Wissenschaftliche Benchmarking-Methoden im ÖPNV

Wissenschaftliche Benchmarkingmethoden im ÖPNV –
Methodische Ansätze und internationale Erfahrungen
Autoren
Christian von Hirschhausen, Maria Nieswand, Axel Wilhelm und Borge Hess
Technische Universität Dresden, Lehrstuhl für Energiewirtschaft und Public Sector Management
[email protected]
Vorspann
Wissenschaftliche Benchmarkingmethoden werden international in zunehmendem Maße bei der
Entscheidungsfindung in Unternehmen und Verkehrspolitik eingesetzt. Hierunter fallen parametrische,
d. h. statistische Verfahren als auch nicht-parametrische Verfahren (lineare Optimierung). Eine
Erhebung vorliegender Studien aus dem Ausland deutet auf erhebliche positive Skaleneffekte hin, d.h.
größere ÖPNV-Unternehmen sind i.d.R. effizienter als kleine. Dies spricht für eine Konsolidierung
gerade des kleinwirtschaftlich strukturierten ÖPNV. Für Deutschland steht eine repräsentative
Benchmarkinganalyse noch aus.
1 Einleitung: Benchmarking als Entscheidungshilfe im ÖPNV
Wie in allen anderen Industriezweigen, stellen Benchmarking-Studien auch im ÖPNV eine wichtige
Entscheidungshilfe dar. Dies gilt sowohl für strategische Unternehmensentscheidungen wie das
Verhältnis zwischen In-House-Fertigung und Outsourcing oder den Zusammenschluss mit anderen
ÖPNV-Unternehmen. Doch auch für die Verkehrspolitik sind Kenntnisse über die relative Kostenund Wettbewerbssituation des ÖPNV von hoher Relevanz, gerade in der gegenwärtigen Diskussion
über die Neugestaltung des institutionellen Rahmens auf europäischer und auf deutscher Ebene.
Der Begriff des Benchmarking ist in der Literatur und Praxis mit unterschiedlichen Ansätzen belegt.
Diese reichen vom Vergleich von Partialindikatoren (z. B. €/Passagierkilometer) über umfangreiche
statistische Verfahren bis hin zu qualitativ-institutionellen Vergleichsansätzen. Der vorliegende
Aufsatz stellt Benchmarkingmethoden aus den Bereichen totaler Faktorproduktivität, lineare
Optimierung und Ökonometrie vor. Diesen Ansätzen ist gemeinsam, dass es sich um Totalerhebungen
der Produktivität handelt, welche über die Ermittlung von Partialindikatoren hinausgeht. In vielen
Ländern gehören diese Benchmarkingmethoden (wie z. B. Data Envelopment Analysis (DEA) oder
1
Stochastic Frontier Analysis (SFA)) inzwischen zum Alltagsgeschäft der Unternehmensstrategie und
dem Regulierungsmanagement; darunter fallen vor allem die angelsächsischen Länder, doch auch in
anderen europäischen Ländern liegt umfangreiches Studienmaterial vor, z. B. in Italien und in der
Schweiz.
Die im Folgenden beschriebenen Methoden eröffnen die Möglichkeit zur empirischen Analyse
klassischer, branchenspezifischer Fragestellungen des Benchmarking, wie z. B. das Vorliegen von
Größenvorteilen in der Produktion der Dienstleistung („is big really beautiful“) oder strukturelle
Kostenunterscheide aufgrund unterschiedlicher Rahmenbedingungen (z. B. ÖPNV in der Fläche oder
im Ballungsraum). Darüber hinaus lassen sich weitere, unternehmensspezifische Charakteristika
herausarbeiten und statistisch belegen, wie z. B. der Kostenvergleich zwischen öffentlichen und
privaten Anbietern. Im Folgenden wird einführend eine Übersicht über den aktuellen Stand der
Forschung zum Benchmarking gegeben und unterschiedliche methodische Ansätze dargestellt. Im
Anschluss daran wird die vorliegende Evidenz aus dem Ausland zusammengefasst und ausgewählte
Studien zu einzelnen Fragestellungen referiert. Der Aufsatz endet mit Schlussfolgerungen und
identifiziert Handlungsbedarf für Deutschland.
2 Methoden des Benchmarking
2.1 Physische und monetäre Produktions- und Kostenfunktion
Beim Benchmarking werden Unternehmen anhand definierter Indikatoren miteinander verglichen.
Diese Indikatoren können entweder physischer oder monetärer Natur sein. Wie in allen anderen
Branchen auch, wird der Produktionsprozess in ÖPNV durch die Beziehung von Outputgrößen (z. B.
gefahrene Buskilometer) zu Inputgrößen (z. B. Beschäftigung, Kapitalstock, Energieverbrauch)
charakterisiert. Dieser Produktionsprozess wird durch eine Funktion beschrieben, welche sich auf die
Produktionstechnologie oder die Kostenstruktur beziehen kann. Die Produktivität misst das Verhältnis
von Output zu Input und lässt eine anschließende Bewertung im Sinne eines Rankings zu („je höher,
desto besser“). In Bezug auf Einsparpotenziale ist das Konzept der Effizienz aussagefähiger: Ein
Unternehmen gilt dann als effizient, wenn es bei einer gegebener Technologie (Produktionsfunktion)
und gegebenen Inputmengen einen möglichst hohen Output produziert bzw. wenn es bei
vorgegebenen Output möglichst wenige Inputs benötigt.
[Abbildung 1: Konzept der Effizienz]
Zur Illustration sind in Abbildung 1 eine einfache Produktionsfunktion und drei verschiedene
Unternehmen dargestellt Diese Produktionsfunktion gibt eine geschätzte Beziehung zwischen einem
2
Input, z. B. der Anzahl verfügbarer Busse, und einem erstellten Output, z. B. geleisteten
Fahrgastkilometern, an. In der Praxis besteht die Produktionsfunktion aus mehreren Inputs (z. B.
Arbeitsleistung, Kapital in Form von Bussen, Bahnen, etc.), Energie, etc. Interpretiert man die
dargestellte Produktionsfunktion als die „Frontier“, d. h. die maximal erreichbare Outputmenge bei
gegebenem Input, so ist Unternehmen A, welches genau auf der Funktion liegt, effizient. Im
Gegensatz dazu produziert B weniger Output, verwendet aber dieselbe Inputmenge. Unternehmen C
ist inputseitig kleiner als Unternehmen A und B, nutzt das Produktionspotenzial jedoch auch nicht aus;
jedoch ist Unternehmen C effizienter als Unternehmen B.
Von dem eben eingeführten Vergleich physischer Maßgrößen ist die monetäre Effizienzanalyse zu
unterscheiden: Ein Unternehmen ist kosteneffizient, wenn es bei gegebener Kostenstruktur und
Inputpreisen, die geringst möglichen Kosten verursacht. Sofern entsprechende Daten vorhanden sind,
wird aufgrund des höheren Informationsgehaltes der Kostenansatz dem Produktionsansatz
vorgezogen. Eine Analyse hinsichtlich der Kostenstruktur berücksichtigt neben der technische
Effizienz auch, wie effizient die Kombination der Inputfaktoren gestaltet ist (allokative Effizienz).
Neben der Betrachtung der Produktionsfunktion als „Best practice frontier“ berechnen andere
Benchmarkingverfahren den durchschnittlichen Output bei gegebenen Inputs. Dies führt dazu, dass die
Frontier-Ansätze die Produktions- oder Kostengrenze als Benchmark heranziehen, wohingegen den
Durchschnittsverfahren ein durchschnittliches Unternehmen als Bezugspunkt dient. Die Auswahl der
geeigneten Verfahren hängt eng mit der Fragestellung der Effizienzanalyse zusammen.
Abbildung 2 vermittelt einen Überblick über die wichtigsten Benchmarkingmethoden. Für einen
Unternehmensvergleich ist die Auswahl der Kriterien, anhand derer verglichen werden soll, von
entscheidender Rolle. Die einfachste Methode ist der partielle Ansatz. Als Vergleichsvariable dient
dabei lediglich jeweils ein Leistungsindikator, wie z.B. Umsatz, Fahrgastzahlen oder Kosten pro
Buskilometer. Dieser Ansatz ist aufgrund seiner Eindimensionalität und der Vernachlässigung von
Substitutionseffekten und anderer funktionaler Beziehungen für das Benchmarking im ÖPNV-Sektor
weniger geeignet. Im Folgenden werden daher die multidimensionalen Ansätze weiter verfolgt.1
[Abbildung 2: Benchmarking Methoden]
2.2 Totale Faktorproduktivität (TFP)
Der konventionelle Ansatz zur Bestimmung der Unternehmensproduktivität ist die Berechnung von
Indizes über alle Outputs und Inputfaktoren. Dabei ist das Verhältnis von Output- zu Inputindex als
Totale Faktorproduktivität (TFP) definiert. Die Gewichtung der einzelnen disaggregierten
3
Indexkomponenten (also die einzelnen Outputs und Inputs) kann auf vielfältige Weise vorgenommen
werden, sodass verschiedene TFP-Indizes existieren.
Ein Unternehmensvergleich kann zum einen statisch, als auch dynamisch durchgeführt werden. Die
statische Betrachtung vergleicht die TFP von Unternehmen zu einem Zeitpunkt, wohingegen bei der
dynamischen Betrachtung die Veränderungen der TFP-Werte in der Zeit m Mittelpunkt stehen. Bei
letzterer werden Preis- und Mengeninformationen von verschiedenen Zeitpunkten genutzt und die
TFP-Veränderung als Änderung des Outputindexes abzüglich der Veränderung des Inputindexes
berechnet. Die Veränderung der Gesamtgröße TFP kann zudem über die Veränderungen der
Einzelkomponenten (technischem Wandel, Skaleneffekte und Effizienz) abgebildet werden.
Zu den bekanntesten TFP-Indizes gehören diverse preis- oder mengenbasierte Indizes (z. B. PaascheIndex, Laspeyres-Index, Fisher-Index und Tornqvist-Index). Diese sind einfach anwendbar,
ermöglichen jedoch keine Zerlegung der Produktivität in ihrer Einzellkomponenten. Der MalmquistIndex
ermöglicht
dagegen
eine
solche
Aufteilung,
erfordert
hierfür
aber
aufwendigere
Rechenverfahren wie z. B. DEA oder SFA.
2.3 Nicht-parametrische Methoden (DEA)
Nicht-parametrische
Produktionsgrenze
Methoden
verwenden
(„Frontier“).
Damit
lineare
braucht
Programmierung
keine
zur
funktionale
Ermittlung
Beschreibung
einer
des
Produktionsprozesses erfolgen. Diese Methodenfamilie um die Data Envelopment Analyse (DEA)
verfolgt ausschließlich den Frontier-Ansatz und kalkuliert diesbezüglich sukzessive eine umhüllende
Produktionsgrenze (Frontier)
Im Allgemeinen wird die Frontier durch die auf ihr liegenden Unternehmen bestimmt. Die Distanz
eines Unternehmens zur Effizienzgrenze wird als unternehmensindividuelle Ineffizienz interpretiert.
Bei der DEA werden individuelle Referenzunternehmen auf der Grenze als Liniearkombination
effizienter Unternehmen definiert und diese Distanz zwischen Referenz- und realem Unternehmen in
Effizienzwerte überführt; diese liegen typischerweise zwischen Null und eins.2
Wesentliche Vorteile der nicht-parametrischen Methoden sind der geringe Rechenaufwand und
Datenbedarf. Die (willkürliche) Vorgabe einer funktionalen Output-Input-Beziehung ist nicht
erforderlich. Nachteile der Methode bestehen darin, dass Datenfehler bzw. Extremwerte („Ausreißer“)
oder auch Datenrauschen („noise“) die Berechnung der Effizienzgrenze erheblich verzerren können.
Jedoch sind diesbezüglich in jüngerer Vergangenheit erhebliche methodische Fortschritte gemacht
worden. So kann bzgl. der Datenfehler bzw. Extremwerte eine Plausibilitätsprüfung der Daten (Outlier
Detection) oder die sog. Order-m-Methode durchgeführt werden kann. Letztere definiert eine
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asymptotische Effizienzgrenze im Sinne einer FDH mittels statistischer Rückschlüsse und schließt
daher nicht alle Datenpunkte ein. Das Verfahren der stochastischen DEA simuliert anhand der
Rohdaten ein Konfidenzintervall von Datenausprägungen, so dass einem Unternehmen nicht mehr nur
einen Datenpunkt, sondern eine Gruppe von Datenpunkten zugeordnet wird. Dieses Verfahren kann
somit neben den Ausreißern und Extremwerten auch den Einfluss von Datenrauschen beheben, was zu
unverzerrten und konsistenten Effizienzwerten führt.
2.4 Parametrische Verfahren
Parametrische Verfahren verwenden statistische Methoden und ermitteln Effizienzwerte anhand von
Schätzwerten dieser Methoden („Parameter“). Dadurch werde Abweichungen von tatsächlichen, aber
unbekannten Funktionsbeziehungen („Rauschen“) berücksichtig. Die parametrischen Verfahren
können sowohl zur Berechnung von durchschnittlichen Funktionen als auch zur Berechnung einer
Frontier-Funktion genutzt werden. Im Rahmen der Durchschnittsansätze berechnet die Methode der
kleinsten Quadrate (OLS) eine einfache lineare Regression zwischen Output und Input, sodass die
Regressionsgerade den durchschnittlich erreichten Output bei bestimmter Inputmenge abbildet. Je
nach Lage des Datenpunktes relativ zur Referenzgeraden können die Unternehmen in die drei
Gruppen „Durchschnitt“, „besser“ und „schlechter“ als der Durchschnitt, eingeteilt werden.
Bei den Frontier-Ansätzen basieren die Methoden der korrigierten (COLS) und der modifizierten
kleinen Quadrate (MOLS) technisch auf der OLS. Bei der COLS wird der konstante Term der
Regressionsgerade bei der Produktionsfunktion (Kostenfunktion) derart nach oben (unten) angepasst,
dass genau ein Unternehmen mit dem relativ größten Output (geringsten Kosten) auf der Geraden
liegt. Dieses wird als effizient definiert und die Distanz der anderen Unternehmen zur korrigierten
Regressionsgeraden als Ineffizienz gewertet. Der konstante Term wird hingegen bei der MOLS um
den statistischen Erwartungswert der Ineffizienz korrigiert, sodass eine Annahme über die Verteilung
der Ineffizienz notwendig ist. Alle OLS-basierten Methoden interpretieren Abweichungen von der
Effizienzgeraden vollständig als Ineffizienz; zufällige Abweichungen (z.B. Messfehler) führen somit
zu einer Verzerrung der Ergebnisse.
Diese zufälligen Effekte werden bei der Stochastic Frontier Analyse (SFA) hingegen berücksichtigt.
Dieser parametrische Frontier-Ansatz unterteilt die Abweichungen der Unternehmen von der
Effizienzgeraden in Ineffizienz und einen stochastischen Störterm, sodass sich Plausibilität und
Genauigkeit der Ergebnisse erhöhen. Effizienzwerte werden hierbei durch die Entfernung der um
Zufallseffekte (Störterm) korrigierten Unternehmensdaten zur Effizienzgeraden ermittelt. Ähnlich wie
bei der MOLS sind bei der SFA Annahmen über die Verteilung der Ineffizienz erforderlich. Die
jüngeren methodischen Entwicklungen bei der SFA berücksichtigen bei der Erklärung noch einen
dritten Aspekt, nämlich von Unternehmen nicht beeinflussbare individuelle Faktoren („firm-specific
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heterogeneity“, z.B. nicht beeinflussbare Pensionszahlungen). Dieses Verfahren führt im Vergleich zu
klassischen SFA zu höheren Effizienzwerten.
Ein Vorteil parametrischer Verfahren besteht darin, konkrete Gütermaße für die Schätzungen
bereitzustellen. Die geschätzten Koeffizienten branchen- und unternehmensbezogene Aussagen über
den Produktionsprozess zu, so beispielweise Informationen über
Betriebsgröße,
Netzauslastung
oder
vorhandene
Größen-
oder
einer etwa zu bevorzugende
Verbundvorteile.
Nachteile
parametrischer Verfahren werden im großen Datenaufwand sowie der Notwendigkeit gesehen,
unbekannte funktionale Beziehungen vorgeben zu müssen. Des Weiteren beeinflusst die exogen
vorzugebende Wahl der Struktur der Fehlerterme die Ergebnisse erheblich.
3 Studien und Ergebnisse aus dem Ausland
3.1 Übersicht
Ein Blick in die internationale Literatur fördert höchst umfangreiches und methodisch umfassendes
Material zu Tage. Wissenschaftliche Benchmarkingmethoden haben international seit den frühen
1980er Jahren Eingang in die ÖPNV-Literatur gefunden. Die erste umfassende Darstellung des Stands
von Theorie und Anwendungen stammt von Berechman (1993); eine jüngere ebenfalls sehr
umfangreiche Darstellung der Entwicklungen in den 1980er und 1990er Jahren ist de Borger et al.
(2002). Piacenza (2001) vermittelt einen umfassenden Überblick in die theoretischen Konzepte,
welche den empirischen Analysen zugrunde liegen. Die meisten Untersuchungen liegen aus dem
angelsächsischen Raum vor, in dem sowohl die Anwendung quantitativer Methoden in der
Wettbewerbspolitik tief verankert ist, als auch die Regulierungsdiskussion früher begann als
anderswo. In Europa fallen vor allem Analysen in Italien (u. a. Cambini et al. (2006), Piacenza (2006))
und der Schweiz (u. a. Filippini et al. (2001), Filippini und Prioni (2003), Farsi et al. (2006)) ins Auge.
Des Weiteren liegen auch zu Indien, Taiwan, Japan und Israel umfangreiche Studien vor.
In der Regulierungspraxis im Wasser- und Energiebereich dominieren die nicht-parametrischen
Verfahren. Dagegen ist in der ÖPNV Literatur zunehmend die Anwendung parametrischer Verfahren
zu beobachten. Dies lässt sich mit der relativ guten Datenverfügbarkeit und der größten Anzahl von
Beobachtungen erklären. Parametrische Durchschnittskostenschätzungen sind nicht weit verbreitet,
vielmehr handelt es sich i. d. R. um Frontier-Ansätze.
3.2 Erhebliche Größen- und Dichtevorteile ermittelt
Von besonderem Interesse beim Benchmarking sind die Größen- und Dichtevorteile von ÖPNVUnternehmen. Größenvorteile („scale economies“) liegen vor, wenn bei einer Erhöhung der
Outputmenge die Kosten unterproportional anwachsen. Dies kann z. B. durch eine Veränderung des
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Modal Split zugunsten des ÖPNV erfolgen; von hoher Relevanz ist die Frage der Größenvorteile auch
für die Fusion von ÖPNV-Unternehmen. Von Dichtevorteilen spricht man, wenn bei gegebener
Netztypologie und Gebiet eine erhöhte Fahrleistung zu einem unterproportionalen Kostenanstieg führt
(„dichterer“ Verkehr). Als Verbundvorteile („economies of scope“) bezeichnet man Kostenvorteile
durch die Produktion mehrerer Dienstleistungen durch ein Unternehmen (z. B. Bahn- und
Busverkehr). Aufgrund von Datenabgrenzungsproblemen sind Mehrproduktunternehmen in der
Literatur seit Viton (1992) kaum noch durchgeführt werden. Die Darstellung der empirischen Evidenz
beschränkt sich daher auf Einproduktunternehmen, d. h. Busunternehmen.
In der Literatur herrscht weitgehender Konsens, dass im Bereich kleiner und mittelgroßer
Unternehmen Größenvorteile vorliegen (Berechman, 1993, Kapitel 5.3). Diese Skalenvorteile der
großen Unternehmen entstammen einem effizienteren Personaleinsatz, durch die Bewirtschaftung
eines großen Netzes, der besseren Auslastung von Werkstätten durch die große Anzahl an Bussen
sowie geringeren Overheadkosten. Auch durch Mengenrabatte im Einkauf verfügen größere
Einkaufsgemeinschaften über höhere Verhandlungsmacht als Einzelkämpfer, zum anderen ermöglicht
die Massenproduktion Kosteneinsparungen bei den Lieferanten durch effizienteres Supply-ChainManagements
(u.
a.
durch
die
Bestellung
von
standardisierten
Bussen
und
flexible
Auslieferungszeiten). Unbestritten ist somit, dass kleine ÖPNV-Busunternehmen erhebliche
Kostennachteile gegenüber größeren Einheiten haben. Über die Unternehmensgröße, bis zu der
Größenvorteile vorliegen, gibt es unterschiedliche Einschätzungen: So erwähnt Berechman (1993, S.
125) eine geschätzte optimale Anzahl von Bussen von 300-500, andere Studien gehen eher von 1.000
Bussen aus.3
Die meisten Studien weisen darüber hinaus erhebliche Dichtevorteile beim Betrieb eines ÖPNVGebiets auf. Der Ausnutzung dieser Dichtevorteile ist jedoch durch die Nachfrage nach ÖPNVDienstleitungen eine Grenze gesetzt. Abbildung 3 fasst weitere Ergebnisse zu Größen- und
Dichtevorteilen zusammen, die repräsentativ für die weitreichende empirische Literatur sind. In fast
allen Fällen finden sich positive Skaleneffekte sowie Dichtevorteile.
[Abbildung 3: Empirische Studien]
3.3 Weitere Ergebnisse
Jenseits der Frage der Größen- und Dichtevorteile fördern die Benchmarkingmethoden auch weitere
politikrelevante Informationen zu Tage. So weisen einige Studien einen Effizienzvorteil von
Privatunternehmen im Vergleich mit öffentlichen Unternehmen auf. Hensher (1987) zeigt anhand
einer Studie zu Australien, dass dort Privatunternehmen systematisch effizienter abschnitten als
öffentliche, z. B. zwischen 11-24% effizienter in der Großstadt Sydney (Henscher, 1987, S. 221/222).
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Filippini und Prioni (2003) stellen zwar fest, dass in der Schweiz Unternehmen mit mehrheitlichem
Privateigentum effizienter sind als die mehrheitlich staatlichen. Obeng (1991) zeigt für ein Sample von
US Busunternehmen, dass die privaten dort doppelt so hohen Skalenerträge aufweisen wie die
öffentlichen Unternehmen.
Piacenza (2006) untersuchte die Qualität zweier Regulierungsformen für den italienischen Markt. Er
betrachtet dabei die Effizienzgewinne, die durch eine Umstellung von Kostenzuschlags- auf
Fixpreisverträge bei regionalen Busunternehmen realisiert werden. Der Kostenzuschlagsvertrag sieht
eine Erstattung sämtlicher Kosten zuzüglich einer angemessenen Verzinsung vor. Bei einem
Fixpreisvertrag hingegen wird vorab festgelegt, wie viel Geld ein Unternehmen für einen bestimmten
Zeitraum erhält. Der Autor kommt zu dem Schluss, dass ein Fixpreisvertrag die Kosten signifikant
verringert.
Last but not least sei die Studie von Viton (1992) zu Multiproduktunternehmen erwähnt, welche der
Frage nach möglichen Verbundvorteilen („scope economies“) im US-amerikanischen Markt nachgeht.
Viton betrachtet sechs verschiedene Verkehrsträger und die Kostenveränderungen, die sich aus der
Integration von Unternehmen ergeben würden. Neben der Analyse von Größenvorteilen durch die
Konsolidierung innerhalb eines Verkehrsmodus werden auch die Auswirkungen von intermodaler
Integration bewertet. Die Ergebnisse belegen beachtliche Verbundvorteile über alle Verkehrsträger,
diese nehmen mit der Größe des Unternehmens ab.
4 Schlussfolgerungen und Handlungsbedarf für Deutschland
Benchmarking spielt eine zunehmend bedeutende Rolle in der strategischen Unternehmensführung, im
Regulierungsmanagement und in der Verkehrs- und Wettbewerbspolitik im ÖPNV. In diesem Aufsatz
wurden die jüngeren Entwicklungen multidimensionaler Benchmarkingmethoden vorgestellt und
miteinander verglichen. International geläufig sind vor allem parametrische Frontierverfahren. Die
Durchsicht einer Vielzahl an internationaler Studien legt erhebliche Größen- und Dichtevorteile in der
Erstellung von ÖPNV-Dienstleistungen nahe; private Unternehmen sind tendenziell effizienter als
öffentliche, Fixpreisverträge fördern die Effizienz und Mehrproduktunternehmen scheinen effizienter
zu sein als Einproduktunternehmen.
Für den ÖPNV in Deutschland liegen keine multidimensionalen Benchmarkinganalysen vor, wie sie in
anderen Ländern geläufig sind. Zwar liegen Analysen partieller Produktivitätsmaße vor, z. B.
Leuthardt (1998, 2000, 2005), des Weiteren gibt es Benchmarkingstudien für einzelne Unternehmen
bzw. Unternehmensgruppen. Ein systematischer Vergleich sowie die Ermittlung allgemeiner
Aussagen anhand der erwähnten Methoden wie DEA oder SFA wurde jedoch noch nicht
unternommen. Dabei ließen diese Methoden Antworten auf dringende Fragen der deutschen ÖPNV8
Unternehmen und der Verkehrspolitik zu, ob die gegenwärtig kleinteilige Produktionsstruktur und der
kommunale Betrieb aus Kostengesichtspunkten noch sinnvoll sind.
Literatur
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9
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Abbildungen
Abb. 1: Konzept der Effizienz
10
Abb. 2: Benchmarking-Methoden
Abb. 3: Empirische Studien zur Effizienzanalyse
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Summary
This article discusses different approaches to productivity analysis and presents representative findings
from international studies on the efficiency of public transport companies. The main methods are total
factor productivity (TFPI, non-parametric methods (such as DEA) and parametric methods (such as
Stochastic Frontier Analysis, SFA). Most studies find that bus companies feature significant
economies of scale (“big is beautiful”) and economies of density. Private companies are more efficient
than public ones. These results are of interest to the discussion in Germany, where no such analysis
has been carried out thus far.
1
Eine umfassende Einführung in die Methoden liefert Coelli, et al. (2005).
2
Bei der Variante Full Disposal Hull (FDH) werden nur reale, effiziente Unternehmen zur Berechnung von
Effizientenwerten genutzt, sodass die Effizienzgrenze nichtkonvex und stufenartig verläuft; die FDHEffizienzwerte liegen daher höher als die DEA-Werte.
3
Auf der anderen Seite kann es bei besonders großen Unternehmen Größennachteile geben. Berechman (idem)
erwähnt hier die Busunternehmen in Ballungsgebieten, wie New York Rapid Transit (3.000 Busse) oder Chicago
(2.200 Busse).
12