Brasilien will private Investoren stärker am Ausbau der Infrastruktur beteiligen 02.02.2017 Inhalt Marktlage und Marktentwicklung Verkehr Wasser/Abwasser/Abfall Energie Kommunikationsnetze Konkrete Marktchancen für deutsche Unternehmen Pläne konzentrieren sich auf das Machbare / Chancen für deutsche Unternehmen / Von Edwin Schuh São Paulo (GTAI) - Die brasilianische Regierung will verstärkt ausländische Unternehmen anlocken und die In vestitionen der Privatwirtschaft in die Infrastruktur des Landes fördern. Neuerungen beim Vergabeprozess sol len es ausländischen Unternehmen leichter machen, sich an Ausschreibungen zu beteiligen. Für deutsche Unter nehmen bieten sich Chancen beim Projektmanagement, bei Beratungsleistungen und der Lieferung von Ausrüs tungen zum Ausbau der Logistik- und Energieinfrastruktur. Marktlage und Marktentwicklung Anfang September 2016 gab die brasilianische Regierung das Infrastrukturprogramm Projeto Crescer bekannt. Es besteht aus 34 Konzessions- und Privatisierungsprojekten in den Bereichen Transport, Energie, öffentliche Versorgung und Bergbau. Damit sollen die Investitionstätigkeit der Privatwirtschaft wieder angeregt und aus ländische Unternehmen angelockt werden. Das neue Infrastrukturprogramm umfasst einige Projekte, die bereits in älteren Programmen auftauchten, kon zentriert sich jedoch auf Projekte mit einer hohen Umsetzungswahrscheinlichkeit. Im Vergleich zu früheren Pro grammen fällt es daher relativ bescheiden aus. So umfasste eines der Vorgängerprogramme der Regierung Lula (Programa de Aceleração do Crescimento 2007-2010) ganze 16.542 Projekte (Investitionssumme 227,0 Mrd. Real (R$; rund 57 Mrd. Euro; Durchschnittskurs 2016: 1 Euro = 3,96 R$), von denen allerdings nur 9% umgesetzt wur den. Die Investitionen für das jetzige Programm werden mit 37,5 Mrd. R$ veranschlagt. Neuerungen beim Vergabeprozess sollen den Unternehmen entgegenkommen, auch ausländischen Baufirmen. So muss zukünftig zwischen Veröffentlichung der Ausschreibungen und Einreichung des Gebots ein Zeitraum von mindestens 100 Tagen liegen, bisher waren es 45 Tage. Die Ausschreibungen sollen auch in englischer Spra che verfügbar sein. Außerdem kann eine Ausschreibung erst veröffentlicht werden, wenn bereits vorher die Um weltlizenz vom Umweltinstitut Ibama vergeben wurde. Durchführer technischer Vorstudien dürfen sich künftig nicht mehr am eigentlichen Projekt beteiligen, um die Qualität zu verbessern. Zur Finanzierung stehen 30 Mrd. R $ von der staatlichen Entwicklungsbank BNDES zur Verfügung. Damit können Unternehmen 40% der Investitio nen finanzieren und weitere 40% über Anleihen. 1 www.gtai.de BRASILIEN WILL PRIVATE INVESTOREN STÄRKER AM AUSBAU DER INFRASTRUKTUR BETEILIGEN Verkehr Im Rahmen des neuen Infrastrukturprogramms sollen nur zwei neue Autobahnen vergeben werden, beide im 1. Halbjahr 2017. Es handelt sich um die Strecken BR 364/365 zwischen Goias und Minas Gerais sowie BR 101/116/290/386 im Bundesstaat Rio Grande do Sul. Die Regierung tat dies bewusst, da es nicht viele Unterneh men gibt, die den Korruptionsskandal überlebt haben und die nötigen Investitionen tätigen können. Auch will die Regierung die Modalitäten für Autobahnkonzessionen ändern, weshalb zukünftig noch weitere Projekte er wartet werden. Wichtige, aber komplexe Projekte sind die Autobahnen BR 163 zwischen Sinop und Itaituba und die Rodovia do Frange in Paraná. Für den Eisenbahnausbau sieht Projeto Crescer drei Strecken vor: die Nord-Süd-Verbindung (Norte-Sul) zwi schen den Bundesstaaten Pará und Rio Grande do Sul, die Ost-West-Integrationslinie (Fiol) sowie die wichtige Agrarexportstrecke Ferrogrão. Die beiden ersten werden derzeit von der staatlichen Eisenbahnfirma Valec ge baut, sie sollen jedoch von Privaten betrieben werden. Die Ost-West-Verbindung (Fiol) zum zukünftigen Hafen Porto Sul in Bahia ist allerdings um fünf Jahre verspätet und wird erst 2018 fertig. Die Ausschreibungen sollen im 2. Halbjahr 2017 veröffentlicht werden. Der Großteil der neuen Schienenprojekte im öffentlichen Nahverkehr ist für die Megacity São Paulo vorgesehen. Der 20-Mio.-Einwohner-Ballungsraum soll bis 2022 rund 100 km an neuen U-Bahnen und Monorails bekommen. Allein 45 km sind bis 2018 vorgesehen, bis 2022 folgen die neue U-Bahnlinie mit 15 Haltestellen und die Monorail Linie 18 nach São Bernardo do Campo. Auch das S-Bahnnetz (CPTM) wird erweitert, unter anderem durch den Anschluss des Flughafens Guarulhos, was für die meisten Passagiere allerdings ein mehrfaches Umsteigen mit sich bringt. Sollte sich die öffentliche Finanzlage verbessern, wird auch das Verlängerungsprojekt der Linie 2 Verde - mit zusätzlichen 45 km bis nach Guarulhos - wieder aufgenommen. Ob sich die Haushaltslage allerdings so schnell ändern wird, ist fraglich. Daher ruht die Hoffnung nun auf einem stärkeren Engagement des Privatsektors. Die ursprünglich als öffentlicher Bau vorgesehene Monoraillinie 15 in São Paulo wird in Anbetracht der leeren Kassen an private Betreiber konzessioniert - nach der bestehenden Li nie 4 und der im Anfangsstadium des Baus befindlichen U-Bahnlinie 6 das dritte privat betriebene Schienenpro jekt in São Paulo. Die Linie 15 wurde bereits 2014 eröffnet, verkehrt aber seitdem lediglich zwischen zwei Statio nen. Der Bundesstaat São Paulo erwägt laut Pressemeldungen, weitere Linien zu konzessionieren, zum Beispiel die Monoraillinie 17 sowie die S-Bahn (CPTM)-Linien 8 und 9. Wasser/Abwasser/Abfall Gemäß dem Infrastrukturprogramm Projeto Crescer sollen die öffentlichen Versorgungsbetriebe Cedae (Rio de Janeiro), Caerd (Rondônia) und Cosanpa (Pará) an Private übergehen. Die Unternehmen Aegea und Aguas do Brasil wollen sich Presseberichten zufolge an diesen Ausschreibungen beteiligen, die in der zweiten Hälfte 2017 veröffentlicht werden. Dadurch sollen schnellere Fortschritte bei der Versorgung der Bevölkerung mit diesem Service erzielt werden. Im Jahr 2015 hatten gemäß einer Befragung des Statistikamtes IBGE nur 85% der Haus halte Zugang zu fließendem Wasser, 58% zur Kanalisation und 90% zur Müllabfuhr. Der Nachholbedarf ist - wie häufig in Brasilien - im Norden und Nordosten deutlich höher als im Südosten und Süden. So haben im Bundesstaat São Paulo 96% der Haushalte Anschluss an fließendes Wasser, Schlusslicht ist Rondonia mit 47%. São Paulo steht ebenfalls auf Platz 1 beim Anschluss an die Kanalisation (90%), gefolgt von Rio de Janeiro (83%). In den nördlichen Bundesstaaten Para, Piaui und Amapa haben nur 5% der Haushalte An schluss an die Abwasserentsorgung. Auch bei der Müllabfuhr sind São Paulo und Rio de Janeiro führend mit ei ner Abdeckung von 99 beziehungsweise 98%, während der Bundesstaat Maranhao mit 59% hinten liegt. Jedoch landet laut der Statistik 42% des Mülls in Brasilien auf inadäquaten Mülldeponien. 2 www.gtai.de BRASILIEN WILL PRIVATE INVESTOREN STÄRKER AM AUSBAU DER INFRASTRUKTUR BETEILIGEN Der Nationale Grundversorgungsplan Plansab (Plano Nacional de Saneamento Básico), welcher 2013 erlassen wurde, sieht in den nächsten 20 Jahren Investitionen von 158 Mrd. US$ in den Sektor vor. Damit soll eine uni verselle Abdeckung erzielt werden. Der Plan wird allerdings sehr langsam in die Tat umgesetzt, im Oktober 2016 waren 48 Projekte gestoppt, davon ein Drittel in São Paulo. Die neue Regierung will den Plan daher revidieren. Dabei soll die Beteiligung privater Unternehmen gefördert werden, die bislang erst in 6% der brasilianischen Dörfer und Städte involviert sind. Vorzeigebeispiele sind Niteroi und Ribeirao Preto, wo nach der Privatisierung der Anteil des behandelten Abwassers innerhalb weniger Jahre auf fast 100% stieg. Wichtige Unternehmen in dem Bereich sind Aegea Saneamento, CAB Ambiental und Odebrecht Ambiental. Die Übernahme von Odebrecht Ambiental durch den kanadischen Fonds Brookfield zeigt, dass ausländische Investoren Potenzial sehen. Den Nationalen Abfallplan von 2010, der bereits für 2014 das Ende aller wilden Müllkippen vorsah, sehen Exper ten bisher als wirkungslos. Er verpflichtete alle Gemeinden zur Mülltrennung, derzeit halten sich jedoch nur 19% der Gemeinden daran. São Paulos ehemaligem Bürgermeister Fernando Haddad gelang es zwar, die Recycling quote von 1,0 auf 2,5% anzuheben, allerdings blieb er weit entfernt von seinem Ziel von 10%. Allerdings ist es nicht leicht, die Brasilianer zur Mülltrennung zu animieren. Im Schnitt generiert jeder Brasilianer 1,1 kg Müll täg lich, hinzu kommen 0,6 kg Bauschutt. Der recycelbare Müll besteht zu 52% aus Papier, 17% aus Plastik und 9% aus Glas. Energie Im Mai 2016 wurde das neue Großkraftwerk Belo Monte im Bundesstaat Para eingeweiht, welches mit einer Ka pazität von 11.233 MW das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt ist. Das ebenfalls in Para geplante, noch grö ßere Wasserkraftwerk São Luiz de Tapajós ist geplatzt, da die Umweltbehörde Ibama die Lizenz verweigerte. Die Regierung muss nun neue Wege finden, um den zukünftigen Energiebedarf zu sichern. Daher wird unter anderem die Windkraft weiter ausgebaut. Inzwischen hat sie eine installierte Kapazität von 10.000 MW, mehr als die Kernkraftwerke, deren Ausbau vom Korruptionsskandal betroffen ist. Im Jahr 2007 hatten die Windkraftwerke nur eine Kapazität von 250 MW, bis 2022 soll sie auf 22.000 MW erweitert werden. So baut die italienische Enel Green Power derzeit den Windpark Chapeu Sul (172 MW; 380 Mio. US$) in Bahia. Auch die französische Engie (ehemals GDF Suez) hat 425 MW an Windparks im Nordosten und im Süden Brasili ens in der Pipeline. Die Photovoltaik würde gerne die Erfolgsstory der Windkraft wiederholen, jedoch krankt sie trotz exzellenter natürlicher Voraussetzungen noch an praktikablen Finanzierungsmodellen für größere Anlagen. Die Übertragungsleitungen sollen gemäß dem Zehn-Jahres-Plan Plano Decenal de Energia Eletrica von 125.640 km im Jahr 2014 auf 211.615 km im Jahr 2024 ausgebaut werden (Spannung mindestens 230 kV). Allerdings sto ßen die Projekte bei den Unternehmen nicht auf großes Interesse, da viele wegen der Reduzierung der festge legten Strompreise unter Dilma Rousseff und dem gesunkene Stromverbrauch in finanzielle Engpässe gerieten. Auch die Leitungen zum Großkraftwerk Belo Monte werden wohl erst verspätet fertig. In der Energieverteilung steht die Privatisierung der sechs zu Eletrobras gehörenden Distributionsunternehmen Amazonas Energia, Boa Vista Energia, Electroacre, Ceal, Cepisa und Ceron im 2. Halbjahr 2017 an. Sie sind für die Stromverteilung in den nördlichen Bundesstaaten zuständig. Kommunikationsnetze Die Investitionen in der Telekommunikation werden bis 2018 laut BNDES bei rund 141 Mrd. R$ liegen. Die Abde ckung mit 3G-Netzen liegt bei 96% der Bevölkerung, mit 4G-Netzen bei 56%. Für den Ausbau der 4G-Netze in den 2,5 GHz-Frequenzen bestehen Fristen zwischen den Netzbetreibern und der Regulierungsbehörde Anatel. Laut Kritikern nimmt aber die Regulierungsbehörde Anatel die Unternehmen nicht konsequent genug in die 3 www.gtai.de BRASILIEN WILL PRIVATE INVESTOREN STÄRKER AM AUSBAU DER INFRASTRUKTUR BETEILIGEN Pflicht. Die Mobilfunkanbieter Nextel und Vivo sowie Oi und TIM schlossen Vereinbarungen zur gemeinsamen Nutzung von Netzen. Mit mehr gebündelten Angeboten (zum Beispiel Triple Play) und dem exponentiellen An stieg des Datenverkehrs besteht noch viel Bedarf an Investitionen. Allerdings verringern die größten Anbieter Vivo, TIM, Oi, Claro, Algar und Nextel ihre mittelfristig geplanten Investitionen wegen des schwierigen wirt schaftlichen Umfeldes. Im Jahr 2015 hatten 28 Mio. Brasilianer einen festen und 168 Mio. Brasilianer einen mobi len Breitbandanschluss. Konkrete Marktchancen für deutsche Unternehmen Chancen für deutsche Akteure bieten sich beim Technologietransfer, beim Projektmanagement und der Bera tung sowie beim Equipment für den Ausbau der Logistik- und Energieinfrastruktur. Eine besondere Herausfor derung ist der nachträgliche Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs in den Metropolen und der Umbau der Wa renlogistikmatrix. Hier sind innovative Lösungen gefragt, die effizienzsteigernd und kostensenkend wirken. An ders als im Hochbau kommt Brasilien in der Infrastruktur um Effizienz nicht herum, um international wettbe werbsfähig zu bleiben oder wieder zu werden. Aktionsfelder sind unter anderem die dringend nötige Modernisierung der Flughäfen, die elektronisch gesteuer ten neuen BRT-Buskorridore, die neuen U-Bahnlinien, die Erarbeitung von Verkehrskonzepten für die Metropo len unter Einbeziehung der ausufernden Vorstadtsiedlungen und Armenviertel. In der Energiewirtschaft besteht großer Bedarf an Projektmanagement und Beratung, unter anderem in der frühen Phase der Solarenergie. 4 www.gtai.de BRASILIEN WILL PRIVATE INVESTOREN STÄRKER AM AUSBAU DER INFRASTRUKTUR BETEILIGEN Ausgewählte Großprojekte im Tiefbau/Infrastrukturbau in Brasilien Vorhaben Investitionss Projektstand Anmerkungen 4.039 Zum Teil im Bau 4.100 km 2.216 2. Linie 2015 per Aus Chinesische State Grid betei vom Wasserkraftwerk Belo Monte in den schreibung vergeben, ligt, Equipment von Siemens Südwesten im Bau umme (in Mio. US$) Fertigstellung Eisenbahnstrecke NorteSul Ultrahochspannungs-Transmissionslinien Eisenbahnstrecke Ferrograo 3.159 Studien; Ausschrei Handelsunternehmen Amaggi, bung 2. Halbjahr 2017 Bunge, Cargill, Louis Dreyfus und ADM interessiert Schienenstrecke Bioceanica bis zum Pazi 3.107 fik (Peru) Machbarkeitsstudien 5.000 km von chinesischer Fir ma CREEC U-Bahn-Linie 6 (Orange) São Paulo, Bra 2.478 silandia-São Joaquim Monorail-Linie 15 2.205 Frühe Bauphase, Linie Als PPP geplant, aber bei Aus soll bis 2020 fertig schreibung im August 2013 sein keine Interessenten Baustopp Soll an private Initiative kon zessioniert werden Eisenbahnstrecke Fiol 1.864 Bau stockt; Aus China Railway Engineering schreibung für Be Group soll Bau weiterführen trieb 2. Halbjahr 2017 Brücke Salvador-Itaparica (Bahia) 1.553 Machbarkeitsstudien Umstritten; Chinesische Fir men zeigen Interesse Monorail-Linie 18 (Bronze), São Paulo, 1.336 Planungsphase Tamanduatei-São Bernardo do Campo Nordstück der Umgehungsautobahn von Soll von Regierung Temer wieder angestoßen werden 1.242 São Paulo (Rodoanel Trecho Norte) Zu rund 50% fertig Unternehmen Mendes Júnior gestellt, soll bis 2018 und Isolux fertig sein Autobahn BR 364/365 963 Ausschreibung 1. 437 km; zwischen Bundes Halbjahr 2017 staaten Goias und Minas Ge rais Autobahn BR 101/116/290/386 959 Ausschreibung 1. 688 km; in Rio Grande do Sul Halbjahr 2017 Hafen Porto Sul (Bahia), mit Anschluss an 807 die Schienenstrecke Ost-West (Fiol) Umweltlizenz erteilt, Soll von China Railway Engi Planungsphase neering Group gebaut und betrieben werden Quelle: Zusammenstellung von Germany Trade & Invest (EDS) 5 www.gtai.de BRASILIEN WILL PRIVATE INVESTOREN STÄRKER AM AUSBAU DER INFRASTRUKTUR BETEILIGEN Jenny Eberhardt | © GTAI KONTAKT Jenny Eberhardt +49 (0)228 24 993-248 Ihre Frage an uns Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck – auch teilweise – nur mit vorheriger ausdrücklicher Genehmigung. Trotz größtmöglicher Sorgfalt keine Haftung für den Inhalt. © 2017 Germany Trade & Invest Gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bun destages. 6 www.gtai.de
© Copyright 2025 ExpyDoc