können Sie sich das Ideenpapier zur HAM

MdL Steffen Vogel  Schlesingerstraße 10  97437 Haßfurt
Abgeordneter
Steffen Vogel
Mitglied des Ausschusses für
Arbeit und Soziales, Jugend,
Familie und Integration
Mitglied des Ausschusses für
Gesundheit und Pflege
Im Dezember 2016
Abgeordnetenbüro
Schlesingerstraße 10
D-97437 Haßfurt
Telefon: +49 9521 1536
Telefax: +49 9521 5209
Mail: [email protected]
Web: www.steffen-vogel.com
Ideen‐ und Diskussionspapier
zur Gründung einer bayerischen
„Hochschule für angewandte Medizin“(HAM)
mit dem Ziel der Sicherstellung einer ausreichenden
Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten mit
allgemeinmedizinischer Ausrichtung
für den ländlichen Raum
von Steffen Vogel, MdL
I.
Problemstellung
Die flächendeckende ärztliche Grundversorgung in Bayern ist
insbesondere im ländlichen Raum nicht dauerhaft gewährleistbar. Die
Situation wird durch die Altersstruktur der derzeit aktiven Hausärztinnen
und Hausärzte ebenso verschärft wie durch die prekäre
Nachwuchssituation von Fachärzten für Allgemeinmedizin. Lediglich
10% der examinierten Mediziner streben eine entsprechende
Facharztqualifikation an. Die bayerischen medizinischen Fakultäten
werden daher nicht in der Lage sein, eine adäquate Versorgung mit jungen
Ärztinnen und Ärzten sicherzustellen. Hieran wird wohl auch der
Masterplan „Medizinstudium 2020“ der Bundesregierung nichts
nachhaltig ändern können, solange nur ein Bruchteil der Absolventinnen
und Absolventen eine Tätigkeit als Hausärztin/ Hausarzt anstreben.
Neben der Gewinnung von ausländischen Ärztinnen und Ärzten bietet es
sich daher an, neue Ausbildungswege zu ergründen. Eine Möglichkeit
könnte die Gründung einer Hochschule für angewandte Medizin (HAM)
oder eine Allgemeinmedizinische Hochschule Bayern sein. Welche
Rahmenbedingungen hierfür u.a. zu berücksichtigen wären, soll im
Folgenden als Grundlage einer weiteren Diskussion kurz skizziert werden.
II.
Rahmenvorgaben für die ärztliche Ausbildung
1. Ärztliche Grundausbildung
Die Mindestdauer der ärztlichen Grundausbildung regelt die Richtlinie
2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen. Danach
muss ein medizinisches Studium an einer Universität oder unter Aufsicht
an einer Universität von mindestens sechs Jahren nachgewiesen werden.
Die Studienzeit muss mindestens 5500 Stunden Unterricht in Theorie und
Praxis umfassen.
Die ärztliche Grundausbildung muss gewährleisten, dass die betreffende
Person die folgenden Kenntnisse und Fähigkeiten erwirbt:
- angemessene Kenntnisse in den Wissenschaften, auf denen die
Medizin beruht, und ein gutes Verständnis für die wissenschaftlichen
Methoden, einschließlich der Grundsätze der Messung biologischer
Bayerischer Landtag
Seite 2 von 8
-
-
-
Funktionen,
der
Bewertung wissenschaftlich festgestellter
Sachverhalte sowie der Analyse von Daten;
angemessene Kenntnisse über die Struktur, die Funktionen und das
Verhalten gesunder und kranker Menschen sowie über die Einflüsse
der physischen und sozialen Umwelt auf die Gesundheit des
Menschen;
angemessene Kenntnisse hinsichtlich der klinischen Sachgebiete und
Praktiken, die ihr ein zusammenhängendes Bild von den geistigen und
körperlichen Krankheiten, von der Medizin unter den Aspekten der
Vorbeugung, der Diagnostik und der Therapeutik sowie von der
menschlichen Fortpflanzung vermitteln;
angemessene klinische Erfahrung unter entsprechender Leitung in
Krankenhäusern.
§ 3 Abs. 1 Nr. 4 BÄO sieht ein Studium der Medizin in sechs Jahren mit
5500 Stunden an einer wissenschaftlichen Hochschule vor. Die vom
BMG erlassene deutsche ärztliche Approbationsordnung nimmt u.a.
Bezug auf die EU-Rechtssetzung und konkretisiert diese in Bezug auf die
medizinische Ausbildung dahingehend, dass mit dem Antrag auf
Zulassung zur Ärzteschaft der Nachweis eines sechsjährigen
Universitätsstudiums oder einer gleichwertigen Hochschule (Universität)
geführt werden muss. Dies scheint über die Richtlinie hinauszugehen, da
offensichtlich das Studium unter Aufsicht einer Universität nicht
ausreichen soll. Das letzte Jahr des Studiums umfasst eine
zusammenhängende praktische Ausbildung (Praktisches Jahr) von 48
Wochen. Im Übrigen werden in der ÄApprO 2002 inhaltliche Vorgaben
gemacht. Die Durchführung des praktischen Jahres an einer Einrichtung
außerhalb einer Universität ist möglich.
2. Voraussetzungen für eine allgemeinärztliche Tätigkeit
Mit dem Bestehen des Studiums nach dem Praktischen Jahr ist eine
Zulassung als Ärztin bzw. Arzt (Approbation) nach der BÄO und die
Führung der entsprechenden Bezeichnung möglich. Damit verbunden
wäre die Berufsausübung mit einer privatärztlichen Abrechnung. Die
Zuteilung eines kassenärztlichen Sitzes und die Abrechnung mit den
Krankenkassen nach SGB V setzt darüber hinaus voraus, dass die Ärztin
oder der Arzt eine fachliche Weiterbildung für Allgemeinmedizin
erfolgreich absolviert.
Bayerischer Landtag
Seite 3 von 8
Die besondere Ausbildung in der Allgemeinmedizin setzt nach Art. 28 RL
2005/36/EG eine mindestens dreijährige Zusatzausbildung voraus. Der
entsprechende Zusatznachweis ist in der BRD nach 5.1.4 zum Anhang
der Richtlinie ein Zeugnis über die spezifische Ausbildung in der
Allgemeinmedizin, mithin die Berechtigung zum Führen der
Berufsbezeichnung Facharzt/Fachärztin für Allgemeinmedizin. Die
Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns vom 24. April 2004 geht für
den Fachbereich darüber zeitlich hinaus und fordert eine fünfjährige
Weiterbildungszeit unter Nennung der einzelnen Ausbildungsinhalte.
Die Bezeichnung als „praktischer Arzt“ oder „Praktische Arzt und
Geburtshelfer“ wird seit 1992 nicht mehr vergeben.
Der Auftrag der Allgemeinmediziner geht weit über die reine
medizinische Versorgung hinaus und umfasst Koordinations(Verweisungs-), Beratungs- und Dokumentationsaufgaben. Zudem hat der
„Hausarzt“ unstreitig eine besondere familiär-soziologische und
psychologische Funktion.
III.
Ausbildung an einer Fachhochschule?
Fraglich ist, ob ein Studium der Allgemeinmedizin an einer
Fachhochschule (Hochschule für angewandte Wissenschaften) in
Erwägung gezogen werden kann. Hierbei ist folgendes zu berücksichtigen:
1. Medizin an Hochschulen für angewandte Wissenschaften
Generell ist nach den Reformen der Hochschulgesetze der letzten Jahre
kein Fach für eine Fachhochschule ein Tabufach. Die Fachhochschulen,
die sich heute nur in einer Minderheit in Deutschland als solche offiziell
betiteln, haben das praktische Studium in vielen Fächergruppen der
Wirtschafts-, Ingenieur-, Gesellschafts- und Rechtswissenschaften
übernommen. Eine Wertung ist hiermit nicht verbunden. Mit der
allgemeinen Bezeichnung als Hochschule wird deutlich, dass beide
wissenschaftliche Einrichtungen Aufgaben in Forschung und Lehre
wahrnehmen, vgl. Art. 2 Abs. 2 BayHSchG. Während die Universitäten
eine vornehmlich wissenschaftsbezogene Lehraufgabenstellung haben,
Bayerischer Landtag
Seite 4 von 8
steht bei den Fachhochschulen die Anwendung von wissenschaftlichen
Erkenntnissen und deren praktische Weiterentwicklung im Vordergrund.
Eine angewandte Hochschule für Allgemeinmedizin könnte in
besonderem Maße vom ersten Semester an auf den Erwerb von
praktischen Kompetenzen für die Grundversorgung von Patienten
ausgerichtet sein.
Der Workload für ein Studium mit allgemeinmedizinischer Ausrichtung
wäre auch durch eine HAM darstellbar. Zwar fordern die
Ländergemeinsamen Strukturvorgaben für die Akkreditierung von Bachelor- und
Masterstudiengängen (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom
10.10.2003 i.d.F. vom 04.02.2010) eine Maximalstudienzeit von fünf
Studienjahren bis zur Erlangung des Mastergrads (in der Regel 300 ECTS,
was einem einem Workload von 9000 Stunden entspricht); jedoch wurden
bereits hier Ausnahmen für medizinische und rechtswissenschaftliche
Studiengänge vorbehalten, Ausnahmen sind ohnehin vorgesehen (S. 2 der
Vorgabe). Die europarechtliche Mindestvorgabe von 5500 Stunden wäre
damit nicht nur umsetzbar; vielmehr spricht vieles dafür, Elemente der
allgemeinmedizinischen Ausbildung vertieft bereit in die Studienjahre
einzubauen und damit die gesamte Ausbildungszeit merklich zu
verkürzen.
Welcher Abschluss letztendlich erworben kann, wäre festzulegen.
Vorgesehen ist derzeit ein M.Sc. (S. 7 der KMK-Vorgabe), diskutiert
wurde aber auch bereits ein M.Med. Möglicherweise wäre hier ein
Ansatzpunkt für die Differenzierung zwischen Universitäts- und
Fachhochschulstudium.
2. Unterscheidung FH – Universität für das medizinische Studium
Die Fachhochschulen unterscheiden sich von den Universitäten durch das
wissenschaftliche Profil. Von der Bezeichnung als wissenschaftliche und
nicht wissenschaftliche Hochschule wird seit langem abgesehen, da jedes
Hochschulstudium ein wissenschaftliches Studium ist. Auch das
Fachhochschulstudium würde daher die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1
Nr. 4 BÄO („Studium der Medizin an einer wissenschaftlichen Hochschule“) für
die Approbation als Ärztin oder Arzt erfüllen. Ein Universitätsstudium
wird hier – im Gegensatz zur ÄApprO – gerade nicht vorausgesetzt.
Bayerischer Landtag
Seite 5 von 8
Art. 1 BayHSchG differenziert lediglich nach staatlichen und
nichtstaatlichen Hochschulen. Die Fachhochschulen können sich
„Hochschulen für angewandte Wissenschaften“ nennen oder eine
sonstige besonders profilbildende Bezeichnung führen. Beispielhaft wird
hier eine Technische Hochschule genannt. Nachdem es sich bei einer
medizinischen Hochschule um eine Einrichtung mit einem besonderen
wissenschaftlichen Profil handelt, würde die Namensgebung als
Hochschule für angewandte Medizin bereits jetzt geltendem Landesrecht
entsprechen.
Nachdem hier nur die allgemeinärztliche Tätigkeit betrachtet wird, kommt
der praktischen Komponente des Studiums eine besondere Bedeutung zu.
Dies steht im Einklang mit der Betonung der angewandten Lehre und
Forschung an den Fachhochschulen.
Keine abschließende Aussage kann darüber getroffen werden, in wieweit
die bisherigen fachärztlichen Voraussetzungen für Hausärzte an eine
derartige praktische Ausbildung angepasst werden könnten. Denkbar wäre
z.B. die zeitliche Mindestvorgabe der EU von drei Jahren zu nehmen und
entsprechende Zeiten, die als zusätzlicher Workload in die
Grundausbildung mit eingebunden werden könnten, im Rahmen des
Möglichen anzurechnen. Hier werden die ärztlichen selbstverwaltenden
Interessenvertretungen ein Mitspracherecht haben.
3. Aufsicht einer Universität und Promotionsrecht
Die KMK geht von einer Gleichwertigkeit der Abschlüsse aus:
„Masterabschlüsse verleihen dieselben Berechtigungen wie Diplom- und
Magisterabschlüsse an Universitäten und gleichgestellten Hochschulen.“ (S. 8 der
KMK-Vorgabe).
Soweit Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2005/36/EG für ein ordnungsgemäßes
Medizinstudium die Aufsicht einer Universität fordert, könnte dies einer
Durchführung der Ausbildung an einer Fachhochhochschule ebenso
nicht entgegengehalten werden. In der Differenzierung zwischen
„Universitäten“ und „Aufsicht einer Universität“ wird gerade deutlich,
dass es verschiedene Wege zur Erlangung des Arztberufs geben muss. Die
Aufsicht der Universität könnte durch eine entsprechende Gestaltung der
Grundordnung und die institutionelle Einbindung von Universitäten
gewährleistet werden. Hier sind viele Möglichkeiten denkbar. In jedem
Bayerischer Landtag
Seite 6 von 8
Fall wäre aber eine Änderung der Approbationsordnung durch das BMG
mit einer Rückführung der Voraussetzungen auf den Umfang der EURL/ BÄO vonnöten.
Das Promotionsrecht selbst kann dem nicht entgegenstehen. Mittlerweile
ist mit Hessen ein erstes Bundesland den Schritt in Richtung „eigenes
Promotionsrecht an Fachhochschulen“, wenn auch unter sehr engen
Voraussetzungen, gegangen. Soweit dies in Bayern nicht opportun sein
sollte, könnte der Weg für die Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner
über kooperative Vorhaben oder über die Einrichtung von
Forschungskollegien gehen. Im Übrigen sei angemerkt, dass die
Promotion keine Bedingung für die Erteilung der Approbation ist.
4. Erweiterung des Fächerkanons im medizinischen Bereich
Eine HAM wäre perspektivisch offen, weitere gesundheitsbezogene
Studienangebote zu integrieren. Eine Reihe von Fächern der
Gesundheitswissenschaften
sind
klassischerweise
an
den
Fachhochschulen zu verorten. Hierzu gehört z.B. das Studium der
Logopädie, der Physiotherapie oder (neu) eine anwendungsbezogene
Psychologieausbildung.
IV.
Struktur und Entwicklung der HAM
Strukturell kann zum derzeitigen Zeitpunkt dahingestellt werden, ob eine
HAM eine eigenständige Fachhochschule sein sollte oder an den
Fachbereich bereits existierender Hochschulen angegliedert werden kann.
Gerade im Bereich der Pflege- und Gesundheitswissenschaften sind hier
bereits erhebliche Kompetenzcluster vorhanden. Ein Wettbewerb um die
besten Konzepte könnte z.B. der Ausgangspunkt für die Etablierung in
einer Gesundheitsregion sein.
Bedeutsam für die praktische Ausbildung von Allgemeinmedizinerinnen
und –medizinern wird sein, geeignete Praxispartner zu finden. Bereits jetzt
gibt es mit Lehrkrankenhäusern der Universitäten leistungsfähige
Strukturen bis hin zu Krankenhäusern der Maximalversorgung, die ein
praktisches Studium von Beginn an begleiten könnten. Die Integration
von Praxiselementen ist die ureigenste Stärke und Kompetenz der
Fachhochschulen. Denkbar wäre auch die Einbindung privater
Bayerischer Landtag
Seite 7 von 8
Gesundheitsinstitutionen. Nach Art. 25 Abs. 2 RL 2005/36/EG können
auch sonstige zugelassene Einrichtung der ärztlichen Versorgung die
fachärztliche Ausbildung abdecken.
Sofern eine wissenschaftlich-angewandte Ausbildung nicht opportun sein
sollte,
bliebe
die
Alternative
einer
Gründung
einer
Allgemeinmedizinischen Hochschule Bayern. Die o.a. Grundsätze eines
praktischen Ärztestudiums blieben dabei unberührt. In diesem
Zusammenhang seien die erfolgreichen Bemühungen des Landes
Brandenburg mit der Medizinischen Hochschule Brandenburg genannt,
die jüngst auf den regionalen Ärztemangel reagiert und besondere
Anreizmodelle für die Tätigkeit und Niederlassung im Bundesland
entwickelt hat.
Der Ärzteentwicklung in Bayern sollte im Interesse der Bevölkerung der
umfangreiche Vorrang gegenüber einem systematischen „Ärzteimport“
aus dem Ausland eingeräumt werden. Angesichts der nicht ausreichenden
Bemühungen der bayerischen Medizinfakultäten sollten neue Wege in der
praktischen Ärzteausbildung beschritten werden.
Steffen Vogel, MdL
Bayerischer Landtag
Seite 8 von 8