Needless Needles Volume V (Detail), 1964 Foto: Peter Hinschläger Mary Bauermeister, 1960 Foto: Peter Fürst Köln - New York und zurück Mary Bauermeister im Kunstmuseum Solingen „If I can make it there, I‘m gonna make it anywhere“, sang Frank Sinatra in seiner weltberühmten Hommage an die Stadt, die niemals schläft. Das galt damals wie heute, gilt für Sänger wie bildende Künstler. Vergleicht man Köln und New York in Bezug auf ihre Relevanz in der internationalen Kunstlandschaft, würde New York seit den 1960er-Jahren wohl den Vorzug erhalten. Ein ungeschriebenes Gesetz lautet: Wer als Künstlerin oder Künstler dort reüssiert, kann sich der Aufmerksamkeit von Kollegen, Museen, Presse sicher sein. Mary Bauermeister hatte es am „Big Apple“ geschafft, sie bewegte sich in den wichtigen Künstlerkreisen, und ihre Werke wurden u. a. vom Museum of Modern Art angekauft. 1972 kehrte sie nach Köln zurück, doch seitdem trauen sich die hiesigen Museen nur zaghaft an ihr mitunter eigenwilliges Werk. Aber fangen wir von vorne an. 42 Der Weg beginnt in Köln: Bevor Mary Bauermeister 1963 selber Teil der New Yorker Kunstwelt wird, lädt sie bereits die internationale Kunstszene zu sich ein. Unweit des Rheinufers, in der Lintgasse 28, entwickelt sich ihr Atelier Anfang der 1960er-Jahre zum pulsierenden Zentrum der zeitgenössischen Avantgardeszene. Musik, Literatur und bildende Kunst begegnen sich hier, Gattungsgrenzen werden eingerissen, Klaviere attackiert. Als „Neo-Dada“ oder „Proto-Fluxus“ betitelte man später diese oftmals publikumsverwirrenden Zusammenkünfte. Regelmäßige Gäste sind unter anderem Nam June Paik, John Cage oder Karlheinz Stockhausen. Auch Theodor W. Adorno besucht ihr Atelier. „Den Kreis um Haro Lauhus (Bauermeisters damaliger Freund und Atelierpartner), Mary Bauermeister und Karlheinz Stockhausen könnte 43 man als die Urzelle des Aufstiegs Kölns zur Kunstmetropole bezeichnen“, resümiert es der langjährige Leiter des Kölnischen Kunstvereins, Wulf Herzogenrath. Bauermeisters Werke beginnen damals aus dem Rahmen auszubrechen, beziehen die Wände ein, bringen Schrift, Malerei, neue Kompositionstechniken zusammen und bestehen aus ungewöhnlichen Materialien wie Steinen, Strohhalmen oder gebrauchten Betttüchern. Dies erregt internationale Aufmerksamkeit – bereits 1962 erhält sie gemeinsam mit Karlheinz Stockhausen ihre erste museale Ausstellung im renommierten Amsterdamer Stedelijk Museum – der künstlerische Durchbruch. Der Umzug nach New York war 1963 auch ein Zeichen ihres wachsenden Erfolgs. In New York wurde sie von einer Galerie unter Vertrag genommen und fasste in der dortigen Kunstszene Fuß. Zu ihren Bekannten gehörten unter anderem Robert Rauschenberg, Jasper Johns oder Andy Warhol, sie befand sich im Zentrum von Fluxus und Pop-Art. Seitens des amerikanischen Kunstbetriebs genießt Bauermeister ab diesem Zeitpunkt hohe Anerkennung, ihre Werke halten Einzug in die Sammlungen des Museum of Modern Art, des Guggenheims, Whitneys und des Hirshhorn Museums. In Deutschland bleibt ihr diese Anerkennung auch nach ihrer Rückkehr Anfang der 1970er-Jahre verwehrt. Die Wertschätzung, die Bauermeisters Kunst in Amerika erfuhr, reduziert sich hierzulande vor allem auf ihre offen gelebte Ménage-à-trois mit dem Komponisten Karlheinz Stockhausen und dessen Frau Doris. Stockhausen widmete sie vor einigen Jahren die vielbeachtete Biografie „Ich hänge im Triolengitter“ und wurde damit zu einer beliebten Interviewpartnerin der Feuilletons. Dass die inzwischen 82-jährige Mary Bauermeister jedoch nicht nur auf eine außergewöhnliche Lebensgeschichte blicken kann, sondern ein ebenso außergewöhnliches Œuvre schuf, daran wird ab Februar 2017 eine Ausstellung im Kunstmuseum Solingen erinnern. Im Fokus steht die Dekade zwischen 1957 und 1967 und damit sowohl die Kölner als auch die New Yorker Jahre. In der von Dr. Wilfried Dörstel, Kunsthistoriker und Kurator, konzipierten Schau, die er gemeinsam mit Gisela Elbracht-Iglhaut, stellvertretende Direktorin des Kunstmuseums Solingen, und Studenten des Kunsthistorischen Instituts Bonn vorbereitet, werden Werke dieser Jahre vor allem in ihrem Verhältnis zur avantgardistischen Musikszene der Zeit zu sehen und erleben sein. Köln war in den 50er- und 60er-Jahren zeitweilige Weltmetropole der neuen Musik, im Studio für Elektroni44 sche Musik des WDR gaben sich die experimentellen Neudenker klassischer Kompositions- und Harmonielehre die Klinke in die Hand. Mary Bauermeister war mittendrin: „Ich hätte auch Mathematikerin werden können oder Musikerin“, sagt sie heute rückblickend. Inwiefern den Werken dieser Jahre musikalische Kompositionstechniken zugrunde liegen und auf welche Weise sich Musik und bildende Kunst im Werk Mary Bauermeisters begegnen, untersuchen die Kuratoren anhand bekannterer sowie erstmalig gezeigter Arbeiten. Was die Position Bauermeister aus kunsthistorischer Sicht so spannend wie schwierig macht, ist die enorme Vielfalt und Offenheit der Werke. Noch vor Arte povera oder Joseph Beuys arbeitete sie bereits mit alltäglichen und natürlichen Materialien, legte Steinbilder, integrierte Holz, Sandhalme, Bienenwaben oder nutzte geflickte Betttücher, die sie über den Gassen Siziliens fand – gewebte Geschichten, welche sie in auratische Leuchtobjekte verwandelte. Bevor der Feminismus in der Kunst diskutiert wurde, folgte sie ihren eigenen Vorstellungen, setzte sich in der Künstlerszene durch und probierte neue Beziehungs- und Familienkonzepte. Während in Italien der Philosoph Umberto Eco das berühmte Schlagwort vom „Offenen Kunstwerk“ andachte, demzufolge das Kunstwerk nicht am Rahmen endet, sondern Räume und Betrachter aktiv einbezieht, hatte Bauermeister bereits ihre „Malerischen Konzeptionen“ vollendet und fein gepunktete All-over-Strukturen auf magnetische Bildtafeln gemalt. Die einzelnen, von Punkten rhythmisierten Bildträger kann man zu verschiedenen Bildern zusammensetzen und so unterschiedliche Kompositionen und Variationen mit ihnen durchspielen. Der Komponist Stockhausen betonte bereits 1962 die Verbindungen zur Neuen Musik: „Sie zeigte zum Erstaunen der Komponisten, dass in ihren Arbeiten die gleichen kompositorischen Probleme, die für die gegenwärtigen musikalischen Kompositionen maßgebend sind, zu neuen optischen Erfindungen und Entdeckungen führen.“ Bewusst stellt sich die als Retrospektive angelegte Ausstellung aber auch der Gegenwart. „Als Museum, bei dem die Gegenwartskunst Tradition hat, war es uns wichtig, die Reaktionen einer jüngeren Generation einzubeziehen und die Aktualität der zwischen ‘57 und ’67 geschaffenen Werke zu thematisieren“, betont Gisela Elbracht-Iglhaut. So wurde der „Experimentalkünstler“ Christian Jendreiko (*1969) eingeladen, einen Teil der Räumlichkeiten zu bespielen. Das in Düsseldorf lebende Mitglied des hobbypopMuseums entwickelt in seinen Notationen die interdisziplinäre Verbindung von bildender Kunst und Musik weiter, experimentiert mit Klängen, Instrumenten und Teilnehmern jenseits vertrauter Vorstellungen – nicht nur in diesem „Jenseits des Vertrauten“ harmonieren Jendreiko und Bauermeister. Die Ausstellung blickt damit gleichermaßen zurück und nach vorne. Den Besuchern bietet sich ein breites Panorama des Bauermeister’schen Schaffens und die Möglichkeit, sich mit bisher weniger beachteten Aspekten der 60er-Jahre, dem Impuls der Neuen Musik, auseinanderzusetzen. „Und sich in die Zeit einzuhören“, ergänzt Kurator Wilfried Dörstel. „Stockhausen, Paik, Cage, das sind vielleicht nicht die Beatles, aber die Wegbereiter von Musikern wie Kraftwerk, Björk, Aphex Twin, von Ambient – und auch die Beatles haben sich hier inspirieren lassen.“ Inwiefern es den Ausstellungsmachern gelingt, den Werken Mary Bauermeisters neues Gehör zu verschaffen, bleibt abzuwarten. New York hat jedenfalls schon eindeutig Stellung bezogen. Vor wenigen Monaten titelte die New York Times anlässlich einer Präsentation von Arbeiten Bauermeisters: „Damals gab es in der Stadt nichts, was mit ihrem Werk vergleichbar wäre. Und so ist es bis heute.“ Im Kunstmuseum Solingen lässt sich ab 12. Februar 2017 die Probe aufs Exempel machen. Jonas Wagner Eröffnung: Sonntag, 12. Februar 2017, 11.30 Uhr Dauer der Ausstellung: 12. Februar - 26. März 2017 www.kunstmuseum-solingen.de Mary Bauermeister, 2014 Foto: Oliver Mark Atelier Mary Bauermeister, 2014. Foto: Oliver Mark 45
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