Doktor Digital

Köpfe vom Hof
Foto: Hingst
KÖPFE VOM HOF
Doktor Digital
Die Telemedizin könnte eines Tages auch die ärztliche Versorgung auf dem Land
sichern. Bauernsohn und Mediziner Heinrich Körtke kämpft mit Elan dafür.
Hinter dem Wort „Telemedizin“ verbirgt sich die digitale
Revolution in der Arztpraxis. Bauernsohn Heinrich Körtke
ist einer ihrer Pioniere – und ihr größter Befürworter.
D
r. Heinrich Körtke wollte eigentlich Landwirt werden, er besuch­te
bereits das Hildesheimer „Bauern-Gymnasium“ Michelsenschule. Damals war er nicht fleißig, aber gewitzt.
Während seiner Zivi-Zeit im Krankenhaus fasste er den Entschluss, Medizin zu studieren, das wurde von Freunden und der Familie zuerst belächelt.
Doch der Bauernsohn arbeitete sich bis
zum Oberarzt für Thorax- und Kardio-
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top agrar 2/2015
Vaskularchirurgie am Herz- und Dia­
beteszentrum NRW in Bad Oeynhausen hoch – und gilt heute weltweit als
einer der Pioniere der Telemedizin. In
drei international renommierten Studien beweist Körtke, dass Patienten
komplizierte Therapien selbstständig
durchführen können, wenn sie ein Arzt
dabei telemedizinisch unterstützt. Zuvor hatte Körtke beobachtet, dass die
Qualität der Therapie sank, sobald seine
Patienten die Klinik verließen. Er fing
an, ihnen Blutdruck- und Blutzucker-Messgeräte, gar mobile EKG-Geräte mitzugeben. Nach einer Schulung
wussten die Erkrankten, wie
sie ihre Werte täglich an die
Klinik übermitteln. Während die Geräte früher ans
Telefon gehalten wurden,
übermitteln die Helfer heute
die Daten ganz von selbst.
In Körtkes Institut, dem
Westdeutschen Zentrum für
angewandte
Telemedizin
(WZAT) am Ev. Klinikum
Niederrhein in Duisburg,
sitzen rund um die Uhr Ärzte, die die
telemedizinischen Daten auswerten
und ggf. gemeinsam mit dem Hausarzt
die Therapie anpassen oder den Patienten im Notfall stationär aufnehmen
lassen. Läuft hingegen alles normal,
führt ein niedergelassener Kollege die
Therapie mithilfe von Körtkes Daten
weiter. Rund 8 000 Patienten hat Körtke
bisher telemedizinisch betreut. Nach
etwa einem Jahr sind die meisten so fit,
dass sie ohne telemedizinischen Betreuung auskommen.
Obwohl schon 65, möchte Körtke
noch 5 Jahre aktiv arbeiten und weitere
5 Jahre passiv die Oberaufsicht führen.
Warum? Weil er davon überzeugt ist,
dass die Idee noch so lange braucht, bis
sie von Deutschlands Ärzteschaft und
den Krankenkassen voll akzeptiert
wird. Alles spielt ihm in die Karten: Die
Hausärzte werden weniger, die Patienten älter und zahlreicher. Um die gute
Versorgung aufrechtzuerhalten, muss es
neue Wege geben. „Von der Teleme­dizin
profitieren alle: Ärzte, Kassen, am meisten der Patient.“
Die Woche verbringt Heinrich Körtke
in Duisburg im Institut oder in seinem
Domizil im Schwesternwohnheim. Am
Wochenende ist er bei seiner Familie.
Dort ist er als passionierter Jäger unterwegs und versorgt fünf Pferde. Das Heu
für die Tiere macht er selbst – mit seinem alten Hanomag.
Der Schlüssel für seinen beruflichen
Erfolg sind typisch bäuerliche Tugenden, ist Körtke überzeugt: freiheitliches
Denken, Ideen entwickeln, abwägen
und durchsetzen. Auf die Bauernhof-Kindheit führt er auch sein Händchen für Patienten zurück. „Ich bin verbindlich und zugänglich, so wie die Bauern. Das kommt super an.“ K. Hingst