Worte malen die ganze Welt

Steinkellner, Elisabeth: die Nacht der Falter und ich
Worte malen die ganze Welt
von Miriam von der Heyden
"Spuren
die Kufen
meiner Schlittschuhe
kerben Muster
ins Eis            mein Weg
              
zieht
Furchen
               in die
Haut
              
der
Welt"
In einer facettenreichen literarischen Sammlung aus Prosa, gebrochenen Zeilen und Gedichten wagt Elisabeth
Steinkellner eine Reise in die Gefühlswelt junger Menschen, die auch die Migrationsthematik mit einbezieht. Feinfühlig
thematisiert sie das emotional verworrene, tiefe Empfinden Jugendlicher und lässt dabei viel Spielraum für eigene
Imagination und Identifikation mit Erlebtem und Gefühltem. Die gesamte emotionale Spannbreite von Liebe, Wut,
Enttäuschung bis hin zur Trauer findet sich in diesem Werk und bietet den LeserInnen einen individuellen Rahmen für
eine Entdeckungsreise in die eigene Emotionswelt: "Und an der Abzweigung werden unsere Hände einander zuwinken,
bis morgen dann, vielleicht. Wer weiß, wie viele Leuchttage es noch gibt, bevor das Oktobergrau überhandnimmt. Und
zu Hause, dann im Vorraum, ein flüchtiger Blick in den Spiegel, der die roten Wangen bemerkt und den Pulli, der nicht
meiner ist." Titel wie "Erdbeerkiwikarussell", "Herzklopfen" oder "Frost" lassen erahnen, welch intensive Gefühle
angesprochen werden.
Steinkellner beschränkt sich auf nicht eindeutig identifizierbare Personen, die als Ich-Erzähler mit einem ‚Du’
kommunizieren oder ihre Emotionen in einem inneren Monolog darstellen. Feinfühlig geben die Gedichte empfundene
Stimmungen wieder oder lassen sie anklingen. Ohne eine durchgängige Erzählung und Rahmenhandlung steht das
Erlebte und Empfundene in jeder einzelnen Erzählung für sich. Kleine Begebenheiten, Veränderungen, der Wechsel der
Jahres- oder Tageszeiten und Begegnungen mit Menschen unterstreichen und intensivieren die entstehenden Emotionen
und werden von der Illustratorin Michaela Weiß feinfühlig umgesetzt. Die in Lavendeldruck und Radierungen
gestalteten Bilder können nicht durchgängig einem bestimmten Text zugeordnet werden, sondern spiegeln auch
Stimmungen, die in mehreren Texten zu finden sind, wider. Sie spüren Gefühlen nach und verstärken diese, bieten in
ihrer Schönheit die Möglichkeit, in sie einzutauchen und sie losgelöst vom Text zu betrachten. Sie entwickeln dann eine
ganz eigene Bildersprache. Das wiederkehrende Bild des Falters, der auch auf der Titelseite und im Titel des Buches zu
finden ist, begleitet die LeserIn auf der Reise durch die poetischen Texte.
Interessant erscheint das Buch nicht nur für Jugendliche, die sich mit ihren Gefühlen auseinandersetzen möchten,
sondern für alle, die eine Reise in die Gefühlswelt unternehmen möchte. Im Schulunterricht kann dieses Buch sowohl im
Deutsch- als auch im Ethik- oder Religionsunterricht eingesetzt werden und bietet Raum für Textanalysen und
Gespräche über Emotionen sowie über Erlebtes und Erfahrenes. Ebenfalls geeignet erscheint es für den Kunstunterricht.
Insgesamt betrachtet begibt sich Elisabeth Steinkellner mit dieser Sammlung von Gedichten und Kurzgeschichten in
jene Gefühlswelt, in der junge Menschen im Umbruch zwischen Kindheit und Erwachsensein ihren Platz suchen und
bietet dabei vielzählige Identifikationsmöglichkeiten.
Leseprobe
"Schmuggel
tagsüber
gehen wir durch fremde Straßen
reihen uns in Schlangen ein
warten auf Decken und Tee
auf eine Nummer
Auskünfte
Anweisungen
Bescheide
und auf Nachricht
von weit her
tagsüber
essen wir an Tischen
an denen wir fremd sind
schlucken mit dem
unbekannten Geschmack
auch unsere Worte hinunter
die Bilder in unseren Köpfen
und die Erinnerung
an das Gesehene
Gehörte
und auch an unser Leben davor
tagsüber
versuchen wir
das Lachen nicht zu verlernen
oder wieder neu zu erlernen
wie eine fremde Sprache
träumen weiter
atmen weiter
aber flacher
als zuvor
nachts
lege ich mich zu dir
du riechst nach Zimtmilch
und Rosinen
als hättest du das
was wir einmal Heimat war
einfach mitgeschmuggelt
über Wasser rund Land
über sämtliche Grenzen hinweg
auf deiner Haut
in deinem Haar
und fühle mich
endlich
zuhause"
Steinkellner, Elisabeth:
die Nacht der Falter und ich
mit Bildern von Michaela Weiss
Innsbruck: Tyrolia 2016
125 Seiten
€ 13,99
Jugendbuch ab 12 Jahren