GERDSEN

Peter
GERDSEN
ISBN 978-3-95948-161-8
Peter
GERDSEN
Gesammelte
Mensch und Transzendenz
Der vorliegende Band eröffnet die zweite Abteilung der Gesamtausgabe, die dem geisteswissenschaftlichen Wirken von Peter
Gerdsen gewidmet ist und unter dem Leitmotiv ›Mensch und
Transzendenz‹ steht. Inhalt des Bandes sind die beiden Monographien ›Blockiertes Deutschland – Von den geistigen Auseinandersetzungen unserer Zeit‹ aus dem Jahre 2004, das eine
wesentlich erweiterte und vertiefte Fassung der bereits 2000
erschienenen Schrift ›Im Zeichen des zweischneidigen Schwertes – Analyse und Deutung des deutschen Zeitgeistes‹ darstellt,
und ›Deutschland in den Fesseln der Ideologien – Ursachen,
Hintergründe, Wege zur Befreiung‹ aus dem Jahre 2005. Diese
Monographien markieren den Beginn des geisteswissenschaftlichen Wirkens in Form einer intensiven Auseinandersetzung
mit der geistigen Situation seiner Zeit.
6
2004-2005
Werke
Mensch und Transzendenz
Blockiertes Deutschland
Deutschland in den Fesseln der Ideologien
bautz
verlag
Hamid Reza Yousefi [Hrsg.]
Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
____
Band 6
Mensch und Transzendenz
Blockiertes Deutschland
[2004]
Deutschland in den Fesseln der Ideologien
[2005]
herausgegeben und eingeleitet
von
Hamid Reza Yousefi
gefördert durch
Peter-Gerdsen-Stiftung
Traugott Bautz
Nordhausen 2017
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation
in Der Deutschen Nationalbibliographie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Verlag Traugott Bautz GmbH
99734 Nordhausen 2017
Alle Rechte vorbehalten
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist
ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere
für Vervielfältigung, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung
und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Printed in Germany
ISBN 978-3-95948-161-8
www.bautz.de
Inhalt
Einleitung des Herausgebers ....................................................................... 9
Worum geht es in diesem Band? .............................................................. 17
Mensch und Transzendenz −
Grundzüge einer transzendenten Anthropologie ...................................... 21
[2004] Blockiertes Deutschland –
Von den geistigen Auseinandersetzungen unserer Zeit ............................ 47
Vorwort .................................................................................................... 47
Prolog ....................................................................................................... 53
1. Gräben und Fronten ............................................................................. 65
1. Beginn des Lebens: Paragraph 218 ........................................................67
2. Religiöse Identität: Kruzifix-Urteil ..........................................................72
3. Manipulation der Sprache: Rechtschreibreform ...................................77
4. Bedeutung der Familie: Berufstätige Mütter .........................................79
5. Deutung der Vergangenheit: Wehrmachtsausstellung..........................82
6. Kulturelle Identität: Ausländerzustrom .................................................87
7. Ende des Lebens: Organtransplantation ................................................92
Fazit: Kampf um den Menschen ................................................................96
2. Gibt es einen geistigen Bürgerkrieg? ..................................................... 99
1. Wie entsteht ein Bürgerkrieg? ...............................................................99
2. Studenten-Revolte ...............................................................................102
3. Was ist ein geistiger Bürgerkrieg?........................................................104
4. Feindbild Familie ..................................................................................107
5. Bildungsbürgertum ..............................................................................109
6. Warum kämpfen die Konservativen nicht?..........................................111
5
Inhalt
7. Die Schweigespirale ............................................................................. 113
Fazit: Kriegerische Auseinandersetzung .................................................. 115
3. Waffen und Kriegsschauplätze ........................................................... 117
1. Bürgerkriegsszenario ........................................................................... 118
2. Schlüssel- und Kampfbegriffe .............................................................. 119
3. Moral als Waffe ................................................................................... 122
4. Kriegsschauplatz Schule....................................................................... 123
5. Öffentliche Kampagnen ....................................................................... 125
6. Interne Kampagnen: Mobbing............................................................. 126
7. Kampf um die Leitbilder ...................................................................... 128
Fazit: Kampf mit geistigen Waffen .......................................................... 129
4. Auf der Suche nach dem Ich ............................................................... 131
1. Was ist der Mensch? ........................................................................... 131
2. Menschen ohne Ich? ........................................................................... 135
3. Kultur der Distanzlosigkeit ................................................................... 140
4. Wahrheit und Freiheit ......................................................................... 141
5. Freiheit und Gleichheit ........................................................................ 143
6. Ist Neid eine Krankheit? ...................................................................... 146
7. Sexualität und Religion ........................................................................ 149
Fazit: Zwei Menschentypen? ................................................................... 152
5. Von der Aufklärung zum Antichristentum .......................................... 155
1. Das neue Bewusstsein ......................................................................... 155
2. Die Aufklärungsströmung .................................................................... 159
3. Die Kulturrevolution von 1968 ............................................................ 164
4. Antichristentum ................................................................................... 167
5. Umdeutung des Toleranzbegriffs ........................................................ 168
6. Kulturelle Kippvorgänge ...................................................................... 171
7. Marsch in die Sklaverei? ...................................................................... 175
Fazit: Statt Aufklärung Anti-Christentum? .............................................. 179
6
Inhalt
6. Im Kraftfeld des Antichristen .............................................................. 181
1. Ist der Mensch gut? .............................................................................181
2. Die Zeichen der Endzeit .......................................................................183
3. Das Reich des Tieres.............................................................................189
4. Solowjew: Der Antichrist .....................................................................191
5. Antichristliche Pseudo-Ethik ................................................................196
6. Vom Seelenheil zum Sozialheil ............................................................210
7. Auflösung der Privatsphäre .................................................................211
Fazit: Umkehrung aller christlichen Prägungen .......................................212
7. Das ›moderne Glaubensbekenntnis‹ ................................................... 215
1. Die ›modernen Gebote‹ .......................................................................216
2. Der ›moderne Glaube‹ .........................................................................221
3. Das ›moderne Gebet‹ ..........................................................................223
4. Die ›modernen 7 Sakramente‹ ............................................................226
5. Das ›Sakrament der Bindungslosigkeit‹ ...............................................231
6. Die ›moderne Inquisition‹ ....................................................................240
7. Die ›moderne Kirche‹...........................................................................243
Fazit: Antichristlicher Glaube ...................................................................244
Ausblick:
Wie geht es weiter in Deutschland? ....................................................... 247
[2005] Deutschland in den Fesseln der Ideologien –
Ursachen, Hintergründe, Wege zur Befreiung ......................................... 253
Vorwort .................................................................................................. 253
Einleitung ............................................................................................... 255
1. Entstehung und Wesen der Ideologien ............................................... 257
1. Was ist eine Ideologie? ........................................................................257
2. Bewusstseinsverfassung des modernen Menschen ............................260
3. Denken: Der Weg zur Wirklichkeit .......................................................262
7
Inhalt
4. Kein Begreifen ohne Begriffe ............................................................... 263
5. Hegels Lehre vom Begriff..................................................................... 265
6. Quantitatives Denken:
Der Weg in die Wirklichkeitsfremdheit ................................................... 267
2. Gefährdung durch Ideologien:
Die Priesterherrschaft der Ideologen ...................................................... 271
1. Was bedeutet Herrschaft? .................................................................. 272
2. Herrschaft durch Begriffe und Ideologien:
Enteignung des Denkens ......................................................................... 273
3. Medien als Grundlage von Herrschaft ................................................. 276
4. Manipulation durch Leitbilder ............................................................. 279
5. Basis-Ideologien ................................................................................... 280
6. System der Ideologien ......................................................................... 284
7. Geist der Ideologien ............................................................................ 288
8. Politische Ideologien: Demokratie, Freiheit, Menschenrechte ........... 290
3. Immunisierung gegen Ideologien:
Die Bedeutung des Christentums ........................................................... 297
1. Der pseudo-religiöse Charakter der Ideologien .................................. 298
2. Immunisierung durch den Glauben ..................................................... 299
3. Das Absolute und der Relativismus ..................................................... 302
4. Der seelische und der geistliche Mensch ............................................ 305
5. Heidegger: Der Mensch ohne Orientierung auf die Zukunft ............... 310
6. Überwindung des Machttriebes .......................................................... 312
7. Kommunikation aus christlichen Geist ................................................ 313
8
Einleitung des Herausgebers
Mit diesem Werk erscheint der 6. Band der Gesamtausgabe zum Schrifttum
von Peter Gerdsen. Dieser Band eröffnet die geisteswissenschaftliche Schaffensperiode von ihm, die unter dem Motto ›Mensch und Transzendenz‹
steht. Bereits 1998, drei Jahre vor seiner Emeritierung, begann Peter Gerdsen
eine grundsätzliche Neuorientierung in seiner Arbeit, indem er beabsichtigte, die Erfahrungen der hinter ihm liegenden Jahrzehnte auf dem Boden
der Geisteswissenschaften zu verarbeiten.
Die Motivation zu diesem Vorhaben bezog er aus drei Überlegungen: Erstens glaubte er sich durch die jahrzehntelange Arbeit mit Studenten auf dem
sowohl komplexen und komplizierten als auch abstrakten Gebiet der elektrischen Nachrichtentechnik ausreichend geschult, um auf dem für ihn neuen
Gebiet der Geisteswissenschaften arbeiten zu können. Zweitens kam er zu
der Ansicht, dass ein ihn stets begleitendes Motto sowohl für die Naturwissenschaften als auch für die Geisteswissenschaften gilt: Dass bei allem, was
in dieser Welt geschieht, zwei Dinge zu unterscheiden sind: Zum einen die
Erscheinung in Raum und Zeit und zum anderen der geistige Hintergrund
davon. Drittens erwies sich als wesentliche Motivation die Einsicht, dass die
Methode der mathematisch orientierten Naturwissenschaften in unzulässiger Weise in das Gebiet der Geisteswissenschaften hineingetragen wurde.
»Angesichts dieses Sachverhalts muss es natürlich bedenklich stimmen, − so
schreibt Gerdsen − wenn Methoden, die bei der Erforschung der physischen
Welt entstanden sind, auf die Ebenen des Lebens in Form der Biologie und
Medizin, des Seelischen in Form der Psychologie, der Psychoanalyse, der
Medizin und des Geistigen in Form der Psychiatrie angewandt werden.
Aber genau dies wird ja getan.
Die moderne Medizin hat eine sehr einseitige Ausrichtung an den Naturwissenschaften; der Mensch ist für diese Medizin eine biologische Maschine.
Aus dieser Vorstellung heraus ist auch die Gentechnologie entstanden. Wie
die Entwicklung gezeigt hat, wurde die naturwissenschaftliche Methode auf
ein Stück Wirklichkeit angewandt, das wegen seiner verwickelten und undurchsichtigen Beschaffenheit dem Erkenntnisstreben hartnäckigen Widerstand entgegengesetzt hatte: die Welt Lebendigen, des Seelischen und des
Geistigen und damit die Welt des Menschen. So entstand der Gedanke, dem
9
Einleitung des Herausgebers
Auguste Comte durch den Entwurf einer »Sozialen Physik« und das Programm einer auf diese aufbauenden »Technik der Gesellschaft« zur Verwirklichung zu verhelfen versuchte. Weitergehend wurde dann die Welt der
menschlichen Dinge, die Welt des Staates, des Rechts, der Gesellschaft, der
Wirtschaft, aber auch das seelisch-geistige Leben des einzelnen Menschen in
ein System von Begriffen gefasst, in dessen Bau das Gefüge der mathematischen Naturwissenschaft nachgebildet war. Aber auch weit in den Bereich
der Geisteswissenschaften drang die »pseudo-naturwissenschaftliche« Methode ein: Anhänger des Darwinismus beschäftigen sich mit Themen aus der
Bewusstseinsphilosophie, Klimaforscher und Biologen bestreiten den Historikern die Deutungskompetenz über die Geschichte, tiefe Einbrüche in die
Gebiete der Geisteswissenschaften ergeben sich durch die Humangenetik
und die Hirnforschung.«1
Im Folgenden soll ein Überblick gegeben werden über das bisherige geisteswissenschaftliche Schaffen von Peter Gerdsen. In einem ersten Schritt
geht es um Ereignisse, die der Periode eine zeitliche Struktur geben. Als
nächstes werden die verschiedenen Themenkreise ins Auge gefasst, auf die
sich das geisteswissenschaftliche Schaffen Gerdsens fokussiert. Danach geht
es um die Grundlinien des Denkens von Peter Gerdsen.
Zeitstruktur
Im Wesentlichen sind es vier Ereignisse, so berichtet er, von denen wesentliche Impulse für seine geisteswissenschaftliche Arbeit ausgehen:
1. Bereits einige Jahre vor seiner Emeritierung im Jahre 2001 beginnt
Gerdsen sich geisteswissenschaftlichen Fragestellungen zuzuwenden. So werden im Laufe des Jahres 1997 zwei Aufsätze in der Zeitschrift ›Das Goetheanum – Wochenschrift für Anthroposophie‹ veröffentlicht:
 Von der Täuschung des automatenhaften Denkens
 Zum Esoterikbegriff
Dabei deutet ›Von der Täuschung des automatenhaften Denkens‹
bereits eine wesentliche Grundtendenz der Schriften Gerdsens an,
in denen es immer auch um die Strukturen des Denkens geht.
1
10
Gerdsen, Peter: Wie die Naturwissenschaften zum Fundament des Materialismus und
Atheismus wurden. Eine wissenschaftstheoretischen Orientierung, Journal des
Professorenforums, Vol.10, No.1, 2009.
Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
2.
3.
4.
1997: Gespräche mit seinem Kollegen Prof. Dr.-Ing. Peter Kröger
über den Zeitgeist in Deutschland während des Aufbaus der gemeinsam betriebenen Firma ›Alster Internet Consulting‹ geben den
Anstoß zu der Schrift ›Im Zeichen des zweischneidigen Schwertes‹.
2000: Begegnung mit dem ›Professoren Forum‹, einem Netzwerk
von Professorinnen und Professoren verschiedener Fachrichtungen,
die die christliche Weltsicht nachhaltig und überzeugend im akademischen Raum zur Geltung bringen wollen. Im ›Professorenforum
Journal‹ folgte eine lange Reihe von Aufsätzen zu Problemen der
Zeit aus christlicher Sicht.
2004: Zusammentreffen mit dem Privatdozenten Dr. Hamid Reza Yousefi, der damals mit der Herausgabe der ›Interkulturellen Orientierung – Grundlegung des Toleranzdialogs‹ beschäftigt war. Für
diesen Sammelband verfasst Peter Gerdsen eine Schrift ›Der Begriff
Toleranz in seiner Bedeutung für die Gesellschaft aus christlicher
Sicht‹. Diese Begegnung eröffnet eine fruchtbare und weit in die Zukunft weisende Zusammenarbeit.
Themenkreise
Den geisteswissenschaftlichen Arbeiten Gerdsens liegen die folgenden Themenkreise zugrunde:
1. Themenkreis: Eine tiefgreifende, sorgfältige Analyse des deutschen Zeitgeistes nach der Kulturrevolution von 1968. Dabei versteht Gerdsen unter
›Zeitgeist‹ die dominanten Lebensorientierungen und das vorherrschende
geistige Klima einer Zeit. In diesen Themenkreis reihen sich die folgenden
Monographien in gerader Linie ein:




[2000] ›Im Zeichen des zweischneidigen Schwertes – Analyse und
Deutung des deutschen Zeitgeistes‹
[2004] ›Blockiertes Deutschland – Von den geistigen Auseinandersetzungen unserer Zeit‹
[2005] ›Deutschland in den Fesseln der Ideologien – Ursachen, Hintergründe, Wege zur Befreiung‹
[2013] ›Das moralische Kostüm geistiger Herrschaft – Wie unter
dem Deckmantel der Moral Macht ausgeübt wird‹
Gerdsen betont an einer Stelle, dass diese Bücher niemandem zuliebe und
niemandem zuleide geschrieben wurden und dass sie nur eine Tendenz hätten: Die Darstellung eines Sachverhalts. Darin kommt zum Ausdruck, wie
sehr ihn die Probleme des Landes, aus dem er hervorgegangen ist, berühren;
aber auch sein ständiges Bemühen um Sachlichkeit. An dieser Stelle zeigt
11
Einleitung des Herausgebers
sich bereits seine erkenntnistheoretische Grundhaltung. Alles, was wir in
unserer materiellen, endlichen Welt wahrnehmen, ist die Offenbarung eines
immateriellen, unendlichen Geistigen. Und dieses immaterielle, unendliche
Geistige kommt uns aus dem geistigen Reich entgegen. Im Raume unseres
Bewusstseins fügen wir unseren Wahrnehmungen das Geistige in Form der
dazugehörigen Begriffe in einem Akt des Begreifens hinzu. Diese Begriffe
dürfen wir nicht bilden – das wäre gewalttätiges Denken – sondern sie müssen sich einfinden. Das ist aber nur möglich, wenn alle Emotionen zum
Schweigen gebracht werden. Gerdsen ist davon überzeugt, dass einer komplexen und vielfältigen Wahrnehmungswelt eine fast mathematische Gesetzmäßigkeit zugrunde liegt. Dies kommt besonders in ›Blockiertes
Deutschland‹ zum Ausdruck; denn diese Monographie ist in sieben Kapitel
unterteilt, die wiederum je sieben Unterkapitel enthalten, wobei alle Kapitel
in einem bestimmten Beziehungsgeflecht stehen.
2. Themenkreis: Die Begegnung mit Hamid Reza Yousefi erweitert den
Blick über die europäisch-westliche Kultur hinaus und führt in die Auseinandersetzung mit Problemen der Interkulturalität. Seinen Ausdruck findet
dies in den beiden Monographien


[2007] Natur- und Geisteswissenschaft im Kontext des Interkulturellen – Die Scientific Community als Beispiel kulturen- und völkerübergreifender Verständigung
[2008] Interkulturalität – Wozu? Hamid Reza Yousefi und Peter Gerdsen im Gespräch.
sowie in einer Reihe von Aufsätzen, die sich mit den Problemfeldern der
›Menschenrechte‹ und der ›Globalisierung‹ befassen. Dabei wird ein kritischer Blick auf die europäische Aufklärung geworfen und gezeigt, dass
›Menschenrechte‹ und ›Globalisierung‹ aus dieser Bewegung hervorgegangen sind und damit einer kulturen- und völkerübergreifenden Verständigung im Wege stehen:



[2008] Die Menschenrechte – Dekonstruktion und Rekonstruktion
eines umstrittenen Begriffs
[2010] Wesen und Struktur der Globalisierung – Eine kritische Zeitanalyse
[2013] Menschenrechte und Aufklärung – Eine kritische Perspektive
3. Themenkreis: Der zunehmende Säkularismus, Laizismus und atheistische
Materialismus bringt Gerdsen dazu, Entwicklungen in der Gesellschaft aus
christlicher Sicht zu betrachten. ›Kein Volk kann auf die Dauer ohne Religion
12
Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
leben; denn es bleibt dem Menschen nicht die Wahl zu glauben oder nicht
zu glauben, sondern nur an Gott zu glauben oder an einen Götzen.‹












[2001] Der Mensch in seiner Auseinandersetzung mit dem Bösen
[2001] Das Christentum und die Philosophie Kants in ihrer Bedeutung für die moderne Naturwissenschaft
[2002] Glaube und Erkenntnis, Offenbarung und Wissenschaft
[2003] Die Bedeutung von Ehe und Familie in einer christlichen Kultur
[2003] Das Christentum und die Schweigespirale
[2004] Das Christentum in seiner Bedeutung für die moderne Wissenschaft
[2004] Fundamente christlicher Ethik – christlicher und antichristlicher Geist
[2004] Zur Selbstbestimmung des Christentums in Deutschland
[2005] Katholizismus, Protestantismus und die Zukunft des Christentums
[2009] Der Weg zum Sozialstaat der Gegenwart
[2014] Verteidigung der Religion
[2015] Die liberale Demokratie aus christlicher Sicht
4. Themenkreis: Die ›Europäische Aufklärung‹ beschäftigt Gerdsen in vielen
Aufsätzen; auch ganze Kapitel sind in manchen Monographien dieser Bewegung gewidmet. Dabei hat die Auseinandersetzung mit der ›Aufklärung‹
eine Reihe von Schwerpunkten:


Die Widerlegung der häufig anzutreffenden Aussage, in der Aufklärung seien die modernen Naturwissenschaften entstanden sowie die
Naturgesetze entdeckt und anerkannt.
Die Widerlegung der Aussage, in der Aufklärung sei gegen den Widerstand des Christentums und der Kirche die Vernunft zum
Durchbruch gekommen; der Logos hätte sich gegenüber dem Mythos durchgesetzt.
Dass das Wertesystem der europäischen Aufklärung immer wieder als das
Fundament der europäisch-westlichen Kultur aufgefasst wird, veranlasst
Gerdsen, die geistesgeschichtlichen Strömungen näher in den Blick zu nehmen und intensiv zu untersuchen, die am Ausgang des europäischen Mittelalters auf Grund eines neuen Bewusstseins entstanden sind. Dabei ließ
Gerdsen sein in vielen Jahrzehnten in den mathematischen Naturwissen-
13
Einleitung des Herausgebers
schaften und in den Ingenieurwissenschaften geschultes Denken die Aufklärungsbewegung und ihre tragenden Begriffe wie Freiheit, Demokratie und
Menschenrechte sowie Toleranz, Diskriminierung und Gender-Mainstreaming nicht nur als sehr problematisch, sondern auch als ›Moralisches Kostüm geistiger Herrschaft‹ erscheinen.




[2004] Von der Aufklärung zum Anti-Christentum. In: Blockiertes
Deutschland.
[2006] Aufklärung und Christentum
[2013] Toleranz und Aufklärung – Eine kritische Perspektive
[2014] Ethik und Aufklärung
5. Themenkreis: Die äußere Welt, die der Mensch sich in rastloser Tätigkeit
geschaffen hat, − so argumentiert Gerdsen – ist eine Abspiegelung der Innenwelt des Menschen und damit seiner Denkstrukturen, deren Untersuchung viele seiner Schriften durchzieht, von denen manche dezidiert der
Wissenschaftstheorie gewidmet sind. Die Wissenschaft ist in der europäischwestlichen Kultur die strukturgebende Kraft. Allerdings ist der Bereich der
Wissenschaft gespalten: Natur und Geisteswissenschaften stehen relativ unverbunden nebeneinander. Die Denkstrukturen beider Bereiche sind grundverschieden. Die literarischen Aktivitäten der Vertreter beider Bereiche unterscheiden sich in zweierlei Hinsicht: Während Naturwissenschaftler überwiegend Fachaufsätze, Fachbücher auf ihrem Fachgebiet verfassen, fühlen
sich Geisteswissenschaftler berufen, über alles zu schreiben, also auch über
die Naturwissenschaften. Das dabei entstehende Zerrbild der Naturwissenschaften veranlasst Gerdsen zu Richtigstellungen. Zudem will er das Ganze
der Wissenschaft in den Blick nehmen und sich dabei in die Denkstrukturen
wesentlicher Bereiche der Geisteswissenschaften hineindenken.




[2008] Konzepte der Wissenschaft – Naturwissenschaftliche Spaziergänge in den Geisteswissenschaften
[2009] Dimensionen der Ingenieurwissenschaft – Eine wissenschaftstheoretische Orientierung
[2009] Wie die Naturwissenschaften zum Fundament des Materialismus und des Atheismus wurden – Eine wissenschaftstheoretische
Orientierung
[2011] Karl Jaspers und die Wissenschaft
Grundlinien seines Denkens
Was verbindet nun die fünf Themenkreise im geisteswissenschaftlichen Wirken Gerdsens? Grenzüberschreitendes Denken auf der Grundlage einer
14
Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
transzendenten Anthropologie! Um welche Grenzen geht es?


Grenze zwischen Natur- und Geisteswissenschaften
Grenze zwischen verschiedenen Kulturen
Wissenschaftliche Arbeit sowohl auf dem Gebiet der Natur- und Ingenieurwissenschaft als auch auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften bedeutet
intensiver Einsatz der Fähigkeit des Denkens. Während sich die wissenschaftliche Arbeit auf diesen Gebieten in der Regel mit Selbstverständlichkeit den Gegenständen des Forschungsinteresses zuwendet, macht Gerdsen
zunächst das Denken selbst zum Gegenstand seiner Betrachtungen. Er verweist darauf, dass bevor es eine Sicherheit des Begreifens und Erkennens
geben kann, der Vorgang des Erkennens selbst begriffen werden muss.
Angeregt durch die Zwei-Kulturen-These des englischen Wissenschaftlers
und Schriftstellers Charles Percy Snow, der eine große Kluft zwischen den
Kulturen der Geisteswissenschaften und Literatur einerseits und den Naturund Ingenieurwissenschaften andererseits beschrieben hat, beginnt Gerdsen
mit einer Untersuchung der fundamental unterschiedlichen Formen des
Denkens in diesen beiden Kulturen. Zum einen bilden die Natur- und Ingenieurwissenschaften das Fundament der Dominanz der europäisch-westlichen Zivilisation, während es zum anderen gerade diese Wissenschaften
sind, die Kulturen übergreifende Resonanz hervorrufen. Dabei hat das Denken Gerdsens zwei Blickrichtungen, nämlich Brücken zu bauen zwischen
den Natur- und Ingenieurwissenschaften und den Geisteswissenschaften sowie auch zwischen den verschiedenen Kulturen der Welt.
Monographien
Die ersten Jahre geisteswissenschaftlicher Arbeit hatten die Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist, der Deutschland erfasst hatte, zum Gegenstand. So
begann 1998 die Arbeit an dem Buch ›Im Zeichen des zweischneidigen
Schwertes – Analyse und Deutung des deutschen Zeitgeistes‹, das im Jahre
2000 fertiggestellt wurde. Im Jahre 2004 erfolgte eine wesentlich erweiterte
Neuauflage unter dem Titel ›Blockiertes Deutschland – Von den geistigen
Auseinandersetzungen unserer Zeit‹. Im Jahre 2005 folgte das Buch
›Deutschland in den Fesseln der Ideologien‹ mit einer Untersuchung der
wirkungsmächtigsten Ideologien. Eine Kulmination erlebte die den drei angeführten Büchern zugrundeliegende Denkrichtung in dem Werk ›Das moralische Kostüm geistiger Herrschaft – Wie unter dem Deckmantel der Moral
Macht ausgeübt wird‹, das 2012 in erster Auflage erschien und drei Auflagen
erlebte. So markieren die Veröffentlichungen
15
Einleitung des Herausgebers




[2000]: Im Zeichen des zweischneidigen Schwertes – Analyse und
Deutung des deutschen Zeitgeistes.
[2004]: Blockiertes Deutschland – Von den geistigen Auseinandersetzungen unserer Zeit‹.
[2005]: Deutschland in den Fesseln der Ideologien – Ursachen, Hintergründe, Wege zur Befreiung
[2014]: Das moralische Kostüm geistiger Herrschaft – Wie unter dem
Deckmantel der Moral Macht ausgeübt wird
einen wichtigen Sektor der geisteswissenschaftlichen Arbeiten Gerdsens.
Als Folge der Begegnung mit Hamid Reza Yousefi erfuhr der Horizont im
Denken Gerdsens eine Erweiterung in Richtung auf den Begriff ›Interkulturalität‹. Dies findet seinen Ausdruck in den beiden Büchern


[2007]: ›Natur- und Geisteswissenschaft im Kontext des Interkulturellen – Die Scientific Community als Beispiel kultur- und völkerübergreifender Verständigung‹ und
[2008]: ›Interkulturalität wozu? – Hamid Reza Yousefi und Peter
Gerdsen im Gespräch‹.
Eine wichtige Ergänzung erfahren diese beiden Buchveröffentlichungen in
den Aufsätzen



Die Menschenrechte – Dekonstruktion und Rekonstruktion eines
umstrittenen Begriffs
Wesen und Struktur der Globalisierung – Eine kritische Zeitanalyse.
Globalisierung und Religion im Widerstreit
Die sieben Monographien im geisteswissenschaftlichen Wirken Gerdsens erleben ihren Höhepunkt 2013 in der Aufsatzsammlung:

16
[2013]: ›Eine Erde ohne Himmel wird zur Hölle – Zwischen Tradition und Moderne‹.
Worum geht es in diesem Band?
Das Œuvre von Peter Gerdsen wurde in zwei Abteilungen unterteilt: naturwissenschaftliche Schriften, zusammengefasst in fünf Bände unter dem Titel
›Mensch und Wissenschaft‹ und geisteswissenschaftliche Schriften, zusammengefasst in mehreren Bänden unter dem Titel ›Mensch und Transzendenz.‹ Gerdsen gelingt es, zwei Wissenschaftskulturen auf eine einzigartige
Weise miteinander zu verbinden. Darin liegen ein Verdienst dieses Wissenschaftlers und gleichsam auch eine Begründung dieser Gesamtausgabe. Mit
dem vorliegenden Band eröffnet sich der Kreis der zweiten Abteilung der
Gesamtausgabe. Um dem Leser ein Resümee zu geben, werden die Inhalte
der einzelnen auch bereits erschienenen Bände kurz wiedergegeben.
Band 1:
Der erste Band umfasst die erste Sektion der Gesamtausgabe von Peter Gerdsen mit folgenden Schriften: 13 natur- und ingenieurwissenschaftliche Abhandlungen aus den Jahren 1966-1979 sowie die Monographie ›Hochfrequenzmesstechnik – Messgeräte und Messverfahren‹ aus dem Jahr 1982.
Charakteristisch für diese Periode ist, dass die Aufsätze 1966-1970 aus der
Industriezeit Gerdsens, praktische Anwendungen aus der Farbfernsehtechnik behandeln, während der Lehrtätigkeit 1971-1982 eine theoretische Vertiefung für das wissenschaftliche Fundament der studentischen Ausbildung
erfahren. Die Hochfrequenzmesstechnik, die als konstitutives Element der
Natur- und Ingenieurwissenschaften eine verbindende Bedeutung für Gerdsens Schriften hat, dokumentiert unter dem Paradigma der analogen Nachrichtentechnik eine Kulmination seines Wirkens.
Band 2:
Der zweite Band beschreibt einen vertiefenden Weg des Denkens von Peter
Gerdsen. In den 1980er Jahren vollzieht sich ein allmählicher Paradigmenwechsel von der analogen zur digitalen Nachrichtentechnik, welche die Gebiete der Signalübertragung und -verarbeitung umfasst. Dabei tritt an die
Stelle der Signaldarstellung durch eine kontinuierliche Spannungszeitfunktion eine solche durch eine Zahlenfolge. Die Signalverarbeitung wird nicht
mehr mit einer Schaltung aus elektrischen und elektronischen Bauelementen
durchgeführt, sondern mit einem Zahlenfolgen verarbeitenden Rechenwerk, welches durch einen Signalprozessor realisiert wird. Damit entsteht
17
Worum geht es in diesem Band?
die Aufgabe, klassische Schaltungen der analogen Signalverarbeitung in Algorithmen für Signalprozessoren umzusetzen. Die neue digitale Nachrichtentechnik ist der analogen, hinsichtlich der Präzision, weit überlegen.
Mit der anschließenden Monographie ›Digitale Signalverarbeitung in der
Nachrichtenübertragung – Elemente, Bausteine, Systeme und ihre Algorithmen‹ gibt Peter Gerdsen der neuen Situation insbesondere für die Ausbildung der Studenten ein sicheres Fundament. Die erste Auflage des Buches
erscheint 1993; auf Grund des großen Erfolges erfolgt 1997 eine 2. Auflage in
wesentlich erweiterter Form, die Gegenstand des vorliegenden 2. Bandes der
Gesamtausgabe ist. Dabei bezieht sich die Erweiterung hauptsächlich auf die
Berücksichtigung von Simulationsprogrammen in der digitalen Signalverarbeitung. Damit wird einem Trend Rechnung getragen, Systeme nach ihrem
Entwurf durch Simulation auf einem Computer auf ihre Eigenschaften hin
zu überprüfen. Solche Simulationsprogramme, die auch für die Schaltungen
der analogen Nachrichtentechnik entwickelt wurden, sind durch die ständig
steigenden Rechenleistungen der Computer möglich geworden. Die Monographie ist geprägt sowohl durch ihren Lehrbuchcharakter, der in zahlreichen Übungsaufgaben zum Ausdruck kommt, als auch von einer gründlichen Darstellung des neuen Gebietes der Nachrichtentechnik.
Band 3:
Der dritte Band enthält eine ›Systemtheorie der Telekommunikation‹. Eine
solche Theorie wurde notwendig, als auf der Grundlage der in den 1980er
Jahren des vorigen Jahrhunderts entstandenen digitalen Signalübertragung
immer komplexere Telekommunikationsnetze entstanden, um Studenten
ein vertiefendes Verständnis der Vorgänge in diesen Netzen unter übergeordneten Gesichtspunkten zu ermöglichen. So wie zur Beschreibung der Algorithmen in Computern besondere Sprachen erforderlich wurden, war dies
auch bei der Formulierung einer ›Systemtheorie der Telekommunikation‹
der Fall. Durchgesetzt hatte sich zur Beschreibung der Vorgänge in Kommunikationssystemen die Sprache SDL (Specification and Description Language), die auch wesentlicher Bestandteil des vorliegenden Bandes ist. Bei der
Formulierung der Systemtheorie trat zu Tage, dass diese sowohl die ursprünglich dominante Mensch-zu-Mensch-Kommunikation als auch die
Maschine-zu-Maschine-Kommunikation erfasste.
Band 4:
Der vierte Band der Gesamtausgabe enthält das Buch ›Kommunikationssysteme 2 – Anleitung zum praktischen Entwurf (SDL)‹, das eine wichtige Ergänzung zu dem vorigen 3. Band ›Kommunikationssysteme 1 – Theorie, Entwurf, Messtechnik‹ darstellt und damit deren Inhalte voraussetzt. Dabei
18
Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
geht es um eine Anleitung zum praktischen Entwurf von Telekommunikationssystemen am Beispiel einer Dateiübertragung zwischen mehreren Personal Computern. Grundlage für den Entwurf ist das ›Open System Interconnection‹ Referenzmodell. Aufbauend auf einer Anforderungsanalyse
wird nach einer Analyse der Schichtenfunktionen eine vollständige SDLSpezifikation erstellt.
Band 5:
Der vorliegende letzte 5. Band der ersten Abteilung der Gesamtausgabe ›Digitale Nachrichtenübertragung – Grundlagen, Systeme, Technik, praktische
Anwendungen‹ stellt eine grundlegende Erweiterung und wesentliche Vertiefung der bereits 1983 erschienenen ›Digitalen Übertragungstechnik‹ dar.
In den folgenden 13 Jahren ereignete sich ein fortschreitender Wandel von
der analogen zur digitalen Nachrichtenübertragung, so dass eine vertiefte
lehrbuchartige Darstellung dieser neuen Technik notwendig wurde. Das
Buch ist modular aufgebaut. Es besteht aus zwölf einzelnen, im Wesentlichen für sich lesbaren Kapiteln. Die beiden wichtigsten zusammenfassenden
Begriffe sind die Quellen- und die Kanalcodierung, wobei diese auf drei Kapitel verteilt wurden: Leitungscodierung, Fehlersicherung und Modulation.
Ausführliche Berücksichtigung finden die Gebiete Messtechnik und Realisierungsprinzipien.
Band 6:
Vorangestellt wird dem vorliegenden Band, der die zweite Abteilung der
Gesamtausgabe eröffnet, der Grundsatzbeitrag ›Mensch und Transzendenz‹. Dieser Beitrag bildet das Fundament seines geisteswissenschaftlichen
Wirkens in Form einer transzendenten Anthropologie. Gerdsen macht in
wenigen Schritten deutlich, wie er die Welt betrachtet und von welchem
Menschenbild er ausgeht. Er arbeitet heraus, dass eine Ursehnsucht im
menschlichen Wesen verankert ist, die ihn Zeit seines Lebens anregt und
motiviert, über die Struktur der Welt und die Zusammenhänge der Natur
nachzudenken.
Die erste Monographie analysiert die Gegenwartsverhältnisse und zeigt
auf, wie gegensätzliche Lebensorientierungen Gräben und Fronten in der
Gesellschaft aufreißen und in Auseinandersetzungen münden, die den Charakter eines geistigen Bürgerkriegs haben. Die Kommunikationsfähigkeit
unter den Menschen nimmt ab und Aggressionen werden freigesetzt. Viele
Zeitgenossen geraten in einen Strudel von Ereignissen, denen sie hilflos gegenüberstehen, weil sie diese nicht durchschauen. Hier setzt nun dieses
Buch ein, indem versucht wird, den Zeitgeist als geschlossenes System darzustellen, dessen innere Gesetzmäßigkeiten aufgezeigt werden können;
19
Worum geht es in diesem Band?
denn ein echtes Verstehen aus den inneren Gesetzmäßigkeiten heraus ist
eine wichtige Voraussetzung, um Sicherheit in chaotischer Zeit zu gewinnen. Das Nichtdurchschauen der Zeitverhältnisse in ihrer verwirrenden
Vielfalt bewirkt bei den Menschen eine seelische Destabilisierung, die durch
das Lesen dieses Buches überwunden werden kann. Das Buch analysiert die
Zeitverhältnisse mit dem Ergebnis, dass der sich wissenschaftlich und aufklärerisch gebärdende Zeitgeist den Charakter einer Pseudoreligion angenommen hat, die sich als exaktes Gegenbild zum Christentum erweist.
In der zweiten Monographie werden historische Entwicklung und Inhalt
des Begriffs ›Ideologie‹ untersucht. Auf diesem Hintergrund wird das Denken der Menschen analysiert; denn nichts ist so charakteristisch für eine Zeit
wie die Art und Weise des Denkens. Wenn nun dieses Denken in irgendeiner
Weise erkrankt ist, dann entstehen Ideologien, deren Wesen durch Wirklichkeitsfremdheit und Lebensfeindlichkeit gekennzeichnet sind. Krankes Denken bringt Ideologien hervor und macht anfällig für vorhandene Ideologien.
Auf Grund ihrer Wirklichkeitsfremdheit und Lebensfeindlichkeit bewirken
die Ideologien eine Fesselung unseres Landes sowohl in wirtschaftlicher und
wissenschaftlicher als auch in kultureller und gesellschaftlicher Hinsicht.
Die Symptome sind bekannt: Arbeitslosigkeit in vielfacher Millionenhöhe,
dramatische die Gesamtheit gefährdende Kinderarmut und gleichzeitig offenbar völlig fehlende Kraft zu Reformen. Die Monographie beklagt nicht
nur die Zustände, sondern sie zeigt auch Wege zur Befreiung aus den Fesseln auf, indem sie das Wesen der Ideologien analysiert. Dabei wird deutlich
gemacht, dass der christliche Glaube gegen die Verführung durch Ideologien immunisiert und zur Gesundung des Denkens beiträgt.
20
Mensch und Transzendenz −
Grundzüge einer transzendenten Anthropologie
Prolog: Was bedeutet die Sehnsucht im Menschen?
Bei uns selbst und auch bei allen anderen Zeitgenossen können wir beobachten, dass es im Menschen etwas gibt, was ihn antreibt und in Unruhe versetzt. Offensichtlich ist dem Menschen ein inniges Verlangen nach etwas,
was er entbehrt, das fern von ihm ist, angeboren. Dieses Verlangen hat den
Charakter einer Sehnsucht; der Mensch sehnt sich nach etwas, was ihm fehlt.
Der Mensch hat in der Welt, in die er für die Zeitspanne zwischen Geburt
und Tod hineingestellt wurde, Wahrnehmungen; er nimmt nicht nur die
Dinge um ihn herum wahr, sondern er hat auch die Wahrnehmung von sich
selbst. Und alle diese Wahrnehmungen sind zunächst zusammenhangslos
und auch bedeutungslos. So türmen sich vor dem Inneren des Menschen
Fragen auf, die nach einer Antwort schreien. Im Hinblick auf die Welt um
ihn herum fragt er nach den Zusammenhängen und Bedeutungen all der
Dinge, die in großer Vielheit auf ihn einstürmen. Und im Hinblick auf sich
selbst fragt er ›Wer bin ich?‹ und darüber hinaus ›Woher komme ich?‹. Der
Mensch sehnt sich nach einer Antwort auf diese Fragen. Und solange diese
Fragen unbeantwortet bleiben, befindet sich der Mensch in ständiger Unruhe.
Die Tatsache, dass im Menschen eine solche Sehnsucht lebt, ist ein deutlicher Hinweis auf seine transzendente Herkunft. Offensichtlich sehnt sich der
Mensch nach einem Zustand, aus dem er herausgerissen wurde, als er in
diese Welt hineingestellt wurde. Und das war ein Zustand, in dem die ganze
Fülle an Fragen gegenstandslos war, weil diese beantwortet waren. Aber der
Mensch befindet sich nun nicht allein mit all diesen Fragen, die nach einer
Antwort schreien; denn in seinem Inneren lebt etwas, das es ihm ermöglicht,
wenn auch in mühevoller Arbeit, eine Antwort auf die Fragen zu finden.
Und dies in ihm lebende Etwas, das ist das Denken.
All diese Zusammenhänge und Bedeutungen, die das den Wahrnehmungen zugrundeliegende Geistige sind, muss der Mensch durch Denken gewinnen. Die Wahrnehmungen und das zugrunde liegende Geistige sind eigentlich eine Einheit, die durch das Hineingestellt sein des Menschen in die
Welt auseinander gerissen wurde. Im Menschen lebt daher eine Sehnsucht,
Mensch und Transzendenz
ein unstillbares Verlangen, diese Einheit wiederherzustellen. Überall sucht
er unaufhörlich nach einer Erklärung dessen, was ihm begegnet. Und diese
Erklärung hat er dann gefunden, wenn er das Wahrgenommene begriffen
hat. Dieser Vorgang des Begreifens bedeutet die Zusammenfügung von
Wahrnehmung und Begriff, der eine Zusammenfassung des der Wahrnehmung zugrunde liegenden Geistigen ist.
Aber indem der Mensch sich diesen Sachverhalt bewusst macht, entwickelt er bereits eine Theorie der Sehnsucht, die er in seiner Innenwelt wahrnimmt. Denn in dem Moment, in dem er diese Sehnsucht, die ihn ständig
antreibt, wahrnimmt, sucht er bereits nach einer Erklärung für das Auftauchen dieser Sehnsucht. Die Theorie, die er entwickelt, ist das der wahrgenommenen Sehnsucht zugrunde liegende Geistige. Und dieses zugrunde liegende Geistige verweist ihn auf einen Weg zu einer Antwort auf die Frage
›Woher komme ich?‹.
Diese innere Sehnsucht, die in dem Menschen lebt, versetzt ihn in eine
ständige Unruhe. Ist es überhaupt möglich, dass der Mensch jemals zu Ruhe
kommt? Nein, das wird nicht eintreten; denn dies wäre ja erst dann der Fall,
wenn er den Weltinhalt zu seinem Gedankeninhalt gemacht hätte. Angesichts der zeitlichen Begrenztheit seines Lebens und der Begrenztheit seiner
intellektuellen Fähigkeiten wird er dies nicht erreichen. Wenn der Mensch
sich nun dies soweit klar gemacht hat, zudem sich die Wahrnehmungen um
ihn herum erklären kann, vielleicht auch eine Ahnung davon hat, woher er
kommt, dann steht er vor der Frage ›Was ist der Sinn meines Lebens?‹. Auch
diese Frage lässt ihn nicht zur Ruhe kommen; denn wenn er den Sinn seines
Lebens nicht erkennen kann, dann verfallen seine Antriebskräfte und er versinkt in Depressionen. Aber wo findet er den Sinn seines Lebens? Auch diese
für den Menschen existentielle Frage lässt ihn nicht zur Ruhe kommen. Damit befinde ich mich auf dem Weg in eine transzendente Anthropologie, für
die die im Menschen lebende Sehnsucht ein deutlicher Wegweiser ist.
Hinführung und Überblick
In den letzten fünfzehn Jahren beschäftigte ich mich neben den Grundlagenfragen der Naturwissenschaften zunehmend mit der Frage nach einem Ansatz der transzendenten Anthropologie. Dabei geht es mir um eine Letztbegründung der menschlichen Existenz. Folgende Fragen sind erkenntnisleitend: Ist der Mensch ein Produkt der Evolution in Form eines intelligenten
Tiers oder eine Krone der Schöpfung, Geschöpf einer anderen Sphäre?
Die Anthropologie als Wissenschaft vom Menschen orientiert sich an dem
naturwissenschaftlich geprägten Wissenschaftsbegriff der Moderne. Aus
22
Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
dieser Perspektive ergeben sich schwerwiegende Probleme. Nach meinen
Analysen hat die Methodik der Naturwissenschaften nur die Erforschung
der toten Materie zum Ziel. Jene Erkenntnisse blenden sie in ihrer Wirklichkeitserfassung aus und treten deswegen konsequenterweise in ihren Ergebnissen nicht zu Tage. Nach meiner Auffassung fehlt in diesem Ansatz das
Lebendige, das Seelische und das Geistige.
Die empirische Methodik der Naturwissenschaften hat eine kritische Diskrepanz zwischen ihrer theoretischen Wirklichkeitserfassung und den daraus resultierenden Ergebnissen. Zur Disposition stehen in diesem Kontext
die kritischen Negierungen der menschlichen, transzendenten Vorstellung
der Seele. Jene Filterwirkung bewirkt, dass einige Naturwissenschaften daraus folgern, dass das Lebendige, das Seelische und das Geistige nicht existieren. Sie versuchen, diese Komponenten der Wirklichkeit als Funktion des
Materiellen zu begreifen und zu erklären.
Die Anthropologie hat verschiedene Ausprägungen. So untersucht die
physische Anthropologie den Menschen im Anschluss an die Evolutionstheorien von Charles Darwin als biologisches Wesen. In der philosophischen
Anthropologie wird der Mensch nicht nur als Objekt, sondern auch als Subjekt betrachtet. Dabei geht es unter anderem um qualitative Eigenschaften
wie die Personalität, die Entscheidungsfreiheit und die Möglichkeit zur
Selbstbestimmung. Die theologische Anthropologie deutet, als ein Teilbereich der systematischen Theologie, den Menschen aus christlich-theologischer Sicht. Dabei beschäftigt sie sich im Grunde mit dem Wesen des Menschen und seiner Bestimmung vor Gott.
Insofern ist die Anthropologie etwas Besonderes, weil der Wissenschaft
betreibende Mensch sich selbst zum Gegenstand seiner Untersuchung zu erheben vermag. Im Folgenden werde ich das Konzept einer transzendenten
Anthropologie entwerfen. Mein Ansatz verortet sich zwischen der theologischen Betrachtung und den Überlegungen Karl Rahners. Die Abgrenzung
zu den inhaltlichen Ausführungen besteht darin, von Möglichkeiten der Bedingungen des Glaubens auszugehen. Meiner Ansicht nach gibt es einen
menschlichen Grundtrieb zur Wissenschaft. Nach meiner Analyse ist der
Mensch mit allem unzufrieden, was die Wahrnehmungswelt ihm darbietet.
Meine Schlussfolgerungen weisen darauf hin, dass er intuitiv weiß, dass
diese Wahrnehmungswelt nicht die ganze Wirklichkeit ist. Demnach entsteht eine Sehnsucht nach einer ›ganzen‹ Wirklichkeit und Wahrheit über
den Menschen. Meine nächstliegenden Fragen sind dabei: Was ist der
Mensch, woher kommt er, wohin geht er und schließlich was ist der Sinn
seines Lebens?
23
Mensch und Transzendenz
Wenn sich der Mensch auf den Weg macht, eine Antwort auf diese Fragen
zu finden, dann betritt er eine Dimension, die ich transzendente Anthropologie nennen möchte. Gerade die erste Frage: ›Wer bin ich?‹ ist in der gegenwärtigen Zeit nahezu omnipräsent. Sie ist auch eine Aufforderung an den
Menschen, sich selbst zu erkennen: ›Erkenne dich selbst!‹, heißt ein dazu
vielzitierter Ausspruch. Es handelt sich hier um eine Inschrift am antiken
Apollo-Tempel in Griechenland. Sich einer Antwort auf die Frage ›Was ist
der Mensch?‹ anzunähern, das versucht bereits die ›Philosophische Anthropologie‹. Aber mit dem Suchen nach einer Antwort auf die Fragen ›Woher
kommt er?‹, ›Wohin geht er?‹ und ›Was ist der Sinn seines Lebens?‹ wird
nach meiner Einschätzung unweigerlich der Boden einer ›transzendenten
Anthropologie‹ betreten.
Eine Wissenschaft wird charakterisiert durch die in ihr zur Anwendung
kommende Methode. Die transzendente Anthropologie versucht durch Beobachtung das Wesen des Menschen zu ergründen und zu interpretieren.
Das Prinzip der Beobachtung möchte ich daher nicht nur auf die Außenwelt
anwenden, sondern auch auf die Innenwelt des Menschen. So beruht meine
Beobachtung von der Innenwelt des Menschen auf der Blickfähigkeit des
Denkens. Für mich wurde deutlich, dass die eigene geistige Individualität
der innerste Wesenskern eines Menschen ist.
Daraus geht für mich hervor, dass der Mensch ein Wesen ist, das sich in
der Entwicklung befindet. Das Wesen des Geistigen ist in meiner Überlegung das Werden und der Prozess sowie das geistige Tätigsein. Mein Ansatz
orientiert sich an den Begriffen Denken, Sprache, Kultur und Ethik. Ohne
diese Begriffe kann der Begriff ›Mensch‹ nicht gedacht werden.
Stellung des Menschen im Kosmos
Das Wesen des Menschen war eine zu allen Zeiten bewegende Frage. In welcher Weise hat der Mensch Anteil an den Naturreichen um ihn herum?
Meine Beobachtungen differenzieren die Welt in mehrere Reiche. Jene unterteilen sich in das Reich der Mineralien, das Reich der Pflanzen und das
Reich der Tiere. Diese drei Reiche stehen nach meiner Auffassung in einem
hierarchischen Verhältnis zueinander. Auf der untersten Stufe befindet sich
in meinem Weltbild, das Reich der Mineralien.
Diese Mineralien sind gewissermaßen das Urbild von etwas Totem, deshalb benenne ich jene als ›tote Materie‹. Das Reich der Pflanzen ordne ich
ein, wenn in die tote Materie das Lebensprinzip einzieht und sich diese zu
einem lebendigen Organismus formt. Nach meiner Meinung hat eine auf
24
Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
diese Weise definierte Pflanze kein Bewusstsein, sondern befindet sich in einem Schlafzustand. Ein solches Wesen strukturiere ich nach den sieben
Merkmalen des Lebendigen: Ein eigener Stoffwechsel, die Fähigkeit zu
wachsen und sich fortzupflanzen, Beweglichkeit, Reizbarkeit und Anpassungsfähigkeit. Wenn in eine durch das Lebensprinzip belebte und zu einem
lebendigen Organismus geformte Materie, die zunächst ein pflanzliches Wesen darstellt, das Prinzip des Seelischen einzieht, gründet sich aus meinem
Konzept das Reich der Tiere.
Damit verbinde ich, dass die von Leben erfüllte Materie neu durchstrukturiert wird, indem sowohl die Materie als auch das Lebensprinzip eine neue
Qualität bekommt. Während Pflanzen im Raume unbeweglich sind, ist nach
meiner Beobachtung den Tieren die Bewegung im Raume gegeben. Während die Pflanze Leben in sich trägt, enthält der lebendige und beseelte Leib
der Tiere eine Seele. Tiere sind empfindsame Wesen, die Angst und Furcht,
Freude und Trauer, Sympathie und Antipathie fühlen und außerdem über
Bewusstsein verfügen. Dieser Position entnehme ich, dass sie, im Gegensatz
zur Pflanze, die sich in einem Schlafzustand befindet, über Wachheit verfügen.
Was ist das Reich und Wesen des Menschen? Was unterscheidet ihn vom
Tier? Ich stellte fest, dass der Mensch als ein mineralisches Wesen ein Sein
hat, er leibt und lebt. Das bedeutet, dass Wesenhaftes aus dem Reich der
Mineralien, dem Reich der Pflanzen und dem Reich der Tiere auch im Menschen vorhanden ist. Aber so wie sich die Pflanzen als Wesen über das Reich
der Mineralien erhoben und wie sich ebenso die Tiere über das Reich der
Pflanzen erhoben, so erhebt sich der Mensch über das Reich der Tiere.
Dieser Vorgang lässt sich durch die Fähigkeiten des ›Urteilens‹ und
›Schlussfolgerns‹ begründen (Johannes Scotus Eriugena). Die beiden Fähigkeiten des ›Urteilens‹ und ›Schlussfolgerns‹ sind aber nur zu denken im Zusammenhang mit einem ›Ich‹ als irdischer Ausdruck einer geistigen Individualität. Jene ist nicht der irdischen, sondern einer geistigen Welt entstammt. Der Mensch erhebt sich über das Reich der Tiere durch den menschlichen Geist, in dessen Mitte das Ich des Menschen lebt. Mit der eigenen Konzeption einer Sprache und den daraus individualisierten Denkmöglichkeiten unterscheidet sich der Mensch vom Tier.
Indem der menschliche Geist Einzug in einen materiellen belebten und beseelten Organismus hält, wird dieser zu einem Menschen. Dabei beginnt dieser Geist alle Hierarchiestufen hinab durchzustrukturieren, indem zunächst
die Seele, dann das Leben und schließlich die Materie durchgeistigt werden.
25
Mensch und Transzendenz
Mit dem Wesen, das wir einen Menschen nennen, tauchen in dieser irdischen Welt ganz neue Phänomene auf:
 In die Seele des Menschen ist der menschliche Geist eingezogen und
beginnt diese zu durchgeistigen.
 In der Mitte dieses Geistes lebt das ›Ich‹ als irdischer Ausdruck einer
ewigen geistigen Individualität.
 Das ›Ich‹ des Menschen ist der Ausgangspunkt der Fähigkeiten des
›Urteilens‹ und ›Schlussfolgerns‹.
 Durch das in ihm lebende ›Ich‹ erhält der Mensch mit der Fähigkeit
der ›Erinnerung‹ ein Bewusstsein vom Bewusstsein.
Wenn der menschliche Geist in ein von Leben und Seele erfülltes materielles
Wesen Einzug hält, werden die Wesensglieder neu strukturiert. Das bedeutet für die Seele, die zunächst nur das Fühlen in Form von Sympathie und
Antipathie, Freude und Trauer, Angst und Furcht kennt, zusätzlich das Denken und das Wollen auftaucht. Damit haben wir für die menschliche Seele
drei Komponenten: Denken, Fühlen und Wollen.
Zwischen irdischer und geistiger Welt
Was ist nun der Geist des Menschen? Und was bedeutet die geistige Welt?
Auf dem Wege zu einer Antwort auf diese Fragen untersuchte ich, wie sich
dem Menschen die Wirklichkeit der Welt erschließt. Meine Untersuchung
wird dann eine Vorstellung bilden, was unter ›geistiger Welt‹ und dem
›Geist des Menschen‹ zu verstehen ist.
Erfassen der Wirklichkeit
Bei allem, was in der Welt als Wirklichkeit existiert oder geschieht, unterscheide ich einerseits zwischen dem Verlauf von Raum und Zeit und andererseits zwischen ihrer inneren Gesetzmäßigkeit. Jene Wirklichkeit des
menschlichen Seins möchte ich in diesem Konzept in zwei Komponenten
aufgliedern. Eine dieser Komponenten wird nach meinem Konzept passiv
empfangen. Über die Sinne und das Wahrnehmungsvermögen können die
Aktivitäten des menschlichen Denkens Begriffe und Ideen in das eigene Bewusstsein holen. Meine Beobachtungen zeigten, dass die Begriffe und Ideen
aus einem zentralen geistigen Urgrund der Welt entstammen. Jene werden
durch das intuitive Denken in das Bewusstsein gehoben. Damit lässt sich
aufzeigen, dass das menschliche Denken einen Wirklichkeitsaufbau im eigenen Bewusstsein vollzieht.
Das menschliche Bewusstsein fügt die passive Wahrnehmung mit den zugeordneten Begriffen zusammen. Erst dann, wenn zu einer Wahrnehmung
26
Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
der dazugehörige Begriff hinzugefügt wurde, erst dann wird das Wahrgenommene zu einer spezifischen Wirklichkeit. Die Wirklichkeit erschließt
sich nur durch aktives Denken.
Meine Analyse zeigt somit auf, dass jene Gesetzmäßigkeiten wiederum einem geistigen Urgrund der Welt entstammen. Diesen ›geistige Urgrund‹
nenne ich die ›geistige Welt‹, aus welcher der ›Geist des Menschen‹ stammt.
Meine Überlegungen wollen darlegen, dass die raumzeitlich-irdische Welt
und die geistige Welt eine Einheit bilden. Nur durch jene Organisation als
Mensch, durch unser ›Hineingestelltsein‹ in diese Welt, wird diese in zwei
Teile zerlegt. Alles Sichtbare, Materielle und Endliche in der Welt ist die Offenbarung eines unsichtbaren, immateriellen und unendlichen Geistigen.
Geistige Individualität und irdische Welt
Der Mensch nimmt mit seinen fünf Sinnen einen anderen Menschen wahr.
Nach meiner Konzeption muss er intuitiv zu seiner Wahrnehmung den begrifflichen Teil hinzu denken. Die Wirklichkeit des anderen Menschen, der
ihm gegenübersteht, erschließt sich nur ihm selber durch das ihm äußerlich
Erscheinende. In meinem Konzept gilt der Satz, dass Gleiches immer nur
von Gleichem erkannt werden kann. Der Mensch kann die Wirklichkeit eines ihm gegenüberstehenden Menschen nur bis zu der eigenen Wirklichkeit
erfassen. Der zentrale Wesenskern des Geistigen ist die Veränderung und
das Werden.
Der Geist ist in meinem Verständnis schöpferisch: Er ist das absolut Produktive. Der Geist verfügt nicht über ein abgeschlossenes, fertiges Sein, sondern ist in einem ewigen Werden begriffen. Zusammengefasst gilt: Der
Geist, der in dem materiellen, belebten und beseelten menschlichen Leib
lebt, hat eine ewige-geistige Individualität, die für die Dauer eines Lebens
zwischen Geburt und Tod in den menschlichen Leib eingezogen ist. Der
Mensch ist nach meinen Überlegungen Bürger zweier Welten: der transzendenten Welt und der irdischen Welt.
Welche besonderen Merkmale des Menschseins sind es, in denen die Tatsache der ›ewigen Existenz‹ in einem geistigen Reich zum Ausdruck
kommt? Meiner Ansicht nach entfaltet sich die Individualität des Menschen
auf Erden in der zeitlichen Ausdehnung seiner Existenz. Die Zeit offenbart
sich in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das Bewusstsein des Menschen entwickelt sich nicht im Hier und Jetzt der Gegenwart. Jenes Bewusstsein ergibt sich aus der menschlichen Fähigkeit zur Erinnerung der Vergangenheit und zur schöpferischen Gestaltung der Zukunft. Aber es gibt noch
ein weiteres.
27
Mensch und Transzendenz
Im Wesenszentrum des menschlichen Ich lebt etwas, das durch eigene Aktivität hervorgebracht wird. Ich nenne dieses ›beschriebene Etwas‹ das Denken des Menschen. Jenes Denken verweist zentral auf die transzendente
Herkunft des Menschen. Ich erkläre mir diesen Zusammenhang mit meiner
Darstellung des Geistes. Der Geist ist der Bereich im Menschen, mit dem er
Bürger auch in der ›geistigen Welt‹ ist. In der Mitte dieses Bereiches lebt sein
Ich, die eigentliche Zentralinstanz in ihm! Was ist denn nun das Ich?
Es bereitete mir erhebliche Schwierigkeiten zu verstehen, was das menschliche Ich eigentlich ist. Nach Hegel entsteht das ›Ich‹ aus Denken und Zeit.
Mit diesem Ansatz suche ich nach einem Inhalt unseres Ich. Jenes ist zunächst die Summe der uns zugänglichen Erinnerungen. Diese ergeben sich
durch das erlebte Leben und werden aus unserem Denken rekonstruiert. Erinnerungslücken werden als innere Schwächung erlebt. Die Erinnerung an
gut gelungene Taten stärkt unsere Persönlichkeit. Die zeitliche Dimension
des Lebens bedeutet das Bewusstsein des Werdens in der Zeit und die Entstehung der eigenen Biographie.
Das jeweilige Wesen des menschlichen Ich unterscheidet sich in der Art
und Weise des Denkens. Wichtig ist das Bewusstsein eines eigenen ›Ichs‹.
Das Tier nimmt seine Umgebung wahr und wird sich ihrer bewusst. Der
Mensch kann sich aber selbst in den Blick nehmen und hat dadurch ein Bewusstsein von sich selbst, ein Selbstbewusstsein. Das ›Ich‹ als Bezeichnung
für ein Wesen hat einen Sinn, wenn dieses Wesen sich diese Bezeichnung
selbst beilegt. Niemals kann von außen an eines Menschen Ohr der Name
›Ich‹ als seine Bezeichnung dringen; nur das Wesen selbst kann ihn auf sich
anwenden. Ich bin ein Ich nur für mich; für jeden andern bin ich ein Du; und
jeder andere ist für mich ein Du. Das eigentliche Wesen des ›Ich‹ ist von allem Äußeren unabhängig; deshalb kann ihm sein Name auch von keinem
Äußeren zugerufen werden. Kein Äußeres hat Zugang zu jenem Teile der
menschlichen Seele, der hiermit ins Auge gefasst ist.
Was aber ist das Ich? Themistios beschreibt das Ich als ein aus ›Wirklichkeit und Möglichkeit‹ zusammengesetzter Geist (Themistios). In jedem Lebensaugenblick hat das Ich eine Vergangenheit hinter sich, in der es geworden ist, was es gegenwärtig ist. In meiner vorliegenden Konzeption liegt die
Möglichkeit des Geistes in der Entwicklungszukunft des Ich. Der Lebensaugenblick des Ich ist dadurch charakterisiert, dass sich in ihm die Wirklichkeit
des Gewordenen und die Möglichkeit des Werdenden begegnen. Das Ich als
tätiger Geist führt fortwährend die Möglichkeit des Zukünftigen in die
Wirklichkeit des Gegenwärtigen über. Bei dem tätigen Geist handelt es sich
um ein Prinzip geistiger Aktivität oder Wirksamkeit. Dieser tätige Geist
28
Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
führt das als möglich Denkbare in ein tatsächlich Wirkliches über.
Indem der Mensch ein Bewusstsein von seinem Ich entwickelt, überführt
er den Geist von der bloßen Möglichkeit in seine Wirklichkeit. Es gibt einen
Zusammenhang zwischen dem Sein und dem Bewusstsein. Das menschliche
Ich ist nur insoweit ›real‹, als das es sich seiner selbst bewusst ist. Die Aufgabe der Selbsterkenntnis ist demnach, dass der Mensch ein Bewusstsein
von sich selbst erlangt. Wieviel vom Ich des Menschen in Ich-Bewusstsein
übergeführt wird, hängt von seinem Erkenntniswillen und von seiner Erkenntniskraft ab. Es gibt nach meiner Analyse einen Zusammenhang zwischen Ich-Entwicklung und Selbsterkenntnis. Im Zuge der Ich-Entwicklung
zu einem selbsterkennenden Bewusstsein gliedere ich jenen Prozess in der
folgenden hierarchischen Struktur.
Ebenen des Bewusstseins: Der Mensch in der Entwicklung
Das menschliche Bewusstsein entwickelt sich in meiner Konzeption auf einem inneren Schauplatz, wo Wahrnehmung und Begriff zur Wirklichkeit
zusammengefügt werden. Erst dann, wenn wir zur Wahrnehmung den dazugehörigen Begriff hinzufügen, haben wir ›begriffen‹, was wir wahrgenommen haben, erst dann ist uns das Wahrgenommene ›bewusst‹ geworden. Innerhalb der Wahrnehmungen nimmt der Mensch unter anderem
auch sich selber wahr. Diese Selbstwahrnehmung erfährt im Bewusstsein
ihre Ergänzung durch das entsprechende, ideelle Gegenstück. Auf diese
Weise wird der Mensch sich in der Entstehung seines ›Selbstbewusstseins‹
seines Selbst bewusst.
Die gedankliche Beziehung auf sich selbst ist eine Lebensbestimmung der
Persönlichkeit des Menschen. In jener Beziehung führt der Mensch ein ideelles Dasein. Meine Beobachtungen ergaben, dass der Mensch sich seiner
selbst bewusst ist und ein Bewusstsein von seinem Bewusstsein, aber auch
seinem bewussten Sein hat. Der Zusammenhang ergab sich für mich durch
das für das Menschsein konstitutive Merkmal der ›Erinnerung‹. Mit dem Bewusstwerden des eigenen Selbst als Folge der Zusammenfügung der Selbstwahrnehmung und des ideellen Gegenstücks, wird der Schauplatz des Bewusstseins zu einer eigenen Innenwelt ausgedehnt.
Die Phänomene des Selbstbewusstseins, des Bewusstseins vom Bewusstsein sowie der Erinnerung artikulieren jenes in dem belebten und beseelten
materiellen Leib eines Menschen. Die dem ›geistigen Reich‹ entstammende
geistige Individualität lässt im Bewusstsein das Ich aufleuchten. In meiner
Betrachtung ergibt sich daraus, dass der Geist das oberste Wesensglied, von
dem aus das Seelische, das Lebendige und das Materielle neu strukturiert
29