Deutsches Ärzteblatt 1980: A-1092

Freiheit im Beruf
NACHRICHTEN
denzen entgegenzuwirken, Motivation und Engagement zu fördern, berufliche Freiheit und Freiberuflichkeit zu sichern!
Krankenhausfinanzierung:
Ärzteschaft
erneut ausgeschaltet
Angesichts der in den letzten 50
Jahren eingetretenen Relationsverschiebungen in der Ärzteschaft, die an Zahlenbeispielen
belegt wurden, der Verlagerung
großer ärztlicher Tätigkeitsgebiete
in das Krankenhaus und damit in
einen tarifgebundenen Bereich,
aber auch angesichts der Tatsache, daß eine rasch zunehmende
Zahl weiterer „Gesundheitsberufe" die heutigen Inhalte von beruflicher Freiheit und Freiberuflichkeit nachhaltig verändern könnte,
sollten auch andere freie Berufe
die daraus möglicherweise für ihre
eigene Existenz resultierenden
Folgen erkennen und sich gemeinsam mit den Ärzten unter
stärkerer Besinnung die alle freien
Berufe verbindenden, tragenden
Fundamente in ihr Bewußtsein zurückrufen. Auf diese Weise werden sie nicht nur einen Beitrag zur
Sicherung ihrer eigenen Existenz
leisten, sondern darüber hinaus
die Grundlagen unserer pluralistischen, freiheitlich-demokratischen Grundordnung nachhaltig
festigen.
Ähnlich unzufrieden wie Krankenkassenspitzenverbände und die
Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) — allerdings mit umgekehrten Vorzeichen — hat sich
die Bundesärztekammer zu der
vom Deutschen Bundestag (am
20. März) verabschiedeten Novelle
zum Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), Bundestagsdrucksache 8/2067, geäußert. In einem
detaillierten Protestbrief an die
Bundesratsmitglieder hat der Präsident der Bundesärztekammer
und des Deutschen Ärztetages, Dr.
Karsten Vilmar, noch vor dem
zweiten Durchgang im Bundesrat
am 18. April darüber geklagt, daß
die Mitentscheidung und Verantwortung für die Krankenhausfinanzierung und -bedarfsplanung
weitgehend den gesetzlichen und
privaten Krankenkassen, den Trägern der Krankenhäuser, deren
Bundes- und Landesverbände sowie den Bundesländern übertragen werden soll. Die Ärzteschaft,
die von den Regulativen dieses
Gesetzes in erster Linie mitbetroffen würde, liefe einmal mehr Gefahr, ausgeschlossen zu bleiben.
Dr. med. Karsten Vilmar
Präsident der Bundesärztekammer
und des Deutschen Ärztetages
Haedenkampstraße 1
5000 Köln 41 (Lindenthal)
Bundesärztekammer
Die
veranstaltete im März ein
Symposium „Freiheit im Beruf", zu dem Politiker,
Wissenschaftler, Publizisten
und Vertreter der Freien Berufe beitrugen. Der Präsident der Bundesärztekammer behandelte dabei das
Thema aus Sicht des ärztlichen Berufes.
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Heft 17 vom 24. April 1980
Der Ärztekammerpräsident bejaht
zwar die Zielsetzung des neuen
Gesetzes, soweit damit die Wirtschaftlichkeit im Krankenhauswesen gefördert und die Bedarfsplanung — unter unmittelbarer und
entscheidender Mitwirkung der
Ärzteschaft — verbessert werden
kann, die Bundestagsbeschlüsse
beinhalten seiner Ansicht nach dazu aber wenig Konkretes. Die
KHG-Novelle trage zudem nicht
hinreichend der Tatsache Rechnung, daß sich ökonomische Gesetze und gesamtwirtschaftliche
Orientierungsgrößen nicht einfach
auf die besonderen Kostenstrukturen im Gesundheits- und Krankenhauswesen übertragen ließen.
Trotz verbaler Beteuerungen von
amtlicher Seite sieht Vilmar im
Gleichklang mit den Krankenhausträgern nicht gewährleistet, daß
DEUTSCHES ARZTEBL ATT
das erst 1972 gesetzlich festgeschriebene Prinzip der vollen Kostendeckung der ärztlich-medizinisch notwendigen und wirtschaftlich vertretbaren Kosten des
einzelnen Krankenhauses durch
den vorgegebenen Finanzierungsrahmen und die gesetzlichen
Grundlagen garantiert wird. Insbesondere sei überhaupt noch nicht
absehbar, wie sich der (begrüßenswerterweise) aufgehobene
sogenannte Halbierungserlaß (volle Kostenübernahme bei Unterbringung und Behandlung psychisch Kranker durch Sozialhilfeträger und Krankenkassen) auf die
fortgesetzt angespannte Haushaltslage des Bundes und der Kostenträger auswirken wird.
Für ebenso „absolut unvertretbar"
hält die Bundesärztekammer solche Regelungen, die „maßgebliche Organisationsentscheidungen" auf dem Gebiet der Krankenversorgung ausschließlich an Behörden sowie an Krankenhausund Kostenträger übertragen. Diese Macht- und Kompetenzverschiebung ließe sich, so Vilmar,
auch nicht mit dem Hinweis der
Länderzuständigkeiten und dem
beabsichtigten „Ausbau" der
Selbstverwaltung bemänteln. Da
in erster Linie die Ärzte für eine
ordnungsgemäße stationäre Krankenversorgung nicht nur moralisch, sondern auch juristisch und
organisatorisch verantwortlich
seien, sei es folgenotwendig, diese Berufsgruppe oder deren öffentlich-rechtliche Berufsorganisationen an allen krankenhausrelevanten Entscheidungen auf Landes- und Bundesebene unmittelbar und sachkompetent mitwirken
und mitentscheiden zu lassen. Insbesondere fordert die Bundesärztekammer (BÄK) eine Mitentscheidung der Landesärztekammern
beim Aufstellen der Krankenhausbedarfspläne der Länder; zumindest seien diese in die beabsichtigte enge Zusammenarbeit zwischen den Verbänden der Krankenhausträger und Kostenträger
einzubeziehen. Ferner sollten sich
die Kompetenzen der Ärzteschaft
auch auf die Aufstellung der Inve-
NACHRICHTEN
stitionsprogramme der Länder,
die Abstimmung von Planungsgrundsätzen auf Bundesebene
und die Mitentscheidung der Bundesärztekammer bei der Erarbeitung gemeinsamer bundesweiter
Empfehlungen für die Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit
der Krankenhäuser (insbesondere
für Personal- und Sachkosten) erstrecken. Um dem ärztlichen
Sachverstand mehr Gewicht zu
verleihen, sollte die Zahl der Mitglieder im Beirat für Krankenhausfragen (§ 36 KHG-Novelle) auf 15
Personen (nicht wie geplant auf
25) beschränkt werden.
Auch das BÄK-Petitum, Eingriffe
der Landesbehörden in das Weiterbildungsrecht der Ärzte (§ 6 Absatz 3 und 9 Absatz 4) zu unterbinden, ist in der KHG-Novelle praktisch überhaupt nicht berücksichtigt worden. Statt gesetzliche
Zwänge zu verstärken, sollten die
Kräfte der „Selbststeuerung und
Selbstverwaltung" aktiviert werden. Bereits jetzt gebe es wirksame AKsprachen zwischen ärztlichen Organisationen und Verbänden mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft, die Weiterbildung insbesondere von Allgemeinärzten nachhaltig zu fördern.
Verfassungsrechtlich problematisch sei die in § 5 Absatz 3 Nr. 5
vorgesehene Vorschrift, die Weiterbildung zur Aufgabe des Krankenhauses zu machen. Die Bundesärztekammer verweist darauf,
daß nur die von der Ärztekammer
zur Weiterbildung ermächtigten,
erfahrenen Krankenhausärzte dazu befugt seien.
Vilmar ergänzte diese an den Bundesrat gerichtete Protestresolution durch einen ebenso geharnischten Brief an den nordrheinwestfälischen Arbeits- und Sozialminister, Prof. Friedhelm Farthmann. In dem Schreiben kritisiert
der Ärztepräsident die jüngsten
Beschlüsse der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) vom 19./20.
März in Bad Salzuflen. Den für das
Gesundheitswesen zuständigen
Ministern und Senatoren der Län-
Sozialleistungen: Wer zahlt?
Die Finanzierung der Sozialleistungen in der Europäischen Gemeinschaft
(1980, in Prozent der Gesamteinnahmen ')
Zahlungen der öffentlichen Hand Beiträge der Arbeitgeber
Dänemark
62
Irland .
Belgien
Bundesrepublik
Deutschland
Italien
Niederlande
Frankreich
EG insgesamt
16
42
Großbritannien
Luxemburg
82111101
• lig 121
33
30
25
22
18
16
26
47
61
Schatzung; Rest: ` ermögenserträge oder sonstige Einnahmen: Quelle, EG-Nomml.,Mo
iwd
Die Systeme der sozialen Sicherung in der Europäischen Gemeinschaft (EG)
werden von Mitgliedsland zu Mitgliedsland höchst unterschiedlich finanziert.
Während in den sechs ursprünglichen Mitgliedstaaten die Mittel in erster
Linie durch Beiträge der Versicherten und Arbeitgeber aufgebracht werden,
der Staatsbeitrag aber nur subsidiär ist, werden die Sozialleistungen der
„Neuen" teilweise aus erheblichen öffentlichen Mitteln bestritten. So werden in Dänemark fast 82 Prozent der Sozialleistungen, in Irland 62 Prozent
und in Großbritannien immerhin noch 42 Prozent über Steuern finanziert.
Dabei liegt die Abgabenquote, das heißt die persönliche Belastung durch
Sozialversicherungsbeiträge und Steuern, gemessen am Bruttosozialprodukt, in den Niederlanden mit 49,9 Prozent am höchsten. Es folgen Belgien
mit 42,4, Frankreich mit 40,8 Prozent, die Bundesrepublik Deutschland mit 39
und Großbritannien mit 34,2 Prozent. Die übrigen Staaten der Europäischen
Gemeinschaft folgen in der Reihe dichtauf iwd/DÄ
der wirft Vilmar vor, sie hätten sich
„auf einfache Weise der Verantwortung entledigt", die längst
überfälligen neuen Anhaltszahlen
für die Ausstattung der Krankenhäuser mit Ärzten und anderen
Fachkräften bundeseinheitlich zu
dekretieren.
Nach „bewährtem Muster" soll die
Ärzteschaft erneut ausgebootet
werden. Die GMK habe nämlich
Krankenhausträger und Krankenkassen aufgefordert, sich über ein
neues Personalberechnungsverfahren (PBBV) zu einigen, obwohl
jeder Kundige wisse, daß diese
bereits seit Jahren ergebnislos
um dieses brisante Thema rangelten. HC
In einem Satz
Apothekengesetz — Die Novelle
zum Apothekengesetz sieht vor,
daß Apotheken künftig nur dann
betrieben werden dürfen, wenn
der Apotheker eine zweijährige
Praxis in einer Apotheke absolviert hat. EB
Heilverfahren — Die Zahl der Heilverfahren bei den Rentenversicherungsträgern und den gesetzlichen Krankenkassen hat sich
nach Angaben des Deutschen Bäderverbandes, Bonn, 1979 im Vergleich zum Vorjahr um rund sieben Prozent erhöht. DÄ
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 17 vom 24. April 1980
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