Versicherungskonzerne auf Datenjagd

Manuskript
Beitrag: Missbrauch von Krankenakten –
Versicherungskonzerne auf Datenjagd
Sendung vom 31. Januar 2017
von Astrid Randerath und Dana Sümening
Anmoderation:
Machen Sie sich frei! Das sagt Ihnen der Arzt, wenn er Sie
untersuchen will. Und wenn bei der Behandlung etwas falsch läuft
und Sie später eine Entschädigung verlangen, müssen Sie sich
erst recht nackt machen. Nackt und noch nackter, regelrecht
durchsichtig. Dann können Sie zum gläsernen Patienten werden.
Denn im Schadensfall verlangen die Versicherungskonzerne oft
einen umfangreichen Einblick in Ihre Krankendaten - und damit in
Ihr Innerstes. Und gegen möglichen Missbrauch sind die
Patienten macht- und hilflos, zeigen Astrid Randerath und Dana
Sümening.
Text:
Sind vertrauliche Patientendaten wirklich vertraulich?
O-Ton Michael Wortberg, Verbraucherzentrale RheinlandPfalz:
Die Versicherer versuchen hier an Rechte heranzukommen,
die sie eigentlich gar nicht haben.
Warum greifen Versicherungen immer mehr auf intime
Krankenakten zu?
O-Ton Thilo Weichert, Netzwerk Datenschutzexpertise:
Dahinter steckt der Versuch, Geld zu sparen, also, einfach
nicht zahlen zu müssen.
Haben Patienten noch die Kontrolle über ihre Daten?
O-Ton Peter Krauß, Patient:
Ich werde zu einem völlig gläsernen Patienten.
2013 wurde bei Peter Krauß Blutkrebs diagnostiziert. Die Ärzte
verabreichen eine starke Chemotherapie mit erheblichen
Nebenwirkungen. Während der Behandlung erfährt er zufällig – er
hat zwar Leukämie, aber nur eine leichte Form. Die
Chemotherapie war deshalb ungeeignet, besagt ein ärztliches
Gutachten. Unter den Spätfolgen leidet er bis heute.
O-Ton Peter Krauß, Patient:
Meine Psyche ist irgendwie geschädigt worden und vor allem
mein - wie nennt man das - der kognitive Bereich, also
Merkfähigkeit, Wortfindungsschwierigkeiten, die habe ich
mitunter und Konzentrationsfähigkeit, die ist wohl sehr stark
geschädigt. Die hat auch dazu geführt, dass ich jetzt
inzwischen meinen Job verloren habe.
Die starke Chemotherapie hat Teile seines Gehirns zerstört.
Er muss täglich zu einem Neuropsychologen, um seine geistigen
Fähigkeiten zu trainieren.
O-Ton René Vohn, Psychologe, Medizinisches Zentrum
StädteRegion Aachen:
Wenn das Geräusch kommt, was Sie jetzt gerade hören, dann
drücken Sie bitte so schnell wie möglich die Taste.
Als Architekt kann Peter Krauß nicht mehr arbeiten, selbst
alltägliche Dinge fallen ihm schwer.
O-Ton René Vohn, Psychologe, Medizinisches Zentrum
StädteRegion Aachen:
Wir wissen seit einigen Jahren, dass sowohl Bestrahlung als
auch Chemotherapeutika kognitive Defizite verursachen
können. Und da ansonsten kein Schlaganfall oder
irgendwelche Schädelhirntraumata vorgelegen haben, ist
davon auszugehen, dass das die Chemotherapeutika waren,
die die kognitiven Defizite hier verursacht haben.
Peter Krauß klagt gegen die Behandlung. Die Klinik schaltet die
eigene Haftpflichtversicherung ein. Die will auf seine
Patientendaten zugreifen können. Dafür soll Peter Krauß eine
umfangreiche Schweigepflichtentbindungserklärung
unterschreiben. Es sei nötig, „Informationen von Stellen
abzufragen, die über ihre Gesundheitsdaten verfügen.“
O-Ton Peter Krauß, Patient:
Ich habe das dann durchgelesen und war ehrlich gesagt
überrascht, was die alles wissen wollen. Das ist gegen alle
Prinzipien des Datenschutzes. Dadurch würde die
gegnerische Seite alles von mir wissen und alles erfragen
können. Wenn ich beispielsweise irgendwann mal
psychische Probleme gehabt hätte, dann hätte man das ja in
so einem Gerichtsverfahren auch in irgendeiner Weise gegen
mich benutzen können.
Wie gläsern wird der Patient im Schadensfall? Neben Daten von
Ärzten und Pflegepersonal sollen auch sonstige
Krankenanstalten, Pflegeheime, Personenversicherer, gesetzliche
Krankenkassen, Berufsgenossenschaften und Behörden von den
Versicherungen abgefragt werden dürfen.
Dabei hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass
Versicherungen keinen Anspruch auf pauschale Auskünfte
haben, sondern nur auf den Einzelfall bezogen. So wurde es
lange Zeit gehandhabt. Doch Patientenanwältin Maia Steinert
stellt fest, dass Versicherer immer häufiger eine pauschale
Schweigepflichtentbindung im Schadensfall verlangen.
O-Ton Maia Steinert, Patientenanwältin:
Es fing vor circa anderthalb bis zwei Jahren an, dass ich das
erste Mal diese umfassende Schweigepflichtentbindung
vorliegen hatte und die Sinnhaftigkeit sich mir überhaupt
nicht erschloss. Warum so viele Unternehmen, die über
anderthalb Seiten klein gedruckt aufgelistet wurden, auf
einmal in die Krankenunterlagen eines geschädigten
Patienten hineinschauen sollten. Dann kriegte ich nachher
immer mehr gleich lautende Schweigepflichtentbindungen
von den unterschiedlichsten und gängigsten
Haftpflichtgesellschaften und es ist absolut nicht
nachvollziehbar, warum das verlangt wird.
O-Ton Michael Wortberg, Verbraucherzentrale RheinlandPfalz:
Beim ersten Durchlesen von diesen Erklärungen habe ich
gedacht, das ist echt eine geschickt formulierte
Unverschämtheit. Für einen Laien sieht das meiner Meinung
nach so aus, als wenn der glauben soll, er muss das
unterschreiben, damit es jetzt weiter geht.
Versicherungen weisen darauf hin, dass der Patient die Daten
selbst beibringen darf. Doch Datenschützer Thilo Weichert sieht
ein weiteres Einfallstor für Missbrauch. Häufig schalten
Versicherer einen Makler ein, der Daten der Patienten erhebt und
verwendet. Das verstoße gegen die Rechtsprechung;
O-Ton Thilo Weichert, Netzwerk Datenschutzexpertise:
Wir wissen nicht, welche Datenverarbeitung dort stattfindet,
der ist nicht vertrauenswürdig, der unterliegt keinem
Beschlagnahmungsschutz, der hat keine Schweigepflicht
selbst, anders als wie eben jetzt das Krankenhaus oder wie
irgendwelche Versicherungen. Es droht die Gefahr, dass
diese Daten zusammengeführt werden, in einer großen
Datenbank und dadurch bei vielleicht weiteren
Versicherungsfällen herangezogen werden.
Im Fall von Peter Krauß ist die Allianz-Versicherung zuständig.
Wir fragen nach: Gibt es einen zentralen Datenpool? Werden die
Daten gelöscht und wann? Darauf bekommen wir keine Antwort.
Die Allianz teilt mit, auch bei externen Dienstleistern sei der
Datenschutz gewahrt,
Zitat:
„Sollten wir externe Dienstleister beauftragen, müssen diese
Verträge mit Klauseln zur Einhaltung des Datenschutzes
unterschreiben.“
Verbraucherschützer Michael Wortberg bezweifelt, dass die
Datenschutzregeln in der Praxis immer eingehalten werden.
O-Ton Michael Wortberg, Verbraucherzentrale RheinlandPfalz:
Wenn diese ganzen Daten erstmal gesammelt und
gespeichert sind, dann gibt es zwar Regelungen, dass und
ab wann die wo wie gelöscht werden sollen. Das Problem ist,
ich kann das ganz schlecht nachprüfen, ob die tatsächlich so
gelöscht worden sind. Wenn diese ganzen Daten nicht nur
bei der Versicherungsgesellschaft gesammelt werden – die
sich ja erklärt hat, ab wann sie welche Sachen wieder löscht
– sondern eben auch weitergegeben werden an Drittfirmen,
dann weiß ich nicht ob diese Firmen nicht irgendwann damit
rumlaufen und sagen: Wir haben da was zu verkaufen.
Auch Svenja Meyer-Schulz hat Sorge, dass ihre Patientendaten
an externe Dienstleister weitergereicht werden. Vor einigen
Jahren benötigte sie Zahnimplantate. Doch die Behandlung
misslang. Heute kann sie kaum noch kauen, hat ständig
Schmerzen. Von ihrem Arzt verlangt sie Schadenersatz und
Schmerzensgeld.
O-Ton Svenja Meyer-Schulz, Patientin:
Ich war innerhalb eines Jahres zu 30 Nachbesserungsterminen, wo nichts zum Erfolg geführt hat - zu diversen
Wurzelkanalbehandlungen, die sehr, sehr schmerzhaft
waren- und war eigentlich dauernd auf die Einnahme von
Schmerzmitteln angewiesen. Man spürt das immer, von früh
bis spät, bis heute. Also das ist wirklich ein erheblicher
Verlust der Lebensqualität.
Die 50-Jährige soll eine umfassende Schweigepflichtentbindung
unterschreiben. Sie berät sich mit ihrer Anwältin. Die
Schweigepflichtentbindung beinhaltet eine detaillierte Liste von
Gesellschaften des Konzerns Alte-Leipziger und Hallesche sowie
von Dienstleistern, an die ihre Gesundheitsdaten „zur Bearbeitung
weitergegeben werden können.“
Wir fragen bei der Alte-Leipziger nach: Werden die Daten weiter
gegeben?
Zitat:
„Die medizinischen Daten werden nicht an
Konzerngesellschaften oder Dritte (...) weitergeleitet.“
Merkwürdig. Die Schweigepflichtenbindung beinhaltet diese
„Dienstleisterliste“. Wir fragen die Versicherung noch einmal:
Werden Daten an Konzerntöchter oder Dritte weitergegeben?
Die Antwort: Die genannten Dienstleister würden bei
Arzthaftungsfällen nicht eingesetzt,
Zitat:
„Unsere Schweigepflichtentbindungserklärungen setzen wir
universell ein, um die vielen Versicherungsvorgänge
organisatorisch handhaben zu können.“
Svenja Meyer-Schulz will die pauschale
Schweigepflichtentbindung nicht unterschreiben. Die
Versicherung schaltet auf stur.
O-Ton Michael Wortberg, Verbraucherzentrale RheinlandPfalz:
Der Versicherte ist in einer totalen Zwickmühle. Wenn er das
unterschreibt, öffnet er Tür und Tor um zu suchen, dass man
Argumente findet, dass man nicht zahlen muss. Wenn er
nicht unterschreibt, kann es ihm passieren, dass die
Versicherung entweder sagt: Dann machen wir gar nichts,
sieh du zu, wie du weiterkommst. Im schlimmsten Fall muss
man klagen. Oder aber die Versicherung spielt so auf Zeit,
dass ich es mir, wenn ich ganz schlimm betroffen bin,
einfach zeitlich nicht mehr leisten kann, auf Ersatzzahlungen
zu warten.
Versicherer, die nach Daten gieren, Patienten die sich dem
beugen müssen - trotz aller Risiken und Nebenwirkungen.
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