JAN/FEB 2017
www.blix.info
DAS MAGAZIN
FÜR OBERSCHWABEN
Künstliche Intelligenz
Was uns erwartet!
BAUEN & WOHNEN
BILDUNG
PURE AHNUNGSLOSIGKEIT
mit Vergnügen
Seite 56
ohne Ende
Seite 6
von der Zukunft
Seite 34
1
is
Grat
INHALT & EDITORIAL
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Öfter mal was anderes! Das erste BLIX beginnt
in diesem neuen Jahr so - also anders. Bitte
lassen Sie sich davon nicht irritieren. Es ist halt
so! Wir haben ganz sicher nicht am Inhalt gespart, sondern nur am Verzeichnis. Und das ist
ein Versehen. Tschuldigung!
Aber bitte versichern Sie sich, dass wir Ihnen
wieder hoch interessante Inhalte und Themen
liefern, indem Sie sich in Ruhe unsere Doppelausgabe für Januar/Februar anschauen. Ja, es
ist wieder ein Heft für zwei Monate, so dass
Sie auch die Zeit dazu haben, während wir uns
erholen. Und dass wir Erholung dringend nötig
haben, zeigt das fehlende Inhaltsverzeichnis,
das Platz für dieses Editorial machen musste.
Kennen Sie „2001 - Odyssee im Weltraum“?
Ich muss gestehen, es war mir nicht geläufig,
dass dieses Science-Fiction-Epos bereits 1968
in die Kinos kam und schon damals, als ein
Computer noch einen ganzen Raume füllte,
die künstliche Intelligenz thematisierte. HAL
9000 hieß das Maschinenwesen, das Stanley
Kubrick in seinem Film zum Leben erweckte.
Dargestellt als ein rotes Kameraauge. Warum
ich das erkläre? Weil Sie sich vielleicht nicht
erst über das Editorial an diesem Platz gewundert haben, sondern sich bereits bei unserem
Titel gefragt haben, was BLIX Ihnen damit sagen möchte. Wir brechen auch dabei eine Regel. Nämlich die, dass man Titel genauso wenig
wie Witze erklären (müssen) sollte.
Nun denn: Die abgewandelte Fingerberührung
aus dem weltberühmten Fresko von Michelangelo, das die Erschaffung Adams zeigt, soll
einen Vorgang illustrieren, der aktueller denn
je ist: Der Mensch Adam ist im Begriff, seinen
Nachfolger zu erschaffen. Und der Begriff dafür heißt „Künstliche Intelligenz“, kurz KI. Nicht
im Kino, nein, ganz real in den Forschungslaboren unserer Hochschulen - zum Beispiel in
Weingarten. Das rote Kameraauge von HAL
9000 ist dabei Symbol für etwas, was bisher
nur als Science-Fiction wahrgenommen wurde,
aber nun im Begriff ist, unser Leben von Grund
auf zu verändern.
Wissenschaftler, die selbst dazu forschen
wie Prof. Wolfgang Ertel, Leiter des KI-Forschungsinstituts an der Hochschule Ravensburg-Weingarten, halten eine Diskussion über
die gesellschaftlichen Folgen „seiner“ Forschung für dringend notwendig. Mehr noch:
Er hält tiefgreifende Reformen für zwingend,
um diese technische Revolution, die sich in
den nächsten Jahren und Jahrzehnten Bahn
brechen wird, politisch steuerbar und damit
gesellschaftlich akzeptabel zu gestalten. Natürlich sieht er vor allen Dingen die Chancen
der KI, aber warnt auch vor den Risiken. Damit
übernimmt er Verantwortung für sein Tun.
Es ist somit das richtige Thema zum Jahresbeginn.
Selten hat mich ein Thema so elektrisiert und ich
hoffe, damit auch Ihr Interesse zu finden.
viel SpaSS
mit BLIX
Dr. Roland Reck, Chefredakteur
Das nächste BLIX
erscheint Anfang März 2017
IMPRESSUM
Verlag:
BLIX-Verlag GmbH & Co. KG
88326 Aulendorf, Hauptstraße 93/1
Geschäftsführung:
Dr. Roland Reck, Tel. 07525-9212-12
Assistenz: Angelika Friedrich -0
Fax 07525- 9212-22
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Caroline Rothe 07525-9212-17
Stefan Zieglowski 07583-5399977
Anton Hänsler 07525-922184
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Redaktion:
Dr. Roland Reck V.i.S.P., Guy Pascal Dorner,
Horst Hacker, Jacqueline Kirsch, Tobias Köhler,
Sascha Müller, Alexander Koschny, Andrea Reck
Layout:
Büro für Gestaltung MEDIA GROUP,
www.bfg-mediagroup.com
David Hinderberger, Jacqueline Kirsch
Illustration: Michael Weißhaupt,
www.monsterdisein.de
Druckerei:
HÖHN GmbH
Hohnerstraße 6-8
89079 Ulm
Vertrieb:
Angelika Friedrich
Erscheinungsweise:
monatlich
Druckauflage:
20.000 (IVW 1. Quartal 2015)
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Termine: [email protected]
3
TITELTHEMA
R oland
R eck
Pure Ahnungslosigkeit
Die Gummipuppe ist tot. Es lebe die Robotergespielin! Vielleicht
noch nicht heute, aber morgen ganz gewiss. Das lässt sich so sicher
behaupten, wie dass in wenigen Jahren Robotertaxis in Oberschwaben
den Individualverkehr erobern und den öffentlichen Nahverkehr platt
machen werden. Letzteres prognostiziert Prof. Dr. Wolfgang Ertel von der
Hochschule Ravensburg-Weingarten im BLIX-Interview. Und die Sache
mit dem Sex war kurz vor Weihnachten ein Thema an der Goldsmiths
University London, wo sich Wissenschaftler bei einem Kongress über
„Love and Sex with Robots“ austauschten. Und was haben die beiden
Verkehrsarten gemeinsam? Künstliche Intelligenz.
„Make love not war!“ Der Appell der Hippies in
den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts war
Protest gegen den Vietnamkrieg einerseits und
war zugleich Wiegenlied des Robotersoldaten,
der inzwischen kampffähig ist, andererseits.
Denn vor rund 60 Jahren begann die Entwicklung dessen, was heute technisch möglich ist:
das vollautomatisierte Robotertaxi, die interagierende Sexpuppe und der autonome Kriegsroboter, vor dessen Einsatz Wissenschaftler wie
der Physiker Wolfgang Ertel warnen. Der Experte für Künstliche Intelligenz (KI) ist treibende Kraft und Mahner zugleich, was die weitere
Entwicklung und den vielfältigen Einsatz von
Robotern anbelangt.
trieroboter, die in einer menschenleeren Halle
Autos zusammen bauen, sind von gestern. Und
so wie die Elektromobilität vor dem Masseneinsatz steht, sind es auch fahrerlose Autos.
„Robotertaxis“ revolutionieren in Kürze auch
die Mobilität in Oberschwaben, behauptet der
Professor und hält deshalb die kostspielige Instandsetzung der Tiefgarage am Marienplatz
in Ravensburg für rausgeschmissenes Geld.
Denn: „Robotertaxis parken nie!“ Sie kommen
auf Anruf und kosten – nichts! So die Theorie.
Denn finanzieren soll sich der Verkehr per Auto
wie das Surfen im Netz: über Werbung. Man
steigt ein und der Roboter weiß exakt, wer man
ist und welche Werbung zu einem passt. So
Trendforscher Sven Gábor Jánszky glaubt zu wissen, wo die Zukunft liegt.
An seiner Hochschule in Weingarten lässt sich
dazu allerlei lernen. Meist gelangen technische
Spielereien wie fußballspielende Kleinroboter
an die Öffentlichkeit oder auch Roboter für
den guten Zweck, die Behinderten helfen, ihren
Alltag zu bewältigen. In Nischen wird ausprobiert, was die künstliche Intelligenz zu leisten
in der Lage ist. Die vollautomatisierten Indus34
dass man noch rechtzeitig abbiegen kann, um
einzukaufen. Schöne neue Welt!
„Die Künstliche Intelligenz erforscht, ob und
wie Computer Dinge tun können, die wir Menschen heute noch besser können.“ Diese Zielsetzung formulierte die Informatikerin Elaine
Rich 1983. Das war noch digitales Mittelalter. Aber schon 14 Jahre später, nämlich 1997
schlug „Deep Blue“ von IBM den Schachgroßmeister Garri Kasparow. Zockende Software
gehört freilich schon längst zur „schwachen KI“
wie auch Suchmaschinen, Handschriften- oder
Spracherkennung. Die „starke KI“ hat einen
ganz anderen Anspruch: Maschinen zu schaffen, die zu Selbsterkenntnis und Bewusstsein
fähig sind und autonom handeln, jenseits konkreter Problemstellungen. Und darum geht es
in Zukunft.
In spektakulärer Vorausschau zeigte Stanley
Kubrik bereits 1968 in seinem Epos „2001:
Odyssee im Weltraum“ mit seinem Supercomputer HAL 9000 den dramatischen Einsatz
künstlicher Intelligenz, die nicht nur autonom
das Raumschiff steuert, sondern mit eigenem
Bewusstsein ausgestattet ein Menschen gefährdendes Eigenleben entfaltet. Die Mutter
aller Science-Fiction-Filme war der finanziell
erfolgreichste des Filmjahrs 1968 und spielte
in den Kinos weltweit über 190 Millionen USDollar ein.
15 Jahre nach 2001 haben wir zwar immer
noch nicht den Jupiter betreten, aber stehen
an der Schwelle zum massenkompatiblen Jedermannsroboter, wie der KI-Forscher an der
Hochschule Ravensburg-Weingarten behauptet. Wolfgang Ertel: „Der Durchbruch der KI
findet gerade statt. Die Auswirkungen werden
wir in fünf Jahren erleben, wenn die Robotertaxis hier in Oberschwaben endlich einen
superkomfortablen öffentlichen Nahverkehr
entstehen lassen. Und im nächsten Schritt wird
es in den Elektronik-Discountern für 5000 Euro
die Serviceroboter geben, die in der Nacht nach
der Party die Sauerei aufräumen.“ Da lässt sich
geil feiern.
Doch wie groß der Kater ausfällt, darüber streiten sich die Geister. Denn selbstfahrende Autos
und massenhaft Roboter im arbeitskräfteintensiven Service- und Dienstleistungsbereich
wird die gewohnte Arbeits- und Lebenswelt
auf den Kopf stellen. Das ist sicher. Gestritten
wird, wie schon in der Vergangenheit: Schafft
diese technische Revolution mehr Arbeitsplätze als sie vernichtet?
Optimisten wie der Zukunftsforscher Sven
Gábor Jánszky (43), Chairman des größten
deutschen Zukunftsinstituts „2b AHEAD ThinkTank“, sehen im technologischen Fortschritt
nur Chancen. Das ist nicht neu. Die Gefahren
steckten nicht in der Technik, sondern im falschen Umgang der Menschen mit dieser Technik, behauptet der Autor mehrerer Trendbücher.
Jánszky preist die Technologie als globalen Problemlöser einerseits: „Technologie schenkt den
Menschen also einige der wichtigsten Dinge:
Gesundheit, Zeit und die Lösung der größten
Menschheitsprobleme wie Energie, Hunger und
Wasser. All diese Entwicklungen sind möglich,
weil wir intelligente Computer bekommen werden. Diese werden in etwa 30 bis 40 Jahren
Fortsetzung auf Seite 36
TITELTHEMA
A kademietage
2 0 1 7
Wissen ist Macht
BIBERACH. „Das, was im Menschen am besten entwickelt ist, das ist
sein Wille zur Macht“. Diese Beobachtung hat der Philosoph Friedrich
Wilhelm Nietzsche (1844 -1900) gemacht. Doch was ist Macht? Warum
ordnen sich Menschen anderen Menschen unter? „Macht“: Unter diesem Thema stehen die Akademietage 2017, die vom 31. Januar bis
zum 2. Februar in der Hochschule Biberach stattfinden. Renommierte
Wissenschaftler verschiedener Disziplinen beleuchten das Thema aus
unterschiedlichen Blickwinkeln.
Die Akademietage Landkreis Biberach bieten seit
1995 mit ihrer thematischen Ausrichtung und
zeitlichen Struktur die Gelegenheit zu wissenschaftlicher Weiterbildung vor Ort.
In der Regel dient der erste Akademietag der
Einführung, an den weiteren Tagen werden abgeleitete Einzelaspekte untersucht und dargestellt.
Ziel des letzten Tages ist, ein konkretes Anwendungsgebiet mit regionalem Bezug in den Blick zu
nehmen.
In den Pausen können die Besucher sich austauschen und diskutieren. Jeder Dozent lässt zudem
in der Regel am Schluss seines Vortrages gezielte
Fragen zu. Es ist Ziel der Akademietage, Kompetenzen zu zentralen und aktuellen gesellschaftlichen Fragen zu erweitern und Anregungen zur
Gestaltung unserer Lebenswelten zu vermitteln.
Wenn daraus Impulse für gesellschaftliches Engagement entstehen, begrüßen es die Veranstalter.
Willkommen sind alle, die sich mit zentralen Fragestellungen auseinandersetzen und den Stand
wissenschaftlicher Diskussionen aus unterschiedlichen Forschungsrichtungen erfahren möchten.
Alle wissenschaftlichen Vorträge finden im großen Hörsaal der Hochschule Biberach statt.
Das Dezernat Arbeit – Jugend – Soziales des Landratsamtes Biberach organisiert zusammen mit der
Caritas Biberach-Saulgau, der Diakonie Biberach,
der kath. Erwachsenenbildung Dekanate Biberach
und Saulgau e. V. und der Volkshochschule Stadt
Biberach diese Akademietage.
www.biberach.de/akademietage2017.html
VORTRÄGE
Dienstag, 31. Januar 2017
• 9.30 bis 12 Uhr: „Was ist Macht?“
Prof. Dr. Andreas Anter,
Universität Erfurt
• 14 bis 16.30 Uhr: „Die Macht der
Ideologie – Zur Notwendigkeit der
Ideologiekritik bei der Politischen
Bildung“
Univ. Prof.i.R. Dr.phil. Kurt Salamun,
Universität Graz
Mittwoch, 1. Februar 2017
• 9.30 bis 12 Uhr: „Macht der Sprache –
Sprache der Macht“
Prof. Dr. Josef Klein, FU Berlin
• 14 bis 16.30 Uhr: „Die Macht der
Algorithmen“
Prof. Dr. Katharina Anna Zweig,
TU Kaiserslautern
Donnerstag, 2. Februar 2017
• 9.30 bis 12 Uhr: „Die Macht der
Lobbyisten – wie die Demokratie
ausgehöhlt wird“
Prof. Dr. Kim Otto,
Universität Würzburg
• 14 bis 16.30 Uhr: „Die Macht der
Musik – Musik und Emotionen
im Gehirn“
Univ. Prof. Dr. Stefan Koelsch,
Universität in Bergen
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TITELTHEMA
sogar die menschliche Durchschnittsintelligenz
erreichen und übertreffen.“ Andererseits beschreibt er eine übermenschliche Herausforderung durch die Technik, denn die wirklich
wichtige Frage sei: „Wie werden wir und unsere Kinder in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts als ‚zweitintelligenteste Spezies der
Welt‘ leben?“ Und der Wissenschaftler stellt
nüchtern fest: „In der Menschheitsgeschichte
hat es bisher noch nie solch eine riesige Herausforderung wie die Entstehung einer übermenschlich intelligenten Spezies gegeben.“
Gemessen an dieser Feststellung fällt sein Rat
für den geneigten Leser ernüchternd aus: „Sie
müssen vermeiden, sich als Opfer zu fühlen.
Wenn man sich als Opfer von Digitalisierung
fühlt, wenn man nur darauf schaut, dass Arbeitsplätze wegfallen, hat man ein echtes Problem. Aber wenn man das ganze Bild anschaut,
auf der einen Seite fallen Arbeitsplätze weg an
Maschinen, auf der anderen Seite entstehen
welche. Und es entstehen wahrscheinlich mehr
als wegfallen, dann hat man die Chance in der
Sache begriffen.“
Auf die Frage „Was ist der wichtigste Trend für
Deutschland im Jahr 2017?“ stellt der Trendforscher hingegen fest: „Es ist die digitale Spaltung unserer Gesellschaft.“ In Verlierer und Gewinner. Und die Wahl in den USA weist darauf
hin, dass die Verlierer die Mehreren sind. Trump
ist für Jánzky dennoch kein Problem. Denn: „Im
Vergleich zu den wirklich großen Entwicklungen in den Technologiebranchen, schrumpft
die Macht des angeblich mächtigsten Mannes
der Welt auf Zwergenniveau.“ Was aber, wenn
die „großen Entwicklungen in den Technologiebranchen“ Trump erst möglich gemacht
haben?
Der ehemalige Wirtschaftsminister KarlTheodor zu Guttenberg (CSU) hat es kürzlich
in seinem Vortrag vor dem oberschwäbischen
Mittelstand mit Blick auf die politischen Entwicklungen nicht nur in den USA, sondern auch
in Europa nüchtern auf den Punkt gebracht.
Die Digitalisierung sei im Kern „eine Jobdiskussion“. Im Land der unbegrenzten Möglichkei-
36
ten grassiere die „Globalisierungs- und Überforderungsangst“, meinte der Baron, der seit
fünf Jahren in New York lebt und arbeitet, und
mahnte seine oberschwäbischen Zuhörer in der
Kongresshalle in Weingarten: „Wir sind nicht
grundsätzlich gefeit gegen diese Entwicklung.“
Wie auch? Denn wenn es in der Automobilbranche rund geht, dann wackeln die Fundamente auch im Ländle. Eine Studie des Ökonomen Jeremy Bowles von der London School
of Economics zu den Auswirkungen der Digitalisierung kommt für Europa und Deutschland
zu dramatischen Ergebnissen: In der Europäischen Union seien im Durchschnitt 54 Prozent
der Arbeitsplätze in den kommenden zwanzig
Jahren gefährdet, in Deutschland immer noch
über 51 Prozent. Und Bowles ist mit seinen
düsteren Prognosen wahrlich nicht alleine in
seiner Zunft. Das weiß auch der Technikfreak
Wolfgang Ertel von der Hochschule Ravensburg-Weingarten, der zwar Jánzkys (Zweck-)
Optimismus grundsätzlich teilt, aber die kommende Roboterzeit nur für gesellschaftlich akzeptabel hält, wenn die technische Revolution
von einer politischen Revolution begleitet und
gesteuert wird. So fordert er das bedingungslose Grundeinkommen als Voraussetzung für
eine Verteilungsgerechtigkeit des Wohlstands
sowie eine Energiesteuer, die den Grenzen des
Wachstums und des Ressourcenverbrauchs
Rechnung trägt.
Dass es höchste Zeit ist darüber zu diskutieren
und zu handeln, macht auch Jánzkys Hilferuf deutlich, der geradezu wider seiner Natur
ist: „Aber ich will auch klar zugeben, dass ich
durchaus Ängste habe. Nicht wegen der technologischen Entwicklung, sondern wegen der
aktuellen Ahnungslosigkeit und Untätigkeit
unserer Politik und Gesellschaft.“ Und obwohl
er Trump als machtlosen Zwerg betrachtet,
appelliert er geradezu verzweifelt an die Politik: „Wir Zukunftsforscher haben diese aus
unserer Sicht größten zu lösenden Zukunftsfragen schon vor vielen Jahren an die deutsche Politik geschickt. Es gab bisher nie eine
Antwort. Wenn wir aber nicht jetzt anfangen,
Wolfgang Ertel, Professor an der Hochschule
Ravensburg-Weingarten, ist Leiter des Instituts für künstliche Intelligenz.
die anstehenden Fragen und entsprechende
Regulierungen zu debattieren, dann wird es
irgendwann zu spät sein. Denn die Menschheit
wird nur in den frühen Entstehungsphasen der
übermenschlich intelligenten Computer einen
Einfluss auf deren Zukunft nehmen können. Zu
einem bestimmten Zeitpunkt wird es zu spät
sein. Ich habe Angst, dass die Politik aus purer Ahnungslosigkeit und Nichtkenntnis diese
größte Verantwortung nicht wahrnimmt. Diese
Angst habe ich schon lange. Sie wird jedes Jahr
größer, in dem diese entscheidenden Fragen
nicht von den wahlkämpfenden Parteien gestellt werden. Ich habe sie weder von Donald
Trump oder Hillary Clinton gehört, noch von
irgendeiner deutschen Partei für den bevorstehenden Bundestagswahlkampf 2017.“
TITELTHEMA
J oachim
F essler
/
R oland
R eck
„Robotertaxis parken nie”
WEINGARTEN. Er gilt als Experte für Künstliche Intelligenz. Der
Physiker und Mathematiker Prof. Dr. Wolfgang Ertel forscht dazu an
der Hochschule Ravensburg-Weingarten. Der 57jährige Wissenschaftler
schaut dabei nicht nur auf das technisch Mögliche, sondern denkt auch
intensiv über die gesellschaftlichen Folgen seiner Forschung nach. Mit
BLIX sprach er über Chancen und Risiken.
Herr Prof. Ertel, stehen wir erneut vor einer Zeitenwende: nach der Automatisierung und der
Digitalisierung nun also der Durchbruch bei der
Künstlichen Intelligenz (KI), die die Singularität
des Menschen als intelligenteste und empathiefähigste Spezies dieses Planeten in Frage stellt?
an dem die Roboter uns überholen, das heißt, ab
dem sie klüger sind als wir. Aber bis jetzt ist diese Singularität reine Science Fiction. Wir haben
derzeit ganz andere Probleme auf dem Planeten
Erde.
die besten Menschen. Ein anderes Beispiel ist das
Navigationsgerät im Auto, das uns in einer fremden Stadt viel schneller, sicherer und stressfreier
zum Ziel führt als dies der Fahrer oder Beifahrer
könnte.
Wo liegen die Einsatzbereiche der KI?
Diese sind sehr vielfältig. In der Industrie gibt es
heute schon viele Anwendungen, wo lernfähige
KI-Programme Fehler in Maschinen diagnostizieren. Auch in der Medizin machen zum Beispiel
Computer die Krebsdiagnose aufgrund von MRTBildern besser als die besten Ärzte. Auch die Servicerobotik wird bald reif für den Markt sein. Das
heißt, Roboter, die uns im Haushalt helfen, werden unser Leben noch bequemer machen.
Was hat sich getan, seit den ersten Ansätzen der
KI?
Die KI hat sich in 60 Jahren stark gewandelt von
einer rein logikbasierten Wissenschaft zu einem
breiten Feld mit vielen Techniken. Aktuell sehr
erfolgreich und auch in den Medien präsent ist
“Deep Learning”. Dies sind sehr komplexe neuronale Netze, die, ähnlich wie menschliche Gehirne,
lernen können, Bilder zu klassifizieren, was in der
Bildverarbeitung eine Revolution darstellt. Damit
werden Serviceroboter und auch Roboterautos
deutlich leistungsfähiger und intelligenter.
Wie verändert die KI unseren Alltag, zum Beispiel beim Autofahren?
In etwa fünf Jahren werden Robotertaxis auf
deutschen Straßen fahren. Das Geschäftsmodell
im Personennahverkehr wird sich im Laufe der
Zeit dramatisch verändern. Wir werden keine
Privatautos mehr besitzen, sondern nur noch
ganz bequem per Handy bei Bedarf Robotertaxis buchen. Der öffentliche Nahverkehr wird
durch diesen sehr komfortablen, günstigen und
umweltfreundlichen Service komplett ersetzt
werden.
Ganz freundlich: Prof. Dr. Wolfgang Ertel lässt sich von seinem Hightech-Butler Marvin den Kaffee reichen.
Foto: Fessler
Oder befinden wir uns womöglich schon mitten
drin in dieser Zeitenwende?
Der Durchbruch der KI findet gerade statt. Die
Auswirkungen werden wir in fünf Jahren erleben,
wenn die Robotertaxis hier in Oberschwaben
endlich einen superkomfortablen öffentlichen
Nahverkehr entstehen lassen. Und im nächsten
Schritt wird es in den Elektronik-Discountern
für 5000 Euro die Serviceroboter geben, die in
der Nacht nach der Party die Sauerei aufräumen. Übrigens geht es nicht um die Singularität
des Menschen, sondern darum, ob in vielleicht
50 Jahren die Singularität stattfinden wird. Die
‘Singularität’ ist nämlich definiert als der Punkt,
Warum brauchen wir die Künstliche Intelligenz
(KI) überhaupt, sind die Menschen zu dumm?
Wie in vielen anderen Forschungsgebieten auch,
sind wir Forscher einfach neugierig. Wir wollen
verstehen, wie Intelligenz ‘funktioniert’. Das
heißt, wir erforschen zuerst mal zweckfrei, wie
wir Roboter intelligent machen können. Und hier
stellt sich zum Beispiel heraus, dass viele für uns
Menschen ganz einfache Aufgaben, wie etwa
das Finden eines Objekts in einem Raum oder das
Finden und öffnen einer Türe für Roboter (noch)
sehr große Herausforderungen darstellen.
Andererseits spielen Computer mit KI-Programmen heute viel besser Schach oder auch Go als
Brauchen wir dann überhaupt noch solche Projekte wie die Marienplatz-Tiefgarage in Ravensburg?
Nein, dieses 15 Millionen Euro teure Projekt ist
überflüssig, denn etwa ein bis zwei Jahre nach
Fertigstellung 2020 wird sie nicht mehr gebraucht werden. Robotertaxis werden nämlich
nie parken, denn sie sind immer unterwegs.
Big Data und KI - sind wir bald komplett gläserne Menschen für große Internetkonzerne?
Wenn wir bei Facebook und Co. alle unsere persönlichen Daten und Fotos online stellen, dann
ist die Antwort klar. Aber auch alle, die ein Handy oder Google Maps benutzen, bezahlen diese
Dienste mit der Weitergabe ihrer Daten. Und die
sind wertvoll. Die Konzerne verdienen damit viel
Geld. Wir hier in Deutschland haben zumindest
noch Datenschutzgesetze. Und diese müssen
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TITELTHEMA
wir auch weiter pflegen. Und wir müssen unsere
Netze sicher machen. Dazu werden in Zukunft
viele IT-Sicherheitsexperten benötigt. Übrigens
kann man an unserer Hochschule in Weingarten neben Künstlicher Intelligenz auch diese so
wichtige IT-Sicherheit studieren.
Ist ein Szenario realistisch, dass wir bald Robotersoldaten haben?
Obwohl ich eine internationale Petition von Wissenschaftlern gegen Kampfroboter unterzeichnet habe, bin ich nicht sehr optimistisch. Schon
im Irakkrieg hatten die USA autonome Panzer
im Einsatz. Im Völkerrecht sollten entsprechende
Gesetze hinzugefügt werden, in der Hoffnung,
dass diese dann auch eingehalten werden.
Können intelligente Maschinen der Menschheit
gefährlich werden, wenn sie sich irgendwann
selber reproduzieren?
Ja. Es gibt zwei ganz kritische und gefährliche
Punkte. Erstens wenn wir Schwärme von Robotern haben, die sich reproduzieren können. Diese können sich dann eventuell explosionsartig
verbreiten, schlimmer als die schlimmsten Seuchen. Zweitens wird es kritisch, wenn die ersten
Roboter klüger sein sollten als wir Menschen.
Wenn dieser Punkt erreicht wird, ist es allerdings
schon zu spät. Denn dann werden die Roboter
entscheiden, was sie mit uns Menschen machen
wollen. Aber diese Gefahren sind, wenn überhaupt, noch in sehr weiter Ferne. Jedenfalls gibt
es heute noch keine konkreten Ideen in dieser
Richtung. Also: Noch kein Grund zur Panik.
Wie muss man sich das vorstellen: Roboter, die
sich seuchenartig vermehren?
Ja, genau so muss man sich das vorstellen. Wichtig ist einfach, dass die Wissenschaftler, die an
so etwas arbeiten, wie Biologen und Mediziner
auch, höchste Vorsicht walten lassen und entsprechende Ethikkommissionen entscheiden,
was erlaubt ist und was nicht. Noch sind wir weit
von solchen Roboterseuchen entfernt. Das ist
auch gut so. Denn wir müssen handeln, bevor
wir solche Seuchen haben.
Was sind die Auswirkungen der KI für unsere Arbeitsplätze und wen wird es besonders treffen?
Die Roboter werden immer mehr Arbeiten erledigen können. Das heißt, wir Menschen werden
immer weniger arbeiten müssen und ein immer
besseres und bequemeres Leben haben. Wir können uns dann mit den Dingen beschäftigen, die
uns wirklich interessieren und die uns Freude bereiten. Das klingt fast schon paradiesisch, nicht?
Allerdings können wir diesen Weg in Richtung
Paradies nur dann gehen, wenn wir Bürger bereit
sind, das wirtschaftliche Hamsterrad des dauernden Wachstums zu verlassen. Das Ende des
Wachstums ist außerdem immens wichtig, damit
wir nicht durch Umweltverschmutzung unsere
Lebensgrundlagen zerstören. Denn dann ist es
zu spät fürs Paradies.
Wie wird sich unser Gesellschaftssystem verändern.
Das hängt von uns und den zukünftigen Entscheidungen in der Politik ab. Wir können,
38
wenn wir und unsere demokratisch gewählten
Volksvertreter dies wollen, zu einer Gesellschaft
kommen, in der wir eine Verteilungsgerechtigkeit beim Wohlstand haben und in der wir, wie
gesagt, viel weniger arbeiten müssen als heute.
Dies hätte übrigens den - durchaus positiven Nebeneffekt, dass das Rad des Fortschritts sich
nicht mehr dauernd noch mehr beschleunigt.
Das klingt paradox: Sie als Wissenschaftler treiben diesen Fortschritt doch massiv voran?
Ja, es mag paradox klingen. Um es klar auszudrücken, wir haben die Wahl: Wir könnten den
Forschern ein Berufsverbot erteilen, um den
Wachstumstreiber Technologie auszuschalten.
Das wollen wir sicher nicht, denn das wäre der
Untergang von Wissenschaft und Kultur. Wenn
wir also weiter forschen, dann haben wir das
Problem, dass jede neue Technologie, insbesondere in der Automatisierung und der Informatik
Arbeitsplätze von Menschen durch Maschinen
ersetzt. Und diese Maschinen leisten viel mehr
als wir Menschen, verbrauchen dabei aber zusätzliche Energie und Ressourcen und pro Arbeiter werfen wir noch mehr Konsumgüter auf
den Markt, die gekauft werden müssen. Und die
Werbung bringt uns dann schon zum Kaufen …
Was wir stattdessen brauchen, das ist heute in
dieser Zeit, in der wir die natürlichen Ressourcen schon viel zu viel ausbeuten und die Umwelt
zerstören, das ist eine Bremse für das Wachstum. Dazu gibt es ein paar einfache konkrete
Vorschläge an unsere Politiker: Wir müssen die
Lohnsteuer abschaffen und durch eine drastische Energiesteuer ersetzen.
Dies würde
sofort zu einem deutlichen Strukturwandel in
der Wirtschaft führen.
Es würde viel mehr lokal produziert und viel
weniger Güter würden
rund um den Globus
transportiert. Und
wir brauchen eine
Ver teilungs gerechtigkeit,
die
verhindert,
dass
sich die großen Kapitalberge der Superreichen
weiter aufbauen und
die Gruppe der Verlierer immer größer wird.
Denn diese Ungleichheit
ist auch eine Triebfeder
des Wachstums und des
sozialen Unfriedens.
Bedingungsloses
Grundeinkommen,
eine echte Erbschaftssteuer
und Vermö-
genssteuer sind Optionen zur Lösung dieses Problems, um nur einige zu nennen.
Wir reden über Jedermanns-Roboter, die in ihrer
harmlosen, dienlichen Variante in Kürze unser
Leben paradiesisch erscheinen lassen. Mit unseren Navigationssystemen kommen wir heute
schon überall hin ohne zu wissen, wo der Ort
ist und wie wir dorthin gekommen sind. Heute
fahren wir noch selbst, in wenigen Jahren steigen wir in Roboterautos, die auch das noch für
uns erledigen. Ist es nicht paradox, dass wir am
Anfang dieses Jahrtausends so viel wissen wie
noch nie, aber - wenn man den Zustand der Welt
betrachtet - anscheinend völlig die Orientierung
verloren haben?
Wir können die Zeit nicht zurückdrehen. Also
lassen Sie uns doch ganz bequem und übrigens
sehr umweltfreundlich mit den Robotertaxis
fahren und uns dabei entspannen. Und wenn wir
dann am Ziel sind, steigen wir auf die Berge und
finden den Gipfel hoffentlich ohne Navigationssystem. Es wird in der Zukunft von Jahr zu Jahr
weniger Erwerbsarbeit geben und wir haben
immer mehr Zeit, den Dingen nachzugehen, die
wir selbstbestimmt und mit viel Spaß machen
wollen. Das kann Forschung sein oder soziale Arbeit oder Kunst oder … Ich glaube nicht, dass wir
im Paradies verblöden werden. Ich glaube, dass
die Putzfrau, wenn sie weniger oder nicht mehr
arbeiten muss, in die Volkshochschule geht um
Englisch und Yoga zu lernen. Vielleicht will sie
sich aber auch an Diskussionen über nachhaltige
Wirtschaftssysteme beteiligen, wer weiß. Denn
dann hat sie endlich mal wieder Zeit, sich über
solche Dinge Gedanken zu machen.
Roboter im sozialen Einsatz
können Behinderte im
Alltag unterstützen.