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Norbert Sievers
Neue Ansätze und Formate der Kulturarbeit
Erkenntnisse aus 25 Jahren Fonds Soziokultur
Jubiläen sind wichtige Ereignisse in der Geschichte von Organisationen. Sie geben Anlass
innezuhalten und zurück zu schauen auf die Gründungsmotive, Erfolge und Misserfolge zu
bilanzieren, die eigenen Strategien zu überprüfen. Sie bieten die Chance für Selbstkritik und
Reflexion, aber auch dafür, neu aufzutanken und den Blick nach vorne zu richten. Keine Organisation
kann darauf verzichten, insbesondere solche nicht, die sich als zivilgesellschaftliche Akteure mit
eigenen Zielen definieren. Man kann Jubiläen auf verschiedene Weise begehen. Die meisten
Organisationen begnügen sich mit einem Festakt und einer Festschrift. Auch wir haben uns dieser
Formate bedient. Nur ist der Festakt bei uns eine Fachtagung und die Festschrift eine
Fachdokumentation. Dies ist nicht Ausdruck einer Abgrenzung oder gar Distinktion gegenüber
anderen Akteuren. Es entspricht einfach dem Charakter des Fonds Soziokultur und der Soziokultur
insgesamt. Beiden wohnte immer ein Moment der Reflexivität und das Bedürfnis nach
Selbstverständigung inne, sei es aus Klugheit oder aus Ängstlichkeit. Gründe gibt es dafür viele. Die
kulturpolitische Marginalität des Feldes gehört dazu, aber auch der fragile Status der Akteure und
Einrichtungen sowie die Unbestimmtheit des Begriffs Soziokultur, als dessen Markenkern inzwischen
bezeichnenderweise der Begriff "Vielfalt" ausgegeben wird. Er ist sympathisch, aber auch wenig
identitätsstiftend.
Vielfalt als empirisches Problem
Soziokultur ist immer noch ein schillernder und sperriger Begriff, der mit Blick auf die damit gemeinte
Praxis definitorisch und kategorial schwer zu fassen ist. Da ging es ihm nicht viel anders als der
Kulturpädagogik, die zur gleichen Zeit im Kontext der Neuen Kulturpolitik entstand und als
"Rumpelstilzchen" zunächst enttarnt werden musste. Die Identitätsverweigerung, die mit dieser
Metapher vom "Rumpelstilzchen" von Wolfgang Zacharias gekennzeichnet wurde, ist nicht nur als
ein Reflex auf Unsicherheiten, Unübersichtlichkeiten und sicher auch Unzulänglichkeiten im
soziokulturellen Feld zu sehen, sondern auch als ein wichtiges Bewegungsmoment des
Entwicklungsprozesses. Denn es geht dabei schließlich auch darum, wie der Nestor der neuen
Kulturpädagogik es im Jubiläumsband "Kultur besser fördern" des Fonds Soziokultur beschreibt, dass
wir " ... wissen, theoretisch, gesellschaftlich, handlungspraktisch, worum es geht und was ... politisch
zu entscheiden sowie zu finanzieren und in der Fläche zu .. etablieren ist." (Zacharias 2014: 69) Mit
anderen Worten: Es geht auch um Politik. Die Soziokultur hat sich immer politisch definiert, nicht nur
mit Blick auf ihre Inhalte, sondern auch bezogen auf die Durchsetzung ihrer Interessen und die
Artikulation ihrer Ansprüche. Natürlich ging es dabei auch darum, um in der Diktion des Märchens zu
bleiben, aus dem "Stroh" der Ideen, Initiativen und Projekte kulturpolitisches "Gold" zu spinnen.
Man kann also nicht über Soziokultur reden, ohne über Politik zu sprechen. Dies gilt auch heute noch.
Bei aller irrlichternden Vielfaltsrhethorik, die notwendig und sympathisch ist, gilt es doch immer auch
im Blick zu behalten, um was es bei dem Phänomen "Soziokultur" praktisch geht. Doch die Erfahrung
zeigt, dass dies so einfach nicht ist. Schon Ende der 1980er Jahre gab die ersten Versuche, das Feld
der Soziokultur begrifflich klarer zu fassen und empirisch zu vermessen. Ein Beispiel dafür ist die
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"Bestandsaufnahme Soziokultur", die in dieser Zeit herausgegeben wurde (Sievers/Wagner 1992).
Schon damals ging es auch darum, die Arbeitsformen und Methoden der Soziokultur zu identifizieren
und zu beschreiben. Ulrich Baer und Max Fuchs haben dazu damals einen erste Beitrag geleistet
(Baer/Fuchs 1992). Sie stellten fest, dass "Arbeitsformen" für diesen Bereich ihres Wissens "bis dato
"nirgends systematisch dargestellt " worden seien und haben eine theoretische und konzeptionelle
Annäherung unternommen, die von den inhaltlichen Prinzipen der Soziokultur ausging und
versuchte, daraus Ordnungskriterien zur Unterscheidung verschiedener Arbeitsformen zu
entwickeln.
Doch dieser Ansatz musste bei einem Programm der Soziokultur ins Leere laufen, das seine Identität
aus Offenheit und Vielfalt bezog und sich jeder Einsortierung in vorgegebene Cluster oder Sparten
verweigerte. Und so kamen die Autoren zu dem Schluss, dass eine "gewisse Plausibilität" darin liege,
"'Soziokultur' (auch) als übergreifendes politisches Programm zu begreifen, das quer zu allen
gesellschaftlichen Bereichen liegt." Allerdings werde dann "eine Übersicht über Arbeitsformen der
Soziokultur endgültig unmöglich." (Baer/Fuchs 1992: 152)
Das war ernüchternd, aber nicht das letzte Wort. Ich gehe auch heute noch davon aus, dass es
gelingen kann und gelingen wird, neue "Ansätze und Formate der Kulturarbeit" zu beschreiben, die
aus der Praxis derjenigen Akteure erwachsen sind, die sich der Idee der Soziokultur programmatisch
verbunden fühlen. Die empirische Enttarnung der Soziokultur wäre wissenschaftlich ein hoch
interessantes Projekt, das den Schweiß der Besten verdient hätte, und kulturpolitisch und -praktisch
wären die Ergebnisse sehr nützlich, um die Begründungsarbeit für eine bessere Förderung der
Soziokultur zu erleichtern und in der soziokulturellen Praxis das Rad nicht immer wieder neu erfinden
zu müssen. Die Aufgabe bleibt also auf der To-Do-Agenda, obwohl mit der Jubiläumsdokumentation
des Fonds Soziokultur schon ein wichtiger Schritt zur Enttarnung des Phänomens Soziokultur getan
ist.
Doch jetzt zum Thema
Ist etwas Neues durch die soziokulturelle Bewegung und vielleicht sogar mit Unterstützung des Fonds
Soziokultur in der kulturellen Landschaft Deutschlands entstanden? Selbstverständlich ist Neues
entstanden. Wir haben heute über 500 Soziokulturelle Zentren bundesweit, 400 Jugendkunstschulen
und kulturpädagogische Einrichtungen. Es gibt Kulturwerkstätten, Stadtteilkulturtreffs,
Medienzentren sowie Kinder- und Jugendmuseen. Es ist in den letzten 30 bis 40 Jahren eine
vielfältige soziokulturelle Infrastruktur mit unterschiedlichen Typen und Formaten entstanden, die
auf neue Situationen, Bedürfnisse und Anspruchslagen reagiert.
Typisch für die Soziokultur ist jedoch nicht nur die Vielfalt ihrer Einrichtungen, sondern auch der
Träger und Akteure sowie der mittlerweile unüberschaubaren Anzahl von Projekten, die von ihnen
durchgeführt werden. Hier sind die Adressaten des Fonds Soziokultur zuhause. Seine Aufgabe ist es,
die soziokulturelle Szene strukturell zu stabilisieren und zu entwickeln. Sie ist also nicht werk- oder
personenbezogen als Spitzenförderung definiert, sondern eher im Sinne des Subsidiaritätsprinzips als
Hilfe zur Selbsthilfe für die Akteure in diesem kulturellen Praxisfeld. Dabei ist der Anspruch hoch
gesteckt. So heißt es etwa in den „Grundsätzen der Förderung“, dass es um die Unterstützung
solcher Projekte gehe, „die für die demokratische Kulturentwicklung in der Bundesrepublik
Deutschland insgesamt von Bedeutung sind und konkret die Qualifizierung der soziokulturellen Praxis
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bewirken. Die Vorhaben sollen in diesem Sinne Modellcharakter besitzen und beispielgebend sein für
die weitere Entwicklung der Soziokultur.“
War der Fonds Soziokultur in seiner bisherigen Förderpraxis in diesem Sinne erfolgreich? Die Statistik
spricht zunächst dafür. Wem es gelingt, über einen Zeitraum von mehr als 25 Jahren auf steigende
Antragszahlen und Förderbedarfe sowie auf 40 - 60 Prozent Neuantragsteller pro Jahr verweisen zu
können, der hat zumindest nicht alles falsch gemacht. Aber dies allein ist noch kein ausreichender
Wirkungsbeweis. Die ehrgeizigen Ziele des Fonds wurden qualitativ und nicht quantitativ formuliert.
In den Förderschwerpunkten sind sie konkret gefasst.
Danach sollen die geförderten Projekte
- innovativ sein und beispielhaft die Bedeutung der Soziokultur für die Kulturentwicklung in
Deutschland und Europa verstärken;
- modellhaft sein und Impulse geben für die Entwicklung soziokultureller Konzepte in kulturaffinen
Bereichen sowie eine Reaktion auf aktuelle soziale und gesellschaftliche Problemlagen darstellen;
- strukturorientiert sein und Initiativen zur Schaffung von langfristigen Strukturen in der Kulturarbeit
durch Beratung, Qualifizierung, Dokumentation und Vernetzung befördern;
- kooperativ sein, indem sie Maßnahmen zur Förderung der regionalen, bundes- und europaweiten
Kooperation unterstützen.
Diese Kriterien bestimmen die Förderpraxis des Fonds Soziokultur bisher. Sie sind ehrgeizig, wenn
nicht vermessen. War der Fonds in diesem Sinne auch wirksam? Sind in diesem Zusammenhang
tatsächlich neue Formate und Modelle der Kulturarbeit entstanden? Dazu möchte ich einige
Hinweise geben und an Beispielen zeigen, wie der Fonds seinen Auftrag umgesetzt hat.
Der erste Förderschwerpunkt: Das Neue fördern - Kultur in Bewegung
Projektförderung ist dem Anspruch nach immer Innovationsförderung. Da macht der Fonds
Soziokultur keine Ausnahme. In den 1980er Jahren hatte das Stichwort »Innovation« noch einen
unbelastet guten Klang. Es ging doch um »Alternativen« zum herrschenden Kultursystem, das durch
neue Ideen »zum Tanzen« gebracht werden sollte. Eingeübte Routinen und überkommene
Veranstaltungsformate sollten überwunden werden, um Kultur für alle und von allen zu ermöglichen.
Es galt, neue Zugänge zu Kunst und Kultur zu finden, und dies nicht zuletzt aus der Zivilgesellschaft
heraus, von den Akteuren selbst entwickelt. Im Rückblick kann gesagt werden, dass die freie
(sozio)kulturelle Szene in diesem Sinne außerordentlich produktiv war, auch wenn dies nicht an
jedem Projekt festzustellen ist. Dies gilt auch für die vom Fonds geförderten Vorhaben. Erst der Blick
auf die Gesamtheit der geförderten Projekte macht deutlich, wie kreativ das »Neue« erprobt worden
ist, und dass es auch gelungen ist, neue Modelle und Formate zu entwickeln. Dabei wurden im
Wortsinn auch neue »Zu-Gänge« geschaffen.
Ein typischer neuer Modus soziokultureller Projektarbeit ist Bewegung. Soziokultur will etwas »auf
den Weg bringen« und nutzt dafür Straßen, Wege, Routen, Flüsse als Medium und Planwagen, Züge,
Fahrräder, Schiffe, Busse und Straßenbahnen als Transportmittel. Anders als beim Ein-Ort-Prinzip
stationärer Kulturveranstaltungen werden die Akteure und das Publikum hier in Bewegung gesetzt,
um an verschiedenen Stationen an Kultur teilhaben oder sich selbst in Szene setzen zu können. Das
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Prinzip ist nicht neu, aber die Vielfalt der Auslegung und die Kontexte seiner Umsetzung sind enorm
gewachsen.
Sei es, dass Friedrich II. im Rahmen des Projektes der
Oldenburger Landschaft "Als die Friesen Preußen
waren" im Jahr 1997 diesen erneut seine Aufwartung
macht und in einer Art Zeitreise seine Untertanen auf
Land- und Wasserwegen Ostfriesland besucht und dabei
50.000 "Untertanen" begrüßen kann.
Sei es, dass die Anlieger von Straßen und Wegen
animiert werden, ihre Fenster mit künstlerischen
Mitteln in einen öffentlichen "Adventskalender"
umzuwandeln, wie bereits 1998 in Omsewitz bei
Dresden geschehen.
Oder sei es, dass die Elbe als dramaturgischer Kontext
genutzt wird, um an verschiedenen Orten beidseitig des
Flusses in 20 Aufführungen "Grenzfälle" in Erinnerung zu
rufen, um 25 Jahre nach dem Fall der Mauer daran zu
erinnern, was das Thema Grenze damals bedeutete.
Um einen Handelsweg geht es in einem aktuellen
Projekt "Ein Stück vom Ganzen" des Kunstvereins
Bahner e.V. in Neuenburg. Hier kamen die Künstler
auf die Idee, gemeinsam mit jungen und älteren
Neuenburgern, Bürgersteige und Hauseinfahrten
durch mosaikartige Pflasterungen in einen Fries
entlang der Ortsdurchfahrt umzugestalten.
Mittelfristig soll dadurch das längste
Gesamtkunstwerk in der Region entstehen.
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Zu erwähnen ist an dieser Stelle auch das Piesberger
Gesellschafthaus in der Nähe von Osnabrück, das mit
dem "FreiLAUFtheater die Bewegung zum Programm
gemacht hat, indem das Publikum und die Akteure durch
die sehr spezielle Theaterlandschaft des Piesberges
geführt werden. Erst kürzlich haben sie mit dem
"STEINwalzer" ein bemerkenswertes Stück zur
Geschichte der Zwangsarbeit im Dritten Reich in den
Steinbrüchen des Piesberges gezeigt.
Und natürlich ist an dieser Stelle das Forum für
Kunst und Kultur in Holle-Heersum nicht zu
vergessen, die mit ihrem "Landschaftstheater" das
Moment der Bewegung in freier Natur nutzen.
Bei allen Beispielen geht es darum, sich auf den Weg
zu machen in die Gesellschaft, Kontakt zu suchen zu
den Menschen, sie einzubeziehen in die Handlung.
Das ist manchmal skurril, manchmal anstrengend, oft nur großartig. Und es ist soziokulturell, auch
wenn RUHR.2010 mit dem B1-Projekt ein ähnliches Format zum Event gemacht hat. Kunst und Alltag
in Verbindung zu bringen, die Trennung von Akteuren und Publikum zu überwinden, war ein
Anspruch der Neuen Kulturpolitik. Die Soziokultur zeigt wie es geht.
Der zweite Förderschwerpunkt: Impulse geben - Themen aufgreifen
Soziokultur wurde in der frühen Interpretation nicht als ein geschlossener Bereich oder gar als Sparte
begriffen, sondern als ein kulturpolitischer Anspruch, der auch in anderen (sozio-)kulturaffinen
Bereichen wirksam werden sollte. Ferner hatte sie stets auch eine soziale Komponente, insofern sie
sich auf gesellschaftliche Realitäten und die Sorgen der Menschen einließ. Der Fonds Soziokultur hat
deshalb stets darauf geachtet, auch solche Projekte zu fördern, die eher im Sozial-, Bildungs-,
Erziehung-, oder Umweltbereich angesiedelt waren, aber sich der Kunst und Kultur als Medium
bedienen wollten. Er wollte die soziokulturelle Idee weitertragen und Ressort- und
Professionsgrenzen bewusst überschreiten, auch die Grenzen, die es zu den etablierten
Kunsteinrichtungen und -genres gab.
Auch mit Blick auf diesen Schwerpunkt kann auf viele
gelungene Projekte verwiesen werden. Es gibt kaum ein
soziales Feld, auf dem der Fonds nicht
förderungspolitisch aktiv war, und kaum ein Problem,
das dabei außer Acht gelassen worden wäre – sei es
Alter, Krankheit, Ausgrenzung, Arbeitslosigkeit, Armut,
Esssucht, Stress, Gewalt, Behinderung, Obdachlosigkeit,
Mobbing oder Tod. Ich erinnere an das Projekt "Jam
Session mit Barfliegen" der Stiftung Linerhaus in Celle
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aus dem Jahr 2010, in dem es um die Produktion eines
Hörspiels mit Menschen ging, die an Multiple Sklerose litten.
Ausgezeichnet wurde vom Fonds die Musiktheaterproduktion
"Hajusom in Bollyland" von und mit Flüchtlingen und
Migranten, ein transnationales Kunstprojekt des Vereins
Hajusom in Hamburg im Jahr 2011.
Ganz im Sinne der aktuell diskutierten Inklusion war die
Förderung des Projekts "Faust I. Theater zum Fühlen und
Hören für Blinde" des Berliner Vereins Hörfilm e.V. in
Kooperation mit dem Osnabrücker Stadttheater, bei dem
sehgeschädigten Menschen mit Hilfe einer
Audioskription, also akustischen Beschreibungen zur
Handlung, zum Bühnenbild, zu Kostümen etc., die
Wahrnehmung einer Theateraufführung ermöglicht
wurde.
Wenn es um inklusive Kulturarbeit geht, muss die Arbeit der
Künstlergruppe Barner 16 in Hamburg erwähnt werden, die
der Fonds schon mehrfach gefördert hat. Aktuell erarbeitet
sie eine Produktion auf der Basis des Bilderbuches "Gans der
Bär" für Kinder ab 8 Jahren. Akteure sind gesundheitlich
beeinträchtige Kinder und Jugendliche, die als "ExpertInnen
im Aders-sein" dieses Stück um Fragen der Identität auf die
Bühne bringen.
Erwähnt werden könnten ferner Projekte in
Gefängnissen, psychiatrischen Kliniken, Krankenhäusern
oder Seniorenheimen, wie das Projekt "King Kongs
Töchter" der JugendTheaterWerkstatt Spandau e.V. im
Jahr 2011, in dem die Themen Isolation und Einsamkeit
aufgegriffen wurden.
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Wichtig war dem Fonds bei diesen Impulsförderungen
neben der Beteiligung der Betroffenen immer die
Kooperation von KünstlerInnen oder kulturellen
AkteurInnen mit Profis aus den Arbeitsfeldern, um die es
thematisch jeweils ging, um gegenseitiges Lernen zu
ermöglichen. Exemplarisch sei dafür das Projekt "Trauer
ist auch Wut" ebenfalls aus dem Jahr 2011 genannt, bei
dem das Theaterensemble "Thea T ins Blaue" und das
"Zentrum für trauernde Kinder" gemeinsam mit Kindern
ein Figurentheaterstück über Tod, Abschied und
Freundschaft für Kinder ab 4 Jahren entwickelt haben.
Der dritte Förderschwerpunkt: Strukturen bilden
Der strukturbildende Ansatz des Fonds war Ausdruck seines politischen Anspruchs, aber auch der
Situation geschuldet. Es gab in den 1980er Jahren zwar einige Soziokulturelle Zenten, Kulturläden,
Stadtteileinrichtungen und Jugendkunstschulen, aber keine auch nur halbwegs abgesicherte
soziokulturelle Infrastruktur, die den Initiativen aus der Gesellschaft hätte einen verlässlichen
Rahmen geben können. Deshalb wurde der Fonds auch als ein Instrument verstanden, den
zivilgesellschaftlichen Kulturakteuren Hilfen an die Hand zu geben, um sich besser zu organisieren,
um sich fortbilden und austauschen zu können. Auch die Anschubfinanzierung von neuen Modellen
der Kulturarbeit stand auf dem Programm. Vieles ist seitdem geschehen: Verbände sind entstanden
und haben sich weiter entwickelt. Es gibt Strukturen der Beratung und neue Ansätze der
Öffentlichkeitsarbeit. Schließlich sind neue Medien für den Austausch dazu gekommen. Und neue
Einrichtungstypen gibt es auch. Der Fonds hat diese Entwicklungen unterstützt und hat sein
subsidiäres Prinzip, »Hilfe zur Selbsthilfe« zu leisten, umgesetzt.
Vor allem in dem noch jungen Feld der Kulturpädagogik
ist er aktiv geworden. Beispielhaft ist dafür die
Unterstützung des Kindermuseums München im Wege
einer zweijährigen Konzeptionsförderung in den Jahren
1991/92, das inzwischen als Institution etabliert ist und
dem mittlerweile ca. 60 Kinder- und Jugendmuseen
gefolgt sind.
Auch den Bundesverband der Jugendkunstschulen und
kulturpädagogischen Einrichtungen resp. die
Landesvereinigung kulturelle Jugendarbeit in Unna hat
der Fonds in den Anfangsjahren unterstützt, z.B. durch
die Starthilfe für die Verbandszeitschrift »Infodienst.
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Kulturpädagogische Nachrichten«, aber auch durch
andere Förderungen wie etwa bei dem Projekt "Face to
Face", einer großangelegten Fotoausstellung im Rahmen
von RUHR.2010, die auch der Vernetzung der
Jugendkunstschulen im Ruhrgebiet dienen sollte und
nicht nur im Revier, sondern im Jahr 2011 auch in der
Kulturhauptstadt Europas Tallin zu sehen war.
Auch die "Nacht der Jugendkultur", die ebenfalls der
Stärkung und Vernetzung der jugendkulturellen
Infrastruktur in dieser Region dienen sollte und gleichfalls
Programmpunkt von RUHR.2010 war, war ein vom Fonds
gefördertes Projekt.
Darüber hinaus sind gelegentlich auch Festivals
gefördert worden, weil in der damit erreichten
Öffentlichkeit eine unterstützende Wirkung gesehen
wurde. Ein Bespiel ist dafür das "1. GebärdensprachTheater-Festival" in München.
Der vierte Förderschwerpunkt: Kooperationen ermöglichen
Kooperation ist ein wichtiger Anspruch der Soziokultur. Lange bevor der Begriff »Vernetzung«
modisch geworden ist, war den soziokulturellen Akteuren klar, dass sie ihre kulturellen und
politischen Projekte und Anliegen nur durch Zusammenarbeit würden erreichen können. Es galt, sich
zusammenzuschließen, um politische Stärke zu gewinnen, aber auch um voneinander zu lernen, sich
gegenseitig zu ermutigen und Ressourcen zu bündeln. Es gibt mittlerweile einen überregionalen und
bundesweiten Erfahrungsaustausch, der durch die neuen digitalen Medien erleichtert worden ist.
Und natürlich sind die soziokulturellen Akteure vor Ort bestens vernetzt, was die Anträge beim Fonds
Soziokultur immer wieder zeigen. Aber es gibt auch Desiderata, auf die zu verweisen ist. So hat sich
im europaweiten und internationalen Austausch der soziokulturellen Akteure noch nicht so viel
getan. Dies ist sicher auch eine Frage der Motivation, aber in der Regel hängt es mit den zur
Verfügung stehenden Ressourcen und den Zeitreserven zusammen. Deshalb hat der Fonds
Soziokultur auch hier Initiative ergriffen. In einem Sonderprogramm, das gemeinsam mit dem
Niederländischen Fonds voor Cultuurparticipatie durchgeführt wird, stehen vorerst bis 2016 befristet
jährlich 50.000 Euro auf jeder Seite zur Verfügung, um deutsch-niederländische
Kooperationsprojekte gezielt anzubahnen und die Voraussetzungen und Gelingensbedingungen
länderübergreifender Kulturkooperation zu diskutieren.
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Etliche Kooperationsprojekte sind auf diese Weise bisher
realisiert worden. So etwa das Projekt »Frank und Rudi«,
entstanden aus der Zusammenarbeit des
niederländischen »Theatership Deventer« mit dem
deutschen »Theater im Fluss« in Kleve. Dabei ging es um
die grenzüberschreitende Kooperation mittels
Theaterschiffen entlang des Rheins und der Ijssel im
Jahr 2012. Der Aufhänger war die Spuckattacke eines
niederländischen Fußballspielers (Frank Rijkers) auf
einen deutschen Fußballspieler (Rudi Völler) im Zuge der
Weltmeisterschaft von 1990. Im Verlauf der weiteren Projektvorbereitungen gerieten auch
Heldenkult und Nationalismus in den Fokus der TheatermacherInnen. Ergebnis war schließlich eine
zwanzigminütige Bühnencollage, die auf beiden Theaterschiffen mehrmals zur Aufführung kam.
Es gibt viele Beispiele solcher vom Fonds geförderter
länderübergreifenden Kulturkooperationen, die je
besondere oder gemeinsame Erfahrungen und Kontexte in
den jeweiligen Herkunftsregionen nutzen, um miteinander
ins Gespräch zu kommen und Verständnis und
Verständigung zu ermöglichen. So haben etwa die
Theatergruppen "Das letzte Kleinod" aus Niedersachsen
und das "Theater Peergroup" aus den Niederlanden im
Sommer 2013 ein Theaterprojekt mit Jugendlichen
zwischen 14 und 18 Jahren zum Thema "Kartoffelburen" durchgeführt. Junge Menschen aus beiden
Ländern haben dabei mehrere Wochen gemeinsam an einer begehbaren Landschaftsinszenierung
auf Kartoffeläckern gearbeitet, weil darüber eine Erzählung über gemeinsame regionale
Kulturlandschaften, Arbeits- und Lebensweisen möglich wurde. Für die Aufführungen wurden
Kartoffelfelder gepachtet, die während des Projekts geerntet wurden. Die Vorstellung wurde in
beiden Ländern jeweils viermal aufgeführt.
Konnten die Ziele des Fonds Soziokultur bisher erreichet werden? Die Antwort muss ambivalent
ausfallen. Einerseits zeigen die Beispiele, dass die Schwerpunkte der Förderung ernst genommen
wurden und dass es immer wieder gelingt, dazu interessante und innovative Projektideen aus der
soziokulturellen Szene zu erhalten und zu fördern. Andererseits ist nüchtern zu konstatieren, dass die
vergleichsweise geringen Mittel des Fonds nur ein »Tropfen auf dem heißen Stein« sein können, die
nachhaltig wirkende strukturelle Effekte möglicherweise anstoßen, aber nicht auf Dauer begründen
können. Dazu bedarf es anderer Mittel und anderer Förderer. Dies schränkt die Wirksamkeit des
Fonds aber nicht ein. Sein Sinn besteht darin, Anreize zu geben. Er wird sich auch in Zukunft als
Spezialist für Anstöße begreifen, um viele gute Spiele im kulturellen Feld zu ermöglichen. Die
Nachhaltigkeit der Projekte stellt sich dann oft genug und mit Hilfe anderer Akteure von selbst ein.
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Zum Schluss: Kulturpolitik
Was ist und zu welchem Zweck brauchen wir heute noch Soziokultur? Für Hermann Glaser war das
Präfix "Sozio" stets eine Hilfskonstruktion, die solange gültig sein sollte, wie der affirmative und
damit die gesellschaftlichen Verhältnisse nur bejahende Kulturbegriff vorherrschend sei. Soziokultur
war für ihn mit dem Ziel verbunden, den idealistischen Kulturbegriff zu überwinden und die
"Trennung zwischen der reinen Welt des Geistes und den Niederungen der Realität" zu
durchbrechen, um auf diese Weise die "deutsch-bürgerliche Mentalität in eine staatsbürgerliche
umzuwandeln, welche die Integration von Kultur in den gesellschaftlichen Gesamtraum erreicht" (s.
Glaser 2014: 63). Viele werden diese Formulierung von Hermann Glaser kennen. Sind wir heute
soweit? Können wir auf das Präfix "Sozio" verzichten?
Ich glaube nicht. Sicher: Die Kultur ist in der Gesellschaft angekommen. Sie ist Wirtschaftsfaktor,
Bildungsfaktor, Integrationsfaktor, Inklusionsfaktor und Spaßfaktor. Sie soll den Strukturwandel
ermöglichen, Menschen friedlicher machen und vieles mehr. Die Aufgabenfülle ist mittlerweile so
groß, dass Kultur darunter verschüttet zu werden droht. Zumindest besteht die Gefahr, dass ihr
kritisches Potenzial durch wohlmeinende Bedeutungsunterstellungen entsorgt wird. Die
Mechanismen sind dabei subtil. Nehmen wir den Begriff der Kreativität, der in der Vergangenheit
stets positiv konnotiert war. Es ist nicht lange her, da hat der Kulturwissenschaftler Andreas Reckwitz
in der Ev. Akademie Loccum das Kreativitätsdispositiv erläutert. Kreativität, so seine Argumentation,
umfasse im "ästhetischen Kapitalismus" eine "Doppelstruktur von Kreativitätswunsch und
Kreativitätsimperativ, von subjektivem Begehren und sozialer Erwartung: Man will kreativ sein und
soll es sein." (Reckwitz 2013: 23)
Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Begriff der Innovation, der sich als selbstverständliches
Kriterium in fast allen Förderrichtlinien findet, auch in denen des Fonds Soziokultur. Diese Tatsache
ist nachgerade ein Beleg für Reckwitz‘ These. Wer sich vergegenwärtigt, wie viel Phantasie und
Kreativität aus der Kulturszene und damit aus der Zivilgesellschaft alljährlich entstehen und in
Antragsform formuliert werden, dem wird die Selbstverständlichkeit der Erwartungshaltungen in den
Förderrichtlinien befremdlich erscheinen müssen. Und wer zusätzlich zur Kenntnis nimmt, mit
welchen Zumutungen der Antragstellung und Mittelabrechnung die Projektträger häufig konfrontiert
sind, was bei der EU mit ihrem bezeichnenden Programm "Creative Europe" ins Groteske gesteigert
wird, dem wird die Rede von sozialer Erwartung im Zusammenhang mit diesem Dispositiv eher als
Euphemismus erscheinen. Hier triumphiert das Verfahren über den Inhalt. Hier kehrt, was als
freiwilliger schöpferischer Beitrag zur Gesellschaft intendiert war, als Zwang zu den Akteuren zurück.
Steckt die Soziokultur in der Falle des Kreativitäts- oder Innovationsdispositivs? Steht sie, was Max
Fuchs bereits für die Kulturelle Bildung zu bedenken gegeben hat, in der Gefahr, ganz entgegen ihren
eigentlichen Zielen an der "Formung des neoliberalen Subjekts" beteiligt zu sein, wie der "ästhetische
Kapitalismus" ihn gerade benötigt? Sie kann sich davon nicht freisprechen und wenn ich es recht
sehe, besteht darin die programmatische Verunsicherung, die die aktuelle Generation der
soziokulturellen Akteure beschäftigen muss. Natürlich findet die Entgrenzung künstlerischer
Praktiken, die Reckwitz als Merkmal einer durch das Kreativitätsdispositiv beeinflussten Ästhetik in
der Postmoderne ausmacht, auch im soziokulturellen Feld statt. Sie ist auch nicht frei von
eventförmigen und spektakulären Formaten. Projekte sind ja nachgerade die typische Arbeitsform
der Soziokultur und bilden nicht selten einen idealen Kontext für Kunstprojekte, die sich an der Idee
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eines entgrenzten Kunstbegriffs orientieren. Das zeigen nicht zuletzt die Anträge, die an den Fonds
Soziokultur gestellt werden.
Im Unterschied zu eher traditionellen Formen der Kulturproduktion und -vermittlung, die eher seriell
verfährt und auf Wiederholung und Dauer ausgerichtet ist, sind soziokulturelle Projekte in der Regel
Unikate, zeitlich befristet, auf aktuelle Anlässe und Situationen bezogen, ortsgebunden,
kontextorientiert und beteiligungsintensiv. Projekte sind methodisch hoch anspruchsvoll und teuer,
wobei die meisten Kosten in der Regel durch Selbstausbeutung der Akteure und Freiwilligenarbeit
kompensiert werden. Ursprünglich waren Projekte als Ausnahme gedacht. Man wollte mal etwas
ausprobieren, aus den üblichen Arbeitsroutinen ausbrechen, mal etwas Neues versuchen.
Projektarbeit war verbunden mit der frühen Idee der Soziokultur, anders zu leben und anders zu
arbeiten. Heute gehört Projektarbeit zum Normalprogramm. Seit die Kulturpolitik entdeckt hat, dass
eine programm- und projektbasierte Kulturförderung viel flexibler ist als die Förderung von
Einrichtungen, und weil für neue Einrichtungen vielerorts ohnehin das Geld fehlt, boomt die
Programm- und Projektförderung, zumal sie den Charme hat, im Bedarfsfall auch wieder rückgängig
gemacht werden zu können.
Sie belastet die öffentlichen Etats nicht auf Dauer und gibt gleichzeitig viel mehr Spielraum, um auf
neue Themen zu reagieren. Sie ist steuerungstheoretisch und -politisch gesehen deshalb höchst
effektiv, weil damit eine viel breitere politische Agenda 'bespielt' werden kann und weil sie durch
Gewährung und Entzug von Mitteln in unheiliger Allianz mit einem restriktiv ausgelegten
Zuwendungsrecht disziplinierende Effekte generiert, auch wenn diese vom Zuwendungsgeber gar
nicht intendiert sein mögen. Dem Vorteil auf der Geberseite steht jedoch kein Äquivalent auf der
Seite der Zuwendungsnehmer gegenüber. Sicher, es gibt mehr Mittel für Projekte und die
Versuchung ist groß, sich beruflich auf dieser Basis auch längerfristig einzurichten. Doch bedeutet
dies, immer wieder neue Projekte zu konzipieren, die Mittel dafür zu besorgen etc., was letztlich in
Projektitis und Kulturstress ausartet. Wer könnte in der soziokulturellen Szene davon kein Lied
singen? So wird aus der Idee für ein besseres Leben hinter dem Rücken der Akteure der Zwang zur
Dauerinnovation. Auch das meint die Rede von Kreativitätsdispositiv.
Was ist zu tun?
Zunächst ist es notwendig, immer wieder einen anspruchsvollen kulturpolitischen Diskurs zu führen.
Was Max Fuchs der Kulturpädagogik empfiehlt, die Verstärkung des kritischen Elements, die
Schärfung des historischen Bewusstseins und eine Rückkehr des gesellschaftspolitischen Denkens ist
auch der Kulturpolitik dringend zu empfehlen. (s. Fuchs 2014) Dies könnte zunächst damit beginnen,
die Analyse von Andreas Reckwitz zu lesen, zu verstehen und in seinen Schlussfolgerungen
ernstzunehmen, um den problematischen Folgen des Kreativitätsdispositivs eine alternative Logik
entgegenzusetzen. Dabei geht es auch um Soziokultur. Denn in ihr glaubt Reckwitz ein "Gegenmittel
zur Verabsolutierung des Kreativitätsdispositivs " erkennen zu können, das er mit dem Stichwort
"Kreativität ohne Publikum" markiert. (s. Reckwitz 2013: 31) Er verweist dabei auf "die Zweckfreiheit
des Kreativen in der lokalen Alltagspraxis" und auf die Möglichkeit, damit das "ständige Bewähren
sollen vor einem Publikum zumindest temporär außer Kraft" zu setzen.
Nun kennen wir diese "Indifferenz gegenüber dem Publikum" auch aus Kunstinstitutionen. Aber hier
geht es nicht darum, das Publikum nicht zu erreichen, sondern ein ganz anderes Verhältnis zu den
Adressaten aufzubauen. Dafür hat die Soziokultur Formate entwickelt. Das ist ihr Markenkern, wenn
man denn einen solchen ökonomieaffinen Begriff überhaupt verwenden möchte. Es geht darum, ihn
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zu schützen und zu verteidigen gegenüber den Ambitionen der Kulturpolitik, die am liebsten noch
eine neue Generation von Kulturinstituten hätte, um der Fülle von Kulturevents noch weitere
hinzuzufügen. Für die Kunst und Kultur überhaupt nur dann präsent sind, wenn sie spektakulär und
mit großer Geste daher kommen. Natürlich bedeutet dies nicht, dass Soziokultur auf Publikum im
klassischen Sinne verzichten sollte oder könnte. Sie folgt nur anderen Prioritäten im Umgang damit.
Sie ist der ständige Versuch, das Gespräch mit der Gesellschaft und in der Gesellschaft zu suchen,
Themen anzusprechen, die die Menschen beschäftigen, und dabei Kunst als Kommunikationsmedium
einzusetzen – unaufdringlich, unprätentiös, aleatorisch, also auf Auflockerung mentaler Blockaden
bedacht. Soziokultur ist realitätsnah, sie ist konkret und aktuell. Sie sollte nicht der vollmundigen
Rhetorik der Kulturpolitik folgen und unsinnige Wirkungsbehauptungen aufstellen. Sie kann den
gesellschaftlichen Strukturwandel nicht bewältigen und muss es auch nicht. Und trotzdem kann sie
gesellschaftspolitisch hoch wirksam sein – und ich füge hinzu: Sie ist wirksam und schickt sich an,
noch größere Wirksamkeit zu erreichen, wenn sie etwa – wie in Niedersachen praktiziert – auf's Land
geht und eine Allianz mit der Breitenkultur versucht, um auch diese ein wenig aufzulockern!
Wir wissen: Soziale Bewegungen werden vor allem dann wirksam, wenn sie aus möglichst vielen
gesellschaftlichen Gruppen ihre Impulse beziehen. Die Soziokultur sollte diesen Weg offensiv gehen
und sich nicht einreden lassen, sie sei lediglich ein Generationenprojekt oder eine Fußnote in der
Geschichte der Kulturpolitik. Sie ist vielmehr. Sie schafft immer wieder – auch wenn dies nur
projektbezogen gelingen mag – Lernorte und Experimentierfelder für die zivile Gesellschaft, Labore
für demokratisches Denken, in denen die Gegengeschichten zur expansiven Moderne und zur Logik
des Kreativitätsdispositivs erzählt werden. Sie ist ein Stachel im Fleisch der Kulturpolitik, die
lebendige Erinnerung an uneingelöste Versprechen der Neuen Kulturpolitik, die der demokratischen
Idee unseres Gemeinwesens auch heute noch alle Ehre machen würden. So wie die soziokulturellen
Akteure in ihrer Praxis darum bemüht sind, Menschen durch Kultur oder an der Kultur zu stärken, so
sollten sie sich immer wieder auch selbst an der demokratischen Idee der Soziokultur neu aufrichten,
um selbstbewusst ihre Zukunft in Angriff zu nehmen. Der Fonds Soziokultur kann dabei nur
Unterstützer sein – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Norbert Sievers
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Literatur:
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Glaser, Hermann (2014): Wie weiland Sisyphus. Soziokultur im Rückspiegel, in: Fonds Soziokultur
(Hrsg.), a.a.O., S. 62 - 66
Reckwitz, Andreas (2013): Die Erfindung der Kreativität, in Kulturpolitische Mitteilungen Nr. 147, H.
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Zacharias, Wolfgang (2014): Soziokultur und Kulturpädagogik. Oder: Wie wir damals gemeinsam das
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