzw. zur Auslösung einer lokalen Entzündungsreaktion kommen. Die durch diesen Prozess frei
werdenden Membran- und Zellfragmente wirken ihrerseits
als Nukleatoren und können nun im Interstitium die Kristallbildung vorantreiben.
Der Grad der Urinsättigung lithogener Substanzen
wird bestimmt durch deren freie Ionenkonzentration.
Diese ist stark abhängig vom Urin-pH, jedoch stoffspezifisch in unterschiedlicher Art und Weise.
So nimmt die Löslichkeit von Phosphat ab, je höher
der Urin-pH steigt. Harnsäure, Xanthin und Zystin
262
Kapitel 10 · Urolithiasis-Harnsteinerkrankung
hingegen fallen im sauren Milieu aus und werden umso
besser in Lösung gehalten, je alkalischer der Urin ist.
Verursacht wird die Harnsäuerung durch verminderte Ammoniakbildung, azidotische Stoffwechsellagen
und Medikamente. Neutralisiert bzw. alkalisiert wird der
Urin bei Hyperparathyreoidismus, renal-tubulärer Azidose, Hypophosphaturie, Harnwegsinfekten, Immobilisation, durch Nahrungsmittel (Zitrusfrüchte, bikarbonathaltige Mineralwässer) und Medikamente (Ammoniumchlorid, L-Methionin, Alkalicitrate, Acetacolamid,
Diuretika).
10
Physiologische Kristallurie und pathologische Konkrementbildung
Kristallurie bedeutet jedoch nicht zwangsläufig Harnsteinbildung, sie kommt im Übrigen auch beim Gesunden vor. Der
entscheidende Faktor ist das Gleichgewicht zwischen lithogenen (Kalzium, Phosphat, Oxalat, Harnsäure, Ammonium, Zystin) und inhibitorischen (Zitrat, Magnesium, Glycosaminoglykane) Harnbestandteilen. Wird dieses empfindliche Gleichgewicht gestört, entweder durch ein Überwiegen der lithogenen
Substanzen oder durch einen Mangel an Inhibitoren, so mündet der Kristallisationsprozess über die Bildung von Kristallaggregaten in der Konkrementbildung. Die heute zur Verfügung
stehenden pharmakologischen Prinzipien beruhen im Wesentlichen auf dem Ausgleich eines inhibitorischen Defizits
oder versuchen die Menge an lithogener Substanz zu vermindern. Direkte Kristallisationshemmer sind derzeit für den klinischen Gebrauch nicht verfügbar.
10.2.2 Kausale Pathogenese
und Risikofaktoren
Neben der Sättigung des Urins mit steinbildender Substanz wirken weitere Faktoren auf die Harnsteinbildung
ein.
Ernährung
> In den sogenannten westlichen Wohlstandsgesellschaften treten zunehmend häufiger Kalziumoxalatund Harnsäuresteine auf. Ursache hierfür ist die dort
vorherrschende kochsalz- und proteinreiche Ernährung, insbesondere die hohe Zufuhr an tierischem Eiweiß.
Nachgewiesenermaßen korreliert auch die in Wohlstandsgesellschaften verbreitete Adipositas stark mit
dem Auftreten von Harnsteinen. Ein Bodymass-Index
>25 kg/m2 ist mit einem signifikant erhöhten Steinbildungsrisiko verknüpft. Letzten Endes nehmen bestimmte Ernährungsgewohnheiten direkten Einfluss
auf die Urinzusammensetzung und können kritische
Konzentrationen lithogener Substanzen wie Kalzium,
Oxalat, Harnsäure oder Zitrat bedingen.
Zu den bekannten Ernährungsfehlern zählt auch
eine zu geringe tägliche Flüssigkeitsaufnahme. Bei zu
geringer Trinkmenge wird der Harn stark konzentriert
und mit lithogenen Substanzen übersättigt.
Medikamente
Vermutlich beeinflusst neben den typischen Ernährungsgewohnheiten westlicher Wohlstandsgesellschaften auch der dort hohe Antibiotikaverbrauch die
Harnsteinbildung.
Mechanismen der Harnsteinbildung verschiedener
Medikamente
Antibiotika können Veränderungen der Darmflora in der Art
bedingen, dass beispielsweise vermehrt lithogenes Oxalat im
Darm resorbiert wird und anschließend über die Niere wieder
ausgeschieden werden muss.
Neben dieser indirekten Wirkung gibt es aber auch Medikamente mit direkter Wirkung auf die Zusammensetzung der
lithogenen Substanzen.
Die Ascorbinsäure (Vitamin C) trägt in höheren Mengen
zu einer Hyperoxalurie bei, weil diese Substanz in der Leber
unter anderem zu Oxalat metabolisiert wird.
Bei der Vitamin-D-Substitution kann es zu einem erhöhten Kalziumumsatz mit nachfolgender Hyperkalzurie kommen.
Harnalkalisierende Substanzen wie die Alkalicitrate und
das Bikarbonat verbessern die Ausscheidung des inhibitorisch wirksamen Zitrats in den Harn und wirken daher in der
Regel kristallisations- und steinprotektiv. Dies ist jedoch nicht
bei Infektsteinbildung der Fall. Hier fördern alkalisierende
Substanzen das Steinwachstum.
Bei den Diuretika muss zwischen den Schleifen- und Thiazid-Diuretika unterschieden werden. Die Schleifen-Diuretika bergen die Gefahr, durch pH-Verschiebung und vermehrte
Kalziumausscheidung eine Nephrokalzinose zu induzieren.
Bei den Thiazid-Diurektika kommt es zu einer erhöhten
Harnsäureausscheidung, mit entsprechendem Risiko der
Harnsäuresteinbildung; dagegen senken sie die Kalziumausscheidung und wirken daher protektiv im Hinblick auf eine
Kalziumoxalatkristallisation und -steinbildung.
Selten kann die Kristallbildung einer Medikamentensubstanz zur Urolithiasis führen.
Immobilisation
Längere Immobilisation setzt Knochenumbauprozesse in Gang, in deren Verlauf vermehrt Kalzium und
Phosphat im Urin ausgeschieden werden.
263
10.2 · Pathogenese und Risikofaktoren
Harnwegsinfekte
Infektionen mit sogenannten ureasepositiven Keimen
führen im Verlauf zu einer Alkalisierung des Urins. Im
alkalischen Urin liegt jedoch eine Übersättigung an Magnesiumammoniumphosphat und Kalziumphosphat
vor, die eine Kristallisation begünstigt.
Störungen der Urodynamik
Eine Harntraktobstruktion mit behindertem Harnfluss
prädisponiert zur Harnsteinbildung. Dies wird bei der
subpelvinen Stenose, bei Harnleiterengen, aber auch
bei einer subvesikalen Obstruktion durch ein Prostataadenom oder eine Harnröhrenstriktur beobachtet.
Auch bei neurogener Blasenentleerungsstörung besteht
ein erhöhtes Harnsteinrisiko. Im Allgemeinen treten
bei gestörter Urodynamik des Harntrakts bevorzugt
Infektsteine auf (7 oben).
Hyperparathyreoidismus
Der Hyperparathyreoidismus (HPT) ist bei etwa 3–5%
der Patienten für die Harnsteinbildung verantwortlich.
Aufgrund eines Nebenschilddrüsenadenoms wird beim
primären Hyperparathyreoidismus verstärkt Parathormon produziert.
> Ein vermehrter Knochenumbau führt zu erhöhtem Kalziumumsatz. Auffällig ist die gleichzeitige Erhöhung
der Serum- und Urinkalziumwerte.
Differentialdiagnostisch ist dringend an die multiple
endokrine Neoplasie (MEN) zu denken. Bei MEN I ist
der Hyperparathyreoidismus kombiniert mit Tumoren
der Hypophyse und des Pankreas, bei MEN II mit einem Phäochromozytom und einem C-Zellkarzinom
der Schilddrüse.
Renale tubuläre Azidose
Epidemiologie. Die renale tubuläre Azidose (RTA)
wird bei etwa 5% aller Harnsteinpatienten gesehen, die
komplette Form der RTA ist allerdings selten und betrifft nur 0,5% der Patienten.
Pathophysiologie und Symptomatik. Pathophysiolo-
gische Grundlage bildet die aktive Protonenausscheidung der Nierentubuluszelle im Rahmen der
Carboanhydrasereaktion. Zur Kompensation einer metabolischen Azidose werden in der gesunden Niere im
distalen Tubulus vermehrt saure Valenzen gegen Natrium ausgetauscht. Die vermehrte Protonensekretion
führt zur Ansäuerung des Urins. Der saure Urin wiederum erschwert die Nukleation von Phosphaten und
Carbonaten.
10
> Pathogenetisch liegt bei der renal-tubulären Azidose
eine ungenügende Protonensekretion im Nephron
vor, sodass trotz metabolischer Azidose im Organismus der Urin-pH nie unter 5,8 fällt.
Man unterscheidet bei der RTA zwei klinisch relevante
Typen:
4 Typ I, distale tubuläre Azidose. Hier kann der
Urin trotz metabolischer hyperchlorämischer Azidose nicht auf einen pH unter 5,8 gesenkt werden.
Die Azidose ist mit einer Hypokaliämie, Hypokalzämie, Hypophosphaturie und Hypovolämie
sowie einer Hyposthenurie verbunden. Zudem
findet sich häufig eine starke Hyperkalzurie, die zur
Kalziumphosphatkristallisation und Ablagerung
von Kalziumphosphatkristallen im Interstitium
(Nephrokalzinose) führt. Dieser Prozess wird durch
die begleitende Hypozitraturie noch verstärkt. Klinisch kommt es deshalb insbesondere zum Auftreten einer Nephrokalzinose oder Markschwammniere, aber auch zur Harnsteinbildung.
4 Typ II, proximale tubuläre Azidose. Diese Form
ist durch eine Störung der Bikarbonatrückresorption (Bikarbonat-Verlustazidose) gekennzeichnet.
Hierbei tritt keine Osteomalazie und keine Harnsteinbildung auf.
Die Erwachsenenform der RTA verläuft milder und
protrahierter als die kindliche. Prinzipiell treten aber
die gleichen metabolischen Veränderungen auf. So liegt
bei 60–80% der Patienten mit Nephrokalzinose eine
RTA vor.
> Deshalb muss beim radiologischen Nachweis einer
Nephrokalzinose oder Markschwammniere eine RTA
unbedingt abgeklärt werden.
Kindliche Verlaufsform der RTA
In der kindlichen Verlaufsform tritt die RTA als stark ausgeprägte Stoffwechselstörung mit einer schweren metabolischen hyperchlorämischen Azidose auf. Möglich sind Wachstumsverzögerungen, Osteomalazie und Nephrokalzinose.
Kinder, bei denen diese Erkrankung nicht erkannt wird, versterben an der Urämie.
Sekundärsymptomatische RTA
Symptome der renalen tubulären Azidose können mit denen
anderer Erkrankungen oder Mangelerscheinungen einhergehen. Erkrankungen, die zu einer sekundärsymptomatischen
RTA führen, sind Hyperparathyreoidismus, Dysproteinämie,
Vitamin D- und Amphotericin B-Intoxikation, Carboanhydraseinhibitoren und Ureterosigmoideostomie.
Differenzialdiagnostisch muss bei der proximalen RTA ein
Fanconi- oder Loewe-Syndrom abgegrenzt werden. Bei pädi-
6
264
Kapitel 10 · Urolithiasis-Harnsteinerkrankung
atrischen Patienten muss nach entsprechenden Syndromen
gescreent werden.
Allgemein führt der Kaliummangel bei der RTA zu einer oftmals neurologischen Symptomatik. Außerdem
werden Arthralgien und Myalgien, aber auch Knochenschmerzen beobachtet.
! Cave
Von einer allgemeinen Adynamie bis hin zum schweren paralytischen Ileus werden verschieden schwere
Stufen beobachtet.
Aufgrund der alkalischen Urin-pH-Werte treten häufig
Harnwegsinfekte auf.
10
Diagnostik. Die Diagnostik der renal-tubulären Azidose erfolgt nach dem in . Abb. 10.3 dargestellten Algorithmus. Bei einem Urin-pH stets größer 5,8 im
Tagesverlauf, muss an das Vorliegen einer renal-tubulären Azidose gedacht werden. Unter AmmoniumchloridBelastung (0,1 g/kgKörpergewicht) sollte es zu einem
Absenken des Urin-pH unter 5,4 kommen (7 Kap. 10.4).
Bleibt diese Reaktion aus, so liegt eine renal-tubuläre
Azidose vor.
Metabolisches Syndrom
In neuerer Zeit wird das metabolische Syndrom als
mögliche Ursache bzw. prädisponierender Risikofaktor für eine Harnsteinerkrankung diskutiert. Zum metabolischen Syndrom zählen arterielle Hypertonie,
Diabetes mellitus Typ II, Adipositas, Gicht und Harnsteinbildung. Es wird vermutet, dass diese Symptome
einen gemeinsamen metabolischen Ursprung haben.
Neueste Untersuchungen machen eine erhöhte Insulinresistenz dafür verantwortlich.
Angeborene Stoffwechselstörungen
Einige, in der Regel autosomal-rezessiv vererbte Erkrankungen führen zu einer verstärkten Ausscheidung beispielsweise
. Abb. 10.3. Abklärungsschema
bei Verdacht auf renal-tubuläre Azidose
(modifiziert nach Sommerkamp).
Bei der Urin-pH-Wertmessung muss ein
Harnwegsinfekt als Alkalisierungsursache sowie eine medikamentös bedingte
Alkalisierung ausgeschlossen sein
von Zystin. Xanthin, Oxalsäure oder 2,8-Dihydroxiadenin im
Harn. In diesen übersättigten Lösungen bilden sich rasch Kristalle und Konkremente.
10.2.3 Harnsteinarten
Klassifikation von Harnsteinen:
5
5
5
5
Steinlage
Röntgenverhalten
Ätiologie
chemische Zusammensetzung
Abhängig von der Lage des Steines (. Abb. 10.4) werden Nieren-, Harnleiter oder Blasensteine unterschieden. Nierensteine können als Parenchymsteine, Papillensteine, Kelchsteine, Nierenbeckensteine, als partielle
oder komplette Ausgusssteine (staghorn calculi) vorliegen.
> Alle Harnsteine entstehen in der Niere und entwickeln
sich gegebenenfalls im Harntrakt weiter. In Deutschland sind 97% aller Steine in den Nieren und im Harnleiter lokalisiert. Nur 3% der Harnsteine befinden sich
in Blase und Harnröhre.
Eine weitere Unterscheidung der Harnsteine ist nach
ihrem Röntgenverhalten in röntgennegative (nicht
schattengebende) und röntgenpositive (schattengebende) Konkremente möglich (. Tab. 10.2).
Weitere Klassifikationssysteme unterscheiden nach
der Ätiologie, differenzieren beispielsweise Infektsteine von genetisch bedingten, metabolisch verursachten
oder medikamenteninduzierten Steinen.
> Die moderne Klassifikation der Harnsteine erfolgt nach
ihrer kristallinen Analyse bzw. ihrer chemischen Zusammensetzung.
10
265
10.2 · Pathogenese und Risikofaktoren
. Abb. 10.4. Harnsteinlokalisationen im Harntrakt (modifiziert nach
Hesse und Tiselius)
Ausgußstein
Nierenbeckenstein
Nierenkelchenstein
97%
Harnleiterstein
Blasenstein
3%
. Tabelle 10.2. Röntgenverhalten der verschiedenen Harnsteinarten
Röntgenverhalten
Harnsteinart
schattengebend
schwach schattengebend
nicht schattengebend
Kalziumoxalat
(Whewellit/Weddellit)
Magnesiumammoniumphosphat
(Struvit)
Harnsäure (Uricit)
Kalziumphosphat
(Karbonatapatit,
Brushit)
Zystin
Xanthin
Urate
2,8-Dihydroxyadenin
»Drug-Stones«
Hiernach werden Oxalate, Phosphate, Harnsäure und
Urate, Zystin, 2,8-Dihydroxyadenin, Xanthin und andere Inhaltsstoffe unterschieden. Einen Überblick über
die Harnsteinarten und deren Häufigkeit gibt . Tabelle 10.3.
Kalziumoxalatstein
> Etwa 70% aller Harnsteine Erwachsener enthalten Kalziumoxalat. Dabei gelten 60–70% dieser Patienten als
idiopathische Kalziumoxalatsteinbildner.
Harnanalyse bei idiopathischen Kalziumoxalat-Harnsteinbildnern
Bei den idiopathischen Kalziumoxalat-Harnsteinbildnern findet man in 31%–61% eine Hyperkalzurie, in 26%–67% eine
Hyperoxalurie, in 15%–46% eine Hyperurikusurie, in 7%–23%
eine Hypomagnesiurie und in 5%–29% eine Hypozitraturie als
metabolische Ursache der Harnsteinbildung. Bei einer Viel-
zahl idiopatischer Harnsteinbildner treten mehrere dieser
Harnveränderungen gleichzeitig auf. Grundlage für die
Beur teilung ist die Laboranalyse von zwei 24-StundenSammelurinen (. Abb. 10.5).
Bei den idiopathischen Steinbildnern liegen keine
Stoffwechseldefekte im Sinne einer renalen tubulären
Azidose, eines Hyperparathyreoidismus, eines Malabsorptionssyndroms oder ähnlichem vor.
Ein Hyperparathyreoidismus wird bei höchstens
5% der Patienten nachgewiesen. Die renale tubuläre
Azidose wird in ihrer kompletten Form bei 0,5% aller
Kalziumoxalatsteinbildnern gefunden, inkomplette
Formen treten bei 3–5% der Patienten auf.
Bei wenigen Patienten liegt der Kalziumoxalatsteinbildung eine primäre Hyperoxalurie, ein autosomal-rezessiv vererbter Enzymdefekt mit erhöhter endogener
Oxalsäureproduktion zugrunde. Die enterale Hyper-
266
Kapitel 10 · Urolithiasis-Harnsteinerkrankung
. Tabelle 10.3. Klassifikation und Häufigkeit der verschiedenen Harnsteinarten
Harnsteinart
Chemische Zusammensetzung
Mineral
Hauptkomponente
in % der Fälle
monomineralisch
in % der Fälle
Oxalate
Kalziumoxalat Monohydrat
Kalziumoxalat Dihydrat
Whewellit
70,4
20,8
Harnsäure
und Urate
Harnsäure
Monoammoniumurat
Uricit
11,0
0,5
8,0
0,1
Phosphate
Magnesiumammoniumphosphat
Hexahydrat
Karbonatapatit
Kalziumhydrogenphosphat Dihydrat
Struvit
Dahllite
Brushit
6,0
4,8
1,0
2,1
1,1
1,0
Genetisch
determinierte
Steine
Zystin
Xanthin
2,8-Dihydroxyadenin
0,4
0,4
Iatrogene Steine
Indinavir
Silikate
Sulfonamide
Weddellit
10
Hyperkalzurie
31–61%
Hyperoxalurie
26–67%
Hypomagnesiurie
7–23%
Hypozitraturie
5–29%
Hyperurikosurie
15–46%
. Abb. 10.5. Die chemischen Risikofaktoren der idiopathischen Kalziumoxalat-Harnsteinbildung im Urin.
Diese Risikofaktoren können separat oder in Kombination
auftreten. Angaben nach der 1st International Consultation
on Stone Disease,
Paris 2001
oxalurie wird durch Malabsorptionssyndrome bedingt
oder ist Folge von Darmresektionen.
Im Vergleich ist die Kalziumoxalatsteinbildung im
Kindesalter mit 48% etwas seltener. Nur 14% dieser
kindlichen Steine entstehen idiopathisch, bei 34% sind
schwerere metabolische Defekte bzw. pädiatrische Syndrome für die Harnsteinbildung verantwortlich.
Über die prädisponierenden Risikofaktoren der
Kalziumoxalatsteinbildung gibt . Abb. 10.6 Auskunft.
> In den vergangenen 30 Jahren konnte weltweit eine
Zunahme kalziumoxalathaltiger Harnsteine, insbesondere in den entwickelten westlichen Gesellschaften
beobachtet werden. Auffällig ist, dass diese Steine in
der sozialen Oberklasse signifikant häufiger auftreten
als in Unterklassen. Neben kochsalz- und proteinreicher Ernährung werden Stressfaktoren und der verbreitete Einsatz von Antibiotika für die Zunahme dieser
Harnsteine verantwortlich gemacht.
Neuere Untersuchungen
Ob eine Veränderung der Darmflora aufgrund der gewandelten Ernährungssituation eine Rolle spielt, wird derzeit intensiv
geprüft. Untersuchungen zeigten, dass der oxalatmetabolisierende Keim, Oxalobacter formigines, in der Lage ist Oxalat
wirksam abzubauen. Dieser streng anaerobe Keim verschwindet allerdings bei westlichen, nicht vegetabilen Ernährungsgewohnheiten bzw. Antibiotikagebrauch.
Kalziumphosphatstein
Die Kalziumphophatsteine sind eine sehr inhomogene
Gruppe. Etwa 50% aller Harnsteine enthalten Kalziumphosphat, 4,8% sind monomineralische Karbonatapatitkonkremente und 1,5% monomineralische Brushitsteine.
Karbonatapatitsteine entstehen bevorzugt in alkalischem Urin (pH >6,8) mit hoher Kalzium- und niedriger Zitratkonzentration. Karbonatapatitsteine entstehen bevorzugt bei Vorliegen einer renal-tubulären
Azidose oder bei Harnwegsinfekten.
Brushitsteine hingegen bevorzugen einen UrinpH zwischen 6,5 und 6,8 mit hohen Konzentrationen
267
10.3 · Symptomatik
10
. Abb. 10.6. Prädisponierende
Risikofaktoren der KalziumoxalatHarnsteinbildung
an Kalzium und Phosphat. Steigt der Urin-pH über 6,8
an, können Brushitsteine in Karbonatapatitsteine konvertieren. Infektionen spielen bei der Brushitsteinbildung keine Rolle. Aufgrund ihres raschen Wachstums
müssen Brushitsteine als »maligne« angesehen werden.
Sie sind sehr hart und lassen sich daher nur schwer lithotripsieren.
Infektstein
Zu den Infektsteinen zählen Struvitsteine (Magnesiumammoniumphoshat) mit einer Häufigkeit von
4–9%, sowie unter speziellen Umgebungsbedingungen Ammoniumuratsteine mit einer Häufigkeit von
0,5%. Die Infektsteinbildung tritt bei Frauen 3–5-mal
häufiger auf als bei Männern. Als prädisponierend
wird die kürzere weibliche Harnröhre angesehen, die
eine schlechtere Infektbarriere im Vergleich zur
männlichen darstellt. Im Urin des Gesunden kristallisiert Struvit nicht aus. Im Rahmen von Harnwegsinfekten mit sogenannten ureasepositiven Keimen
wie Proteus, wird der Urinharnstoff in Ammoniak
und Bikarbonat gespalten. Der Urin reagiert nun
alkalisch, es tritt eine Übersättigung mit Magnesiumammoniumphosphat und Kalziumphosphat auf.
Häufig kommt es so zur Bildung von Struvit und Karbonatapatit in Kombination. Bei gleichzeitig hoher
Harnsäureausscheidung kann Ammoniumurat hinzutreten.
Das Prinzip der Infektsteinbildung ist in . Abb. 10.7
dargestellt.
> Der wichtigste Harnwegsinfektkeim Escherichia coli
besitzt keine Ureaseaktivität und ist damit nicht in direktem Zusammenhang mit einer Infektsteinbildung
zu sehen!
Die prädisponierenden ureasespaltenden Infektkeime
sind in . Tabelle 10.4 aufgeführt.
Die Infektsteinbildung ist in industrialisierten Ländern auf dem Rückzug, da Harnwegsinfekte frühzeitig
diagnostiziert und behandelt werden.
Harnsäurestein und Urate
Die Häufigkeit der Harnsäuresteine beträgt bis zu 15%
aller Harnsteine. Dabei sind gewisse geographische
Regionen traditionsgemäß verstärkt betroffen (z. B.Franken in Deutschland mit 20–25%). Ähnlich wie Kalziumoxalatsteine gelten Harnsäuresteine in den industrialisierten Ländern als Wohlstandssteine. Dies begründet
sich aus der hohen Zufuhr an tierischem Eiweiß und der
damit verbundenen hohen Purinaufnahme.
Eine Harnsäureerhöhung im Serum oder im Urin
kann prinzipiell bedingt sein durch:
4 Verminderten Abbau der Harnsäure,
4 endogene Überproduktion (Zellzerfall) oder vermehrte exogene Zufuhr der Harnsäure,
4 renale Ausscheidungsstörungen.
Die Harnsäure ist bei Menschen ein Stoffwechselendprodukt und kann nicht weiter metabolisiert werden.
Als Ursache einer Hyperurikämie können eine vermehrte exogene Zufuhr durch Nahrungsmittel, die weiter zu Harnsäure metabolisiert werden oder ein vermehrtes endogenes Angebot an Purinen und Purinabbauprodukten angeführt werden.
Unterschiede der Pathophysiologie von Harnsäureund Ammonium-Uratsteinen
Pathophysiologisch bedeutsam ist die Unterscheidung zwischen Harnsäure- und Ammonium-Uratsteinen. Harnsäuresteine entstehen bei niedrigem Urin-pH (Säurestarre, Urin-pH
stets <6) und gleichzeitig hoher Harnsäurekonzentration. Ammonium-Uratsteine hingegen benötigen für ihre Bildung ein
alkalisches Milieu (Urin-pH 6,5–9) sowie eine hohe Konzentration an Urat und einem Kation.
268
Kapitel 10 · Urolithiasis-Harnsteinerkrankung
. Abb. 10.7. Modell zur Entstehung
von Infektsteinen
10
. Tabelle 10.4. Die wichtigsten harnstoffspaltenden Bakterien. Diese Keime prädisponieren für eine
Infektsteinbildung. Sie können durch ihre Ureaseaktivität den Kristallisationsprozess auslösen
Harnstoffspaltende Bakterien (Ureasebildner)
Enterobacter aerogenes
Haemophilus influenzae
Klebsiella
Proteus mirabilis und Proteus vulgaris
Zystinstein
Die Häufigkeit der Zystinsteine wird mit 1–2% angegeben. Zur Zystinsteinbildung kommt es aufgrund eines
autosomal-rezessiv vererbten, enteralen und renalen
Transportdefektes. Im Bereich des Nierentubulus können die dibasischen Aminosäuren Zystin, Ornitin, Lysin und Arginin nicht adäquat rückresorbiert werden.
Infolge der extrem schlechten Löslichkeit von Zystin
kommt es zum raschen Auskristallisieren und zur
Steinbildung. Die pH-abhängige Löslichkeit des Zystins ist in . Abb. 10.8 dargestellt.
Providencia
1200
Serratia
Staphylococcus aureus
Ureoplasma urealyticum
> Für die Bildung von Harnsäure- und Uratsteinen ist
eine Hyperurikämie nicht zwingend erforderlich!
Zystin-Löslichkeit [µg/ml]
Pseudomonas
1000
800
600
400
200
4,5
5,0
5,5
6,0
6,5
7,0
7,5
8,0 8,5
Urin-pH
. Abb. 10.8. Abhängigkeit der Zystinlöslichkeit im Urin
vom Urin-pH
269
10.3 · Symptomatik
10
. Tabelle 10.5. Die wichtigsten Medikamente, die mit der Harnsteinbildung assoziiert sein können
Iatrogene Harnsteine »Drug Stones«
Substanzen, aus denen sich Steine bilden können
Substanzen, die die lithogenen Faktoren im Urin erhöhen
Allopurinol/Oxypurinol
Acetazolamid
Amoxicillin/Ampicillin
Allopurinol
Ceftriaxon
Aluminium-Magnesium-Hydroxid
Ciprofloxacin
Ascorbinsäure
Ephedrin
Kalzium
Indinavir
Furosemid
Magnesiumtrisilikat
Laxantien
Sulfonamide
Methoxyflurane
Triamteren
Vitamin D
Genetik
Durch die moderne Genetik können heute bei der Cystinurie
ein Typ I (autosomal-rezessiv) von den Typen II und III (inkomplett-rezessiv) unterschieden werden.
Exkretionsrate von Zystin
Im Normalfall liegt die Tagesexkretionsrate von Zystin bei
0,17–0,33 mmol/Tag. Homozygote Zystinsteinbildner scheiden Mengen von 3–4,16 mmol/Tag und mehr aus. Die Löslichkeitsgrenze von Zystin ist bei 1,33 mmol/l bei einem pH von
6,0 erreicht. Daher wird heute eine Behandlung der Zystinurie
ab 0,8 mmol/24 h dringend empfohlen.
Weitere, selten auftretende Harnsteinarten
2,8-Dihydroxiadeninstein
Das Vorkommen dieser Harnsteinart ist ausnehmend selten.
Zugrunde liegt ein autosomal-rezessiv vererbter Defekt des
Enzyms Adeninphosphoribosyltransferase. Hierdurch kommt
es zu einer vermehrten Bildung und damit renalen Ausscheidung von 2,8-Dihydroxiadenin, was bei entsprechend
schlechter Löslichkeit im Urin kristallisiert.
Die Adeninphosphoribosyltransferase-Aktivität kann bei
den betroffenen Patienten in den Erythrozyten gemessen
werden und bestätigt neben der Tagesexkretionsrate von 2,8Dihydroxiadenin die Diagnose. Eine lebenslange Metaphylaxe ist erforderlich.
Xanthinstein
Pathophysiologische Grundlage ist ein autosomal-rezessiv
vererbter Defekt der Xanthinoxidase, in dessen Folge es zur
erhöhten Exkretion von Xanthin kommt. Pathognomonisch
findet man eine stark erniedrigte Serumharnsäure bei stark
erhöhter Xanthinurinausscheidung. Auch diese Steine gelten
als Rarität.
In sehr seltenen Fällen beobachtet man die Xanthinsteinbildung unter Therapie mit dem Xanthinoxidasehemmer
Allopurinol®. Dies ist ausschließlich bei Patienten mit komplettem Mangel an Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase (Lesch-Nyhan-Syndrom) oder Störungen der Markproliferation (Lymphosarkom, Burkitt-Tumor) zu er warten.
Iatrogene und andere Harnsteine
Iatrogene Harnsteine können unter Einnahme eines bestimmten, lithogen wirksamen Medikaments entstehen.
Man unterscheidet hier die Steinbildung aufgrund des
Auskristallisierens der Medikamentensubstanz (z. B. Indinaviroder Silikatsteine) von der Steinbildung, die durch die metabolischen Effekte der Substanz ausgelöst wird (Acetazolamid oder
Tolumerase). Insgesamt sind diese Harnsteine sehr selten.
Ein Überblick zu dieser Steinentität wird durch . Tabelle 10.5 gegeben.
10.3
Symptomatik
10.3.1 Kolik
ä Der klinische Fall. Ein 50-jähriger Patient wird vom
Notarzt wegen stärkster Schmerzen in der rechten
Flanke, mit Ausstrahlung in die Leiste zur Klinik gebracht. Die Schmerzen hatten wenige Stunden zuvor
schlagartig begonnen und waren langsam aus der
Nierenregion in Richtung Leiste gewandert. Der Patient ist blass und kaltschweißig, er klagt über Übelkeit
und hat auf dem Weg in die Klinik bereits erbrochen.
Er läuft im Notaufnahmezimmer auf und ab und lässt
sich nur schwer dazu bewegen, auf der Untersu6
270
Kapitel 10 · Urolithiasis-Harnsteinerkrankung
chungsliege Platz zu nehmen. An Untersuchungsbefunden finden sich ein klopfschmerzhaftes rechtes
Nierenlager, ein auskultatorisch stilles, aber schmerzfreies Abdomen, im Urinstatus eine Mikrohämaturie,
im Blutlabor ein erhöhter Kreatininwert mit 140 µmol/
l, sowie sonographisch ein II° gestautes Nierenhohlsystem. Anhand der klinischen Befunde wird die Verdachtsdiagnose eines Harnleitersteins gestellt und
die adäquate Schmerzbehandlung mit Novalgin® und
Tamsulosin eingeleitet. Wenig später ist der Patient
schmerzfrei..
> Eine Kolik tritt dann auf, wenn der in der Niere gebildete Stein in den Harnleiter eintritt. Gleichwohl ist das
klinische Bild der Harnsteinerkrankung nicht zwangsläufig mit Koliken verbunden. Parenchymsteine, ruhende Nierenkelchsteine und große Nierenbeckenkelchausgusssteine können ohne Beschwerden entstehen!
10
Die typische Nierenkolik beginnt plötzlich in Form
krampfartiger, anfallsweise auftretender, wehenartiger
Schmerzen im Nierenlager. Die Ausstrahlung des
Schmerzes entlang des Harnleiters in die Region der
Blase, des Genitales oder der Oberschenkelinnenseite
ist typisch. Bezeichnend ist der »wandernde Schmerz«
(. Abb. 10.9). Je nach Steinlokalisation empfinden die
Patienten Flankenschmerzen (Niere), Mittel- oder
Unterbauchbeschwerden (Harnleiter) bis hin zu Genitalschmerzen (prävesikaler oder intramuraler Harnleiter).
Tipp
Patienten sind während einer Kolik unruhig, häufig
wälzen sie sich auf der Untersuchungsliege umher.
Damit lassen sie sich gut von Patienten mit peritonitischen Beschwerden, wie bei akutem Abdomen
unterscheiden. Diese liegen still, weil sie jegliche
Bewegung im Bauch schmerzt.
Leber
Gallenblasenstein
Nierenbeckenstein
Ureterstein
im mittleren
Anteil
Ureterstein
prävesikal
. Abb. 10.9. Schmerzprojektion beim Nieren- oder Harnleiterstein und beim Gallenstein (nach Alken und Soekeland
1982)
Für den Kolikschmerz sind zweierlei Dinge
verantwortlich:
5 Dilatation des obstruierten Hohlsystems mit
nachfolgender Dehnung der Schmerzrezeptoren im Nierenbecken und in den Nierenkelchen.
5 Lokale Irritation der Harnleiterwand bzw. des
Nierenbeckens, die zur Ödembildung und zur
Ausschüttung von Schmerzmediatoren führt.
Die freigesetzten Mediatoren bedingen eine
Tonuserhöhung des Harnleiters ohne allerdings eine Hyperperistaltik auszulösen.
Allerdings kann der Bauch infolge der begleitenden
Darmatonie aufgetrieben sein.
Tipp
Je kleiner das Konkrement ist, desto heftiger ist die
Schmerzsymptomatik.
Prävesikale Harnleitersteine führen zu imperativem
Harndrang und extremer Pollakisurie.
Analog den Wehen dauern Koliken Minuten bis Stunden.
Fieber, Schüttelfrost, Brennen beim Wasserlassen
sowie Oligourie oderAnurie deuten auf eine Harnwegsinfektion hin. Durch Verletzungen der Schleimhaut
kann es zur Makrohämaturie kommen. Allerdings tritt
nur bei einem Viertel der Patienten die Makrohämaturie kombiniert mit Schmerzen auf.
! Cave
Eine schmerzfreie Makrohämaturie muss als Indiz für
einen Blasentumor gewertet werden!
271
10.4 · Diagnostik
10
Tipp
Kolikpatienten müssen bei jeder Steinepisode ihren
Urin sieben, um den Harnstein aufzufangen.
Asservierte Steine müssen der Harnsteinanalyse zugeführt werden.
10.3.2
Obstruktive Pyelonephritis
ä Der klinische Fall. Eine 70-jährige Patientin wird vom
Notarzt mit hohem Fieber bis 40°C, Schüttelfrost, Tachykardie und hypotonen Blutdruckwerten in die
Notaufnahme gebracht. Es zeigt sich ein übelriechender Urin, im Urinstatus pH 8,0, Leukos 500, Erys 200,
Nitrit 3-fach positiv. Im Blutlabor findet sich eine Leukozytose mit 20.000 sowie ein CRP mit 50 mg/l, das
Kreatinin ist auf 210 µmol/l erhöht. Bei der klinischen
Untersuchung zeigen sich eine hochdruckschmerzhafte linke Flanke sowie ein suprapubischer Druckschmerz. Die Patientin gibt an, in den letzten Tagen
pollakisurisch-dysurische Beschwerden mit brennender Algurie verspürt zu haben. Außerdem wäre seit
vielen Jahren ein rezidivierendes Kalziumsteinleiden
bekannt. Sonographisch findet sich ein III° dilatierter
Harntrakt links, mit mehreren kleinen intrarenalen
Konkrementen. Außerdem fallen Binnenechos auf.
Die Patientin erhält notfallmäßig eine innere Harnableitung per Pigtailkatheter und eine flankierende intravenöse Antibiose. Zwei Tage später haben sich die
Entzündungsparameter normalisiert, der Kreatininwert liegt nun bei 140 µmol/l, sonographisch ist die
Harnstauung verschwunden.
! Cave
Nicht immer ist eine steinbedingte Harnstauung mit
Koliken verbunden!
Die Kombination von Flankenschmerzen und Fieber,
evtl. auch Schüttelfrost sind Alarmzeichen! Findet sich
eine Leukozyturie und im Ultraschall eine Harnstauung, so muss unbedingt für die sofortige perkutane
oder transurethrale Entlastung des Hohlsystems gesorgt werden.
! Cave
Bei kompletter Obstruktion und bzw. oder bereits eingeleiteter antibiotischer Therapie kann die Leukozyturie fehlen!
Primärsymptome der obstruktiven
Pyelonephritis:
5 Infektion
5 Sepsis
5 Oligourie bzw. Anurie (fakultativ)
Das klinische Bild wird von einem reduzierten Allgemeinzustand, bei Sepsis sogar einer reduzierten Bewusstseinslage dominiert. Angesichts der mediatoreninduzierten Urosepsis zeigt der Untersuchungsbefund
einen Blutdruckabfall, einen geblähten Bauch sowie
spärliche, hochgestellte Darmgeräusche. Das Nierenlager ist klopfschmerzhaft, häufig bestehen jedoch auch
nur diffuse Bauchschmerzen bzw. unklare Rückenschmerzen. Als Begleitsymptome findet man Fieber,
Brechreiz und Erbrechen.
! Cave
Die alleinige antibiotische Behandlung bei obstruktiver Pyelonephritis ist nicht ausreichend!
Bei Fortschreiten der Entzündung kommt es durch die
septisch freigesetzten Mediatoren auch zum Versagen
der kontralateralen Niere bis hin zur dialysepflichtigen
Anurie. Die zu späte Entlastung der gestauten Niere
bei Urosepsis hat auch heute noch eine Letalität von
ca. 50%.
10.4
Diagnostik
Prinzipiell dient die Diagnostik bei Urolithiasis:
5 der Diagnose der Harnsteinerkrankung,
5 der Diagnose der Harnsteinart durch Steinanalyse,
5 der Diagnose einer metabolischen Grunderkrankung, die zur Steinbildung geführt hat.
10.4.1
Notfalldiagnostik
Häufig steht für den Patienten das Auftreten einer hoch
schmerzhaften Kolik (7 Kap. 10.3.1) am Anfang. Als
Notfallpatient erfolgt die Einlieferung in eine Klinik.
Ziel der dort durchzuführenden Diagnostik (. Tabelle 10.6) ist es zunächst das vermutete Harnsteinleiden
differenzialdiagnostisch von anderen Erkrankungen abzugrenzen, um umgehend eine sinnvolle Akuttherapie
einleiten zu können.
272
Kapitel 10 · Urolithiasis-Harnsteinerkrankung
. Tabelle 10.6. Notfalldiagnostik beim Kolikpatienten
Anamnese
Steinanamnese
Ernährungsanamnese
Medikamentenanamnese
Klinische
Untersuchung
Körperliche Untersuchung
Blut
Kreatinin
Natrium, Kalium, Chlorid
Kalzium
(ionisiertes Kalzium
oder Gesamtkalzium
+ Albumin)
Harnsäure
ALT, AST, GGT, LDH
Kleines Blutbild
CRP
Bildgebung
Sonographie
Natives Spiral-CT des Abdomen
alternativ
Abdomenübersicht
Ausscheidungsurogramm
Urin
Urinstatus
Leuko/Ery/Nitrit/Eiweiß/pH/
spezifisches Gewicht
falls positiv
Urinkultur
Nach Akuttherapie
Sieben des Urins nach
Konkrementen
Obligate Harnsteinanalyse
aufgefangener Konkremente
10
gen und genetische Erkrankungen mit der Disposition
zur Steinbildung (Gicht, Zystinurie, primärer Hyperparathyreoidismus).
Ernährungsgewohnheiten müssen gründlich hinterfragt werden.
Eine ausführliche Medikamentenanamnese (Vitamin-C-Medikation, Vitamin-D-Medikation, Alkalisierungspräparate, Diuretika, Antibiotika) ist obligat.
Körperliche Untersuchung
Bei der körperlichen Untersuchung finden sich typischerweise:
4 Extreme Unruhe mit einer sich stets ändernden
Körperhaltung, um die sehr starken Schmerzen
besser zu ertragen.
4 Vernichtungsangst.
4 Ein blasses Hautkolorit wird von einer kalten und
nassen Haut mit erniedrigtem Puls begleitet.
4 Über der kranken Nierenregion und im Unterbauch bestehen Klopf- und Druckschmerzhaftigkeit.
4 Die Schmerzen können in die Genitalregion bzw.
Oberschenkelinnenfläche ausstrahlen.
4 Auftreten kann ein Hodenhochstand der betroffenen Seite und ein Zugschmerz an diesem Hoden.
4 Brechreiz und Erbrechen sind häufig.
4 Reflektorisch besteht ein Meteorismus mit abgeschwächten Darmgeräuschen.
4 Besteht bereits seit längerer Zeit eine obstruierte
Niere, kann man im Bereich der Nieren eine Resistenz fühlen oder bei bimanueller Untersuchung
tasten.
Tipp
> Jede Harnleiterkolik sollte zur Harnsteindiagnostik veranlassen. Eine rasche Diagnose ermöglicht heutzutage
eine umgehende Behandlung des Harnsteines.
Während im schmerzfreien Intervall größere Chancen bestehen, die Anamnese zu erheben, ist der
körperliche Untersuchungsbefund im Intervall dagegen wenig ergiebig.
! Cave
Bei jeder Kolik kann es zur Obstruktion des Harnleiters
kommen. Eine langanhaltende unbemerkte Obstruktionssituation führt zum Funktionsverlust der Niere. Im
schlimmsten Fall kann längeres Abwarten bei falscher
Diagnose Lebensgefahr bedeuten.
Anamnese
Zunächst müssen Erkenntnisse über Häufigkeit und
Rezidivcharakter der Kolik gewonnen werden. Daneben sollten eine familiäre Steindisposition, frühere
Steinabgänge, Operationen an Niere und ableitenden
Harnwegen, frühere ESWL-Behandlungen, perkutane
oder endourologische Interventionen erfragt werden.
Wichtig sind Informationen über Stoffwechselstörun-
Differenzialdiagnose der Harnsteinkolik.
ä Der klinische Fall. Eine 22-jährige Studentin kommt in
die Notaufnahme mit stärksten Schmerzen im rechten
Unterbauch. Sie gibt an, dass sich die Schmerzen im
Laufe des Tages langsam entwickelt hätten. Die Patientin ist kaltschweißig, blass, hypoton und tachykard, es
besteht ein erheblicher Druckschmerz im rechten Unterbauch, mit Ausstrahlung in die Flanke. Im Blutlabor
finden sich leichtgradig erhöhte Entzündungswerte,
der Urinstatus enthält Leukozyten und Erythrozyten,
jedoch kein Nitrit. Sonographisch fällt eine I° gestaute
rechte Niere sowie ein leichter Flüssigkeitssaum im
6
273
10.4 · Diagnostik
Douglas-Raum auf. Der übrige sonographische Befund bleibt unauffällig. Vor Anfertigung einer Abdomenübersichtsaufnahme wird ein Schwangerschaftstest durchgeführt, der positiv ist. Die Vorstellung beim
Gynäkologen ergibt schließlich die Diagnose einer Extrauteringravidität.
Die häufigste Ursache von Koliken sind zwar
Harnsteine, aber auch andere Krankheiten
verursachen ähnliche Beschwerden:
5 Die Gallenkolik ist im Gegensatz zur Nierenkolik vorwiegend im rechten Oberbauch unter
den Rippen lokalisiert. Schmerzausstrahlung in
die rechte Schulter und Ikterus sprechen für
ein Gallenleiden. Der Urin kann infolge der Gallenfarbstoffe auch rot und der Stuhl weiß gefärbt sein. Eine Hämaturie besteht in der Regel
nicht.
5 Gynäkologische Erkrankungen (stielgedrehte
Ovarialzyste, Tubargravidität) zeichnen sich im
Gegensatz zur Nierenkolik durch ein akutes intraabdominelles Geschehen aus. Zu den Symptomen zählen Druckschmerz im Unterbauch,
Abwehrspannung, druckschmerzhafter
Douglas’scher Punkt sowie Zeichen der Peritonitis.
5 Für die Appendizitis sprechen Abwehrspannung, Loslassschmerz, Leukozytose und Temperaturerhöhung. Typischerweise liegt der Patient bei intraabdominellen Erkrankungen ruhig im Bett, weil ihm dies Linderung bringt. Im
Gegensatz dazu ist der Steinkranke während
der Kolik extrem unruhig. Er versucht den heftigen Schmerzen durch permanente Änderung
der Körperlage zu begegnen, d. h. er liegt,
kniet, sitzt, steht, läuft. Die Haut ist blass, kalt
und schweißnass. Die Nierenregion ist klopfschmerzhaft und im Verlauf des Harnleiters ist
der Bauch druckschmerzhaft. Meteorismus, Erbrechen, Hodenschmerzen und imperativer
Harndrang sind für eine Uretersteinkolik typisch. Eine Mikrohämaturie findet man bei der
Urolithiasis. Vereinzelte Erythrozyten können
jedoch auch bei der Appendizitis im Urin erscheinen. Ein sonographisch nachgewiesener
Stau des Harntraktes spricht für ein Steinleiden
und gegen die Appendizitis.
5 Ein blockierender Harnstein kann das Bild eines akuten Abdomens vortäuschen. Reflektorisch kommt es zu Meteorismus. Das Abdomen
6
10
ist aufgetrieben, die Darmgeräusche sind spärlich. Beim Ileus hingegen finden sich klingende, metallische Darmgeräusche. Das Erbrechen
setzt bei der Kolik auf der Höhe, bei der Peritonitis und dem akuten Abdomen nach dem
Schmerzanfall ein.
5 Dem Herpes zoster gehen ziehende Flankenschmerzen voraus, die zu dem Bild einer Harnsteinkolik passen würden. Der unauffällige
urologische Röntgenbefund und der unauffällige Urinbefund lassen an den Zoster denken,
der erst Tage später aufblühen kann.
5 Andere Nierenerkrankungen, wie chronische
Pyelonephritis, Nierentumor, Urotuberkulose,
Papillennekrose bei Diabetes können durch
Koagel oder Detritusabgang in den Harnleiter
Koliken produzieren. Mit Hilfe von Urinbefund,
Urogramm, Sonographie, Urinkultur und laborchemischen Befunden lassen sich diese Nierenerkrankungen jedoch abgrenzen.
5 Letztlich können thorakale und abdominelle
Schmerzzustände nahezu jeglicher Art kolikähnliche Beschwerden produzieren. Aus der
Fülle dieser Erkrankungen seien der Herzinfarkt, die Endometriose, die Extrauteringravidität, der Psoas-Abszess, Intoxikationen, Phäochromozytom, M. Addison und Ulcera duodeni
et ventriculi sowie die Pankreatitis genannt.
Labor
Blutuntersuchung.
Im Rahmen der Notfalldiagnostik werden die in . Tabelle 10.6 aufgezählten Parameter untersucht. Bei Urolithiasis finden sich üblicherweise keine spezifischen
Veränderungen. Eine Leukozytose und CRP-Erhöhung
weisen allerdings auf eine begleitende Harnwegsinfektion hin. Kreatinin und Harnstoff sind bei komplikationsloser Steinerkrankung unverändert. Sie können
jedoch bei steinbedingter Obstruktion ansteigen. Als
Folge einer postrenalen Niereninsuffizienz findet sich
bei urämischer Stoffwechsellage eine Anämie.
Urinuntersuchung.
> Klassischerweise zeigt das Urinsediment in fast 100%
der Fälle eine Mikrohämaturie, aber nur in 25% der Fälle eine Makrohämaturie.
Häufig findet sich eine Leukozyturie.
Positives Nitrit im Urin-Schnelltest, bzw. Bakterien
im Urinsediment verlangen eine Urinkultur mit bakteriologischer Differenzierung des Keimes und seiner
274
Kapitel 10 · Urolithiasis-Harnsteinerkrankung
Resistenzlage. Die Urinkultur bildet die Grundlage für
die gezielte antibiotische Therapie bei Infekten. Trüber,
eitriger Urin, Fieber und Schüttelfrost deuten auf eine
gleichzeitige Begleitinfektion und somit auf eine Komplikation des Steinleidens hin.
! Cave
Große Nierenbeckenausgusssteine verraten sich oft nur
durch trüben Urin oder Fieber und können komplett
schmerzfrei bleiben.
Die Prüfung des Urin-pH ist einfach und kann außerdem frühzeitig Hinweise auf die Harnsteinart geben.
Bildgebende Verfahren
Sonographie.
> Die Sonographie ist heute das Primärdiagnostikum bei
Steinverdacht.
10
Sie wird komplementär zur Röntgendiagnostik eingesetzt, kann diese allerdings aufgrund technischer Limitationen nicht komplett ersetzen. Die Einführung der
Sonographie hat die Strahlen- und Kontrastmittelbelastung für die Patienten deutlich minimiert.
Steine bis zu einer Größe von 2–3 mm sind sonographisch zu erkennen. Nierensteine und prävesikale
Harnleiterkonkremente stellen sich ideal dar, Harnleitersteine können mit großer Erfahrung allenfalls bei
Kindern nachgewiesen werden.
> Hervorzuheben ist, dass der Ultraschall auch röntgennegative Steine zur Darstellung bringt.
Weiterhin lassen sich sonographisch wichtige Komplikationen eines Harnsteins, wie eine Harnstauungsniere,
eine Pyonephrose oder eine stauungsbedingte Reduzierung desNierenparenchyms leicht erkennen. Eine radiologisch stumme Niere kann durch Ultraschall von einer Nierenaplasie unterschieden werden. Außerdem
eignet sich der Ultraschall hervorragend zur Verlaufskontrolle nach spontanem Steinabgang, instrumenteller
oder operativer Steinentfernung.
Wichtige Sonderindikationen für die Sonographie
bestehen:
4 Bei Koliken in der Gradivität,
4 bei Vorliegen einer Jod- oder Kontrastmittelallergie,
4 in der Differenzialdiagnose röntgennegativer Stein
gegen Urotheltumor.
Native Spiralcomputertomographie (Spiral-CT).
> In den letzten 10 Jahren hat sich das native Spiral-CT in
der Harnsteindiagnostik als gleichwertige, oft bessere
Alternative zum Ausscheidungsurogramm entwickelt.
Je nach apparativer Verfügbarkeit empfiehlt es sich heute bei Steinverdacht in der Sonographie ein natives Spi-
ral-CT anzuschließen. Neben der Steindiagnose und –
lokalisation ermöglicht es die differenzialdiagnostische
Abgrenzung zu Tumoren der Niere, des Harnleiters sowie der Harnblase. Durch die Bestimmung der Houndsfield-Einheiten gelingt es Harnsäuresteine von kalziumhaltigen Konkrementen zu unterscheiden. Der Meteorismus der Kolikpatienten, insbesondere bei begleitender
Darmparalyse beeinträchtigt das Spiral-CT nicht.
Abdomenübersichtsaufnahme/Röntgenleeraufnahme.
Tipp
Besteht nicht die Möglichkeit das native Spiral-CT
diagnostisch einzusetzen, so wird alternativ eine
Abdomenübersichtsaufnahme und beim kolikschmerzfreiem Patienten anschließend eine Ausscheidungsurographie (7 unten) durchgeführt.
In der Abdomenübersicht können radiologisch Steine von
weniger als 3 mm Durchmesser sicher nachgewiesen werden. Allerdings muss der Patient dafür optimal antimeteoristisch vorbereitet sein, was bei begleitender Darmparalyse in der Notfallsituation schwierig sein kann.
Die Abdomenübersichtsaufnahme im Liegen sollte
die Region vom Oberpol der Nieren bis zur Symphyse
komplett abbilden. Röntgendichte Konkremente lassen
sich hier erkennen. Schwierigkeiten treten bei sehr
kleinen Steinen auf oder bei Steinen, die in Knochendeckung liegen.
Differenzialdiagnose des Kalkschattens.
Für jeden Arzt, nicht nur für den Urologen, sind
die 10 Differenzialdiagnosen eines Kalkschattens auf der Abdomenübersichtsaufnahme
(. Abb. 10.10) von hoher Wichtigkeit:
5 Stein,
5 Tumor (bis zu 30% der Nierenzellkarzinome zeigen klassische Verkalkungen!),
5 Phlebolithen,
5 verkalkter Mesenteriallymphknoten,
5 Aneurysma (Aorta, Milzarterie etc.),
5 Gallensteine,
5 verkalkte Myome,
5 eingenommene Tabletten und Pillen (!),
5 Nebennierenverkalkungen,
5 verkalkte Zyste.
5 Erkrankungen, bei denen multiple Verkalkungen gefunden werden, sind die Urotuberkulose, die Markschwammniere und die Nephrokalzinose.
275
10.4 · Diagnostik
a
10
c
b
. Abb. 10.10 a,b,c. a Projektionsmöglichkeiten verschiedener Kalkschatten auf den Harntrakt. b Mittleres Bild: Großer Zystinstein (Pfeil) im rechten Harnleiter. c Rechtes Bild: Bilaterale Nephrokalzinose (Pfeile)
Ausscheidungsurogramm.
! Cave
Das Ausscheidungsurogramm darf als Notfalldiagnostikum beim Kolikpatienten wegen der Gefahr einer
Fornixruptur (7 unten) nur nach erfolgreicher Analgesie durchgeführt werden.
Durch intravenöse Gabe eines Kontrastmittels kann
die Ausscheidungsleistung der Niere sowie der Abfluss über beide Harnleiter in die Blase beurteilt werden. Das Urogramm wird insbesondere zur Lokalisation von Harnleiterkonkrementen bzw. zur Differenzialdiagnose der Harnstauungsniere durchgeführt.
Röntgennegative Harnsteine können im Ausscheidungsurogramm als Kontrastmittelaussparung bzw.
im Harnleiter als Kontrastmittelstopp diagnostiziert
werden. Die akute und komplette Obstruktion einer
vorher funktionstüchtigen Niere stellt sich im Urogramm durch die Anreicherung des Kontrastmittels im
Nierenparenchym (nephrographischer Effekt) dar.
Oftmals sind aufgrund des verzögerten Kontrastmittelabflusses Spätaufnahmen von bis zu 24 Stunden notwendig, um den Harnleiter bis zum blockierten Abschnitt darzustellen.
! Cave
Kontraindikationen der Kontrastmitteldarstellung
sind:
5 Akute Harnleiterkolik wegen der erhöhten Gefahr
der Fornixruptur,
5 Niereninsuffizienz,
5 bekannte Kontrastmittelallergie.
5 Metformin-Einnahme, Exsikhose, Plasmozytoon
Bei der Fornixruptur kommt es durch eine kolikbedingte Druckerhöhung im Hohlsystem zum Riss des
Nierenbeckens. Dies tritt bevorzugt dann auf, wenn
ein Ausscheidungsurogramm bei nicht völlig kolikschmerzfreiem Patienten durchgeführt wird. Auslöser
ist der diuretische Effekt des Kontrastmittels, der zu
einer kurzfristig massiven Erhöhung der Druckverhältnisse unter Kolikbedingungen führt. Das Auftreten einer Fornixruptur kann durch eine adäquate Analgesie des Kolikpatienten verhindert werden.
> Nur absolut schmerzfreie Kolikpatienten dürfen ein
Ausscheidungsurogramm erhalten.
Beim Auftreten einer Fornixruptur muss der Patient
mit einer antibiotischen Behandlung, sowie einer Harnleiterschienung zur optimalen Harnableitung versorgt
werden.
276
Kapitel 10 · Urolithiasis-Harnsteinerkrankung
Differenzialdiagnose der Kontrastmittelaussparung
im Ausscheidungsurogramm.
10
ä Der klinische Fall. Ein 65-jähriger Patient wird mit kolikartigen linksseitigen Flankenschmerzen in die Klinik
aufgenommen. Im Urinstatus zeigt sich eine Mikrohämaturie mit 200 Erythrozyten/µl. Sonographisch fällt
eine II° dilatierte linke Niere auf. Aufgrund der Adipositas wird zur weiteren Abklärung, bei Verdacht auf einen
Harnleiterstein, ein Ausscheidungsurogramm veranlasst. Hier zeigt sich über eine Strecke von 1,5 cm eine
unregelmäßige Kontrastmittelaussparung. Im Leerbild kann an dieser Stelle keine Verkalkung nachgewiesen werden. Außerdem scheidet die Niere mit erheblicher Verzögerung von 3 Stunden aus. Zur weiteren
Abklärung erfolgt am darauf folgenden Tag eine
diagnostische Ureterorenoskopie in Narkose, bei der
sich ein Harnleitertumor als Ursache der Kontrastmittelaussparung sichern lässt. In der Biopsie aus dem
Tumor wird ein Urothelkarzinom nachgewiesen, sodass der Patient wenige Tage später nephroureterektomiert wird.
Von besonderer Wichtigkeit ist im Ausscheidungsurogramm die Differenzialdiagnose der
Kontrastmittelaussparung (Kontrastmitteldefekt, Umfließungsfigur, schattennegative
Raumforderung):
5
5
5
5
5
Röntgennegativer Stein,
urothelialer Tumor,
Blutkoagel,
Luftblase,
Harnleiterkompression durch ein Aortenaneurysma,
5 vaskuläre Impressionen,
5 Lymphknotenimpressionen,
5 Fremdkörper.
Weitere bildgebende Verfahren
Bei speziellen Fragestellungen oder zur operativen Vorbereitung stehen weitere Untersuchungsmöglichkeiten zur Verfügung:
Magnetresonanzurographie (MR-Urographie): Als weitere
Entwicklung hat sich insbesondere bei Kindern die MR-Urographie als nützlich erwiesen. Sie kann auch bei niereninsuffizienten Patienten mit Steinverdacht angewandt werden,
ebenso bei Patienten mit Kontrastmittelallergie. Die moderne
MR-Urographie erlaubt neben der Darstellung der Harntraktmorphologie (statisches MR-Urogramm) auch eine Aussage
über die Nierenfunktion (dynamisches MR-Urogramm).
Retrograde Pyelographie: Die retrograde Pyelographie wird
unter spezieller Indikationsstellung bei Versagen der anderen
bildgebenden Diagnostik, bei geplanter Harnleiterschienung
oder bei geplanter Steinextraktion oder Biopsie durchgeführt.
Bei Männern erfordert die Untersuchung aufgrund der notwendigen Urethrozystoskopie zumeist eine Narkose.
Die retrograde Pyelographie darf nur unter aseptischen
Bedingungen bei strenger Indikationsstellung durchgeführt werden. Hauptgefahr der retrograden Pyelographie
liegt in einer möglichen Keimaszension mit nachfolgender Pyelonephritis.
Isotopennephrographie: Eine nuklearmedizinische Untersuchung ist zur Steindiagnose selbst nicht notwendig. Geht es
jedoch um die Klärung der Nephrektomieindikation bei steintragender Niere, werden Erkenntnisse über die seitengetrennte Nierenfunktion als Entscheidungshilfe herangezogen. Ferner findet das Isotopennephrogramm in der Verlaufsbeobachtung der Nierenfunktion nach offener Steinoperation
Anwendung.
Harnsteinanalyse
Einige der in der Notfallsituation durchgeführten Untersuchungen können bereits frühzeitig Hinweise auf
die Harnsteinart geben. Die Prüfung des Urin-pH ist
beispielsweise einfach und kann wegweisend sein:
4 Anhaltend tiefe pH-Werte <5,8 sprechen für eine
Säurestarre und damit für einen Harnsäurestein.
4 Bei pH-Werten stets >5,8 muss an eine renale tubuläre Azidose (RTA) gedacht werden.
4 pH-Werte >7 sprechen für einen Harnwegsinfekt
und können auf eine Infektsteinbildung hindeuten.
Im Anschluss an die Akuttherapie (7 Kap. 10.5) des Kolikpatienten bei Urolithiasis muss jeder Patient dazu
angehalten werden seinen Urin zu sieben, um Konkremente gewinnen zu können.
> Jedes asservierte Konkrement muss der Harnsteinanalyse zugeführt werden.
Als heutige Standardmethoden gelten die Röntgendiffraktometrie und die Infrarotspektrometrie. Beide
Methoden erlauben eine Analysegenauigkeit der Harnsteinkomponenten bis etwa 5%. Nasschemische Analyseverfahren sind obsolet. Die Polarisationsmikroskopie
ist für die Steinartdiagnose hilfreich, wird jedoch nur an
wenigen Zentren qualitativ verlässlich durchgeführt.
277
10.4 · Diagnostik
10.4.2 Metabolische Diagnostik
zur Abklärung der Harnsteinbildungsursache
Im klinischen Alltag wird heute zwischen Niedrigrisikound Hochrisiko-Harnsteinbildnern unterschieden. Der
Umfang der diagnostischen Maßnahmen, die ergriffen
werden, richtet sich danach zu welcher Risikogruppe der
Patient (. Abb. 10.11) gehört.
Für eine aussagekräftige metabolische Diagnostik
sollte der Harntrakt in idealer Weise steinfrei sein. Ist
dies nicht zu erreichen, so sollte die letzte interventionelle Behandlung zumindest 4 Wochen zurückliegen.
Niedrigrisikogruppe
Die Niedrigrisikogruppe (Low-Risk-Patienten) umfasst Erststeinbildner, die keine der weiter unten genannten Risikofaktoren aufweisen, sowie Rezidivsteinbildner mit geringer Erkrankungsaktivität. Die Erkrankungsaktivität wird durch die Harnsteinbildung
innerhalb der letzten 3 Jahre definiert. Treten weniger
als 3 unabhängige Steinereignisse innerhalb von 3 Jahren auf, so gilt die Erkrankungsakitivität als gering.
Häufig wird die Diagnose Urolithiasis im Rahmen
einer Notfallsituation (7 oben) gestellt.
Gelingt es nach der Akuttherapie Konkremente zu
asservieren und erfolgreich zu analysieren, ist die Harnsteinart bekannt.
> Alle Harnsteinbildner sollten unabhängig von dem Risikoprofil, der Erkrankungshäufigkeit und der Steinart
einer Basisdiagnostik (. Tab. 10.7) zu geführt werden.
Dazu gehört die Anamnese (Stein-, Ernährungs- und
Medikamentenanamnese), die körperliche Untersu. Abb. 10.11. Algorithmus zur angemessenen metabolischen Diagnostik
nach einem Harnsteinereignis
10
. Tabelle 10.7. Harnsteinabklärung – Basisdiagnostik im Rahmen der metabolischen Abklärung
Basisdiagnostik bei metabolischer Abklärung
eines bekannten Harnsteinleidens
Anamnese
Steinanamnese
Ernährungsanamnese
Medikamentenanamnese
Klinische
Untersuchung
Körperliche Untersuchung
Sonographie
Blut
Kreatinin
Kalzium
(ionisiertes Kalzium oder
Gesamtkalzium + Albumin)
Harnsäure
Urin
Urinstatus
Leuko/Ery/Nitrit/Eiweiß/pH/spezifisches Gewicht
Urinkultur
chung, die Durchführung einer Sonographie, eine Blutuntersuchung mit Bestimmung von Kreatinin, ionisiertem Kalzium (alternativ Gesamtkalzium mit Albumin)
und Harnsäure, ein Urinstatus mit Urin-pH, spezifischem Gewicht, Leukozyten, Erythrozyten, Nitrit und
Eiweiß sowie die Urinkultur.
Ist die Harnsteinart unbekannt, wird die Basisdiagnostik erweitert (. Tab. 10.8).
Eine orientierende Aussage über die Steinzusammensetzung kann durch das Röntgenverhalten
(. Tab. 10.2) des unbekannten Konkrements in der
278
Kapitel 10 · Urolithiasis-Harnsteinerkrankung
. Tabelle 10.8. Empfohlene Diagnostik bei primär
unbekannter Harnsteinart
Unbekannte Steinart
10
Anamnese
Steinanamnese
Ernährungsanamnese
Medikamentenanamnese
Bildgebung
Orientierende Aussage über Harnsteinzusammensetzung durch
5 orientierende Aussage über
Harnsteinzusammensetzung
durch ein natives Spiral-CT (Messung der Houndsfield-Einheiten)
5 Natives Spiral-CT
Blut
Kreatinin
Kalzium
(ionisiertes Kalzium oder Gesamtkalzium + Albumin)
Harnsäure
Urin
Urin-pH-Tagesprofil
(bei jeder Miktion, mind. 4 zirkadiane
Einzelmessungen)
Urinstatus
Leuko/Ery/Nitrit/Eiweiß/pH/spezifisches Gewicht
Urinkultur
Kristallines Urinsediment (im Morgenurin)
Zystin-Schnelltest (bei Kindern und
Jugendlichen)
Röntgenleeraufnahme bzw. dem Nativ-Spiral-CT gewonnen werden.
Ein Urin-pH-Tagesprofil (bei jeder Miktion, mindestens 4 zirkadiane Einzelmessungen) gibt Aufschluss
über eine Säurestarre (Harnsäuresteinbildung), einen
Ansäuerungsdefekt (renale tubuläre Azidose) oder einen stets alkalischen Urin (Infektsteinbildung).
Im kristallinen Urinsediment können Zystin oder
Struvit als pathognomonische Kristalle diagnostiziert
werden.
Bei zusätzlichem Nachweis ureasebildender Keime
in der Urinkultur liegt eine Infektsteinbildung nahe.
Der Zystin-Schnelltest gibt Hinweise auf das Vorliegen einer Zystinurie.
Hochrisikogruppe
Zur Hochrisikogruppe (High-Risk-Patienten)
der Harnsteinbildner gehören:
5 Rezidivsteinbildner mit hoher Erkrankungsaktivität (≥3 Steine in 3 Jahren),
5 Patienten mit Infektsteinbildung,
5 Patienten mit Harnsäure- und Uratsteinbildung (Gicht),
5 Kinder und Jugendliche,
5 Patienten mit genetisch determinierter Steinbildung (Zystinurie, primäre Hyperoxalurie,
RTA Typ 1, 2,8-Dihydroxyadenin-Ausscheidung,
Xanthinurie),
5 Patienten mit Brushitsteinbildung,
5 Patienten mit Hyperparathyreoidismus,
5 Patienten mit gastrointestinalen Erkrankungen
(Colitis, Morbus Crohn, Malabsorption),
5 Patienten mit Einzelnierensituation,
5 Patienten mit Nephrokalzinose,
5 Patienten mit bilateral großen Steinmassen sowie
5 Patienten mit positiver Familienanamnese.
Bei diesen Patienten muss eine erweiterte steinspezifische Diagnostik durchgeführt werden, d. h. die typischen Risikoparameter der verschiedenen Harnsteinarten müssen abgeklärt werden. Die zusätzlich durchzuführenden Untersuchungen werden für die jeweiligen
Harnsteine in den . Tabellen 10.9–10.13 wiedergegeben.
Als allgemeiner Qualitätsstandard gilt die Auswertung von zwei 24-Stunden-Sammelurinen (. Tab.
10.14). Die Konservierung erfolgt entweder mit 5%
Thymolisopropanol (30 ml/2 l-Sammelbehälter) oder
alternativ durch Kühlung des Urins auf unter 8°C.
Additive Spezialtests sind nur bei wenigen Patienten indiziert.
Beim radiologischen Nachweis einer Nephrokalzinose oder Markschwammniere muss eine renal-tubuläre Azidose (RTA) ungedingt abgeklärt werden. Die
metabolische Diagnostik erfolgt durch den Ammoniumchlorid-Belastungstest.
Ammoniumchlorid-Belastungstest
Hier werden die Patienten mit 0,1 g/kgKG Ammoniumchlorid
geloadet. Patienten, die unter dieser Säurebelastung ihren
Urin-pH nicht unter 5,4 senken können, haben eine RTA. Bei
gleichzeitigem Abfall des Plasmabikarbonats liegt eine komplette Form vor, die inkomplette Form geht mit normalen
Plasmabikarbonatwerten einher.
279
10.4 · Diagnostik
. Tabelle 10.9. Steinspezifische metabolische
Diagnostik beim Kalziumoxalatstein
. Tabelle 10.11. Steinspezifische metabolische
Diagnostik beim Infektstein
Kalziumoxalat
Infektsteine
Struvit
Basisdiagnostik
+
Blut
Urin
Intaktes Parathormon
(bei erhöhtem Kalzium)
Natrium
Kalium
Chlorid
Basisdiagnostik
+
Urin
Urin-pH-Tagesprofil
(4 zirkadiane Einzelmessungen)
Urin-pH-Tagesprofil
(4 zirkadiane Einzelmessungen)
2 24-Stunden-Sammelurine
5 Volumen
5 Urin-pH
5 Dichte
5 Kalzium
5 Oxalat
5 Harnsäure
5 Zitrat
5 Magnesium
. Tabelle 10.12. Steinspezifische metabolische
Diagnostik bei Harnsäure-, Urat-, 2,8-Dihydroxyadenin- und Xanthinsteinen
Harnsäure und Urate
2,8-Dihydroxiadenin
Xanthin
Basisdiagnostik
+
Urin
Urin-pH-Tagesprofil
(4 zirkadiane Einzelmessungen)
2 24-Stunden-Sammelurine
5 Volumen
5 Urin-pH
5 Dichte
5 Harnsäure
. Tabelle 10.10. Steinspezifische metabolische
Diagnostik beim Kalziumphosphatstein
Kalziumphosphat
Karbonatapatit / Brushit
Basisdiagnostik
+
Blut
Urin
Intaktes Parathormon
(bei erhöhtem Kalzium)
Natrium
Kalium
Chlorid
Urin-pH-Tagesprofil
(4 zirkadiane Einzelmessungen)
2 24-Stunden-Sammelurine
5 Volumen
5 Urin-pH
5 Dichte
5 Kalzium
5 Phosphat
5 Zitrat
. Tabelle 10.13. Steinspezifische metabolische
Diagnostik beim Zystinstein
Zystin
Basisdiagnostik
+
Urin
Urin-pH-Tagesprofil
(4 zirkadiane Einzelmessungen)
2 24-Stunden-Sammelurine
5 Volumen
5 Urin-pH
5 Dichte
5 Zystin
10
280
Kapitel 10 · Urolithiasis-Harnsteinerkrankung
. Tabelle 10.14. Norm- und Grenzwerte der Urinparameter.
Zugrunde liegt der Qualitätsstandard von 2 vollständig ausgewerteten 24-Stunden-Sammelurinen. Wegen der zirkadianen Schwankung der einzelnen Urinparameter geben Spontanurinproben das lithogene Risiko des Urins nur eingeschränkt wieder
Urinparameter
10
Grenzwerte
Hinweis auf
Spezifisches Gewicht
> 1010 g/cm
3
geringe Trinkmenge
pH - Wert
konstant >5,8
konstant >7,0
konstant ≤5,8
V. a. RTA
V. a. Harnwegsinfekt
Säurestarre
Kreatinin
7–13 mmol/d Frauen
13–18 mmol/d Männer
Nierenfunktion
Sammelfehler
Kalzium
>5.0 mmol/d
≥8,0 mmol/d
Therapiebeginn
manifeste Hyperkalzurie
Oxalsäure
> 0.5 mmol/d
0,45–0,85 mmol/d
≥ 1,0 mmol/l
Hyperoxalurie
milde Hyperoxalurie
V. a. primäre Hyperxalurie
Harnsäure
> 4.0 mmol/d
Hyperurikosurie
Zitronensäure
< 2,5 mmol/d
Hypozitraturie
Magnesium
< 3.0 mmol/d
Hypomagnesiurie
Anorganisches Phosphat
> 35 mmol/d
Hyperphosphaturie
Ammonium
> 50 mmol/d
Hyperammonurie
Zystin
> 0,8 mmol/d
Zystinurie
. Tabelle 10.15. Normbereiche der Blutparameter
für Erwachsene
Blutparameter
Normbereiche
Kreatinin
25–100 µmol/l
Kalzium
Gesamtkalzium
ionisiertes Kalzium
2,0–2,5 mmol/l
1,12–1,32 mmol/l
Harnsäure
119–380 µmol/l
Phosphat
0,81–1,29 mmol/l
BGA
pH
pO2
pCO2
HCO3–
BE
7,35–7,45
80–90 mmHg
35–45 mmHg
22–26 mmol/l
± 2 mmol/l
Bei Verdacht auf Hyperparathyreoidismus muss das
intakte Parathormon im Serum (. Tab. 10.9) gemessen
werden. Geringes Serumphosphat und eine hohe alkalische Phosphatase sind weitere Hinweise auf den gestörten Stoffwechsel unter hohem Parathormon
(. Tab. 10.15). Zum Ausschluss von Nebenschilddrüsenadenomen wird eine Halssonographie empfohlen.
Besteht die Notwendigkeit eine enterale Hyperoxalurie weiter abzuklären, so steht der 13C Oxalatabsorptionstest in spezialisierten Zentren zur Verfügung.
10.5
Therapie und Harnsteinmetaphylaxe
Die Therapie der Urolithiasis beginnt zunächst mit einer ausreichenden Schmerzbehandlung bei Harnsteinkolik.
> Liegt bereits eine obstruktive Pyelonephritis vor, muss
die gestaute Niere sobald als möglich entlastet werden.