PD Dr. Falk Mylich Zusatzveranstaltung zur VL Gesellschaftsrecht WS 2016/17 Überblick: Insolvenzrecht A. Grundlagen I. II. Abgrenzung Zwangsvollstreckung (ZPO) Insolvenz (InsO) • Zwangsvollstreckungsrecht: Schuldner kann Gläubiger befriedigen, will aber nicht • Insolvenzordnung: Schuldner kann Gläubiger nicht befriedigen Zwecke der InsO, § 1 InsO • Gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung durch Liquidation und Verteilung des Schuldnervermögens • Schuldnerbefreiung, um dem Schuldner einen „Neustart“ zu ermöglichen B. Eröffnung, Insolvenzmasse und Wirkungen des Insolvenzverfahrens, §§ 11-216 InsO I. Eröffnungsverfahren, §§ 11-34 InsO • Antragstellung durch Schuldner oder Gläubiger, §§ 13ff InsO • Prüfung der Zulässigkeit und Begründetheit durch Insolvenzgericht, §§ 11-26 InsO • Eröffnungsgrund, §§ 16-19 InsO (Schwerpunkt) a) Zahlungsunfähigkeit, § 17 InsO • Definition: • Schuldner ist natürliche oder juristische Person • Liquides (nicht Sachwerte!) Vermögen ist geringer als die bereits bestehenden und fälligen (!) Verbindlichkeiten • Bsp: Herr Müller hat Verbindlichkeiten und ist Eigentümer von 10 schwerverkäuflichen Grundstücken. Er hat weder Bargeld, noch erhält er Darlehen. Er ist zahlungsunfähig (aber nicht überschuldet iSd § 19 InsO). b) Drohende Zahlungsunfähigkeit, § 18 InsO • Definition: • Schuldner ist natürliche oder juristische Person • Das aktuell liquide Vermögen deckt die aktuell fälligen Verbindlichkeiten. Es steht jedoch schon jetzt fest, dass an einem Stichtag in der Zukunft (zB in 30 Tagen) das liquide Vermögen geringer sein wird, als die dann fälligen Verbindlichkeiten. • Bsp: Herr Müller hat Verbindlichkeiten und ist Eigentümer von 10 schwerverkäuflichen Grundstücken. Er hat zwar kein Bargeld, erhält jedoch Darlehen, mit denen er die fälligen (!) Verbindlichkeiten befriedigen kann – er ist daher nicht zahlungsunfähig iSd § 17 InsO. Allerdings steht schon jetzt fest, dass in 30 Tagen sein liquides Vermögen die dann fälligen Verbindlichkeiten nicht abdeckten wird. Daher liegt drohende Zahlungsunfähigkeit vor (aber keine Überschuldung iSd § 19 InsO: Erstens ist 1 PD Dr. Falk Mylich Zusatzveranstaltung zur VL Gesellschaftsrecht WS 2016/17 Herr Müller eine natürliche Person und zweitens hat Herr Müller genügend Aktiva). c) (insolvenzrechtliche) Überschuldung, § 19 InsO • Definition • Schuldner ist juristische Person • Gesamtes (liquides und illiquides) Vermögen ist geringer als die gesamten, bereits bestehenden (fälligen und noch nicht fälligen) Verbindlichkeiten (Vergleich Aktiva mit Passiva). • Zwei- oder dreistufiges Prüfverfahren (derzeit: zweistufig) • Bsp: Die X-GmbH hat Verbindlichkeiten und ist Eigentümerin von einem schwerverkäuflichen Grundstück. Sie hat zwar kein Bargeld, erhält jedoch Darlehen, mit denen sie die aktuell fälligen (!) Verbindlichkeiten befriedigen kann – sie ist daher nicht zahlungsunfähig iSd § 17 InsO. Allerdings sind ihre Aktiva geringer, als ihre Passiva. Sie ist daher überschuldet. • Exkurs „bilanzrechtliche Überschuldung“: während bei der insolvenzrechtlichen Überschuldung Zerschlagungswerte/ Fortführungswerte in Ansatz gebracht werden, wird bei der bilanzrechtlichen Überschuldung allein die Bilanz nach HGB in Ansatz gebracht. Liegt bilanzrechtlich eine Überschuldung vor (zB weil alle Sachwerte bereits abgeschrieben sind), muss nicht zwingend insolvenzrechtlich eine Überschuldung vorliegen (zB weil Immobilien einen höheren Verkehrswert haben). d) Haftung der Vertretungsorgane bei Gesellschaften • Gem. § 15a InsO sind die Vertretungsorgane bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung verpflichtet den Insolvenzantrag ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zu stellen. • Wird diese Pflicht verletzt, so haften die Vertretungsorgane nach den maßgeblichen Regelungen: zB § 64 GmbHG, § 92 AktG oder § 130a HGB • Sicherungsmaßnahmen, §§ 21-25 InsO: zB vorläufiger Insolvenzverwalter II. Gläubigergruppen, §§ 38 – 55 InsO 1. Aussonderungsberechtigte an bestimmtem Gegenstand, §§ 47, 48 InsO • Definition: wer ein dingliches (Besitz, Eigentum, beschränkte dingliche Recht) oder persönliches (Rückgabeansprüche, zB § 546 BGB oder § 604 BGB) Recht an einem bestimmten Gegenstand hat. • Ersatzaussonderung, § 48: zB B schuldet A aus § 546 BGB die Rückgabe eines PKW. B veräußert diesen jedoch an C. Kurze Zeit später gerät B in die Insolvenz. Ohne die Veräußerung des PKWs von B an C hätte A den PKW gem. § 47 InsO aussondern können. Gem. § 48 InsO kann A nun die Kaufpreisforderung B gegen C als Ersatz aussondern. 2 PD Dr. Falk Mylich Zusatzveranstaltung zur VL Gesellschaftsrecht WS 2016/17 • Befriedigung: § 47 S. 2 InsO verweist auf die allgemeinen Vorschriften, dh der Gläubiger wird durch die Insolvenz nicht beeinträchtigt! 2. Absonderungsberechtigte an bestimmtem Gegenstand, §§ 49-52 InsO • Definition: wem ein Recht auf Befriedigung aus einem bestimmten Gegenstand zusteht, zB Kreditsicherheiten, handelsrechtliche und vindikationsrechtliche Zurückbehaltungsrechte • Ersatzabsonderung, § 48 InsO analog • Befriedigung: richtet sich nach §§ 165-173 InsO, dh Prioritätsprinzip („wer zuerst kommt, mahlt zuerst“). 3. Massegläubiger, §§ 53-55 InsO • Definition: vgl §§ 53-55 InsO • Befriedigung: Massegläubiger werden vorrangig vor den Insolvenzgläubigern befriedigt. 4. Insolvenzgläubiger der Insolvenzmasse, §§ 38-46 InsO • Definition: jeder, der im Zeitpunkt der Eröffnung vermögenswerten Anspruch hat. einen begründeten, • Befriedigung: richtet sich nach §§ 174-206 InsO, dh Gleichbehandlungsgrundsatz („Quote“). III. Wirkungen der Eröffnung, §§ 80-147 InsO 1. Übergang der Befugnisse, § 80 InsO • Insolvenzverwalter erhält Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis Insolvenzmasse. Bei Missbrauch: Haftung nach §§ 60ff InsO über die • Insolvenzschuldner bleibt zwar Eigentümer, verliert jedoch Verwaltungs- und Verfügungsrechte („Eigentum als bloße Hülse“). • Bei Gesellschaften: Organe werden „verdrängt“ – die Vollmacht erlischt (§ 117 InsO), der guter Glaube wird nach Eintragung der Insolvenzeröffnung nicht mehr geschützt (§ 32 HGB). 2. Keine Verfügungshandlung des Insolvenzschuldners NACH Insolvenzeröffnung, § 81 InsO • Das BGB enthält Gutglaubensvorschriften (zB §§ 135ff; 892 ff/932ff BGB) nach denen man auch vom nicht verfügungsbefugten Eigentümer erwerben kann. • § 81 InsO setzt diese außer Kraft und erklärt lediglich §§ 892ff BGB für anwendbar. Grund: das Grundbuch ist ein besonderer Rechtscheinsträger. 3. Kein sonstiger Rechtserwerb NACH Insolvenzeröffnung, § 91 InsO • Das BGB sieht mehraktige Erwerbstatbestände vor (zB §§ 873, 925 BGB oder § 929 BGB), sodass die Verfügungshandlung vor der Insolvenzeröffnung vorgenommen werden kann, das Eigentum jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich nach der Insolvenzeröffnung übergeht. 3 PD Dr. Falk Mylich Zusatzveranstaltung zur VL Gesellschaftsrecht WS 2016/17 • § 91 InsO setzt diese außer Kraft und erklärt lediglich wenige Ausnahmen für anwendbar. • § 91 InsO ergänzt damit § 81 InsO. Ziel ist es zu verhindern, dass Gegenstände, die bereits in die Insolvenzmasse gefallen sind, ohne Kontrolle des Insolvenzverwalters daraus verschwinden. • Bsp: Abtretung einer künftigen Forderung (Abtretungserklärung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens – Begründung oder Erwerb der Forderung durch den Zedenten danach – § 91 InsO ist anwendbar) 4. Aufrechnung, § 94 InsO • Insolvenzgläubiger erhalten für ihre Forderung grds nur die Insolvenzquote. Schuldet ein Insolvenzgläubiger dem Insolvenzschuldner (aus einem anderen Schuldverhältnis) einen Betrag, so muß der Insolvenzgläubiger diesen Betrag dagegen voll bezahlen. • § 94 InsO will solche Insolvenzgläubiger privilegieren, indem sie die Aufrechnung zulässt. Aufrechnungsberechtigte Insolvenzgläubiger werden dadurch wirtschaftlich privilegiert. • Bsp: Insolvenzgläubiger A hat gegen Insolvenzschuldner B eine Forderung in Höhe von 1000 € und eine Verbindlichkeit in Höhe von 1000 €. Grds würde A von seiner Forderung nur ca 10% (= 100 €) erhalten, hätte aber seine Verbindlichkeit zu 100% (= 1000 €) bezahlen müssen. Damit hätte er wirtschaftlich einen Verlust von 900 €. Gem. § 94 InsO kann er nun aufrechnen – daher beträgt sein Verlust 0 €. • Aufrechnungsverbote im Gesellschaftsrecht, die das gerade verhindern: § 19 II 2 GmbHG, 66 II 1 AktG 5. Insolvenzanfechtung, §§ 129-147 InsO • Dient der Masseanreicherung, indem Vermögensabflüsse, die vor Insolvenzeröffnung eintraten, zurückgeholt werden. Während §§ 81, 91 InsO den Bestand der Insolvenzmasse schützen, dient die Insolvenzanfechtung der Vergrößerung der Insolvenzmasse. • Voraussetzungen • Rechtshandlung vor Insolvenzeröffnung, § 129 InsO • durch die die Insolvenzgläubiger benachteiligt wurden, § 129 InsO • besonderer Anfechtungsgrund, §§ 130-136 InsO • Rechtsgeschäft 3-Monate vor Insolvenzantrag bis Eröffnung, § 130-132 InsO: kongruente, inkongruente Deckung und unmittelbar nachteilige Rechtshandlungen. • Vorsätzliche Benachteiligung, § 133 InsO • Unentgeltliche Leistung, § 134 InsO • Formeller Kapitalschutz, §§ 135, 136 InsO 4
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