4. Sonntag nach Epiphanias 29. Januar 2017, Matthäus 14,22-33 Von: Hermann Vorländer, erschienen im Deutschen Pfarrerblatt, Ausgabe: 12 / 2016 Menschen im Widerstreit Zum Text Die Geschichte von Jesu Stillung des Sturms wird auch im Sonntagsevangelium Mk. 6,45-52 und Joh. 6,15-21 berichtet. Gegenüber Mk. unterscheidet sich Mt. durch die Einfügung der Episode vom sinkenden Petrus. V. 22-24 Der Text knüpft - wie auch bei Mk. und Joh. - direkt an die Geschichte von der Speisung der 5000 an. Eben haben die Jünger die Macht Jesu erfahren und werden nun von ihm alleingelassen. Das Boot hat sich bereits weit vom Ufer entfernt und gerät in Seenot. V. 25-27 Im Morgengrauen erblicken die Jünger im Boot eine Gestalt, die sie als Schrecken erregendes "Phantom" (griech. phantasma) identifizieren, was ihre Angst nur vergrößert. Doch die Gestalt gibt sich als Jesus zu erkennen und spricht ihnen Mut zu. V. 28-31 Petrus fordert Jesus auf, ihm zu befehlen, dass er zu ihm auf dem Wasser geht. Dieser lässt sich darauf ein. Doch als Petrus auf die Wellen starrt, statt Jesus in die Augen zu schauen, droht er unterzugehen. Jesus reicht ihm seine rettende Hand und weist ihn zurecht: "Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?" Das griechische Wort distazein meint ursprünglich "nach zwei Seiten treten". Diese Bedeutung ist auch in dem dt. Wort "zweifeln" enthalten, nämlich zwie-fältig/-spältig zu sein. Goethe bemerkt zu dieser "schönsten Legende", dass hier "die hohe Lehre ausgesprochen ist, dass der Mensch durch Glauben und frischen Mut in schwierigsten Unternehmen siegen werde, dagegen bei anwandelndem geringsten Zweifel bereits verloren sei" (Vgl. J. Schniewind, Das Evangelium nach Matthäus (NTD 2), 1950, 179). V. 32 Jesus und Petrus treten in das Boot und der Wind legt sich. Während bei Mk. die Jünger verständnislos mit erneuter Verhärtung ihrer Herzen reagieren, bekennt hier die gesamte Schar: "Du bist in Wahrheit Gottes Sohn". Es wird deutlich, dass das Boot die bekennende Gemeinde symbolisiert, die von den Stürmen der Verfolgung bedroht ist. Der Evangelist beschreibt die Szene als Epiphanie im Licht von Ostern. Dies geht aus dem Vergleich mit Joh. 21 hervor, wonach sich der auferstandene Jesus am See Genezareth den Jüngern zeigt. Auch hier geht Petrus Jesus entgegen, doch watet er lediglich durchs Wasser. Mt. will aussagen, dass Jesus ganz zu Gott gehört und in seinem Auftrag handelt. Von Gott heißt es in Hi. 9,8, dass er auf den Wogen des Meeres geht, denn er ist Herr auch über die Natur. Zur Predigt Der sinkende Petrus ist eine der bekanntesten Geschichten des NT und ein beliebtes Motiv in der bildenden Kunst. In der Predigt können folgende Themen angesprochen ­werden: Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts. Seite 1/2 Petrus - der Mann des Widerspruchs. Petrus wird im NT übereinstimmend als Anführer und Sprecher der Jünger beschrieben. Doch verhält er sich immer wieder widersprüchlich. So folgt auf sein fulminantes Bekenntnis in Mt. 16,13-19 sein Versuch, Jesus von seinem Vorhaben zu sterben abzubringen. Jesus weist ihn mit scharfen Worten zurecht (Mt. 16,21f). Im Garten Gethsemane verspricht er Jesus die Treue bis zum Tod, lässt ihn dann aber zusammen mit den übrigen Jüngern im Stich (Mt. 26,36-56). Er wagt sich dennoch in Jesu Nähe, leugnet aber, ihn gekannt zu haben und bekräftigt diese Lüge sogar mit einem Schwur (Mt. 26,72). Nach Ostern wird er zum Missionar. Doch kann er sich nicht zwischen dem jüdischen Gesetz und dem von Paulus vertretenen Evangelium von Christus als Ende des Gesetzes entscheiden. Paulus bezichtigt ihn in Gal. 2,11-16 sogar der Heuchelei. Petrus ist also keineswegs eine übermenschliche Heldengestalt, sondern trägt als Mann im Widerspruch eher allzu menschliche Züge. Die positive Bedeutung des Zweifels. Manche Zeitgenossen meiden den Gottesdienst, weil sie den Eindruck haben, dass hier nur Menschen mit festem Glauben zusammenkommen und für Zweifler kein Platz ist. Zum Glauben gehört jedoch immer der Zweifel als ständiger Begleiter. Wir sind Menschen im Widerstreit zwischen Zweifel und Vertrauen, zwischen Angst und Zuversicht wie die Menschen in dem Boot. Wir dürfen uns gegenseitig ermutigen, über den Graben unserer Zweifel zu springen und Jesu ausgestreckte Hand zu ergreifen. Mut zur Zukunft. Angesichts düsterer Prognosen für die Zukunft der Kirche gilt es, an der Zusage Jesu ("Seid getrost, fürchtet euch nicht") festzuhalten und in das Bekenntnis der Bootsgemeinde einzustimmen: "Du bist wahrhaftig Gottes Sohn". In der Epistel aus 2. Kor. 1,8-11 schildert Paulus die Bedrängnisse während seiner Missionstätigkeit, die ihn immer wieder an die Grenzen, aber auch zu neuem Vertrauen in Gottes Handeln führten (vgl. Wochenspruch Ps. 66,5). Lied EG (Bayern) 589 "Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt" ▸ Hermann Vorländer Deutsches Pfarrerblatt, ISSN 0939 - 9771 Herausgeber: Geschäftsstelle des Verbandes der ev. Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland e.V Langgasse 54 67105 Schifferstadt Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts. Seite 2/2
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