59 WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN SAMW Rückblick und Ausblick Förderprogramm «Versorgungs forschung im Gesundheitswesen» Michael Röthlisberger a , Hermann Amstad b a Dr. sc, nat., ehem. Leiter Ressort Wissenschaft, SAMW, Bern; b Dr. med., Generalsekretär, SAMW, Bern Mit der Lancierung des Nationalen Forschungspro- Verfügung. Gemäss Vereinbarung sollte das Programm gramms NFP 74 «Gesundheitsversorgung» durch den – mittel- bis langfristig zu einem nachhaltigen Aus- Schweizerischen Nationalfonds (SNF) im Herbst 2015 bau der Forschungskompetenzen und -infrastruk- [1]* und einem neuen Förderprogramm der Stiftung turen im Bereich Versorgungsforschung in der Krebsforschung Schweiz [2], das im Rahmen der Natio- Schweiz führen; nalen Strategie gegen Krebs erarbeitet wurde, stehen – qualitativ hochstehende Forschungsprojekte im Be- für die Versorgungsforschung endlich substantielle reich der Versorgungsforschung im breitesten Fördermittel bereit. Das Förderprogramm «Versorgungsforschung im Gesundheitswesen» der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) hat hierfür den Grundstein gelegt. Sinne ermöglichen; – den wissenschaftlichen Nachwuchs in diesem Bereich fördern; – diesem Forschungszweig den entscheidenden Im- Die Versorgungsforschung untersucht u.a. die Wir- puls geben, der ihn in die Lage versetzt, in Zukunft kung von medizinischen Interventionen unter Alltags- im Wettbewerb mit anderen Forschungsbereichen bedingungen, also den Transfer von Ergebnissen der erfolgreich Fördergelder zu akquirieren. klinischen Forschung in die Realität der Arztpraxen, Mit dem Begriff «Versorgungsforschung» wird ein Spitäler und Pflegeinstitutionen. Die SAMW spannte weiter Bereich von Forschungsfragen abgedeckt. Das bereits 1985 erste Fäden für das Netz der Versorgungs- Förderprogramm definierte Versorgungsforschung forschung in der Schweiz: Das Programm «Recherches in A nlehnung an Pfaff [5] als «fachübergreifendes et réalisations en médecine appliquée» (RRMA) unter- Forschungsgebiet, das die Kranken- und Gesund- stützte mit jährlich CHF 200 000 Forschungsprojekte heitsversorgung und ihre Rahmenbedingungen be- im Bereich der Hausarztmedizin [3]. 2011 konnte die schreibt und kausal erklärt, zur Entwicklung wissen- SAMW die Gottfried und Julia Bangerter-Rhyner Stif- schaftlich fundierter Versorgungskonzepte beiträgt, tung für die Schaffung eines Förderprogramms «Ver- die Umsetzung neuer Versorgungskonzepte beglei- sorgungsforschung im Gesundheitswesen» gewinnen. tend erforscht und die Wirksamkeit von Versor- Nach dem Start der ersten Förderrunde bat das Bun- gungsstrukturen und -prozessen unter Alltagsbedin- desamt für Gesundheit (BAG) 2013 die SAMW, ein Kon- gungen evaluiert.» zept für die «Stärkung der Versorgungsforschung in Das Förderprogramm bot den Gesuchstellern drei ver- der Schweiz» [4] auszuarbeiten. Fast gleichzeitig for- schiedene Förderinstrumente an: Projektförderung derte der Bundesrat in seiner gesundheitspolitischen (Maximalsumme CHF 100 000/Jahr über max. drei Agenda «Gesundheit 2020» explizit und prioritär die Jahre), personenbezogene Stipendien für Auslandauf- Sicherung und Erhöhung der Versorgungsqualität. Die enthalte (CHF 40 000) sowie «Seed Money» für Pilot- Lancierung des Förderprogramms erfolgte also genau projekte (CHF 25 000). zum richtigen Zeitpunkt. * Die Literaturangaben finden sich online unter www.saez.ch → Aktuelle Ausgabe oder → Archiv → 2017 → 3. Ziele, Mittel und Förderinstrumente Beurteilungskriterien und Prozedere Eine 15-köpfige, interdisziplinär zusammengesetzte Die Bangerter-Stiftung stellte dem Förderprogramm in Expertenkommission war für die Evaluation der Gesu- den Jahren 2012–2016 jährlich 1 Million Franken zur che zuständig. Vorgelagert erfolgte eine erste Prüfung durch das SAMW-Generalsekretariat und den Kommissionspräsidenten; sofern die eingereichten Pro- Symposium 2017 jekte dem Förderzweck entsprachen, wurden sie je- Die SAMW führt am 1. März 2017 das 5. Symposium zur Versorgungsforschung in Bern durch. Anmeldung und Programm: www.samw.ch/agenda Kriterien evaluiert: weils zwei Experten vorgelegt und nach folgenden SCHWEIZERISCHE ÄRZTEZEITUNG – BULLETIN DES MÉDECINS SUISSES – BOLLETTINO DEI MEDICI SVIZZERI 2017;98(3):59–61 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 60 WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN SAMW – Beurteilung der Person ersten zur letzten Förderrunde deutlich ab: 32% vs. 14%. (max. 8 Punkte): Ausbildung, Werdegang, Umfeld, Von den zweckentsprechenden Gesuchen beantragten bisherige wissenschaftliche Leistung, Fachkompe- 200 Projektförderung, 49 «Seed Money» und 9 ein Sti- tenz in Bezug auf das Projekt; pendium. (Ein weiteres Gesuch betraf die Übernahme – Beurteilung des Projektes von Veranstaltungskosten; diese Fördermöglichkeit (max. 16 Punkte): Wissenschaftliche Bedeutung, Ak- war nur in der ersten Förderrunde vorgesehen.) tualität des Projekts, Originalität der Fragestellung, Die Hauptantragsteller stammten in 42% der Fälle aus Eignung des methodischen Vorgehens, Machbarkeit Universitäts- und Kantonsspitälern, in 30% aus Univer- des Projekts, Vernetzung, Nachhaltigkeit, Return on sitäten und in 19% aus Fachhochschulen (10% andere). Investment. Von den 213 Hauptantragstellern hatten 89 als höchs- Die Punktzahlen beider Experten wurden addiert und ten akademischen Titel Prof. oder PD angegeben, 164 die Gesuche anhand dieser Summen in eine Rangliste trugen mindestens einen Dr.-Titel und 9 hatten eine gebracht. Im Rahmen der Evaluationssitzung wurden Weiterbildung als Master of Public Health (MPH) absol- diejenigen Gesuche im Detail diskutiert, die ein Total viert. Erwartungsgemäss war ein Grossteil der Haupt- von ≥38 (von max. 48) erreicht hatten. Zudem wurden antragsteller in den fünf grossen Universitätsstädten diejenigen Gesuche geprüft, die zwar kein Total ≥38, je- tätig (Zürich: 61, Bern: 44, Basel: 37, Lausanne: 33, Genf: doch einen grossen Unterschied zwischen den beiden 24). Weitere Städte mit mehr als 5 Gesuchen waren Einzelbeurteilungen aufwiesen. Winterthur (12) und St. Gallen (11); 5 Gesuche wurden Bei den als förderwürdig befundenen Gesuchen konn- aus dem Ausland eingereicht mit tragenden Rollen von ten Anpassungen am Budget vorgenommen oder in- Schweizer Institutionen im Projekt. haltliche Auflagen formuliert werden. Auf Basis dieser Bei einer groben Einteilung in Disziplinen stand die Selektionsschritte wurde der Bangerter-Stiftung schliess- Medizin an erster Stelle (133 Gesuche), gefolgt von den lich ein Fördervorschlag unterbreitet. Dem Stiftungsrat Pflegewissenschaften (34), Public Health / Sozial- und war es jeweils vorbehalten, über diesen Fördervorschlag Präventivmedizin (33) und (Gesundheits-)Ökonomie zu entscheiden; er wich jedoch nie davon ab. (19). Bezüglich des Settings konnten 110 Projekte eindeutig dem ambulanten Bereich zugeordnet werden, Eingereichte Gesuche im Überblick während der stationäre Bereich in 71 Projekten untersucht wurde. Weitere 52 Projekte betrachteten die Ver- In den fünf Förderrunden gingen insgesamt 344 Gesu- sorgung auf Systemebene. che ein; 259 davon wurden als dem Förderzweck ent- Die total beantragte Fördersumme betrug 33 Millionen sprechend eingestuft und weiter bearbeitet. Der Anteil Schweizer Franken. nicht zweckentsprechender Gesuche nahm von der Charakteristika der geförderten Projekte Das Förderprogramm «Versorgungsforschung im Gesundheitswesen» auf einen Blick. Von den 259 beurteilten Gesuchen schlug die Exper- Dauer: tenkommission 46 (18%) zur Förderung vor: In 35 Fällen 2012–2016 Total eingereichte Gesuche: 344 betraf dies Projektförderung, in 8 Fällen «Seed Money», Dem Förderzweck entsprechende Gesuche: in 2 Fällen Stipendien und in 1 Fall Veranstaltungskos- 259 ten. Die 46 unterstützten Gesuche stammten von Unterstützte Gesuche: 46 (35 Projektförderung, 8 «Seed Money», 2 Stipendien, 1 Veranstaltung) Beantragte Fördersumme: CHF 33 Mio. Von den 46 bewilligten Gesuchen stammten 33 aus Zugesprochene Fördersumme: CHF 4,4 Mio. hochschulen (7%) und 2 aus anderen Institutionen Herkunft der eingereichten Gesuche: Universitäts- und Kantonsspitäler 42% Universitäten 30% Fachhochschulen 19% Andere 9% (4%). Fast alle Hauptantragsteller hatten mindestens Herkunft der bewilligten Gesuche: Universitäts- und Kantonsspitäler 17% Universitäten 72% Fachhochschulen 7% Andere 4% Zürich (16), gefolgt von Basel (11), Bern (8), Lausanne (5) Themen und Partner der Symposien: 2012: Hausarztmedizin; Kollegium für Hausarztmedizin 2013: Onkologie; SAKK 2014: Interprofessionalität; Fachhochschulen Gesundheit 2015: «Less is more»; SSPH+ 2017: Zukunft der Versorgungsforschung; SNF, SSPH+ lanten Bereich (25). Projekte aus dem stationären Set- 39 unterschiedlichen Hauptantragstellern. Universitäten (72%), 8 aus Spitälern (17%), 3 aus Fach- einen Dr.-Titel (36 bzw. 92%), 21 einen Prof.-/PD-Titel (54%). Die meisten bewilligten Gesuche stammten aus und Genf (3; andere: 3). Die Mehrheit der geförderten Projekte behandelte Fragestellungen aus dem ambuting (5) und systembezogene Projekte (7) waren weniger zahlreich. Die insgesamt ausgeschüttete gesamte Fördersumme betrug CHF 4 422 717. Die geförderten SCHWEIZERISCHE ÄRZTEZEITUNG – BULLETIN DES MÉDECINS SUISSES – BOLLETTINO DEI MEDICI SVIZZERI 2017;98(3):59–61 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 61 WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN SAMW Projekte wurden im Mittel mit rund CHF 150 000 un- hochschulen Gesundheit; 2015 «Less is More», Swiss terstützt; die «Seed Money»-Projekte bzw. die Stipen- School of Public Health. Die wissenschaftlichen Prä- dien waren mit einem fixen Betrag ausgeschrieben sentationen wurden jeweils durch Postersessions er- (CHF 25 000 bzw. CHF 40 000). Aus den Projekten, die gänzt. Die Poster – in einem offenen Ausschreibungs- in den ersten beiden Förderrunden unterstützt wur- verfahren eingeholt und vom wissenschaftlichen den, sind in bisher 70% der Fälle Publikationen in Peer- Komitee selektioniert – spiegelten die ganze Band- reviewed Journals hervorgegangen; von den späteren breite der Schweizer Versorgungsforschung. Insgesamt Förderrunden liegen noch keine Zahlen vor. nahmen an den vier Symposien rund 600 Personen Die Quote von 18% geförderter Projekte entspricht den teil und über 200 Poster wurden präsentiert. Die Aus- Erwartungen an ein wissenschaftliches Förderpro- schreibung zum nächsten Symposium ist vor kurzem gramm. Auch die Tatsache, dass die meisten geförder- erfolgt, Thema NFP 74 «Gesundheitsversorgung», Part- ten Projekte aus dem universitären Umfeld stammen, ner SNF (siehe www.samw.ch/agenda). überrascht nicht. Hingegen vermögen die unterschiedlichen Erfolgsquoten von Projekten aus universitären Instituten gegenüber jenen aus Spitälern oder Fachhochschulen zu erstaunen: Während 30% der Gesuche Wurden die Ziele des Förderprogramms erreicht? aus Universitäten erfolgreich waren, blieben es bei den Das Förderprogramm «Versorgungsforschung im Ge- Spitälern lediglich 12%, bei den Fachhochschulen 6%. sundheitswesen» wurde über die Jahre von einer immer Bei den Fachhochschulen wurde von den Experten grösser werdenden Forschergemeinde wahrgenommen. wiederholt die fehlende wissenschaftliche Qualität der Auch das zugehörige Symposium erfreute sich zuneh- Gesuche als Absagegrund aufgeführt (bei teilweise mender Beliebtheit. Die Gesuchszahlen pendelten sich grossem Interesse am Thema des Projekts). Gründe für auf einem relativ hohen Niveau ein (rund 50 zweckent- die tiefe Quote bei den Gesuchen aus den Spitälern wa- sprechende Gesuche pro Jahr) und waren deutlich höher ren z.B. die Fokussierung auf sehr spezifische Versor- als bei anderen aktuellen Förderinstrumenten der gungsprobleme (mit entsprechend kleinen Fallzahlen) SAMW, etwa dem Förderprogramm «Forschung in Pal oder das beschränkte Potential zur Verallgemeinerung liative Care» oder dem Käthe-Zingg-Schwichtenberg- der zu erwartenden Forschungsergebnisse. Fonds für Projekte in der Medizinethik. Die Aktivität in Die Tatsache, dass 43 der 46 erfolgreichen Gesuche von der Schweizer Versorgungsforschung spiegelt sich auch einem Hauptantragsteller aus einer der fünf grossen in der grossen Zahl von Eingaben im NFP 74 «Gesund- Schweizer Universitätsstädte eingegeben wurden, spie- heitsversorgung» und beim Förderprogramm der gelt die Wichtigkeit der universitären Anbindung eines Krebsforschung Schweiz. Vor diesem Hintergrund lässt Projekts im Bezug auf dessen Erfolgsaussichten. In der sich festhalten, dass die Ziele des Förderprogramms hohen Anzahl der eingereichten (110 oder 42%) und der mehrheitlich erreicht wurden [6, 7]. geförderten Projekte (25 oder 54%) aus dem ambulanten Bereich reflektiert sich möglicherweise der generelle Trend zur «Ambulantisierung» der Medizin. Die Ausblick Versorgungsforschung kann der Entwicklung neuer Die SAMW betreibt gezielt Forschungsförderung in Modelle in diesem Sinne Anschubhilfe leisten. noch wenig oder nicht etablierten medizinischen Forschungsbereichen. Aufgrund der Entwicklungen der Danksagung Dr. Katrin Crameri, frühere Leiterin des SAMW-Ressorts Symposium zur Versorgungsforschung letzten Jahre und insbesondere nach Schaffung des NFP 74 ist es daher nicht mehr Aufgabe der SAMW, die «Wissenschaft» und heute Neben der Projekt- und Personenförderung ermög- Versorgungsforschung weiter voranzutreiben. beim BAG tätig, hat wesent- lichte das Förderprogramm auch ein jährliches «Sym- Das NFP 74 befindet sich momentan in der Phase der posium der Schweizer Versorgungsforschung». Das Projektauswahl der ersten Eingaberunde. Weitere Ein- Dr. Michael Röthlisberger Symposium diente einerseits der Vernetzung unter gaberunden sind derzeit nicht geplant. Die Stiftung arbeitet seit S eptember 2016 den Akteuren der Schweizer Versorgungsforschung Krebsforschung Schweiz vergibt zudem in der Periode und andererseits der wissenschaftlichen Auseinander- 2016–2020 jährlich eine Million Franken im Rahmen setzung mit den Themen aus diesem Gebiet. des «Programms zur Stärkung der onkologischen Ver- Dem thematischen Schwerpunkt entsprechend wurde sorgungsforschung». Das fünfte Symposium der Generalsekretär SAMW jeweils eine Partnerorganisation eingeladen, das Sym- Schweizer Versorgungsforschung, das am 1. März 2017 Haus der Akademien posium inhaltlich mitzugestalten: 2012 Onkologie, stattfindet, wird u.a. der Frage nachgehen, wie die Un- Partner SAKK; 2013 Hausarztmedizin, Kollegium für terstützung der Versorgungsforschung künftig sicher- Hausarztmedizin; 2014 Interprofessionalität, Fach- gestellt werden kann. lich zur Entstehung dieses Artikels beigetragen. bei der Krebsliga Schweiz. Korrespondenz: Dr. med. Hermann Amstad Laupenstrasse 7 CH-3001 Bern h.amstad[at]samw.ch SCHWEIZERISCHE ÄRZTEZEITUNG – BULLETIN DES MÉDECINS SUISSES – BOLLETTINO DEI MEDICI SVIZZERI 2017;98(3):59–61 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
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