Satiremagazine im Crashtest: „Pardon“,“Titanic

Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur
Freistil
Ernstfall Satire
Satiremagazine im Crashtest: „Pardon“,“Titanic“, Eulenspiegel
Feature von Rainer Link
Produktion: MDR 2016
Redaktion im DLF: Klaus Pilger
Sendung: Sonntag, 29.01.2017 , 20:05-21:00 Uhr
Regie: Stefan Kanis
Sprecher:
Sprecherin: Chris Pichler
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- unkorrigiertes Exemplar -
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Archiv O-Ton Einspielung: von Titanic Mailbox, Track 4:
Wissen Sie was, Sie sind ein ganz großer Nestbeschmutzer !!! Sie können bloß froh sein,
dass ich weiter weg wohne, sonst könnten Sie was erleben. Es ist eine bodenlose
Frechheit, wie Sie sich benehmen. Sie diffamieren unser Land.
Wir diffamerieren, wen wir wollen!
1.O-Ton Sonneborn:
Ich erinnere mich gerne an die WM Bestechung, weil die Bildzeitung eigentlich erst einen
ganz großen Skandal daraus gemacht hat in Deutschland.
Archiv O-Ton Einspielung: von Titanic Mailbox
Sie gehören gar nicht nach Deutschland, sie sollten auswandern.
Wohin?
Das möchte ich Ihnen lieber nicht sagen. Sie beschmutzen das Nest. . Auf Wiedersehen!
2. O-Ton Sonneborn:
Am Anfang hat niemand verstanden, was unser Fax da eigentlich bewirkt hat. Alle
rätselten und der DFB regte sich furchtbar auf, Franz Beckenbauer und Anwälte kamen ins
Spiel. Wir hatten das ja damals getan, um die FIFA und die Vergabe der Fußball
Weltmeisterschaften mit dem Ruch der Korruption in Verbindung zu bringen. Weil Leute
bei Olympia immer schon ahnen, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht, aber die FIFA
hat immer einen guten Ruf und Weltmeisterschaften dachten viele im Land, werden
einfach so vergeben, dass man da nicht korrupt werden muss.
Archiv O-Ton, 4. Einspielung von Titanic Mailbox, bei 2:08 Anrufer:
Guten Tag, ich wollte Ihnen sagen, dass ihre Reporter Schmierfinken sind und ihre
Satirezeitung eine Schande für Deutschland ist.
Ansage:
Ernstfall Satire
Satiremagazine im Crash-Test: „Pardon“, „Titanic“, „Eulenspiegel“
Feature von Rainer Link
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Sprecherin:
1954, als die Welt noch eine Scheibe war, ging im Osten des zweigeteilten Deutschlands
eine Zeitschrift für Humorfragen an den Start: Eulenspiegel hieß sie. Hervorgegangen aus
dem Satireblatt „Frischer Wind“, das gleich nach dem 2. Weltkrieg unter sowjetischer
Presselizenz erschien war. Der Eulenspiegel war ein Wunschkind, das sich im Verlauf von
Pubertät und Adoleszenz allerdings nicht immer so entwickelte, wie es seine Väter und
Mütter gern gesehen hätten. Aufmüpfigkeit hieß das Laster, das Redakteure und
Karikaturisten teilten.
3. O-Ton Harald Kretzschmar:
Man hatte ja schlimme Jahre hinter sich, viele kamen ja gerade erst aus der
Gefangenschaft von den Älteren. Und wir Jüngeren hatten also ideale Startpositionen
dadurch dass ja bestimmte Jahrgänge auch nicht mehr da waren. Dann kam 56 ja der 20.
Parteitag der KPDSU, wo Chruschtschow mit Stalin aufräumte, dachten wir – so sah es ja
auch aus – und da hatten wir natürlich unheimliche Illusionen, was wir mit der Satire
anschließend alles fabrizieren könnten.
Sprecherin:
Harald Kretzschmar, Jahrgang 1931 schwang von Anfang an den Zeichenstift für das
Vierfarb-Magazin. Zwei Jahre später fand Renate Holland-Moritz mit nur 21 Lebensjahren
in die Eulenspiegel-Autorenriege. Für sie sprach eine einzige Kurzgeschichte, die sie an
den Literaturredakteur Hans Georg Stengel geschickt hatte; ein Text, der auf Anhieb gefiel
und deshalb gleich ins Heft gehoben wurde.
4. O-Ton Holland-Moritz:
...und ich könne – das war so eine typische Stengelsche Formulierung – so ich in
angemessenen Grenzen hübsch sei, gelegentlich bei ihm vorsprechen. Und dann hab ich
mir ein neues Kleid gekauft, musste ich mir Geld pumpen von meiner allerliebsten,
ältesten Freundin Berta Waterstrat, und bin dann noch zum Friseur gegangen. Und bin
dann da zitternd aufgeschlagen, und dann hat er gesagt: Ja, wenn Sie wollen, das ist eine
harte Schule hier, aber, wenn Sie die durchstehen, dann könnte das was mit uns werden.
Und dann hat er mir die entscheidende Frage gestellt: Können Sie dichten? .Da hab ich
gesagt, es ist mir völlig peinlich, aber entweder es reimt sich, oder es hat einen Sinn,
beides zusammen schaffe ich nicht. Und da hat er gesagt, dann können Sie bleiben.
Dichten kann hier jeder Idiot.
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Sprecherin:
Es wurde die angekündigte Stengelsche „harte Schule“, der Texte mit der Bemerkung:
„Blamieren Sie sich damit lieber in einer anderen Redaktion“ ablehnte. Renate HollandMoritz orientierte sich an den Klassikern, an Polgar, Kraus, Tucholsky. Und von Kurt
Tucholsky stammt auch der millionenfach zitierte Satz: „Satire darf alles“. Versteht man
diesen Satz als Appell an die Mächtigen, die Satire gewähren zu lassen, erhält die
Aussage Sinn und Berechtigung. Als Zustandsbeschreibung – bezogen auf welche
Epoche auch immer - hat „Satire darf alles“ noch nie getaugt, nicht vor 150 Jahren und
auch nicht heute. Immer da, wo die Satire über den volkstümlichen Humor hinauswuchs,
gesellschaftliche Verhältnisse anprangerte, den Regenten und ihrer Nomenklatura auf den
Pelz rückte, stand die Strafandrohung im Raum. Die Geschichte der frühen deutschen
Satirezeitungen war auch immer eine Erzählung über Zensur, Verfolgung und Strafe. Und
warum sollte es bei der Zeitschrift Eulenspiegel anders sein?
5. O-Ton Renate Holland-Moritz:
Und wir hatten Vorgespräche fürs Silvesterheft 57/58. Und da hatte einer den Vorschlag
gemacht, wie wäre es denn, wenn wir auf der Mittelseite alle Regierungsmitglieder per
Karikatur – und da haben wir alle gesagt, dass könnt ihr aber schön vergessen, das ist
doch überhaupt nicht vorstellbar. Der Heinz Schmidt hatte sich dazu nicht weiter geäußert,
kam aber am nächsten Tag und sagte, er habe gestern beim Kaffeetrinken den Ulbricht
getroffen, habe ihm das erzählt und da hat der Ulbricht gesagt, wenn die einzelnen
Mitglieder des Ministerrats nicht zu menschenverachtenden Fratzen verzerrt werden, wäre
dagegen nichts einzuwenden
6. O-Ton Harald Kretzschmar:
Ulbricht ist eine besondere Nummer, weil der ließ sich besonders gut karikieren ließ.
Es ist so wunderbar, was sich so in einem Gesicht abspielt, dann hab ich versucht das
darzustellen und dann hab ich gemerkt, wenn die Leute das angeguckt haben, ham sie
gesagt Mensch ja, tatsächlich.
7. O-Ton Holland-Moritz
Als es dann soweit war, ist er verpflichtet gewesen zu den jeweils Konterfeiten
hinzugehen, die mussten das abnicken Und dann ist der Harald Kretzschmar zum Büro
Ulbricht gegangen, um denen die Karikatur zu zeigen. Die war als Skizze schon keine
Karikatur. Der Ulbricht sah ja nun wirklich nicht so aus, als das man es noch hätte sehr
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verschlimmern können. Also, er sah sehr freundlich aus auf der Skizze.
Sprecherin:
Kretzschmar scheitert aber bereits an Ulbrichts Vorzimmer-Zerberus Otto Gotsche, der
erbost ausrief:
8. O-Ton Holland-Moritz:
Das ist ja eine Ungeheuerlichkeit. Dieses Monstrum soll mein Chef sein? Der Genosse
Ulbricht sein? Also, das kommt überhaupt nicht infrage. Und der Kretschmar ist noch zwei
Mal da gewesen, jeweils mit einer verbesserten Ausfertigung. So dass der Ulbricht
mittlerweile schon aussah wie ein Dressman und von Karikatur keine Rede mehr sein
konnte.
Sprecherin:
Dennoch befand Gotsche, dass es immer schlimmer würde und der große Meister damit
nicht behelligt werden dürfe:
9. O-Ton Holland-Moritz:
Und dann hat der Heinz Schmidt zwei Tage vor Redaktionsschluss angerufen und gesagt:
Ich schick euch jetzt den Harald Kretschmar noch ein letztes Mal, wenn dann der Chef
nicht sein „Ok“ gegeben hat, dann erscheint diese Doppelseite ohne Ulbricht. Und da hat
Otto Gotsche gesagt: das traut ihr euch nicht!
Und da hat Heinz Schmidt gesagt: wetten das!
Das Heft ist erschienen mit allen gekrönten Häuptern und ohne Ulbricht. Und natürlich hat
sich die Westpresse sofort drauf gestürzt. Das war ja auch ihre verdammte politische
Pflicht.
10. O-Ton Harald Kretzschmar:
Jedenfalls sind wir da in eine Situation rein geraten, die hochgradig zugespitzt war. Und
nun hat aber mein Chefredakteur, das war der beste, den wir jemals hatten - Heinz
Schmidt, war der Inbegriff eines tollkühnen Satirikers … Und der hat sich dann öffentlich in
einer anderen Zeitschrift darüber mokiert. …
11. O-Ton Holland-Moritz:
Die „Freie Welt“ machte auch eine Mittelseite, aber diesmal mit prominenten
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Zeitgenossen. Einer der prominenten Zeitgenossen war der Chefredakteur des
Eulenspiegel Heinz H.Schmidt. Der ließ sich fotografieren hinter seinem Schreibtisch und
nahm für das Foto irgendetwas in die Hand und das war diese Ulbricht Skizze und da hat
der Heinz Schmidt gesagt: „Einmal im Jahr, immer am Jahresende, räume ich meinen
Schreibtisch auf und dabei bemerke ich, wie viele Dinge sich im Lauf eines Jahres von
allein erledigen.“
12. O-Ton Harald Kretzschmar:
Und dabei hatte er aber die inkriminierte Ulbricht Karikatur in der Hand und wurde damit
fotografiert und das war selbst in dem miesen Zeitungsdruck war die Ulbricht Karikatur von
mir noch deutlich erkennbar.
Sprecherin:
Verantwortlich für diese Ausgabe war der bereits von der „Wochenpost“ strafversetzte Rudi
Wetzel, der gemeinsam mit seinem Kollegen das Foto akribisch vor dem Druck prüfte:
13. O-Ton Holland-Moritz:
Guck mal da drauf, siehst Du auch was ich sehe, beide mit Lupen, guck da mal genau hin.
Der Hans Frosch guck hin und fing an zu lachen: Hast du wirklich geglaubt, die hätten
beim Eulenspiegel Walter Ulbricht? Das ist Bischoff Dibelius!
14. O-Ton Harald Kretzschmar:
Und das war zu viel, das war zu starker Tobak. Heinz Schmidt wurde dann ausgewechselt
gegen einen anderen. Das sind die komischen Fünfzigerjahre, wo ich immer sage, das ist
voller Widersprüche gewesen.
Sprecherin:
Für „Majestätsbeleidigung“ und „Groben Unfug“ bot das Strafrecht schon im ausgehenden
19. Jahrhundert Möglichkeiten, eine kritische Satire zu sanktionieren. Erstaunlich: der
Medienhistorie sind nur drei Fälle bekannt, in denen Satiriker tatsächlich ins Kittchen
wanderten: beim "Kladderadatsch", dem "Simplicissimus" und dem "Süddeutschen
Postillon". Für Heinz Schmidt vom „Eulenspiegel“ war eine glimpfliche Strafe vorgesehen,
er tauschte seinen Posten mit Peter Nelken und wechselte zum“ Nationalrat der
Nationalen Front“.
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Gedicht von Titanic- Autor Max Goldt
Im Omnibus von Vilnius
traf ich einst ein Rüsschen,
dem griff ich an die Nüsschen,
er stöhnte wie ein Tiger,
das hörte man bis Riga
Sprecherin:
1962, als die Welt immer noch eine Scheibe war, gründete sich auch im Westen des
zweigeteilten Deutschlands eine Zeitschrift zur Pflege der satirischen Kunst. Hans A. Nikel,
ein junger Verlagsgründer ohne Geld, ohne Beziehungen, ohne Autoren, aber von einem
atemberaubenden Tatendrang besessen, wollte die junge Bundesrepublik durch satirischliterarische Texte aufrütteln. Er hatte sich bereits einen Namen ausgedacht. Pardon sollte
auf dem Titelblatt prangen. Dazu ein Teufel, der seinen Hut lupft. Für den Leitartikel hatte
sich Hans A. Nikel einen berühmten Schriftsteller ausgeguckt, der aber von seinem Glück
noch gar nichts wusste: Erich Kästner.
15. O-Ton Nikel:
Und da hab ich erfahren, ja, der lebt in München, der sitzt da auch immer im Cafe soundso
in der und der Straße. Da bin ich nach München gefahren und hab diese ganze Straße
abgesucht in jedem Cafe. Und da bin ich zu ihm an den Tisch, hab mich vorgestellt, und er
war so was von mürrisch. Und da hab ich gesagt, zu mir müssen sie aber gar nicht so
unfreundlich sein.
Sprecherin:
Denn Nikel hatte eine tolle Geschichte anzubieten. Er hätte als junger Pimpf im Auftrage
der örtlichen Nazi Organisation gegen Leute wie Kästner eigentlich vorgehen müssen.
16. O-Ton Nikel:
Einmal im Monat mussten wir von Haus zu Haus ziehen und herauskriegen, ob dort Leute
leben, die Bücher von Antifaschisten haben. Und die sind dann weggenommen worden
und verbrannt worden. Und so kam ich bei einem Besuch an ein Buch von Erich Kästner.
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Sprecherin:
„Emil und die Detektive“ landete nicht in den Flammen der Bücherverbrennung.
17. O-Ton Nikel:
Wenn sie wüssten, was ich im Krieg für sie getan hab? Ich hab das Buch von ihnen
geklaut, gelesen und war so beglückt, dass ich gesagt habe, nach dem Krieg musst Du
den Kerl mal kennen lernen.
Sprecherin:
Kästner war ob dieser Geschichte gerührt und schrieb prompt das Editorial der ersten
Pardon-Ausgabe. Damit hatte Nikel einen ersten Prominenten, mit dem es ihm künftig
leichter fiel, andere Autoren zu locken. Etwa Martin Walser oder Günther Wallraff, Hans
Magnus Enzensberger, Loriot, Ephraim Kishon und Hans-Dieter Hüsch.
(Robert Gernhardt Vers aus WIMS/Pardon)
Seid gut zu den Armen,
wenn ihr die nicht hättet,
würden euch die Rucksäcke
dauernd runter fallen.
Sprecherin:
Die erste Pardon - Ausgabe enthielt einen harmlosen Cartoon, der nackte Menschen
sekttrinkend und feiernd in einem Vorortzug zeigte. Der "Volkswartbund", eine Vereinigung
katholischer hardcore - Sittenwächter, beantragte, das Heft verbieten zu lassen.
Erfolgslos. Aber der Werbeeffekt für das neue Magazin war in Mark und Pfennig kaum zu
überschätzen. Auch fortan war die Justiz der zuverlässigste und effektivste Werbeträger
der jungen Satirezeitung.
Achtzehn mal wurde Pardon allein von Franz-Josef Strauß, dem CSU-Vorsitzenden und
zeitweiligem Verteidigungsminister verklagt. Und jedes Mal obsiegte die Satirefreiheit.
Hans A. Nikel und seine kleine Redaktion verstanden sich als Pazifisten und konsequente
Gegner der Wiederaufrüstung der Bundesrepublik.
18. O-Ton Nikel:
… der Adenauer, der hat gesagt: Wir brauchen neues Militär und dazu nehmen wir uns
als erfahrene Leute die alten Generäle. Und der Adenauer hat die alten Nazigeneräle, die
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hat er zu den Oberbefehlshabern der neuen Bundeswehr gemacht. Und da hab ich
gedacht, das kann doch nicht wahr sein, dass die Leute, die die größten
Kriegsverbrechen mit unterstützt oder unterschrieben oder vielleicht selbst vollbracht
haben, dass die jetzt die neuen Leute für eine demokratische Bundeswehr sein sollen.
Das kann doch nicht wahr sein.
Sprecherin:
Hans A. Nikels Pardon und seine Autoren schossen in Wort und Ton gegen sämtliche
Repräsentanten des Staates – auch und gern gegen Heinrich Lübke, den ein wenig
glücklos agierenden Bundespräsidenten. Ihm widmeten sie eine Spott-Schallplatte, die
Lübkes beste Patzer präsentierte.
Archiv O-Ton (Einspiel aus Heinrich Lübke – Platte)
„Wir hier zu Besuch in... / … Drehung der Erde“
Sprecherin:
Beim Eulenspiegel übte man sich zu dieser Zeit, wenn auch etwas verhalten, in
Demokratie:
19. O-Ton Harald Kretzschmar
Am Anfang, als ich hinkam, war die Demokratie noch so weit entwickelt in dieser
Redaktion, dass sämtliche Mitarbeiter montags um den Tisch rum saßen und dann gingen
die Ideenskizzen erst mal rum für Zeichnungen. Und dann gab es ein Kreuze-System. Da
haben wir Kreuze dran gemacht, welche wir gut fanden und die anderen kriegten kein
Kreuzchen. Und dann konnte es passieren, dass fünfzehn Kreuzchen auf einer Zeichnung
waren, die der Chefredakteur nicht drucken wollte. (lacht) Und nun haben wir schadenfroh
geguckt, was macht er denn nun? Und welchen Trick hat er denn nun jetzt? … . Wir waren
auf Du und Du, das war ja kein Fremdling für uns, … und er hat es uns dann auch mit
Augenzwinkern beibringen müssen. Und dann haben wir uns halt den Umweg überlegt,
wie wir drum rum kommen.
20. O-Ton Holland-Moritz:
Und diese ewige Angst, es könnte die DDR zusammenbrechen, wenn mal irgend eine
Kuriosität nur benannt würde. Lächerlich. Er hat wirklich bei manchen Formulierungen
gesagt, das kostet mich hier diesen Stuhl. Willst Du das ? Wer weiß, was Du dann kriegst.
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Und das wollte ich natürlich nie und dann habe ich ihm Angebote gemacht und wenn ihn
das auch nicht überzeugt hat, hat er mir Angebote gemacht und wir haben uns immer
wieder einigen können.
Sprecherin:
Von den jeweiligen Chefredakteuren, die quasi das Scharnier zum Regime bildeten, wurde
erwartet, dass sie sich als Dompteure einer aufmüpfigen Redaktion durchzusetzen hatten.
21. O-Ton Barbara Henniger:
… Der hatte mal eine Aussage gemacht bei einer Redaktionssitzung … und da hatte ich
drei Ideen gemacht und der guckt sie sich an und er sagt: die ist gut, die ist besser, die ist
zu gut,ne.
Sprecherin:
Barbara Henniger kam als Autodidaktin zum Eulenspiegel:
22. O-Ton Barbara Henniger:
Es hieß ja immer, die DDR Karikatur ist belanglos, weil sie ja nicht scharf sein kann. Und
in einer Diktatur kann man keine Satire machen, was natürlich ein ganz großer Irrglaube
ist. Gerade diktatorische Systeme schreien nach Satire, man muss bloß den Weg finden,
die zu Papier zu bringen. Das war eben die Kunst.
Sprecherin:
Offizielle Aufgaben des Eulenspiegel: Schleudern des Fehdehandschuhs gegen den
Imperialismus im Ausland und Bekämpfung des Schlendrians in heimischer Produktion
und in der Versorgung der Bevölkerung mit Waren und Dienstleistung.
„Bei Schwarzenbach klingelts. Der Klempner steht vor der Tür. „Oh!“ ruft Herr
Schwarzenbach erfreut, „ich sehe, Sie haben schon das Werkzeug mit!“
„Tatsächlich!“ wundert sich der Klempner, „wie zerstreut ich doch in letzter Zeit bin!“
23 . O-Ton (der Autor spricht ein Zitat von Robert Gernhardt)
Lieber Gott, nimm es hin,
dass ich was Besondres bin
und gib ruhig einmal zu,
dass ich klüger bin als Du.
Preise künftig meinen Namen,
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denn sonst setzt es etwas,
Amen.
Sprecherin:
Auch bei Pardon sah man zu dieser Zeit einen politischen Auftrag. Beliebt war die
Zeitschrift, weil sie nicht nur komische Geschichten zu Papier brachte, sondern ihre
Schreiber auch eine deutliche, systemoppositionelle Ambition besaßen. Kampf dem
Establishment! Noch vor den 68er-Studenten gingen die Pardonisten als eine Art
Spaßguerilla auf die Straße. Aktionskunst mit politischem Anspruch.
Drei Hauptfeinde galt es mit den Waffen der Satire zu treffen, das Militär, die Katholische
Kirche …. und ….?
24. O-Ton Nikel:
BILD gehörte natürlich dazu, denn BILD ist ja eine scheußliche Geschichte gewesen.
Wir haben mal ein Exemplar von BILD untersucht, ob die Dinge, die da geschildert
wurden, von Leuten, die angeblich das und das erlebt haben und so und so mies
dargestellt wurden, ob das überhaupt stimmt. Einen ganzen Monat lang haben wir in der
Redaktion jede einzelne dieser BILD-Nachrichten nachgeprüft. Da steht ja dann immer,
wie der heißt und wo der wohnt und da sind unsere Redakteure hingefahren und haben
gefragt, wie das war? Neee, das war ganz anders, das hat BILD einfach so gebracht und
hat uns gar nicht gefragt usw.
Sprecherin:
Es entstand eine gefakte BILD-Sonderausgabe unter der Titelschlagzeile Pardons großer
Freizeit-Knüller: Finden Sie doch mal eine wahre Geschichte in der Bild!
25. O-Ton Nikel:
Und deshalb haben wir beschlossen, dass wir uns alle in BILD- Zeitungs - Uniformen
zwängen... Da ham wir uns genauso eingekleidet wie die BILD Zeitungsverkäufer und sind
mit drei Autos nach Berlin gedüst. Und sind da aufgetaucht vor dem Hauptquartier von
Springer. Und die Leute, die uns da reinlassen sollten, die waren so verwirrt, dass sie
dachten, das sind Springers Verkaufsleute und die wollen vielleicht der Obersten
Heeresleitung Bericht erstatten. Und da sind wir alle durch die ganzen Gänge bis rauf ins
Vorzimmer der Chefredaktion gefahren und haben dort alles ausgelegt … ganz toll.
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Sprecherin:
Eine andere Anti-BILD Aktion der Pardonistischen Befreiungsfront ereignete sich an der
italienischen Adria Küste. Als BILD-Zeitungsverkäufer getarnte Pardon Redakteure,
verteilten an deutsche Touristen eine Sonderausgabe mit der fetten Überschrift: „Die
Mauer ist weg!!!“. Es kam zu einer spontanen Rückreisewelle.
Beschimpfung von Titanic- Anrufbeantworter
Sprecherin:
Die Mauer stand jedoch felsenfest – wie die gefoppten Italien-Rückkehrer feststellen
mussten. Die SED regierte weiterhin uneingeschränkt, wenn auch 1971 die oberste
Staatsmacht von Lotte Ulbricht auf Margot Honecker übergegangen war.
26. O-Ton Holland-Moritz:
Ja, und wir hatten alle Hoffnungen gesetzt auf den Honecker, schon weil er nicht so
grässlich gesächselt hat, der hat ja gar nicht gesächselt, aber er hörte sich auch nicht
besser an, ja und er wirkte sympathischer. Und er machte ja auch zunächst ein paar
Sachen, die sympathisch waren, es wurden plötzlich ein paar Bücher, die vorher auf Eis
gelegen hatten, die konnten plötzlich gedruckt werden. … Und dann peu a peu zeigte sich,
wes Geistes Kind er war, dass er einfach seinem Posten nicht gewachsen war.
27. O-Ton Barbara Henniger:
Wenn Sie in einem System leben, wo alles reglementiert und kontrolliert ist, dann macht
es einem kritischen oder munteren oder aufmüpfigen Geist Freude, die Lücke zu finden.
Und denen ein Schnippchen zu schlagen und das durchzubringen. Wenn es mir irgendwie
gelungen war, eine kritische Idee so zu verstecken in der Zeichnung, dass sie also als
Humorzeichnung durchging, war das doch ein Erfolg. Die Leser haben genau gewusst,
was gemeint war.
Sprecherin:
Bei Pardon dagegen verbot sich jegliches Tabu. Im Verlauf der Studentenbewegung
erreicht die Auflage Anfang 1969 ihre Höchstmarke von 320.000 Exemplaren, und das
nicht nur wegen ihrer politischen und satirischen Inhalte, sondern getreu dem Slogan.
„Wer zweimal mit der Selben pennt,
gehört schon zum Establishment!“
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Freie Sexualität in allen Spielarten und unkontrollierter Zugang zu Verhütungsmitteln,
insbesondere der Anti-Baby-Pille – zwei Forderungen, die Ende der 1960 Jahre in der
Bundesrepublik äußerst populär waren. Schroff gegen außerehelichen Sex und gegen
Empfängnisverhütung war vor allem der Papst mit seiner glaubensfesten Kurie. Pardon
ging den Papst ebenso schroff an, titulierte ihn als „Pillen Paul“, besprach ihn als
Inkarnation des Rückständigen.
Mit nackten Tatsachen verkaufte sich Pardon erkennbar besser als mit politischer Theorie
oder anspruchsvoller Literatur. Und deshalb – so hat es ein Medienwissenschaftler später
einmal nachgerechnet – brachte das Magazin auf jeder fünften redaktionellen Seite
nackte, weibliche Tatsachen. In einem immer wieder gern zitierten Titelblatt warb der
Verleger selbst, als Frauenarzt verkleidet, für die Anti Baby Pille.
33. O-Ton Nikel:
Und da hab ich mir dieses schöne Weib auf die Schulter gesetzt, nackt und so, und das
war ja auch ein Riesenerfolg. …
Sprecherin:
„Schreib ich hier eigentlich für eine Wichsvorlage?“, soll Redakteur Robert Gernhardt
einmal in der Redaktionsrunde gefragt haben. Von einer früheren Pardon Redakteurin ist
indes kein Widerwort bekannt geworden. Alice Schwarzer, platzierte ihre Artikel zwischen
Bildmaterial, das in ihrer späteren Sichtweise nichts als billige Pornografie gewesen sein
konnte. Aber häufig verklärt sich ja die Vergangenheit, insbesondere, wenn sie länger
zurück liegt.
34. O-Ton Nikel:
Die Alice Schwarzer, die wäre auch nicht zu mir als Redakteurin gekommen, wenn das
irgendwie ein pornografisches Heft gewesen wäre, nein. Also, die Alice Schwarzer, die
liebt mich nach wie vor, weiß der Himmel wieso.
Sprecherin:
In den 70er Jahren geriet die Pardon in eine tiefe Sinnkrise. Nikel kritisierte die angeblich
zunehmenden Eitelkeiten einiger Autoren. Viele seiner Redakteure klagten, ihr Chef sei zu
esoterisch geworden, würde obskuren Sekten folgen und habe als Verleger und
Chefredakteur sowieso zu viel Macht und Geld. Er benehme sich wie Michelangelo und
sie hätten brav als seine Schüler und Gehilfen zu gehorchen.
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35. O-Ton Nikel:
Die sind immer zu Saufen gewesen. Diese Saufereien, da haben die sich dauernd
bestätigt. .. Da konnte ich nur abschalten. Da konnte ich nur sagen: Da mach ich einfach
nicht mit. Das sind zwei Welten.
Sprecherin:
Einer der Säufer, der später zu Ruhm gekommene Schriftsteller Wilhelm Genazino,
erinnert sich an die Trennung im Hause Pardon so:
„Wir kamen morgens nicht mehr allzu pünktlich zur Arbeit, wir dehnten die Mittagspause
aus. Ein Joint machte die Runde, die Stimmung war wieder mal gut. Plötzlich öffnete ein
Redakteur die Fenster; er und der eine oder andere Kollege warfen die von uns
geschmähten “Schmunzelbücher“ zum Fenster hinaus. Dann traf der Gegenschlag ein.
Einer größeren Zahl von Redakteuren – unter ihnen ich selber – wurde gekündigt.“
Quelle: Tarzan am Rhein, Hanser Verlag, Wilhelm Genazino.
Sprecherin:
1979 heuerten die wichtigsten "Pardon"-Autoren auf der "Titanic" an, darunter der Lyriker
Robert Gernhardt, der Literat Eckhardt Henscheid oder der Karikaturist und Humordichter
F.K. Wächter. Ein schwerer Schlag von dem sich Pardon nicht mehr erholte.
36. O-Ton Nikel:
Der Unterschied liegt darin, dass dort die Satire gar nicht die entscheidende Funktion hat.
Sondern, dass da so viele Schweinereien drin sind, so viele Exzesse an Pornografie, das
ich niemals diese Dinge ins Heft genommen hätte. Und die nehmen das ins Heft und
halten das für große Freiheit. Aber wenn´s da immer nur um Pimmel geht und immer nur
ums Ficken geht und wenn es darum geht andere Leute in übelste sexuelle Dinge zu
verstricken, so ist das also nicht das, was Pardon gewollt hat.
Sprecherin:
Vergleicht man allerdings die in der Zeitungsbranche so genannte „Arsch und Titten
Quote“ von Pardon und Titanic – so kommt der neutrale Beobachter zu dem Schluss,
Pardon hatte erheblich mehr Lustbarkeiten zu bieten.
Pardon verstarb ohne seine Star Autoren quälend lange. Hans A. Nikel begann nach
seinem Rückzug vom Verleger-Job ab 1980 ein völlig neues Leben. Fortan nannte er sich
wieder Johannes Nikel, ging mit 50 ein zweites Mal an die Uni, promovierte über ein
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philosophisches Thema und begann sich mit der Kunst der Bildhauerei zu beschäftigen.
Als Schöpfer von meisterlichen Skulpturen arbeitet er bis heute in seinem Atelier im
hessischen Bad Homburg.
Auf der anderen Seite der Mauer hielt die Eulenspiegel-Reaktion weiterhin standhaft die
Satire-Stellung. Der Machtantritt Michail Gorbatschows in der Sowjetunion und die ihn
begleitende neue Offenheit, fand in der DDR Publizistik nur bedingt Widerhall.
37. O-Ton Barbara Henninger:
Aber vor allem in der zweiten Hälfte der 80er Jahre, als Reaktion auf die Perestroika in der
Sowjetunion wurde richtig buchstäblich Satire raus genommen aus dem Blatt und Humor
rein. Die Humorredakteure waren schon ganz verzweifelt, weil sie immer wieder neue
Lücken stopfen mussten.
Sprecherin:
Manchmal gelang es auch, durch eine dieser Lücken zu schlüpfen, doch wenn das
Versehen entdeckt wurde, dann kam es vor, dass eine Ausgabe nicht ausgeliefert wurde.
So geschehen bei einer Titelblatt-Zeichnung von Manfred Bofinger:
38. O-Ton Holland-Moritz:
Ich erinnere mich an die Bockwurst mit den vier Zippeln. Da gab es mal insgeheim
Preiserhöhungen. Der Honecker hat ja nie geduldet, dass bei irgendwelchen
Grundnahrungsmitteln, nicht mal um einen Pfennig durfte da etwas verschoben werden.
Und da hatte der „Bofi“ so eine Titelzeitung gemacht, wie so ein Wurstmaxe da steht und
eine Wurst mit zwei Zippeln, und die dann plötzlich 1,50 kostet, das Doppelte.
Aber da haben sie nur einen Bruchteil der Auflage wieder einfangen können.
Und als das ruchbar wurde, dass das Ärger gegeben hat, da haben die Kioskbesitzer am
Alex behauptet, es sei schon ausverkauft. Und da hatten die die Pakete drunter
weggeschoben, damit auch keiner sehen konnte, dass sie die noch hatten. Und die haben
sie dann zu erhöhten Preisen verkauft. Hatten sie sich also die vier Zippel zum Beispiel
genommen.
Archiv-O-Ton Helmut Kohl, H.D. Genscher, Walter Momper singen die Deutsche
Nationalhymne an der geöffneten Mauer in Berlin. Blenden,
Sprecherin:
Auf diese Weise konnte es nicht gut gehen mit der DDR. So wie es Pardon vorausgesagt
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hatte, wenn auch für einen früheren Zeitpunkt, öffnete sich plötzlich die Mauer und eine
neue Ära des „Eulenspiegel“ begann.
39. O-Ton Mielke:
Ich habe Baufacharbeiter gelernt, hab dann bei der Berliner Zeitung gearbeitet und bin
dann 1991 zum Eulenspiegel gewechselt, wo ich bis 98 gearbeitet habe.
40. O-Ton Behrend:
Gelernt habe ich Elektriker, dann hab ich Journalistik studiert und dann für sechs Jahre im
DDR Fernsehen in der Meckersendung „Prisma“ gearbeitet. Und von dort bin ich zum
Eulenspiegel gegangen.
Sprecherin:
Georg Behrend und André Mielke waren zur Zeit der deutschen Wiedervereinigung die
heftprägenden Redakteure des „Eulenspiegel“. Sie waren jünger als die Altgedienten und
sie waren respektlos: gegenüber den alten Kräften in der Redaktion und den neuen
Herren im vereinten Vaterland. Nun sitzen beide in einem kleinen Park in Berlin
Kreuzberg, in blühenden West - Landschaften und resümieren ihre Jahre in der
Humorproduktion.
41. O-Ton Mielke und Behrend.
Man wusste, dass man nicht unbedingt den Rücktritt Honeckers fordern sollte, das war
nicht an der Tagesordnung. Aber auch da konnte man schon durch Fakten schon lustig
argumentieren, also ich habe diese Einschränkungen nicht allzu gravierend empfunden. …
Mielke: Man konnte subtiler arbeiten, als das heute geht … mit Begriffen wie Ziegenficker
wäre damals natürlich völlig undenkbar gewesen. Damals waren die Leser viel sensibler
und hatten auf sehr viel niedrigschwelligere Reizworte angesprochen, so dass eigentlich
die Arbeit für den Satiriker einfacher war, um ein Echo zu erzeugen.
Sprecherin:
Nicht durch die Kopfgeburt am Schreibtisch, in der verdeckten Aktion entsteht die wahre
Satire – so die Arbeitsmaxime der beiden Eulenspiegel Redakteure in der Nach-WendeZeit. Vor ihren skurrilen Ideen waren nicht mal die im Rampenlicht der Weltpresse
stehenden DDR- Bürgerrechtler sicher.
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42. O-Ton Behrend:
Wir hatten damals diesen Bürgerrechtlern, die ja sehr ehrenwerte Motive hatten, aber
natürlich mit einer geradezu lächerlichen Eitelkeit agierten, und das fanden wir schon
belustigend, und die wollten wir noch ein bisschen fördern und herauskitzeln.
Und haben denen also gesagt, dass sie in ein Wende-Museum, wo die Köpfe der Wende
geehrt werden sollen, kommen. Und dazu wären eben Gipsabdrücke nötig. Das war ne
sehr aufwendige Prozedur, wir hatten damals einen Bildhauer gewonnen, der hatte, wie
man es letztlich bei einer Totenmaske machen würde, also, der hat die eingecremt, mit
Binden versehen und dann halt diese Gipsabdrücke gemacht. Und die konnten nur noch
durch irgendwelche Plastikschläuche atmen, die in der Nase steckten. Und das war schon
eine sehr anstrengende Prozedur für die Betroffenen und die waren uns auch relativ
ausgeliefert, und hatten ein so grenzenloses Vertrauen auch zu uns, das war geradezu
rührend. Und es diente einer einzigen Aussage, dass diese Menschen von der eigenen
Bedeutung überzeugt waren und von so einer Eitelkeit geprägt waren, dass wir relativ
leichtes Spiel hatten.
43. O-Ton Mielke:
Es war ja die Zeit, wo bestimmte Leute Lutz Rathenow oder Rainer Eppelmann doch auch
ständig ihre eigene Bedeutung für den Gang der Dinge erzählt wurde, und sie haben das
auch weitgehend geglaubt, und insofern war dann auch kein Problem, ihnen zu sagen,
dass sie für die Ewigkeit konserviert werden.
Sprecherin:
Ihre Charakterköpfe in Gips tauchten auch Sabine Bergmann-Pohl, Konrad Weiß und
Gunther Emmerlich.
44. O-Ton Mielke:
Das war ja eigentlich auch keine bösartige Sache, es war ja, die Leute bei ihrer Eitelkeit
gepackt und ein bisschen vorgeführt, aber nicht wirklich schlimm. Es war nur natürlich
durch die Figuren, die damals als Heilige galten, überwiegend zu mindestens, bekam das
natürlich so ne gewisse Fallhöhe. Aber, ob das irgendwie von den Leuten als
entwürdigend und so weiter, ne diese Diskussion, die wir heute haben, gab´s nicht.
45. O-Ton Behrend:
Für uns war das streckenweise schon hart bei der ganzen Aktion ernst zu bleiben, weil, die
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haben die eigene Bedeutung zelebriert und genossen. Und ja auch kleinste
Schmeicheleien dankbar aufgenommen. Das hat doch Spaß gemacht, wie reibungslos das
funktioniert hat mit denen.
Sprecherin:
Nur Freya Klier und Lothar de Maizière rochen offenbar den Braten und blieben der
musealen Huldigung fern.
46. O-Ton Mielke:
Wir hatten auch Friedrich Schorlemmer angefragt. Der war aber ein bisschen zögerlich
und hat dann später in einem Interview gesagt, er würde mir am liebsten eins auf die
Fresse haun, (lacht).
Sprecherin:
Mit der verkauften Auflage ging es trotz der hoch gelobten Satire-Aktionen des Duo Mielke
/ Behrend im Zuge der deutschen Wiedervereinigung rapide bergab. Und dies – so André
Mielke - hatte absolut nichts mit der Westkonkurrenz zu tun sondern mit der traditionellen
Ausrichtung des Blattes. Es gab zwar eine halbe Million Leser in der DDR, aber...
47. O-Ton Mielke:
….so viel Fans kann Satire eigentlich nicht haben, wenn´s wirklich richtige Satire ist. Das
zeigt schon, dass das ein Gemischtwarenladen war, der auch viel Humor hatte, auch in
gewisser Weise populistisch war in dem Sinne, als dass er die Leute dort abgeholt hat bei
ihren täglichen Bedrängnissen mit der Deutschen Post oder mit der Reichsbahn oder mit
dem Angebot von irgendwelchen Konsumgütern. Und das hat sich nach der Wende, in
dem man dann versuchte, das eben zu einer richtigen Satirezeitung zu machen, hat sich
das gleichzeitig mit den 500.000 etwas reduziert. Also, das hat sich dann auf die
Anhängerschaft einer Satirezeitung normalisiert.
Sprecherin:
Dem Auflagenschwund konnte auch ein vielversprechender Westpraktikant nicht
begegnen: Martin Sonneborn – später Vorsitzender der Partei „Die Partei“.
48. O-Ton Sonneborn:
Ich hatte mich gerade bei Titanic beworben um ein Praktikum, und die hatten mir eine sehr
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lustige, bösartige Absage geschickt. Und ich war dann eh in Berlin und bin dann mal beim
Eulenspiegel vorbeigegangen und hab mich da vorgestellt und gefragt, ob ich da ein
Praktikum machen kann. Jürgen Nowak, damals Chefredakteur, der wusste nicht, was ein
Praktikum ist, ich wusste nicht, was ein Praktikum ist. Und dann haben wir uns darauf
geeinigt, dass ich das mache und dann bin ich drei Monate morgens so um zehn herum
zum Eulenspiegel gegangen.
49. O-Ton Behrend:
Der hat gute Arbeit gemacht, der war schon sehr stilsicher von Anfang an, hat auch sehr
lustige Sachen geschrieben und wir haben am Anfang ja auch sehr schönen Aktionen
zusammen gemacht.
50. O-Ton Sonneborn:
Es gab diese unselige Konstruktion, dass sich die beiden Dümmsten das Blatt unter den
Nagel gerissen hatten, weil sie als erste einen Westanwalt engagiert hatten … und dann
in Personalunion Herausgeber, Chefredakteure und Eigentümer dieses Blattes waren …
Insoweit sind da dann auch sämtliche guten Leute da weggegangen, …, die sind ja alle
gegangen und zum Schluss bei Titanic gelandet.
Sprecherin:
Der aktuelle Chefredakteur des Eulenspiegel, Mathias Wedel, bleibt in dieser Sendung
stumm, schickt aber als Ablehnung für unsere Interviewanfrage eine E Mail:
„Die Sendung, die Sie planen, kann ich quasi schon singen. Jährlich erscheint wenigstens
eine Titanic-Eulenspiegel-Gegenüberstellung, aus der man lernen kann, dass der
pointenfreie Humor der Titanic der eigentlich schöne ist und der Eulenspiegel von
moribunden SED-Altkadern gelesen wird. Das wissen inzwischen doch alle. Dennoch gutes Gelingen.“
Weitaus entspannter blickt der ehemalige Chefredakteur der Titanic Thomas Gsella auf
sein Amt:
51. O-Ton Thomas Gsella:
Es wollte kein anderer, ich brauchte das Geld, so wurde ich Chefredakteur.
Ich hab überhaupt kein Selbstverständnis als Chefredakteur gehabt, ich bin da einfach
jeden Morgen hingegangen. Das Verhältnis zu den Kollegen blieb auch genau so wie es
war. Ich habe mich ja nicht als heftprägender Umstürzler verstanden, sondern wollte alles
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so weiter laufen lassen, wie es lief und ich glaube, ich bin damals gar nicht aufgefallen.
Wahrscheinlich wissen noch heute viele Redakteure nicht, dass ich damals Chefredakteur
war.
Sprecherin:
Nicht jede Ausgabe der Titanic und des Eulenspiegel hat das Zeug als Speerspitze der
Aufklärung zu glänzen. Nicht jeder Witz zündet, nicht jede Pointe geht auf. Manche Artikel
und Fotos sind schlecht und geschmacklos. Andere sind vorurteilsbeladen oder einfach
nur arrogant. Aber auch mindere ästhetische Qualität oder Anflüge politischer Blödheit
dürfen nicht dazu führen, der Satire ihre Legitimität abzusprechen, befand jedenfalls Kurt
Tucholsky.
Zitat:
"Die Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die
Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird."
Sprecherin:
Dem wird Martin Sonneborn uneingeschränkt zustimmen. Fünf Jahre stand er an der
Spitze der Titanic Redaktion. Seine Ära war bestimmt durch eine Arbeitsweise, die stark
durch die alte Aktionskunst–Satire der alten „Pardon“ inspiriert war.
54. O-Ton Sonneborn:
Ich erinnere mich an lustige Telefonaktionen, in denen wir zum 10. Jahrestag der
deutschen Einheit, als klar war, dass das ganze Land besinnungslos feiern würde, hab ich
überlegt, wie man dem etwas entgegen setzten kann und hab dann im Osten angerufen
bei repräsentativ wahllos herausgegriffenen Sachsen und habe einfach mal die
Fernsehgebühren im Namen der GEZ nachverlangt, die von 1970 bis 1989 angefallen
sind. Die haben ja alle Westfernsehen geguckt, aber nie dafür bezahlt. Da bin ich auf
interessante Formen der Beschimpfung und des Protestes gestoßen, die man natürlich gut
abdrucken konnte.
Sprecherin:
Doch als eine der wirkungsvollsten Aktionen wird Sonneborns Engagement für den
deutschen Sport in die Satire-Geschichte eingehen.
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Archiv O-Ton FIFA von der Bekanntgabe der WM - Austragungsstätte Deutschland 2006
Blatter: „And the winner ist Deutschland“ - Jubel
Sprecherin:
Martin Sonneborn ist ein großer Freund des Fußballs. Deshalb verschickte er kurz vor der
Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 auf Englisch ein freundliches Fax an die
wahlberechtigten FIFA-Mitglieder. In dem Schreiben wurde ihnen eine hohe Belohnung in
Ausssicht gestellt, wenn sie für Deutschland als Austragungsort stimmen würden.
„... Let me come straight to the point: In appreciation of your support we would like to offer
you a small gift for your vote in favour of Germany. A fine basket with specialities from the
Black Forrest...“
55. O-Ton Sonneborn:
Ich habe einen Geschenkkorb angeboten mit ein paar guten Schwarzwälder
Schinkenteilen, mit ein paar verdammt guten Würsten. Ich dachte, das ist etwas
Handfestes und die Leute wirkten dermaßen korrupt in ihren Bildern, dass ich mir da
Chancen versprach und das hat dann auch geklappt.
Sprecherin:
Unter den FIFA-Funktionären befand sich auch der Neuseeländer Charles Dempsey, der
sich, in Aussicht auf Schinken und Kuckucksuhr, entgegen den Anweisungen seines
Heimatverbands, der Stimme enthielt. So wurde Deutschland in der finalen Auszählung
mit 12:11 Stimmen gegen Südafrika als Austragungsort für die Fußball-WM 2006 gewählt.
Dank Martin Sonneborns uneigennützigem, korruptivem Einsatzes. Doch das Lob blieb
aus. Franz Beckenbauer und die Bild-Zeitung tobten und schäumten und riefen zur
Treibjagd auf den Fax-Fälscher.
56. O-Ton Sonneborn:
Zuerst reagiert hat die BILD Zeitung, die haben schon verstanden, dass das ein Angriff auf
die deutsche Bewerbung und die Unsitten bei der Vergabe von FIFA Turnieren war und
haben dann dazu aufgerufen, uns mal die Meinung zu sagen, haben unsere
Telefonnummer veröffentlicht. Und dann klingelten für die nächsten neun Stunden
sämtliche Telefone, die wir haben.
Atmo: Telefonate
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weiter O-Ton Sonneborn:
Das war für uns natürlich interessant, weil wir bei Telefonaktionen sehr oft mit hohem
Einsatz versuchen geeignete Leute ans Telefon zu bekommen und hier hat uns die
Bildzeitung freiwillig und auf deren Kosten ihre besten Leser ausgeliefert und sie bei uns
anrufen und schimpfen lassen. Und ich habe das ausversehen mitgeschnitten.
Ausversehen, weil das doch verboten ist Telefongespräche mitzuschneiden eigentlich und
habe danach ausversehen eine schöne CD gemacht, das war glaube ich die
erfolgreichste Abo-Prämie, die Titanic je hatte.
57. O-Ton Sonneborn:
Und die FIFA hat insoweit reagiert, dass sie mir einen Anwalt auf den Hals geschickt hat.
Ein Anwalt vom Deutschen Fußball Bund und von Franz Beckenbauer bezahlt, kam dann,
wir trafen uns in einem extrem teuren Hotel in Stuttgart. Und dann stand für einen kurzen
Moment die Schadensersatzforderung von 600 Millionen im Raum damals. Hätte also
mein Gehalt als Chefredakteur bei Titanic bei weitem überstiegen. Und der Anwalt bot mir
dann aber einen Ausweg, er hatte ein Schriftstück vorbereitet, das ich unterzeichnen
sollte, um diesen Prozess herumzukommen, und in diesem Schriftsatz sollte ich mich
verpflichten – Ich kann das noch wörtlich zitieren: Zeit meines Lebens nicht mehr Einfluss
zu nehmen auf die Vergabe von FIFA Turnieren durch das Versenden von BestechungsFaxen. Dann ist der Anwalt verschwunden, und ich durfte noch seinen Tee bezahlen, das
war, glaube ich, die zweitgrößte Ausgabe in diesem ganzen Unterfangen, weil das ein sehr
teures Hotel war.
Sprecherin:
Wie damals „Pardon“ mit der Vorhersehung der Maueröffnung war die „Titanic“ mit ihrer
Offenlegung der Bestechungsversuche, der Zeit weit voraus. Die einstige Lichtgestalt
Franz Beckenbauer hat mittlerweile gewaltig an Strahlkraft verloren. Die Karrieren von
Sepp Blatter, Wolfgang Niersbach und Michel Platini endeten frühzeitig und desaströs –
Da sage noch jemand, Satire sei wirkungslos.
Schlecht zu sprechen ist die Titanic auch auf das Münchener Nachrichten-Magazin
„Focus“. Man wollte unbezahlte Werbung für das Münchener Fakten-Magazin machen und
stieß auf Undankbarkeit. Titanic änderte den Focus- Werbespruch: Fakten, Fakten, Fakten
– immer an die Leser denken!“ nur leicht, ganz leicht.
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58. O-Ton, Sonneborn:
„Ficken, ficken, ficken und nicht mehr an die Leser denken.“ Da hat Markwort uns auf
100.000 D-Mark verklagt, das sind dann mit Gerichtskosten immer gleich existenzielle
Summen für ein kleines Satiremagazin.
Archiv - O-Ton, kurzer Trenner-Spruch aus „BILD-Leser beschimpfen Titanic“
59. O-Ton Sonneborn:
Es gibt ja auch die Forderung der Titanic Gründer, die Grenzen der Satire jeden Monat
neu auszuloten. Das ist, glaube ich, ganz wichtig. Ich sag immer, es gibt keine Grenzen
der Satire, man muss am Einzelfall immer abwägen, was man tut und was nicht und eine
grundsätzliche und eine Vorneherein-Entscheidung kann man da eigentlich nicht treffen.
Sprecherin:
"Bekämpfst du so vermessen
Den Feind, das rächt sich schwer.
Erst hat der Hieb gesessen,
Dann sitzt der Redakteur."
Seit 1945 bis heute ist in der Bundesrepublik kein einziger Satiriker oder Kabarettist in
einer Zelle gelandet. An den Satirezeitschriften Pardon und Titanic haben sich
Heerscharen von Anwälten und Richtern aufgerieben.
60. O-Ton Sonneborn
Es gibt Klagen von Politikern ab und zu. Björn Engholm steht als warnendes Beispiel im
Raum im Zusammenhang damals mit der Barschel Affäre. Björn Engholms Kopf auf dem
Körper des toten Uwe Barschel in der Badewanne, „Sehr komisch, Herr Engholm“ war die
Schlagzeile. Und ein kleines gelbes Quitscheentchen, das im Prozess dann von uns als
Versöhnungsquitscheentchen ausgegeben wurde, aber das reichte nicht. Schnitt. Und
Engholm hat unfassbarerweise damals ein Schmerzensgeld von 40.000 DM
zugesprochen bekommen. Das war damals das höchste Schmerzensgeld in der
deutschen Pressegeschichte, das an einen Politiker gegangen war.
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Sprecherin:
Darf Satire alles?
Aus Titanic-Sicht lassen sich über den Papst prima Witze machen. Ratzinger, der erste
Deutsche auf dem Katholiken-Thron, schickte allenfalls einen Anwalt los, um sich gegen
allzu unchristliche Anmache der Titanic zu wehren. Auch über Jesus darf man in Bild und
Ton falsch Zeugnis reden, ohne dass die Glaubenskongregation die Schweizer Garde
schickt. Nur über das geistige Führungspersonal der Muslims sind Witze mittlerweile
lebensgefährlich.
Die Anschläge von Paris haben Menschen aus ganz Europa auf die Straßen gebracht. Ein
Plädoyer für Meinungsfreit.
61. O-Ton Behrend:
Grenzen sind da, wo es nicht mehr lustig ist. Damals die Diskussion über die Mohammed
Karikaturen, die stören mich logischerweise gar nicht, weil ich weder christlich noch sonst
wie religiös gebunden bin, ich würde sogar das Abbildungsverbot der Muslims akzeptieren,
wenn´s trotzdem lustig ist, würde es mich auch nicht stören, das zu übertreten. Aber, wenn
es nicht lustig ist, dann soll man sie halt nicht machen.
62. O-Ton Harald Kretzschmar:
Mit den Mohammed Karikaturen, das hab ich alles nicht mehr richtig verstehen können.
Was ist denn überhaupt für ein Bedürfnis da, ich hätte doch niemals das Bedürfnis
Mohammed zu karikieren, da gibt es doch so wunderbare andere Angriffspunkte auch für
die böse Satire. Da warte ich jetzt mal auf den Psychoanalytiker, der mir das einmal
erklären kann. Das wäre hübsch.
63. O-Ton Thomas Gsella:
Wenn der Titanic gute Witze einfallen zu anderen Religionen als zum Christentum, dann
macht sie schöne Witze. Es gab mal sehr sehr schöne Originalfotos von Mohammed und
Allah, ich glaube, die weltweit einzigen, die nach dem Abdruck dieser dänischen
Karikaturen noch gezeigt wurden. Es waren sogar private Fotos von Mohammed und Allah
und so ein bisschen altfarbig und so, immerhin 500 Jahre alt oder 600, wie der seiner Frau
ein Glas Schweinsbraten mitbringt und so. Also diese Dokumente haben wir finden können
und auch veröffentlicht. Da gab es auch keine Proteste der Muslime, ich glaube die waren
froh, die auch mal zu sehen die Beiden.
24
Absage:
Ernstfall Satire
Satiremagazine im Crash-Test: „Pardon“, „Titanic“, „Eulenspiegel“
Feature von Rainer Link
Redaktion: Kathrin Aehnlich
Es sprach Chris Pichler
Schnitt: Hans-Peter Ruhnert
Ton: André Lüer
Regieassistenz: Thekla Harre
Regie: Stefan Kanis
Produktion Mitteldeutscher Rundfunk 2016
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