Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Freistil Ernstfall Satire Satiremagazine im Crashtest: „Pardon“,“Titanic“, Eulenspiegel Feature von Rainer Link Produktion: MDR 2016 Redaktion im DLF: Klaus Pilger Sendung: Sonntag, 29.01.2017 , 20:05-21:00 Uhr Regie: Stefan Kanis Sprecher: Sprecherin: Chris Pichler Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar - 1 Archiv O-Ton Einspielung: von Titanic Mailbox, Track 4: Wissen Sie was, Sie sind ein ganz großer Nestbeschmutzer !!! Sie können bloß froh sein, dass ich weiter weg wohne, sonst könnten Sie was erleben. Es ist eine bodenlose Frechheit, wie Sie sich benehmen. Sie diffamieren unser Land. Wir diffamerieren, wen wir wollen! 1.O-Ton Sonneborn: Ich erinnere mich gerne an die WM Bestechung, weil die Bildzeitung eigentlich erst einen ganz großen Skandal daraus gemacht hat in Deutschland. Archiv O-Ton Einspielung: von Titanic Mailbox Sie gehören gar nicht nach Deutschland, sie sollten auswandern. Wohin? Das möchte ich Ihnen lieber nicht sagen. Sie beschmutzen das Nest. . Auf Wiedersehen! 2. O-Ton Sonneborn: Am Anfang hat niemand verstanden, was unser Fax da eigentlich bewirkt hat. Alle rätselten und der DFB regte sich furchtbar auf, Franz Beckenbauer und Anwälte kamen ins Spiel. Wir hatten das ja damals getan, um die FIFA und die Vergabe der Fußball Weltmeisterschaften mit dem Ruch der Korruption in Verbindung zu bringen. Weil Leute bei Olympia immer schon ahnen, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht, aber die FIFA hat immer einen guten Ruf und Weltmeisterschaften dachten viele im Land, werden einfach so vergeben, dass man da nicht korrupt werden muss. Archiv O-Ton, 4. Einspielung von Titanic Mailbox, bei 2:08 Anrufer: Guten Tag, ich wollte Ihnen sagen, dass ihre Reporter Schmierfinken sind und ihre Satirezeitung eine Schande für Deutschland ist. Ansage: Ernstfall Satire Satiremagazine im Crash-Test: „Pardon“, „Titanic“, „Eulenspiegel“ Feature von Rainer Link 2 Sprecherin: 1954, als die Welt noch eine Scheibe war, ging im Osten des zweigeteilten Deutschlands eine Zeitschrift für Humorfragen an den Start: Eulenspiegel hieß sie. Hervorgegangen aus dem Satireblatt „Frischer Wind“, das gleich nach dem 2. Weltkrieg unter sowjetischer Presselizenz erschien war. Der Eulenspiegel war ein Wunschkind, das sich im Verlauf von Pubertät und Adoleszenz allerdings nicht immer so entwickelte, wie es seine Väter und Mütter gern gesehen hätten. Aufmüpfigkeit hieß das Laster, das Redakteure und Karikaturisten teilten. 3. O-Ton Harald Kretzschmar: Man hatte ja schlimme Jahre hinter sich, viele kamen ja gerade erst aus der Gefangenschaft von den Älteren. Und wir Jüngeren hatten also ideale Startpositionen dadurch dass ja bestimmte Jahrgänge auch nicht mehr da waren. Dann kam 56 ja der 20. Parteitag der KPDSU, wo Chruschtschow mit Stalin aufräumte, dachten wir – so sah es ja auch aus – und da hatten wir natürlich unheimliche Illusionen, was wir mit der Satire anschließend alles fabrizieren könnten. Sprecherin: Harald Kretzschmar, Jahrgang 1931 schwang von Anfang an den Zeichenstift für das Vierfarb-Magazin. Zwei Jahre später fand Renate Holland-Moritz mit nur 21 Lebensjahren in die Eulenspiegel-Autorenriege. Für sie sprach eine einzige Kurzgeschichte, die sie an den Literaturredakteur Hans Georg Stengel geschickt hatte; ein Text, der auf Anhieb gefiel und deshalb gleich ins Heft gehoben wurde. 4. O-Ton Holland-Moritz: ...und ich könne – das war so eine typische Stengelsche Formulierung – so ich in angemessenen Grenzen hübsch sei, gelegentlich bei ihm vorsprechen. Und dann hab ich mir ein neues Kleid gekauft, musste ich mir Geld pumpen von meiner allerliebsten, ältesten Freundin Berta Waterstrat, und bin dann noch zum Friseur gegangen. Und bin dann da zitternd aufgeschlagen, und dann hat er gesagt: Ja, wenn Sie wollen, das ist eine harte Schule hier, aber, wenn Sie die durchstehen, dann könnte das was mit uns werden. Und dann hat er mir die entscheidende Frage gestellt: Können Sie dichten? .Da hab ich gesagt, es ist mir völlig peinlich, aber entweder es reimt sich, oder es hat einen Sinn, beides zusammen schaffe ich nicht. Und da hat er gesagt, dann können Sie bleiben. Dichten kann hier jeder Idiot. 3 Sprecherin: Es wurde die angekündigte Stengelsche „harte Schule“, der Texte mit der Bemerkung: „Blamieren Sie sich damit lieber in einer anderen Redaktion“ ablehnte. Renate HollandMoritz orientierte sich an den Klassikern, an Polgar, Kraus, Tucholsky. Und von Kurt Tucholsky stammt auch der millionenfach zitierte Satz: „Satire darf alles“. Versteht man diesen Satz als Appell an die Mächtigen, die Satire gewähren zu lassen, erhält die Aussage Sinn und Berechtigung. Als Zustandsbeschreibung – bezogen auf welche Epoche auch immer - hat „Satire darf alles“ noch nie getaugt, nicht vor 150 Jahren und auch nicht heute. Immer da, wo die Satire über den volkstümlichen Humor hinauswuchs, gesellschaftliche Verhältnisse anprangerte, den Regenten und ihrer Nomenklatura auf den Pelz rückte, stand die Strafandrohung im Raum. Die Geschichte der frühen deutschen Satirezeitungen war auch immer eine Erzählung über Zensur, Verfolgung und Strafe. Und warum sollte es bei der Zeitschrift Eulenspiegel anders sein? 5. O-Ton Renate Holland-Moritz: Und wir hatten Vorgespräche fürs Silvesterheft 57/58. Und da hatte einer den Vorschlag gemacht, wie wäre es denn, wenn wir auf der Mittelseite alle Regierungsmitglieder per Karikatur – und da haben wir alle gesagt, dass könnt ihr aber schön vergessen, das ist doch überhaupt nicht vorstellbar. Der Heinz Schmidt hatte sich dazu nicht weiter geäußert, kam aber am nächsten Tag und sagte, er habe gestern beim Kaffeetrinken den Ulbricht getroffen, habe ihm das erzählt und da hat der Ulbricht gesagt, wenn die einzelnen Mitglieder des Ministerrats nicht zu menschenverachtenden Fratzen verzerrt werden, wäre dagegen nichts einzuwenden 6. O-Ton Harald Kretzschmar: Ulbricht ist eine besondere Nummer, weil der ließ sich besonders gut karikieren ließ. Es ist so wunderbar, was sich so in einem Gesicht abspielt, dann hab ich versucht das darzustellen und dann hab ich gemerkt, wenn die Leute das angeguckt haben, ham sie gesagt Mensch ja, tatsächlich. 7. O-Ton Holland-Moritz Als es dann soweit war, ist er verpflichtet gewesen zu den jeweils Konterfeiten hinzugehen, die mussten das abnicken Und dann ist der Harald Kretzschmar zum Büro Ulbricht gegangen, um denen die Karikatur zu zeigen. Die war als Skizze schon keine Karikatur. Der Ulbricht sah ja nun wirklich nicht so aus, als das man es noch hätte sehr 4 verschlimmern können. Also, er sah sehr freundlich aus auf der Skizze. Sprecherin: Kretzschmar scheitert aber bereits an Ulbrichts Vorzimmer-Zerberus Otto Gotsche, der erbost ausrief: 8. O-Ton Holland-Moritz: Das ist ja eine Ungeheuerlichkeit. Dieses Monstrum soll mein Chef sein? Der Genosse Ulbricht sein? Also, das kommt überhaupt nicht infrage. Und der Kretschmar ist noch zwei Mal da gewesen, jeweils mit einer verbesserten Ausfertigung. So dass der Ulbricht mittlerweile schon aussah wie ein Dressman und von Karikatur keine Rede mehr sein konnte. Sprecherin: Dennoch befand Gotsche, dass es immer schlimmer würde und der große Meister damit nicht behelligt werden dürfe: 9. O-Ton Holland-Moritz: Und dann hat der Heinz Schmidt zwei Tage vor Redaktionsschluss angerufen und gesagt: Ich schick euch jetzt den Harald Kretschmar noch ein letztes Mal, wenn dann der Chef nicht sein „Ok“ gegeben hat, dann erscheint diese Doppelseite ohne Ulbricht. Und da hat Otto Gotsche gesagt: das traut ihr euch nicht! Und da hat Heinz Schmidt gesagt: wetten das! Das Heft ist erschienen mit allen gekrönten Häuptern und ohne Ulbricht. Und natürlich hat sich die Westpresse sofort drauf gestürzt. Das war ja auch ihre verdammte politische Pflicht. 10. O-Ton Harald Kretzschmar: Jedenfalls sind wir da in eine Situation rein geraten, die hochgradig zugespitzt war. Und nun hat aber mein Chefredakteur, das war der beste, den wir jemals hatten - Heinz Schmidt, war der Inbegriff eines tollkühnen Satirikers … Und der hat sich dann öffentlich in einer anderen Zeitschrift darüber mokiert. … 11. O-Ton Holland-Moritz: Die „Freie Welt“ machte auch eine Mittelseite, aber diesmal mit prominenten 5 Zeitgenossen. Einer der prominenten Zeitgenossen war der Chefredakteur des Eulenspiegel Heinz H.Schmidt. Der ließ sich fotografieren hinter seinem Schreibtisch und nahm für das Foto irgendetwas in die Hand und das war diese Ulbricht Skizze und da hat der Heinz Schmidt gesagt: „Einmal im Jahr, immer am Jahresende, räume ich meinen Schreibtisch auf und dabei bemerke ich, wie viele Dinge sich im Lauf eines Jahres von allein erledigen.“ 12. O-Ton Harald Kretzschmar: Und dabei hatte er aber die inkriminierte Ulbricht Karikatur in der Hand und wurde damit fotografiert und das war selbst in dem miesen Zeitungsdruck war die Ulbricht Karikatur von mir noch deutlich erkennbar. Sprecherin: Verantwortlich für diese Ausgabe war der bereits von der „Wochenpost“ strafversetzte Rudi Wetzel, der gemeinsam mit seinem Kollegen das Foto akribisch vor dem Druck prüfte: 13. O-Ton Holland-Moritz: Guck mal da drauf, siehst Du auch was ich sehe, beide mit Lupen, guck da mal genau hin. Der Hans Frosch guck hin und fing an zu lachen: Hast du wirklich geglaubt, die hätten beim Eulenspiegel Walter Ulbricht? Das ist Bischoff Dibelius! 14. O-Ton Harald Kretzschmar: Und das war zu viel, das war zu starker Tobak. Heinz Schmidt wurde dann ausgewechselt gegen einen anderen. Das sind die komischen Fünfzigerjahre, wo ich immer sage, das ist voller Widersprüche gewesen. Sprecherin: Für „Majestätsbeleidigung“ und „Groben Unfug“ bot das Strafrecht schon im ausgehenden 19. Jahrhundert Möglichkeiten, eine kritische Satire zu sanktionieren. Erstaunlich: der Medienhistorie sind nur drei Fälle bekannt, in denen Satiriker tatsächlich ins Kittchen wanderten: beim "Kladderadatsch", dem "Simplicissimus" und dem "Süddeutschen Postillon". Für Heinz Schmidt vom „Eulenspiegel“ war eine glimpfliche Strafe vorgesehen, er tauschte seinen Posten mit Peter Nelken und wechselte zum“ Nationalrat der Nationalen Front“. 6 Gedicht von Titanic- Autor Max Goldt Im Omnibus von Vilnius traf ich einst ein Rüsschen, dem griff ich an die Nüsschen, er stöhnte wie ein Tiger, das hörte man bis Riga Sprecherin: 1962, als die Welt immer noch eine Scheibe war, gründete sich auch im Westen des zweigeteilten Deutschlands eine Zeitschrift zur Pflege der satirischen Kunst. Hans A. Nikel, ein junger Verlagsgründer ohne Geld, ohne Beziehungen, ohne Autoren, aber von einem atemberaubenden Tatendrang besessen, wollte die junge Bundesrepublik durch satirischliterarische Texte aufrütteln. Er hatte sich bereits einen Namen ausgedacht. Pardon sollte auf dem Titelblatt prangen. Dazu ein Teufel, der seinen Hut lupft. Für den Leitartikel hatte sich Hans A. Nikel einen berühmten Schriftsteller ausgeguckt, der aber von seinem Glück noch gar nichts wusste: Erich Kästner. 15. O-Ton Nikel: Und da hab ich erfahren, ja, der lebt in München, der sitzt da auch immer im Cafe soundso in der und der Straße. Da bin ich nach München gefahren und hab diese ganze Straße abgesucht in jedem Cafe. Und da bin ich zu ihm an den Tisch, hab mich vorgestellt, und er war so was von mürrisch. Und da hab ich gesagt, zu mir müssen sie aber gar nicht so unfreundlich sein. Sprecherin: Denn Nikel hatte eine tolle Geschichte anzubieten. Er hätte als junger Pimpf im Auftrage der örtlichen Nazi Organisation gegen Leute wie Kästner eigentlich vorgehen müssen. 16. O-Ton Nikel: Einmal im Monat mussten wir von Haus zu Haus ziehen und herauskriegen, ob dort Leute leben, die Bücher von Antifaschisten haben. Und die sind dann weggenommen worden und verbrannt worden. Und so kam ich bei einem Besuch an ein Buch von Erich Kästner. 7 Sprecherin: „Emil und die Detektive“ landete nicht in den Flammen der Bücherverbrennung. 17. O-Ton Nikel: Wenn sie wüssten, was ich im Krieg für sie getan hab? Ich hab das Buch von ihnen geklaut, gelesen und war so beglückt, dass ich gesagt habe, nach dem Krieg musst Du den Kerl mal kennen lernen. Sprecherin: Kästner war ob dieser Geschichte gerührt und schrieb prompt das Editorial der ersten Pardon-Ausgabe. Damit hatte Nikel einen ersten Prominenten, mit dem es ihm künftig leichter fiel, andere Autoren zu locken. Etwa Martin Walser oder Günther Wallraff, Hans Magnus Enzensberger, Loriot, Ephraim Kishon und Hans-Dieter Hüsch. (Robert Gernhardt Vers aus WIMS/Pardon) Seid gut zu den Armen, wenn ihr die nicht hättet, würden euch die Rucksäcke dauernd runter fallen. Sprecherin: Die erste Pardon - Ausgabe enthielt einen harmlosen Cartoon, der nackte Menschen sekttrinkend und feiernd in einem Vorortzug zeigte. Der "Volkswartbund", eine Vereinigung katholischer hardcore - Sittenwächter, beantragte, das Heft verbieten zu lassen. Erfolgslos. Aber der Werbeeffekt für das neue Magazin war in Mark und Pfennig kaum zu überschätzen. Auch fortan war die Justiz der zuverlässigste und effektivste Werbeträger der jungen Satirezeitung. Achtzehn mal wurde Pardon allein von Franz-Josef Strauß, dem CSU-Vorsitzenden und zeitweiligem Verteidigungsminister verklagt. Und jedes Mal obsiegte die Satirefreiheit. Hans A. Nikel und seine kleine Redaktion verstanden sich als Pazifisten und konsequente Gegner der Wiederaufrüstung der Bundesrepublik. 18. O-Ton Nikel: … der Adenauer, der hat gesagt: Wir brauchen neues Militär und dazu nehmen wir uns als erfahrene Leute die alten Generäle. Und der Adenauer hat die alten Nazigeneräle, die 8 hat er zu den Oberbefehlshabern der neuen Bundeswehr gemacht. Und da hab ich gedacht, das kann doch nicht wahr sein, dass die Leute, die die größten Kriegsverbrechen mit unterstützt oder unterschrieben oder vielleicht selbst vollbracht haben, dass die jetzt die neuen Leute für eine demokratische Bundeswehr sein sollen. Das kann doch nicht wahr sein. Sprecherin: Hans A. Nikels Pardon und seine Autoren schossen in Wort und Ton gegen sämtliche Repräsentanten des Staates – auch und gern gegen Heinrich Lübke, den ein wenig glücklos agierenden Bundespräsidenten. Ihm widmeten sie eine Spott-Schallplatte, die Lübkes beste Patzer präsentierte. Archiv O-Ton (Einspiel aus Heinrich Lübke – Platte) „Wir hier zu Besuch in... / … Drehung der Erde“ Sprecherin: Beim Eulenspiegel übte man sich zu dieser Zeit, wenn auch etwas verhalten, in Demokratie: 19. O-Ton Harald Kretzschmar Am Anfang, als ich hinkam, war die Demokratie noch so weit entwickelt in dieser Redaktion, dass sämtliche Mitarbeiter montags um den Tisch rum saßen und dann gingen die Ideenskizzen erst mal rum für Zeichnungen. Und dann gab es ein Kreuze-System. Da haben wir Kreuze dran gemacht, welche wir gut fanden und die anderen kriegten kein Kreuzchen. Und dann konnte es passieren, dass fünfzehn Kreuzchen auf einer Zeichnung waren, die der Chefredakteur nicht drucken wollte. (lacht) Und nun haben wir schadenfroh geguckt, was macht er denn nun? Und welchen Trick hat er denn nun jetzt? … . Wir waren auf Du und Du, das war ja kein Fremdling für uns, … und er hat es uns dann auch mit Augenzwinkern beibringen müssen. Und dann haben wir uns halt den Umweg überlegt, wie wir drum rum kommen. 20. O-Ton Holland-Moritz: Und diese ewige Angst, es könnte die DDR zusammenbrechen, wenn mal irgend eine Kuriosität nur benannt würde. Lächerlich. Er hat wirklich bei manchen Formulierungen gesagt, das kostet mich hier diesen Stuhl. Willst Du das ? Wer weiß, was Du dann kriegst. 9 Und das wollte ich natürlich nie und dann habe ich ihm Angebote gemacht und wenn ihn das auch nicht überzeugt hat, hat er mir Angebote gemacht und wir haben uns immer wieder einigen können. Sprecherin: Von den jeweiligen Chefredakteuren, die quasi das Scharnier zum Regime bildeten, wurde erwartet, dass sie sich als Dompteure einer aufmüpfigen Redaktion durchzusetzen hatten. 21. O-Ton Barbara Henniger: … Der hatte mal eine Aussage gemacht bei einer Redaktionssitzung … und da hatte ich drei Ideen gemacht und der guckt sie sich an und er sagt: die ist gut, die ist besser, die ist zu gut,ne. Sprecherin: Barbara Henniger kam als Autodidaktin zum Eulenspiegel: 22. O-Ton Barbara Henniger: Es hieß ja immer, die DDR Karikatur ist belanglos, weil sie ja nicht scharf sein kann. Und in einer Diktatur kann man keine Satire machen, was natürlich ein ganz großer Irrglaube ist. Gerade diktatorische Systeme schreien nach Satire, man muss bloß den Weg finden, die zu Papier zu bringen. Das war eben die Kunst. Sprecherin: Offizielle Aufgaben des Eulenspiegel: Schleudern des Fehdehandschuhs gegen den Imperialismus im Ausland und Bekämpfung des Schlendrians in heimischer Produktion und in der Versorgung der Bevölkerung mit Waren und Dienstleistung. „Bei Schwarzenbach klingelts. Der Klempner steht vor der Tür. „Oh!“ ruft Herr Schwarzenbach erfreut, „ich sehe, Sie haben schon das Werkzeug mit!“ „Tatsächlich!“ wundert sich der Klempner, „wie zerstreut ich doch in letzter Zeit bin!“ 23 . O-Ton (der Autor spricht ein Zitat von Robert Gernhardt) Lieber Gott, nimm es hin, dass ich was Besondres bin und gib ruhig einmal zu, dass ich klüger bin als Du. Preise künftig meinen Namen, 10 denn sonst setzt es etwas, Amen. Sprecherin: Auch bei Pardon sah man zu dieser Zeit einen politischen Auftrag. Beliebt war die Zeitschrift, weil sie nicht nur komische Geschichten zu Papier brachte, sondern ihre Schreiber auch eine deutliche, systemoppositionelle Ambition besaßen. Kampf dem Establishment! Noch vor den 68er-Studenten gingen die Pardonisten als eine Art Spaßguerilla auf die Straße. Aktionskunst mit politischem Anspruch. Drei Hauptfeinde galt es mit den Waffen der Satire zu treffen, das Militär, die Katholische Kirche …. und ….? 24. O-Ton Nikel: BILD gehörte natürlich dazu, denn BILD ist ja eine scheußliche Geschichte gewesen. Wir haben mal ein Exemplar von BILD untersucht, ob die Dinge, die da geschildert wurden, von Leuten, die angeblich das und das erlebt haben und so und so mies dargestellt wurden, ob das überhaupt stimmt. Einen ganzen Monat lang haben wir in der Redaktion jede einzelne dieser BILD-Nachrichten nachgeprüft. Da steht ja dann immer, wie der heißt und wo der wohnt und da sind unsere Redakteure hingefahren und haben gefragt, wie das war? Neee, das war ganz anders, das hat BILD einfach so gebracht und hat uns gar nicht gefragt usw. Sprecherin: Es entstand eine gefakte BILD-Sonderausgabe unter der Titelschlagzeile Pardons großer Freizeit-Knüller: Finden Sie doch mal eine wahre Geschichte in der Bild! 25. O-Ton Nikel: Und deshalb haben wir beschlossen, dass wir uns alle in BILD- Zeitungs - Uniformen zwängen... Da ham wir uns genauso eingekleidet wie die BILD Zeitungsverkäufer und sind mit drei Autos nach Berlin gedüst. Und sind da aufgetaucht vor dem Hauptquartier von Springer. Und die Leute, die uns da reinlassen sollten, die waren so verwirrt, dass sie dachten, das sind Springers Verkaufsleute und die wollen vielleicht der Obersten Heeresleitung Bericht erstatten. Und da sind wir alle durch die ganzen Gänge bis rauf ins Vorzimmer der Chefredaktion gefahren und haben dort alles ausgelegt … ganz toll. 11 Sprecherin: Eine andere Anti-BILD Aktion der Pardonistischen Befreiungsfront ereignete sich an der italienischen Adria Küste. Als BILD-Zeitungsverkäufer getarnte Pardon Redakteure, verteilten an deutsche Touristen eine Sonderausgabe mit der fetten Überschrift: „Die Mauer ist weg!!!“. Es kam zu einer spontanen Rückreisewelle. Beschimpfung von Titanic- Anrufbeantworter Sprecherin: Die Mauer stand jedoch felsenfest – wie die gefoppten Italien-Rückkehrer feststellen mussten. Die SED regierte weiterhin uneingeschränkt, wenn auch 1971 die oberste Staatsmacht von Lotte Ulbricht auf Margot Honecker übergegangen war. 26. O-Ton Holland-Moritz: Ja, und wir hatten alle Hoffnungen gesetzt auf den Honecker, schon weil er nicht so grässlich gesächselt hat, der hat ja gar nicht gesächselt, aber er hörte sich auch nicht besser an, ja und er wirkte sympathischer. Und er machte ja auch zunächst ein paar Sachen, die sympathisch waren, es wurden plötzlich ein paar Bücher, die vorher auf Eis gelegen hatten, die konnten plötzlich gedruckt werden. … Und dann peu a peu zeigte sich, wes Geistes Kind er war, dass er einfach seinem Posten nicht gewachsen war. 27. O-Ton Barbara Henniger: Wenn Sie in einem System leben, wo alles reglementiert und kontrolliert ist, dann macht es einem kritischen oder munteren oder aufmüpfigen Geist Freude, die Lücke zu finden. Und denen ein Schnippchen zu schlagen und das durchzubringen. Wenn es mir irgendwie gelungen war, eine kritische Idee so zu verstecken in der Zeichnung, dass sie also als Humorzeichnung durchging, war das doch ein Erfolg. Die Leser haben genau gewusst, was gemeint war. Sprecherin: Bei Pardon dagegen verbot sich jegliches Tabu. Im Verlauf der Studentenbewegung erreicht die Auflage Anfang 1969 ihre Höchstmarke von 320.000 Exemplaren, und das nicht nur wegen ihrer politischen und satirischen Inhalte, sondern getreu dem Slogan. „Wer zweimal mit der Selben pennt, gehört schon zum Establishment!“ 12 Freie Sexualität in allen Spielarten und unkontrollierter Zugang zu Verhütungsmitteln, insbesondere der Anti-Baby-Pille – zwei Forderungen, die Ende der 1960 Jahre in der Bundesrepublik äußerst populär waren. Schroff gegen außerehelichen Sex und gegen Empfängnisverhütung war vor allem der Papst mit seiner glaubensfesten Kurie. Pardon ging den Papst ebenso schroff an, titulierte ihn als „Pillen Paul“, besprach ihn als Inkarnation des Rückständigen. Mit nackten Tatsachen verkaufte sich Pardon erkennbar besser als mit politischer Theorie oder anspruchsvoller Literatur. Und deshalb – so hat es ein Medienwissenschaftler später einmal nachgerechnet – brachte das Magazin auf jeder fünften redaktionellen Seite nackte, weibliche Tatsachen. In einem immer wieder gern zitierten Titelblatt warb der Verleger selbst, als Frauenarzt verkleidet, für die Anti Baby Pille. 33. O-Ton Nikel: Und da hab ich mir dieses schöne Weib auf die Schulter gesetzt, nackt und so, und das war ja auch ein Riesenerfolg. … Sprecherin: „Schreib ich hier eigentlich für eine Wichsvorlage?“, soll Redakteur Robert Gernhardt einmal in der Redaktionsrunde gefragt haben. Von einer früheren Pardon Redakteurin ist indes kein Widerwort bekannt geworden. Alice Schwarzer, platzierte ihre Artikel zwischen Bildmaterial, das in ihrer späteren Sichtweise nichts als billige Pornografie gewesen sein konnte. Aber häufig verklärt sich ja die Vergangenheit, insbesondere, wenn sie länger zurück liegt. 34. O-Ton Nikel: Die Alice Schwarzer, die wäre auch nicht zu mir als Redakteurin gekommen, wenn das irgendwie ein pornografisches Heft gewesen wäre, nein. Also, die Alice Schwarzer, die liebt mich nach wie vor, weiß der Himmel wieso. Sprecherin: In den 70er Jahren geriet die Pardon in eine tiefe Sinnkrise. Nikel kritisierte die angeblich zunehmenden Eitelkeiten einiger Autoren. Viele seiner Redakteure klagten, ihr Chef sei zu esoterisch geworden, würde obskuren Sekten folgen und habe als Verleger und Chefredakteur sowieso zu viel Macht und Geld. Er benehme sich wie Michelangelo und sie hätten brav als seine Schüler und Gehilfen zu gehorchen. 13 35. O-Ton Nikel: Die sind immer zu Saufen gewesen. Diese Saufereien, da haben die sich dauernd bestätigt. .. Da konnte ich nur abschalten. Da konnte ich nur sagen: Da mach ich einfach nicht mit. Das sind zwei Welten. Sprecherin: Einer der Säufer, der später zu Ruhm gekommene Schriftsteller Wilhelm Genazino, erinnert sich an die Trennung im Hause Pardon so: „Wir kamen morgens nicht mehr allzu pünktlich zur Arbeit, wir dehnten die Mittagspause aus. Ein Joint machte die Runde, die Stimmung war wieder mal gut. Plötzlich öffnete ein Redakteur die Fenster; er und der eine oder andere Kollege warfen die von uns geschmähten “Schmunzelbücher“ zum Fenster hinaus. Dann traf der Gegenschlag ein. Einer größeren Zahl von Redakteuren – unter ihnen ich selber – wurde gekündigt.“ Quelle: Tarzan am Rhein, Hanser Verlag, Wilhelm Genazino. Sprecherin: 1979 heuerten die wichtigsten "Pardon"-Autoren auf der "Titanic" an, darunter der Lyriker Robert Gernhardt, der Literat Eckhardt Henscheid oder der Karikaturist und Humordichter F.K. Wächter. Ein schwerer Schlag von dem sich Pardon nicht mehr erholte. 36. O-Ton Nikel: Der Unterschied liegt darin, dass dort die Satire gar nicht die entscheidende Funktion hat. Sondern, dass da so viele Schweinereien drin sind, so viele Exzesse an Pornografie, das ich niemals diese Dinge ins Heft genommen hätte. Und die nehmen das ins Heft und halten das für große Freiheit. Aber wenn´s da immer nur um Pimmel geht und immer nur ums Ficken geht und wenn es darum geht andere Leute in übelste sexuelle Dinge zu verstricken, so ist das also nicht das, was Pardon gewollt hat. Sprecherin: Vergleicht man allerdings die in der Zeitungsbranche so genannte „Arsch und Titten Quote“ von Pardon und Titanic – so kommt der neutrale Beobachter zu dem Schluss, Pardon hatte erheblich mehr Lustbarkeiten zu bieten. Pardon verstarb ohne seine Star Autoren quälend lange. Hans A. Nikel begann nach seinem Rückzug vom Verleger-Job ab 1980 ein völlig neues Leben. Fortan nannte er sich wieder Johannes Nikel, ging mit 50 ein zweites Mal an die Uni, promovierte über ein 14 philosophisches Thema und begann sich mit der Kunst der Bildhauerei zu beschäftigen. Als Schöpfer von meisterlichen Skulpturen arbeitet er bis heute in seinem Atelier im hessischen Bad Homburg. Auf der anderen Seite der Mauer hielt die Eulenspiegel-Reaktion weiterhin standhaft die Satire-Stellung. Der Machtantritt Michail Gorbatschows in der Sowjetunion und die ihn begleitende neue Offenheit, fand in der DDR Publizistik nur bedingt Widerhall. 37. O-Ton Barbara Henninger: Aber vor allem in der zweiten Hälfte der 80er Jahre, als Reaktion auf die Perestroika in der Sowjetunion wurde richtig buchstäblich Satire raus genommen aus dem Blatt und Humor rein. Die Humorredakteure waren schon ganz verzweifelt, weil sie immer wieder neue Lücken stopfen mussten. Sprecherin: Manchmal gelang es auch, durch eine dieser Lücken zu schlüpfen, doch wenn das Versehen entdeckt wurde, dann kam es vor, dass eine Ausgabe nicht ausgeliefert wurde. So geschehen bei einer Titelblatt-Zeichnung von Manfred Bofinger: 38. O-Ton Holland-Moritz: Ich erinnere mich an die Bockwurst mit den vier Zippeln. Da gab es mal insgeheim Preiserhöhungen. Der Honecker hat ja nie geduldet, dass bei irgendwelchen Grundnahrungsmitteln, nicht mal um einen Pfennig durfte da etwas verschoben werden. Und da hatte der „Bofi“ so eine Titelzeitung gemacht, wie so ein Wurstmaxe da steht und eine Wurst mit zwei Zippeln, und die dann plötzlich 1,50 kostet, das Doppelte. Aber da haben sie nur einen Bruchteil der Auflage wieder einfangen können. Und als das ruchbar wurde, dass das Ärger gegeben hat, da haben die Kioskbesitzer am Alex behauptet, es sei schon ausverkauft. Und da hatten die die Pakete drunter weggeschoben, damit auch keiner sehen konnte, dass sie die noch hatten. Und die haben sie dann zu erhöhten Preisen verkauft. Hatten sie sich also die vier Zippel zum Beispiel genommen. Archiv-O-Ton Helmut Kohl, H.D. Genscher, Walter Momper singen die Deutsche Nationalhymne an der geöffneten Mauer in Berlin. Blenden, Sprecherin: Auf diese Weise konnte es nicht gut gehen mit der DDR. So wie es Pardon vorausgesagt 15 hatte, wenn auch für einen früheren Zeitpunkt, öffnete sich plötzlich die Mauer und eine neue Ära des „Eulenspiegel“ begann. 39. O-Ton Mielke: Ich habe Baufacharbeiter gelernt, hab dann bei der Berliner Zeitung gearbeitet und bin dann 1991 zum Eulenspiegel gewechselt, wo ich bis 98 gearbeitet habe. 40. O-Ton Behrend: Gelernt habe ich Elektriker, dann hab ich Journalistik studiert und dann für sechs Jahre im DDR Fernsehen in der Meckersendung „Prisma“ gearbeitet. Und von dort bin ich zum Eulenspiegel gegangen. Sprecherin: Georg Behrend und André Mielke waren zur Zeit der deutschen Wiedervereinigung die heftprägenden Redakteure des „Eulenspiegel“. Sie waren jünger als die Altgedienten und sie waren respektlos: gegenüber den alten Kräften in der Redaktion und den neuen Herren im vereinten Vaterland. Nun sitzen beide in einem kleinen Park in Berlin Kreuzberg, in blühenden West - Landschaften und resümieren ihre Jahre in der Humorproduktion. 41. O-Ton Mielke und Behrend. Man wusste, dass man nicht unbedingt den Rücktritt Honeckers fordern sollte, das war nicht an der Tagesordnung. Aber auch da konnte man schon durch Fakten schon lustig argumentieren, also ich habe diese Einschränkungen nicht allzu gravierend empfunden. … Mielke: Man konnte subtiler arbeiten, als das heute geht … mit Begriffen wie Ziegenficker wäre damals natürlich völlig undenkbar gewesen. Damals waren die Leser viel sensibler und hatten auf sehr viel niedrigschwelligere Reizworte angesprochen, so dass eigentlich die Arbeit für den Satiriker einfacher war, um ein Echo zu erzeugen. Sprecherin: Nicht durch die Kopfgeburt am Schreibtisch, in der verdeckten Aktion entsteht die wahre Satire – so die Arbeitsmaxime der beiden Eulenspiegel Redakteure in der Nach-WendeZeit. Vor ihren skurrilen Ideen waren nicht mal die im Rampenlicht der Weltpresse stehenden DDR- Bürgerrechtler sicher. 16 42. O-Ton Behrend: Wir hatten damals diesen Bürgerrechtlern, die ja sehr ehrenwerte Motive hatten, aber natürlich mit einer geradezu lächerlichen Eitelkeit agierten, und das fanden wir schon belustigend, und die wollten wir noch ein bisschen fördern und herauskitzeln. Und haben denen also gesagt, dass sie in ein Wende-Museum, wo die Köpfe der Wende geehrt werden sollen, kommen. Und dazu wären eben Gipsabdrücke nötig. Das war ne sehr aufwendige Prozedur, wir hatten damals einen Bildhauer gewonnen, der hatte, wie man es letztlich bei einer Totenmaske machen würde, also, der hat die eingecremt, mit Binden versehen und dann halt diese Gipsabdrücke gemacht. Und die konnten nur noch durch irgendwelche Plastikschläuche atmen, die in der Nase steckten. Und das war schon eine sehr anstrengende Prozedur für die Betroffenen und die waren uns auch relativ ausgeliefert, und hatten ein so grenzenloses Vertrauen auch zu uns, das war geradezu rührend. Und es diente einer einzigen Aussage, dass diese Menschen von der eigenen Bedeutung überzeugt waren und von so einer Eitelkeit geprägt waren, dass wir relativ leichtes Spiel hatten. 43. O-Ton Mielke: Es war ja die Zeit, wo bestimmte Leute Lutz Rathenow oder Rainer Eppelmann doch auch ständig ihre eigene Bedeutung für den Gang der Dinge erzählt wurde, und sie haben das auch weitgehend geglaubt, und insofern war dann auch kein Problem, ihnen zu sagen, dass sie für die Ewigkeit konserviert werden. Sprecherin: Ihre Charakterköpfe in Gips tauchten auch Sabine Bergmann-Pohl, Konrad Weiß und Gunther Emmerlich. 44. O-Ton Mielke: Das war ja eigentlich auch keine bösartige Sache, es war ja, die Leute bei ihrer Eitelkeit gepackt und ein bisschen vorgeführt, aber nicht wirklich schlimm. Es war nur natürlich durch die Figuren, die damals als Heilige galten, überwiegend zu mindestens, bekam das natürlich so ne gewisse Fallhöhe. Aber, ob das irgendwie von den Leuten als entwürdigend und so weiter, ne diese Diskussion, die wir heute haben, gab´s nicht. 45. O-Ton Behrend: Für uns war das streckenweise schon hart bei der ganzen Aktion ernst zu bleiben, weil, die 17 haben die eigene Bedeutung zelebriert und genossen. Und ja auch kleinste Schmeicheleien dankbar aufgenommen. Das hat doch Spaß gemacht, wie reibungslos das funktioniert hat mit denen. Sprecherin: Nur Freya Klier und Lothar de Maizière rochen offenbar den Braten und blieben der musealen Huldigung fern. 46. O-Ton Mielke: Wir hatten auch Friedrich Schorlemmer angefragt. Der war aber ein bisschen zögerlich und hat dann später in einem Interview gesagt, er würde mir am liebsten eins auf die Fresse haun, (lacht). Sprecherin: Mit der verkauften Auflage ging es trotz der hoch gelobten Satire-Aktionen des Duo Mielke / Behrend im Zuge der deutschen Wiedervereinigung rapide bergab. Und dies – so André Mielke - hatte absolut nichts mit der Westkonkurrenz zu tun sondern mit der traditionellen Ausrichtung des Blattes. Es gab zwar eine halbe Million Leser in der DDR, aber... 47. O-Ton Mielke: ….so viel Fans kann Satire eigentlich nicht haben, wenn´s wirklich richtige Satire ist. Das zeigt schon, dass das ein Gemischtwarenladen war, der auch viel Humor hatte, auch in gewisser Weise populistisch war in dem Sinne, als dass er die Leute dort abgeholt hat bei ihren täglichen Bedrängnissen mit der Deutschen Post oder mit der Reichsbahn oder mit dem Angebot von irgendwelchen Konsumgütern. Und das hat sich nach der Wende, in dem man dann versuchte, das eben zu einer richtigen Satirezeitung zu machen, hat sich das gleichzeitig mit den 500.000 etwas reduziert. Also, das hat sich dann auf die Anhängerschaft einer Satirezeitung normalisiert. Sprecherin: Dem Auflagenschwund konnte auch ein vielversprechender Westpraktikant nicht begegnen: Martin Sonneborn – später Vorsitzender der Partei „Die Partei“. 48. O-Ton Sonneborn: Ich hatte mich gerade bei Titanic beworben um ein Praktikum, und die hatten mir eine sehr 18 lustige, bösartige Absage geschickt. Und ich war dann eh in Berlin und bin dann mal beim Eulenspiegel vorbeigegangen und hab mich da vorgestellt und gefragt, ob ich da ein Praktikum machen kann. Jürgen Nowak, damals Chefredakteur, der wusste nicht, was ein Praktikum ist, ich wusste nicht, was ein Praktikum ist. Und dann haben wir uns darauf geeinigt, dass ich das mache und dann bin ich drei Monate morgens so um zehn herum zum Eulenspiegel gegangen. 49. O-Ton Behrend: Der hat gute Arbeit gemacht, der war schon sehr stilsicher von Anfang an, hat auch sehr lustige Sachen geschrieben und wir haben am Anfang ja auch sehr schönen Aktionen zusammen gemacht. 50. O-Ton Sonneborn: Es gab diese unselige Konstruktion, dass sich die beiden Dümmsten das Blatt unter den Nagel gerissen hatten, weil sie als erste einen Westanwalt engagiert hatten … und dann in Personalunion Herausgeber, Chefredakteure und Eigentümer dieses Blattes waren … Insoweit sind da dann auch sämtliche guten Leute da weggegangen, …, die sind ja alle gegangen und zum Schluss bei Titanic gelandet. Sprecherin: Der aktuelle Chefredakteur des Eulenspiegel, Mathias Wedel, bleibt in dieser Sendung stumm, schickt aber als Ablehnung für unsere Interviewanfrage eine E Mail: „Die Sendung, die Sie planen, kann ich quasi schon singen. Jährlich erscheint wenigstens eine Titanic-Eulenspiegel-Gegenüberstellung, aus der man lernen kann, dass der pointenfreie Humor der Titanic der eigentlich schöne ist und der Eulenspiegel von moribunden SED-Altkadern gelesen wird. Das wissen inzwischen doch alle. Dennoch gutes Gelingen.“ Weitaus entspannter blickt der ehemalige Chefredakteur der Titanic Thomas Gsella auf sein Amt: 51. O-Ton Thomas Gsella: Es wollte kein anderer, ich brauchte das Geld, so wurde ich Chefredakteur. Ich hab überhaupt kein Selbstverständnis als Chefredakteur gehabt, ich bin da einfach jeden Morgen hingegangen. Das Verhältnis zu den Kollegen blieb auch genau so wie es war. Ich habe mich ja nicht als heftprägender Umstürzler verstanden, sondern wollte alles 19 so weiter laufen lassen, wie es lief und ich glaube, ich bin damals gar nicht aufgefallen. Wahrscheinlich wissen noch heute viele Redakteure nicht, dass ich damals Chefredakteur war. Sprecherin: Nicht jede Ausgabe der Titanic und des Eulenspiegel hat das Zeug als Speerspitze der Aufklärung zu glänzen. Nicht jeder Witz zündet, nicht jede Pointe geht auf. Manche Artikel und Fotos sind schlecht und geschmacklos. Andere sind vorurteilsbeladen oder einfach nur arrogant. Aber auch mindere ästhetische Qualität oder Anflüge politischer Blödheit dürfen nicht dazu führen, der Satire ihre Legitimität abzusprechen, befand jedenfalls Kurt Tucholsky. Zitat: "Die Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird." Sprecherin: Dem wird Martin Sonneborn uneingeschränkt zustimmen. Fünf Jahre stand er an der Spitze der Titanic Redaktion. Seine Ära war bestimmt durch eine Arbeitsweise, die stark durch die alte Aktionskunst–Satire der alten „Pardon“ inspiriert war. 54. O-Ton Sonneborn: Ich erinnere mich an lustige Telefonaktionen, in denen wir zum 10. Jahrestag der deutschen Einheit, als klar war, dass das ganze Land besinnungslos feiern würde, hab ich überlegt, wie man dem etwas entgegen setzten kann und hab dann im Osten angerufen bei repräsentativ wahllos herausgegriffenen Sachsen und habe einfach mal die Fernsehgebühren im Namen der GEZ nachverlangt, die von 1970 bis 1989 angefallen sind. Die haben ja alle Westfernsehen geguckt, aber nie dafür bezahlt. Da bin ich auf interessante Formen der Beschimpfung und des Protestes gestoßen, die man natürlich gut abdrucken konnte. Sprecherin: Doch als eine der wirkungsvollsten Aktionen wird Sonneborns Engagement für den deutschen Sport in die Satire-Geschichte eingehen. 20 Archiv O-Ton FIFA von der Bekanntgabe der WM - Austragungsstätte Deutschland 2006 Blatter: „And the winner ist Deutschland“ - Jubel Sprecherin: Martin Sonneborn ist ein großer Freund des Fußballs. Deshalb verschickte er kurz vor der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 auf Englisch ein freundliches Fax an die wahlberechtigten FIFA-Mitglieder. In dem Schreiben wurde ihnen eine hohe Belohnung in Ausssicht gestellt, wenn sie für Deutschland als Austragungsort stimmen würden. „... Let me come straight to the point: In appreciation of your support we would like to offer you a small gift for your vote in favour of Germany. A fine basket with specialities from the Black Forrest...“ 55. O-Ton Sonneborn: Ich habe einen Geschenkkorb angeboten mit ein paar guten Schwarzwälder Schinkenteilen, mit ein paar verdammt guten Würsten. Ich dachte, das ist etwas Handfestes und die Leute wirkten dermaßen korrupt in ihren Bildern, dass ich mir da Chancen versprach und das hat dann auch geklappt. Sprecherin: Unter den FIFA-Funktionären befand sich auch der Neuseeländer Charles Dempsey, der sich, in Aussicht auf Schinken und Kuckucksuhr, entgegen den Anweisungen seines Heimatverbands, der Stimme enthielt. So wurde Deutschland in der finalen Auszählung mit 12:11 Stimmen gegen Südafrika als Austragungsort für die Fußball-WM 2006 gewählt. Dank Martin Sonneborns uneigennützigem, korruptivem Einsatzes. Doch das Lob blieb aus. Franz Beckenbauer und die Bild-Zeitung tobten und schäumten und riefen zur Treibjagd auf den Fax-Fälscher. 56. O-Ton Sonneborn: Zuerst reagiert hat die BILD Zeitung, die haben schon verstanden, dass das ein Angriff auf die deutsche Bewerbung und die Unsitten bei der Vergabe von FIFA Turnieren war und haben dann dazu aufgerufen, uns mal die Meinung zu sagen, haben unsere Telefonnummer veröffentlicht. Und dann klingelten für die nächsten neun Stunden sämtliche Telefone, die wir haben. Atmo: Telefonate 21 weiter O-Ton Sonneborn: Das war für uns natürlich interessant, weil wir bei Telefonaktionen sehr oft mit hohem Einsatz versuchen geeignete Leute ans Telefon zu bekommen und hier hat uns die Bildzeitung freiwillig und auf deren Kosten ihre besten Leser ausgeliefert und sie bei uns anrufen und schimpfen lassen. Und ich habe das ausversehen mitgeschnitten. Ausversehen, weil das doch verboten ist Telefongespräche mitzuschneiden eigentlich und habe danach ausversehen eine schöne CD gemacht, das war glaube ich die erfolgreichste Abo-Prämie, die Titanic je hatte. 57. O-Ton Sonneborn: Und die FIFA hat insoweit reagiert, dass sie mir einen Anwalt auf den Hals geschickt hat. Ein Anwalt vom Deutschen Fußball Bund und von Franz Beckenbauer bezahlt, kam dann, wir trafen uns in einem extrem teuren Hotel in Stuttgart. Und dann stand für einen kurzen Moment die Schadensersatzforderung von 600 Millionen im Raum damals. Hätte also mein Gehalt als Chefredakteur bei Titanic bei weitem überstiegen. Und der Anwalt bot mir dann aber einen Ausweg, er hatte ein Schriftstück vorbereitet, das ich unterzeichnen sollte, um diesen Prozess herumzukommen, und in diesem Schriftsatz sollte ich mich verpflichten – Ich kann das noch wörtlich zitieren: Zeit meines Lebens nicht mehr Einfluss zu nehmen auf die Vergabe von FIFA Turnieren durch das Versenden von BestechungsFaxen. Dann ist der Anwalt verschwunden, und ich durfte noch seinen Tee bezahlen, das war, glaube ich, die zweitgrößte Ausgabe in diesem ganzen Unterfangen, weil das ein sehr teures Hotel war. Sprecherin: Wie damals „Pardon“ mit der Vorhersehung der Maueröffnung war die „Titanic“ mit ihrer Offenlegung der Bestechungsversuche, der Zeit weit voraus. Die einstige Lichtgestalt Franz Beckenbauer hat mittlerweile gewaltig an Strahlkraft verloren. Die Karrieren von Sepp Blatter, Wolfgang Niersbach und Michel Platini endeten frühzeitig und desaströs – Da sage noch jemand, Satire sei wirkungslos. Schlecht zu sprechen ist die Titanic auch auf das Münchener Nachrichten-Magazin „Focus“. Man wollte unbezahlte Werbung für das Münchener Fakten-Magazin machen und stieß auf Undankbarkeit. Titanic änderte den Focus- Werbespruch: Fakten, Fakten, Fakten – immer an die Leser denken!“ nur leicht, ganz leicht. 22 58. O-Ton, Sonneborn: „Ficken, ficken, ficken und nicht mehr an die Leser denken.“ Da hat Markwort uns auf 100.000 D-Mark verklagt, das sind dann mit Gerichtskosten immer gleich existenzielle Summen für ein kleines Satiremagazin. Archiv - O-Ton, kurzer Trenner-Spruch aus „BILD-Leser beschimpfen Titanic“ 59. O-Ton Sonneborn: Es gibt ja auch die Forderung der Titanic Gründer, die Grenzen der Satire jeden Monat neu auszuloten. Das ist, glaube ich, ganz wichtig. Ich sag immer, es gibt keine Grenzen der Satire, man muss am Einzelfall immer abwägen, was man tut und was nicht und eine grundsätzliche und eine Vorneherein-Entscheidung kann man da eigentlich nicht treffen. Sprecherin: "Bekämpfst du so vermessen Den Feind, das rächt sich schwer. Erst hat der Hieb gesessen, Dann sitzt der Redakteur." Seit 1945 bis heute ist in der Bundesrepublik kein einziger Satiriker oder Kabarettist in einer Zelle gelandet. An den Satirezeitschriften Pardon und Titanic haben sich Heerscharen von Anwälten und Richtern aufgerieben. 60. O-Ton Sonneborn Es gibt Klagen von Politikern ab und zu. Björn Engholm steht als warnendes Beispiel im Raum im Zusammenhang damals mit der Barschel Affäre. Björn Engholms Kopf auf dem Körper des toten Uwe Barschel in der Badewanne, „Sehr komisch, Herr Engholm“ war die Schlagzeile. Und ein kleines gelbes Quitscheentchen, das im Prozess dann von uns als Versöhnungsquitscheentchen ausgegeben wurde, aber das reichte nicht. Schnitt. Und Engholm hat unfassbarerweise damals ein Schmerzensgeld von 40.000 DM zugesprochen bekommen. Das war damals das höchste Schmerzensgeld in der deutschen Pressegeschichte, das an einen Politiker gegangen war. 23 Sprecherin: Darf Satire alles? Aus Titanic-Sicht lassen sich über den Papst prima Witze machen. Ratzinger, der erste Deutsche auf dem Katholiken-Thron, schickte allenfalls einen Anwalt los, um sich gegen allzu unchristliche Anmache der Titanic zu wehren. Auch über Jesus darf man in Bild und Ton falsch Zeugnis reden, ohne dass die Glaubenskongregation die Schweizer Garde schickt. Nur über das geistige Führungspersonal der Muslims sind Witze mittlerweile lebensgefährlich. Die Anschläge von Paris haben Menschen aus ganz Europa auf die Straßen gebracht. Ein Plädoyer für Meinungsfreit. 61. O-Ton Behrend: Grenzen sind da, wo es nicht mehr lustig ist. Damals die Diskussion über die Mohammed Karikaturen, die stören mich logischerweise gar nicht, weil ich weder christlich noch sonst wie religiös gebunden bin, ich würde sogar das Abbildungsverbot der Muslims akzeptieren, wenn´s trotzdem lustig ist, würde es mich auch nicht stören, das zu übertreten. Aber, wenn es nicht lustig ist, dann soll man sie halt nicht machen. 62. O-Ton Harald Kretzschmar: Mit den Mohammed Karikaturen, das hab ich alles nicht mehr richtig verstehen können. Was ist denn überhaupt für ein Bedürfnis da, ich hätte doch niemals das Bedürfnis Mohammed zu karikieren, da gibt es doch so wunderbare andere Angriffspunkte auch für die böse Satire. Da warte ich jetzt mal auf den Psychoanalytiker, der mir das einmal erklären kann. Das wäre hübsch. 63. O-Ton Thomas Gsella: Wenn der Titanic gute Witze einfallen zu anderen Religionen als zum Christentum, dann macht sie schöne Witze. Es gab mal sehr sehr schöne Originalfotos von Mohammed und Allah, ich glaube, die weltweit einzigen, die nach dem Abdruck dieser dänischen Karikaturen noch gezeigt wurden. Es waren sogar private Fotos von Mohammed und Allah und so ein bisschen altfarbig und so, immerhin 500 Jahre alt oder 600, wie der seiner Frau ein Glas Schweinsbraten mitbringt und so. Also diese Dokumente haben wir finden können und auch veröffentlicht. Da gab es auch keine Proteste der Muslime, ich glaube die waren froh, die auch mal zu sehen die Beiden. 24 Absage: Ernstfall Satire Satiremagazine im Crash-Test: „Pardon“, „Titanic“, „Eulenspiegel“ Feature von Rainer Link Redaktion: Kathrin Aehnlich Es sprach Chris Pichler Schnitt: Hans-Peter Ruhnert Ton: André Lüer Regieassistenz: Thekla Harre Regie: Stefan Kanis Produktion Mitteldeutscher Rundfunk 2016 25
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