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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Tandem
Die digitale Familie
Wie smart ist das Smartphone wirklich?
Von Gabriele Knetsch
Sendung: 26.01.2017, 10.05 Uhr
Redaktion: Nadja Odeh
Regie: Günter Maurer
Produktion: SWR 2016
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede
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DIE DIGITALE FAMILIE
Sprecherin:
Familie V. lebt in einem kleinen Reihenhaus am Stadtrand von München. Peter V.
arbeitet in der IT-Branche, Silke V. kümmert sich um die vier Kinder: Jonas, 15,
Sanna, 13, Linus, 8 und Elly, 5. Eine deutsche Mittelklasse-Familie. Aber auch eine
digitale Familie: Es gibt bei den V.ens vier Smartphones, vier Tablets – eines davon
kaputt -, zwei I-Pods, einen Computer, eine Wii und einen Fernseher, der mit dem
Internet – und damit mit sämtlichen Filmen und Spielen des weltweiten Netzes verbunden ist.
Musik überblenden in
Zsp. Gronkh, kurz frei, dann darüber
Sprecherin:
Ganz oben unterm Dach, im zweiten Stock links, liegt Jonas im Bett und schaut sich
auf seinem Tablet Gronkh an. Gronkh ist ein „Let’s player“ der vier Millionen Follower
dadurch in den Bann zieht, dass er sie zusehen lässt, wie er Computergames spielt –
mit Vorliebe aus dem Horror-Milieu:
Zsp. Youtube, Handwerker-Video
Kurz frei, dann darüber
Sprecherin:
Gegenüber, im Schlafzimmer, rechts, konsumiert Vater Peter V. Handwerker-Videos
auf seinem Tablet. Peter V. guckt gerne anderen Leuten dabei zu, wie sie Stühle
oder Schränke bauen.
Zsp. Musik, Louane, „Tourne“
Kurz frei, dann darüber
Sprecherin:
Erster Stock, links:
Sanna liegt auf dem Bett in ihrem Zimmer und hört sich ihre Lieblingssängerin
Louane auf dem Smartphone an.
Musik verblenden mit
Zsp. Mario Kart, darüber
2
Sprecherin:
Ihre kleinen Geschwister Elly und Linus sitzen unten im Wohnzimmer und spielen
Mario Kart auf der Wii – ein Autorennen mit Comic-Figuren für die Spielkonsole. Ihre
Mutter Silke stellt währenddessen am Computer Kinderklamotten auf E-Bay ein.
Die V.s sind eine ganz normale Familie. Aber sie sind auch eine Community von
Internet-Usern, die sich im Netz wohl eher selten begegnen würden. Was Jonas liket,
kennt seine Mutter Silke nicht mal. Das hat Folgen für das Familienleben. Silke V.
bezeichnet sich selbst als „Dinosaurier“:
Zsp. Silke V., V. 3, Anfang
Ist nicht ganz so mein zwangläufiges Ding. Mit den Kindern kommt man aber nicht
aus, außerdem habe ich den passenden Mann dazu, der sich schon immer für all
diese Dinge begeistern konnte. Für ihn ist die aktuelle Entwicklung super bestimmt,
nicht mehr nur ein langweiliger Computer, sondern alles mögliche. Was man da alles
machen kann!
Sprecherin:
Der Dinosaurier hat sich inzwischen in sein Schicksal gefügt – und ist selbst der
supervernetzten, immer kommunikationsbereiten Welt der datenausspuckenden User
beigetreten:
Zsp. Silke V.
Ich habe neuerdings auch ein Smartphone, was ich lange nicht hatte. Und lange
nicht wollte. Ich will nur telefonieren und Punkt. (…) Ich habe neuerdings Whatsapp
für mich entdeckt, als der letzte auf der Welt. Und ich habe schon festgestellt, das hat
auch Vorteile. Meine Tante, die ist jetzt 74, die ist neuerdings auch involviert.
Plötzlich höre ich die ganz oft, sie wohnt in Bremen.
56.15 Was schreibt die Tante? - In dem Fall habe ich ihr ein Foto geschickt von der
Elly mit Seifenblasen. Und habe sie gefragt, gab es das auch schon, als du klein
warst? – Na klar, hat immer viel Spaß gemacht. Aber Nagellack hatten wir in dem
Alter nicht. Lachen.
Sprecherin:
Familien, so besagt es die Medienwirkungsforschung, sind inzwischen quasi zu
hundert Prozent mit digitalen Medien versorgt. Unabhängig von Schicht,
Bildungsstand oder Einkommen. Nicht nur Kinder aus wohlhabenden Familien haben
ein Smartphone oder Tablet – sondern nahezu alle. Das Handy ist für viele Kinder
und Jugendliche so alltäglich wie der Radiergummi oder das Federmäppchen in der
Schultasche. Die Studie „Kinder in der digitalen Welt“ des Deutschen Instituts für
Vertrauen und Sicherheit im Internet kommt zu dem Ergebnis:
Zitator:
„Mehr als die Hälfte der 8-Jährigen, 55 Prozent, ist bereits online. Von den 6Jährigen geht fast ein Drittel ins Internet, und bei den 3-Jährigen ist es schon jedes
3
zehnte Kind. Auch Kinder ohne Lese- und Schreibfähigkeit können zum Teil – über
das Erkennen von Symbolen – eigenständig eine Internetseite aufrufen. Die digitale
Ausstattung von Kindern und ihre technischen Zugangsmöglichkeiten zu digitalen
Medien und dem Internet sind – trotz enormer Einkommensunterschiede der Eltern –
keine Frage des Geldbeutels.“
Sprecherin:
Einjährige im Kinderwagen, die empört aufheulen, weil Mama ihnen das Smartphone
wegnimmt, mit dem sie sich gerade durch das Internet touchen – vielleicht ist es das,
was Forscher heute als „Digital Natives“ bezeichnen. Im Gegensatz zu Silke V., die
eine „digitale Migrantin“ ist. Fakt ist:
Das Smartphone ist bei vielen Kindern und Jugendlichen wie ein geheiligter Fetisch
immer dabei – in der Schule, auf dem Nachtkästchen, ja selbst auf dem Klo.
Zsp. Axel Dammler, 0.49
Man hat es immer in Griffweite. (…) Es ist ja nicht so, dass es nur eine Aufgabe
gäbe: da wird kommuniziert, da werden Informationen gesucht, da wird gespielt.
Viele hören damit Musik, dann werden Photos gemacht und an Freunde verschickt.
Das ist ein multifunktionales Gerät und aus dem Alltag gar nicht mehr wegzudenken.
Sprecherin:
Der Kommunikationswissenschaftler Axel Dammler hat für das
Marktforschungsinstitut IconKids & Youth das Onlineverhalten von Kindern und
Jugendlichen untersucht:
Zsp. Axel Dammler
Wenn man als 13- bis 14-jähriger Jugendlicher kein Smartphone hätte, ist das
tatsächlich ein Problem. Muss man so deutlich sagen, weil so viel heute über diese
Geräte stattfindet. Das ist genau so, wie wenn man vor 30 Jahren kein Telefon
gehabt hätte.
Man sollte nicht erwarten, dass die Nachrichten, die da hin und hergeschickt werden,
literarische Hochgenüsse sind. (…) Es geht tatsächlich ganz viel darum, sich
gegenseitig der Nähe zu vergewissern. Zu zeigen, hallo, ich bin da, wir sind vernetzt,
wir sind im Kontakt. Ganz viel so ein Beziehungsgrundrauschen, was da stattfindet
und was über das Posten von albernen Bildern oder Quatschnachrichten gepflegt
wird.
Zsp. Silke V.
Viele, mit denen ich mich unterhalte, Freunde oder so, die haben alle das ähnliche
Problem. Jeder ist unzufrieden damit, dass die Kinder am liebsten nichts anders
mehr tun würden. Jeder sucht nach einer Lösung und findet die nur bedingt.
Atmo 1, Treppensteigen, geht über in
4
Atmo 2, Musik, „Tourne“, Louane
Zsp. Sanna V.
Wo ist die Sanna? Hallo. (…) Was machst du Sanna? – Youtube-Videos. Gucken.Was für welche? – Ein Video. Let’s play.
Spiel spielen. Telefonieren. SMS schreiben, Whatsapp schreiben. Videos machen. –
Klein, der Bildschirm. – Ja, das geht aber. – Seit wann hast du das Smartphone?- Als
ich in die 5. Klasse gekommen bin. – Hast du es dir selber gekauft? – Das habe ich
vom Papa bekommen. Aber das habe ich mir selber gekauft, mein Neues. – Wie hast
du es finanziert? – Vom Geburtstagsgeld auch.
Atmo 2, Musik, Tourne, weiter, darüber
Sprecherin:
Sanna nutzt gerade ihre Internet-Zeit. Die dauert jeden Tag von 17 bis 21.00 Uhr –
vier Stunden grenzenlose Freiheit im weltweiten Netz. Dann schaltet sich ihr Zugang
zum Internet ab. Ihr Vater Peter V. hat für seine Kinder eine technische Bremse
eingebaut:
Zsp. Peter V.
Das kann man bei unserem DSL-Router einstellen..- Warum die Begrenzung? – Weil
das den Kindern sonst schwerfällt, ihre anderen Aufgaben zu erfüllen. Weil sie sonst
aus der Schule kommen, habe ich auch Verständnis dafür, sich gleich entspannen
wollen, ihre Medien konsumieren wollen. Das findet dann kein Ende.
Sprecherin:
Hin und wieder telefoniert Sanna noch mit ihrer besten Freundin. Aber viel lieber
kommuniziert sie mit ihr per Nachrichtendienst Whats App.
Zsp. Sanna V., 5.00
Wenn uns langweilig ist, schicken wir uns Bilder, irgendwelche. Oder sie schickt mir
Bilder von ihren Mäusen, die sie zu Hause hat. – Können wir die anschauen, die
Bilder von den Mäusen? Die zwei Mäuse, Meila und Coco in ihrem Sandbad. Wo der Sand daneben liegt. –
Hat sie was geschrieben? – Ne. Einfach nur das Bild von den Mäusen. – Hast du
geantwortet? – Ja. Niedlich, oder so.
Sprecherin:
Natürlich könnte Sanna sich mit ihren Klassenkameradinnen auch persönlich treffen,
um gemeinsam Hausaufgaben zu machen. Aber wozu? Im Chat geht es doch viel
bequemer:
5
Zsp. Sanna V.
Wie geht das? – Da macht man was. Und wenn man was nicht kann, dann fragt man
halt. – Und hast du dann ein Foto geschickt? – Ja, wenn man das nicht weiß. –
Lachen. – Du machst dann Mathe, soweit du gekommen bist, oder wie? – Ja, so weit
man gekommen ist, dann fragt man das halt, ob die anderen das haben. (…) Und
dann habe ich von ihr das zurück bekommen, was sie hat..- Über Whatsapp? Auch
über Foto? – Ja. – Ihr habt zusammen Hausaufgaben gemacht. – Eigentlich schon. –
Jeder auf seinem Bett? – Am Schreibtisch.
Atmo 3, Treppe, darüber
Sprecherin:
In Sannas Klassenchat, in dem fast alle Schüler ihrer 8. Klasse Mitglied sind, können
pro Abend schon mal 200 bis 300 Nachrichten hin und her geschickt werden: Schüler
im kommunikativen Dauerstress:
Zitator:
„Kinder und Jugendliche sind zunehmend mit ihren Geräten online, um die
Verbindung mit ihren Freunden aufrecht zu erhalten. Über 40 Prozent der jungen
Leute sagen, sie hätten genau so viel Angst, Freunde Online wie Offline zu verlieren.
Elf Prozent machen sich sogar mehr Sorgen, ihre Online-Freunde zu verlieren. Eine
Studie des Instituts iconKids&Youth von Juni 2016.“
Sprecherin:
Die Online-Welt gewinnt für Kinder und Jugendliche zunehmend an Bedeutung
gegenüber der realen: sie treffen ihre Freunde im Netz. Sie unterhalten sich per
Chat. Sie machen im Internet gemeinsam Spiele. Doch diese smarte Welt ist eine, zu
der die Eltern kaum Zutritt haben, meint Silke V.:
Zsp. Silke V., 32.50
Wer da was anguckt, wissen wir auch nicht.
Und mit 14, 15 sind sie ja auch zu alt. Weil die ja auch nicht wollen, dass man da
eine halbe Stunde daneben steht und guckt, was machst du denn da? Das geht auch
nicht so. Irgendwo hat man halt eine Privatsphäre.
Zitator:
„55 Prozent der Mütter und Väter wissen nicht, wie viel Zeit ihre Kinder eigentlich im
Internet verbringen. Und fast 70 Prozent haben keine Ahnung, ob ihre Kinder sich
illegal etwas herunterladen oder etwas mit Cyber-Mobbing zu tun haben.“
Atmo 4, Kling
Zsp. Peter V.
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Bei uns ist das noch nicht aufgetreten, dass die Kinder gesagt haben, im Klassenoder Freundeskreis sind zweifelhafte Dinge abgelaufen. Was ich auf jeden Fall sehe,
dass die Eltern sich damit beschäftigen müssen und eingreifen müssen. – Sind die
Eltern da kompetent? - Ich denke nicht, dass das unbedingt technisch relevant ist.
Ich weiß nur das, was mir meine Kinder freiwillig erzählen. – Das war früher nicht
anders. – Klar. Da haben mich meine Eltern auch nicht gefragt. Also handhabe ich
das jetzt genau so. (…) In dem Moment, wo die Kinder damit kein Problem haben,
habe ich auch kein Problem damit.
Atmo 5, Videospiel Mario Kart, V.
Darüber
Sprecherin:
Jonas spielt mit seinen kleinen Geschwistern Elly und Linus. Das bedeutet: Er hockt
im Wohnzimmer auf dem Sofa und steuert mit der Spielkonsole sein Auto. Elly und
Linus sitzen daneben und schauen gebannt zu:
Zsp. Szene, Linus, Jonas und Elly
Niemand darf vor Jonas sein. – Sieht grad nicht so aus. – Er ist sechster Platz. – Ist
doch gut. – Da gewinnst du nie, Jonas. – Doch das kann man schon schaffen. – Du
gewinnst nie, Jonas. – Doch, ich habe zwei Strecken geschafft. Sei leise.
Atmo 6, dudel, dudel weiter
Sprecherin:
Vor allem der achtjährige Linus liebt die digitale Welt – manchmal mehr als die reale.
Zu Weihnachten hat er sich acht Computerspiele gewünscht – und sonst nichts.
Zsp. Szene weiter
Jonas. Kann ich mal spielen. – Jonas, der Linus will dich etwas fragen. – Kann ich
mal mitspielen? – Ja.
Zsp. Szene weiter, Elly und Linus
Man kann nicht erklären, warum es Spaß macht. – Was macht mehr Spaß, spielen
oder zuschauen? – Spielen. – Ich find zuschauen. (…) Weil das ist einfach so
spannend, finde ich.
Atmo 7, Spiel weiter
Sprecherin:
Wenn ihre Brüder Wii spielen, darf Elly zwar zuschauen, aber bitte nicht stören!
Miteinander spielen heißt heute immer öfter: nebeneinander vor dem Bildschirm
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sitzen - der mal Smartphone- und mal Fernseh-Größe haben kann - und fiktive
Welten bauen oder digitale Autorennen mit Comic-Bärchen fahren.
Zsp. Elly
Ha, dieser Bär. Mit dem will ich kuscheln, mit diesem Bär. Er ist einfach so flauschig.
Wird es dir auch mal zu langweilig, Elly, die spielen und du sitzt hier? – Ne, eigentlich
nicht. Wird mir nicht langweilig. (…) Und ich darf manchmal auf Jonas Tablet spielen,
wo man Menschen suchen muss. (…) Ein Wimmelbild, wie früher ein Buch? – Ja. Da
sind winzigkleine Fotos. – Was magst du lieber, Wimmelbilder im Buch oder im
Tablet? – Im Tablet. Weil da kann man das machen, nicht das lesen.
Atmo 8, Mario Kart noch mal hoch
Zsp. Peter V.
Speziell beim Linus hat sich ein knallhartes Belohnungssystem etabliert. Der spielt
gerne mit der Wii, das geht nur in den Ferien – mit Ausnahme für gute Noten. Für
eine gute Note in der Prüfung darf man eine Stunde Wii spielen. Der hat leider nur
gute Noten, ausnahmslos. Und der hat (…) alles zusammen gekratzt, was er an
Erfolgen vorzuweisen hatte, um Zeit rauszuschinden. (…) - Also er hat sich‘s
verdient. Ist da was dagegen einzuwenden? - Teilweise ist da der Wechselkurs zu
ungünstig. Dadurch, dass er ausschließlich gute Noten anschleppt, ist die Zeit, die er
da verbringt, bisschen zu viel in meinen Augen. – Was ist zu viel? – Das ist genau
die Frage. Was ist zu viel?
Sprecherin:
Eine Frage, die derzeit auch die Forschung nicht eindeutig beantworten kann.
Susanne Gerleigner vom Deutschen Jugendinstitut in München arbeitet an einer
Studie zum Thema „Digitale Familie“. In vielen Familien streiten sich Eltern mit ihren
Kindern darüber, wie viel Zeit sie vor ihren Geräten verbringen dürfen. Welche
Auswirkungen der Medienkonsum aber wirklich hat, ist unklar:
Zsp. Susanne Gerleigner
Wir haben relativ wenig Ergebnisse dazu, was mit den Kindern passiert, wenn sie
immer online sein müssen, wenn sie immer gerade in den Whatsapp-Gruppen
schnell antworten müssen, teilweise gibt es bei älteren Jugendlichen Tendenzen,
sich bewußt von sozialen Netzwerken wieder abzumelden, weil gesagt wird: (…) Ich
will wieder qualitativ hochwertige Zeit mit meinen Freunden verbringen und nicht
immer auf einen Gefällt-Mir-Button klicken. Diese ganzen Tendenzen müssen
genauer erforscht werden: wer macht was wie? Was bedeutet das für Kinder, für
Jugendliche, wenn sie Dinge ins Netz stellen und nicht die Resonanz bekommen, die
sie erwartet hätten.
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Sprecherin:
Der permanente Zwang, online zu sein, ist inzwischen auch ein Problem für die
Schulen. In vielen Bundesländern müssen Schüler das Handy im Unterricht
ausschalten. Doch die Gesetze hinken der Realität hinterher, meint Anette Kreim,
Direktorin am Münchner Klenze-Gymnasium:
Zsp. Anette Kreim
Das geht morgens los und hört mittags nicht auf. So lange die Schüler hier bei uns
an der Schule sind, haben wir mit dem Thema Smartphone heutzutage natürlich zu
tun. (…) Fast jeder Schüler besitzt ein Smartphone, nicht immer natürlich das
neueste. Aber wenn ich die mal abgeben lasse zu irgendwelchen Prüfungen und
schaue in den Korb, dann ist eigentlich meins immer das älteste, was ich sehe.
Sprecherin:
Die Schulen lavieren zwischen dem offiziellen Verbot von Smartphones im Unterricht
– und der Macht des Faktischen.
Zsp. Anette Kreim
Dass wir es nicht komplett durchsetzen können, ist uns klar. Aber wir können es auch
nicht einfach zulassen. (…) Denn die Schule soll für die Kinder und für die Lehrkräfte
ein geschützter Raum sein, wo man sich entwickeln kann.
Sprecherin:
Mittags in der Kantine drückt die Direktorin inzwischen aber ein Auge zu – schon weil
sich Eltern beschwert haben. Sie wollen ihre Kinder möglichst immer erreichen: „Wie
soll ich sonst meinen Sohn an den Zahnarzttermin erinnern?“
Zsp. Anette Kreim
Wie will ich kontrollieren? Wie will ich in der Mittagspause kontrollieren, dass kein
Schüler in der Mittagspause das Handy unter dem Tisch hat. Da mache ich mich
lächerlich, das ist nicht durchsetzbar.
Sprecherin:
Auch Sanna hat ihr Handy im Unterricht dabei – auf lautlos gestellt. Grundsätzlich
findet sie das Handy-Verbot an der Schule aber gut:
Zsp. Sanna
Es würde ja nur stören, wenn jeder eine Nachricht kriegen würde. Es macht lauter
Geräusche im Unterricht.
Atmo 9, Handygeräusch
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Sprecherin:
Ihr Bruder Jonas hat sich inzwischen vom Klassenchat wieder abgemeldet:
Zsp. Jonas
Zu den unpassenden Zeitpunkten kriegst du jede 20 Sekunden so eine Nachricht,
das hat mich genervt. (…) He Jungs, was war die Hausaufgabe? Dann antworten
zwei. (…) Dann streiten sie sich darum, was die richtige Hausaufgabe ist. Dann
endet das immer in einem großen Whatsapp-Streit. – Und wie streitet man sich auf
Whatsapp? – Da kommen die Standardbeleidigungen. Dann wird es immer
schlimmer. Dann sagen sie: Ich komme bei dir vorbei und hau dich, dann treffen sie
sich in der Schule und sind die besten Freunde.
Atmo 10, Gong
Zsp. Jonas
Das war jetzt die Tagesschau- App. (…) Das finde ich praktisch, dann muss ich nicht
immer die Tagesschau andauernd gucken. Dann weiß ich schon, was passiert. Kling, Kling, kling. Was war das für ein Bimmeln? – Das ist einer, den ich abonniert habe, der ein neues
Video geladen hat. – Wer? Dominator Lets Play.
Atmo 11, Lets Play, Gronkh, „Menschenfresser“
Sprecherin:
Inzwischen hat sich Jonas mit seinem Handy in sein Zimmer unter dem Dach zurück
gezogen. Er legt sich aufs Bett und öffnet ein „Let’s play“. Es heißt
„Menschenfresser“.
Zsp. Jonas
Es hat einen Langzeitsuchtsfaktor. (…)
Wie lange spielst du da so? – Heute habe ich am Tablet schon so drei Stunden
Mindcraft am Nachmittag gespielt. Aber weil ich nichts besseres zu tun hatte. Du
guckst auf die Uhr, ist zwei, spiele ich ein bißchen. Dann guckst du wieder auf die
Uhr, es ist fünf.
Atmo 11, Lets Play, weiter
Sprecherin:
Jonas ist grundsätzlich damit einverstanden, dass sein Vater seine Internetzeit durch
die „technische Bremse“ begrenzt:
Zsp. Jonas, 55.15
10
Davor hat es mein Vater mal vergessen, weil Ferien waren davor. Da habe ich
gemerkt, dass ich in einer Ex schlechter war, weil ich mich lieber hingesetzt habe und
Youtube-Videos geguckt habe als für Bio zu lernen.
Sprecherin:
Elly streckt den Kopf zur Tür herein.
Zsp. Jonas, 6.08
Jetzt muss ich hier mal eine Pause machen, denn hier ist ein kleines Mädchen, für
das das Lets Play nicht geeignet ist. Aber weil es ein Spiel ist, wo ein
Psychopathenmonster rumläuft und versucht, drei kleine Opfer zu fangen, und an
einen Haken zu hängen, damit sie aufgespießt werden, damit sie sterben, deswegen
gucken wir das jetzt nicht. – Manno. Kommst du mit Essen Jonas?
Atmo 12, Essen
Sprecherin:
Das gemeinsame Essen ist bei Familie V. eigentlich eine technikfreie Zone. Hier soll
es Zeit für Gespräche geben. Aber das klappt nicht immer. Peter V. muss noch
schnell seine Twitter-Nachrichten checken.
Zsp. Peter V.
Diese Programme (…) sind alle so, dass sie immer dann, wenn ich Zeit habe, mir auf
jeden Fall was Neues präsentieren wollen. Das merkt man ganz stark auf Twitter.
Wenn die Leute, denen ich folge, nichts Neues fabriziert haben, gibt sich Twitter
Mühe, mir trotzdem irgendwas zu präsentieren, von dem es glaubt, dass mich das
interessieren könnte. Umgekehrt ist der Fluss an Nachrichten so umfangreich, dass
ich bestraft werde, werde ich nicht regelmäßig reingucke. Dann (…) sind 80 TwitterNachrichten eingelaufen.
Sprecherin:
Außerdem liest der Software-Experte bei Tisch gern die Zeitung.
Zsp. Peter V.
Es ist natürlich auch problematisch, wenn ich (…) in das Tablet gucke und
argumentiere, ich lese aber Zeitung. Das hat eine Weile gedauert, bis die kleinen
Kinder gesehen haben, der Papa spielt da gar nicht. (…) Wenn ich das mache, ist es
schwer, den anderen auch das zu verbieten.
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Sprecherin:
Silke V. hingegen, die selbst ab und an einen Blick auf die WhatsApp-Nachrichten
ihres Smartphones wirft, würde am liebsten alle Geräte vom Essenstisch verbannen.
Zsp. Silke V.
Haben wir öfters als Thema. Was zur Folge hatte, dass unser großer Sohn
beschlossen hat, er hat dann keinen Hunger, wenn wir alle essen, sondern er kommt
dann später. Und er sitzt dann da alleine, da kann sich keiner beschweren, dass er
wieder die Stöpsel im Ohr hat. (…) Es ist ein sehr merkwürdiges Gefühl, (…) man
sitzt mit mehreren Leuten am Tisch. Und sie sind aber eigentlich gar nicht da. Sie
haben alle Stöpsel im Ohr, mampfen vor sich hin und starren in so ein Teil. Lachen
Atmo 13, Trampolin im Garten
Sprecherin:
Zeiten ohne Smartphone und Tablet – gibt es das bei Familie V. noch? Linus springt
nach dem Essen mit seinem Freund Marius auf dem Trampolin im Garten herum. Sie
quietschen vor Spaß. An Computerspiele denkt gerade niemand. Niemand vermisst
sie. Und manchmal – ganz selten – versammelt sich Familie V. im Wohnzimmer vor
einem Gerät, das in früheren Zeiten einmal der Treffpunkt der Familie war:
Atmo 13, Trampolin, verblenden mit
Atmo 14 Fußballspiel
Zsp. Peter V.
Bei uns beiden geht der Filmgeschmack komplett auseinander. Da gucken wir
praktisch gar nichts gemeinsam. Meine Frau guckt sehr gerne Krimis. (…) Ich schau
im Fernsehen sehr wenig. Wenn meine Frau einen Krimi guckt, gucke ich irgendwas
auf Youtube, das gucke ich auf dem Tablet.
Atmo 14, Fußballspiel, weiter unter Text
Sprecherin:
Zum Fußballgucken kommen noch einmal alle V.ens vor dem medialen Lagerfeuer
zusammen. Die Chipschälchen werden herumgereicht. Es gibt Limonade und Bier.
Sanna kuschelt sich auf dem Sofa an ihre Mama. Alle sind bester Laune. Selbst
Jonas steigt aus dem zweiten Stock herunter. Aber gemeinsame Fernsehabende im
Kreise der Familie sind vom Aussterben bedroht. Das weiß niemand besser als Silke
V.. Sie sitzt abends meist ganz alleine vor dem Fernseher. Der Dinosaurier der
Familie eben:
Zsp. Silke V.
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Es hat jeder sein eigenes Dingens und guckt, was er lustig ist. Man muss sich jetzt
nicht ums Fernsehprogramm streiten. Das ist wahr. Aber man kann sich natürlich
phasenweise auch bißchen einsam fühlen. Eigentlich sind wir sechs Leute. Und jetzt
sitze ich da alleine. Keiner mehr da.
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