"Nur aus Wissen kann Gewissen wachsen": Gedenken in Halle an Opfer des Nationalsozialismus Mit Kranzniederlegungen im Roten Ochsen und Gedenkreden in den Franckeschen Stiftungen wurde am Freitag an die Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Der Landtag und die Landesregierung von Sachsen-Anhalt hatten hier die offizielle Gedenkfeier ausgerichtet. Man erinnere an das „dunkelste Kapitel deutscher Geschichte“, sagte der Vorsitzende des Stiftungsrates der Stiftung Gedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Dr. Gunnar Schellenberger. Der Tag rufe die Millionen Menschen ins Gedächtnis zurück, die unter den Nationalsozialisten gelitten haben, gefoltert und ermordet wurden. „Es ist deshalb auch der Tag, an dem wir über unsere Geschichte nachdenken müssen.“ Er zitierte den Shoah-Überlebenden Elie Wiesel, der vor 8 Jahren bei einer Rede in Buchenwald sagte, er habe geglaubt, aus den damaligen Ereignissen hätten die Menschen gelernt – dass es nie wieder Krieg geben würde, dass der Hass nicht mehr da ist, dass Rassismus etwas Dummes sei. „Wird die Welt je lernen?“, so Schellenberger. Eine Antwort auf diese Frage scheine heute weiter entfernt als die Jahre zuvor. Dies liege zum einen an der fortschreitenden zeitlichen Distanz, aber auch am Geschichtsrevanchismus Einzelner. Dies zeige, wie wichtig der Gedenktag sei. „Wir können Geschehenes nicht Ungeschehen machen, doch es ist unsere historische Verantwortung, dem Vergessen entgegenzuwirken.“ Deshalb sei man auch heute aufgefordert, jeglicher Form von Antisemitismus und Intoleranz entgegenzutreten. „Um ein Zeichen zu setzen, brauchen wir Orte der Erinnerung.“ Auch Halles Oberbürgermeister wies darauf hin, dass der Schrecken jedes Jahr ein Stückchen weiter wegrücke. „Schon bald wird es keine Zeitzeugen mehr geben.“ Eine der zentralen Aussagen nach Auschwitz seien die Wörter „nie wieder“ gewesen. „Haftet diesem Ausspruch nicht mittlerweile etwas Bitteres an?“, sagte Wiegand angesichts der aktuellen Schreckensnachrichten, beispielsweise aus Syrien. Müsse man nicht konstatieren, „dass wir dem Morden an so vielen Orten der Welt nur zusehen?“ Dies sei eine Erkenntnis, die einem zweifeln lasse. Die Herausforderungen zur Verteidigung von Demokratie und Toleranz seien in den vergangenen Jahren nicht kleiner geworden, „sondern größer. Ebenso, wie die Angriffe auf Demokratie, Freiheit und Toleranz stärker geworden sind.“ Im kulturellen Gedächtnis müssen die damaligen Ereignisse gespeichert bleiben, so Wiegand. Er zitierte aus einer Studie, wonach 80 Prozent der Deutschen die Geschichte des Judenmords hinter sich lassen wollen, mehr als die Hälfte möchte einen Schlussstrich ziehen. Er fürchte, die Zahlen seien zwischenzeitlich nicht kleiner geworden, zumal inzwischen aus einer bestimmten politischen Ecke fast täglich unerträgliche Äußerungen kommen. „Einen Schlussstrich wird es nicht geben. Wir dürfen diesen Teil der Geschichte nicht hinter uns lassen. Wir können es auch gar nicht.“ Die Gedenkorte wie der Rote Ochse zeugen davon, dass die Geschichte politischer Gewaltverbrechen auch die Geschichte unseres Landes ist, sagte die Präsidentin des Landtages, Gabriele Brakebusch. „Sie mahnen uns, die Oper und ihr unsägliches Leid niemals zu vergessen.“ Nur aus Wissen könne Gewissen wachsen. „Der 27. Januar soll den Opfern des Nationalsozialismus ihre Würde im Gedenken wiedergeben. Seine zentrale Botschaft lautet: Die Opfer und ihr Vermächtnis sind nicht vergessen! Auch Empathie ist ein Zugang zur Erinnerung.“ Das sagte Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff. In seiner Ansprache hob Haseloff die Bedeutung des Erinnerns und Gedenkens hervor. „Zwar kann kein Volk seine Vergangenheit ungeschehen machen. Was geschehen ist, ist geschehen. Aber es kann aus seiner Geschichte lernen. Die Verantwortung für die Zukunft muss in der Gegenwart durch das Wissen um die Vergangenheit erzeugt werden. Um die historischen Lehren zu verstehen, müssen wir sehr genau hinsehen. So wird aus dem Erinnern ein konkreter Auftrag. Dieser Auftrag lautet, unsere Zukunft im Geiste der Freiheit, der Toleranz, der Mitmenschlichkeit und der Weltoffenheit zu gestalten.“ Mit Blick auf die Gegenwart mahnte Haseloff zur Vorsicht. „Die nationalsozialistischen Verbrechen sind nicht nur Geschichte. Sie sind auch eine eindringliche Warnung! Wir sollten uns nicht zu sicher sein. Was einmal möglich war, bleibt denkbar. Der Firnis der Zivilisation ist dünn. Sie kann schnell in Barbarei umschlagen.“ Haseloff appellierte an die Verantwortung der heute lebenden Generationen „Wir alle sind aufgefordert, wachsam zu bleiben und unsere Stimme zu erheben gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Die Zerstörung aller sittlichen Normen und die Inhumanität des Nationalsozialismus dürfen niemals vergessen werden. Geschichte darf sich nicht wiederholen. In unserer Gesellschaft muss ein Klima der Toleranz und des gegenseitigen Respekts herrschen. Nur dann können Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen in Frieden miteinander leben.“
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