Neujahrsempfang der Uni Halle: Zwischen Donaldismus und Diskussionskultur Am Freitagabend lud die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zu ihren Neujahrsempfang ein. Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Kultur waren gekommen. Traditionell überbrachten die Halloren Soleier und Schlackwurst. Zeitgleich zum Neujahrsempfang fand in Washington die Vereidigung von Donald Trump als 45. Präsident der USA an, was Uni-Rektor Udo Sträter zum Anlass für seine Begrüßung nahm: „Ich freue mich sehr, dass Sie zu uns gekommen sind. Obwohl es ja heute Abend zeitgleich in Washington praktisch eine Konkurrenzveranstaltung gibt.“ Deshalb sei auch CNN diesmal nicht in Halle. „Ich weiß nicht, warum sich die Amtseinführung des US-Präsidenten an den Tag unseres Neujahrsempfangs angelehnt hat“, scherzte er, „aber ich sehe, Sie mussten schon entscheiden, welche Prioritäten sie wahrnehmen.“ Er gehe jedenfalls davon aus, „dass sich alle Donaldisten freuen, dass nicht die unerträglich clevere Mickey Mouse sondern Donald der neue Präsident der USA geworden ist und dass er viele realexistierende Dagoberts um sich versammelt hat.“ Twitter könne sich freuen, dass es nun zum offiziellen Regierungsorgan werde, welches dem Präsidenten Auftritte im Parlament erspare „und die Regierungsarbeit auf 140 Zeichen pro Thema beschränkt.“ Angesichts der USWahl hätten Kolumnisten den Weltuntergang heraufbeschworen. Letzteren habe schon Martin Luther vor sich gesehen und deshalb kein langfristiges Interesse an Relgions- und Staatsordnung gezeigt. „Das ist ein Punkt, an dem wir uns Luther nicht zum Vorbild nehmen sollten. Das hätte er auch nicht gewollt“, so Sträter, „denn im Kontrast zu mancher späteren Verherrlichung war er sich seiner Menschlichkeit und damit Fehlbarkeit stärker bewusst, als es spätere Lobredner wahrhaben wollten.“ Luther selbst habe sich „Alter Madensack“ genannt, dem man nicht die Ehre antun dürfe, eine Kirche nach ihm zu benennen. „Und das ist lange her und hat ihm auch nichts geholfen.“ Das Interesse der Studierenden sei weiterhin hoch, aktuell gebe es 19.500 Studenten, darunter 4.109 Neueinschreibungen. In der Lehrerbildung war die Uni gebeten worden, zusätzliche Kapazitäten bereitzustellen. Statt eigentlich einer Kapazität von 380 Studienplätzen bilde man nun 746 neue Lehrer aus. Damit entspreche man dem Wunsch des Landes Sachsen-Anhalt, dem Lehrermangel zu begegnen. Zur dauerhaften Finanzierung dieser Kapazitäten bestehe aber noch ein gewisser Klärungsbedarf. Dies könne man nicht dauerhaft ohne klare Finanzierungszusagen leisten, sagte Sträter und sprach dabei Wissenschaftsminister Armin Willingmann und Bildungsminister Marco Tullner an, die beide zu Gast waren. „Da ihr beide heute hier seid, können wir das gleich verhandeln“, scherzte er. Auch in der Forschung sei man erfolgreich gewesen, das Zentrum für Biodiversitätsforschung werde für weitere vier Jahre mit 36 Millionen Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Die Naturwissenschaftlichen Fakultäten seien bei der Einwerbung von EU-Fördermitteln erfolgreich gewesen, konnten 20 Millionen Euro akquirieren. Die DFG fördere zudem zwei Professuren für fünf Jahre. Als anstehende Aufgabe nannte Sträter die Fortschreibung des Hochschulentwicklungsplans. Gefeierte werde in diesem Jahr nicht nur das Lutherjahr, sondern auch das 200-jährige Jubiläum der Vereinigung der Universitäten Halle und Wittenberg. Dazu wird es im Juni eine Festwoche geben. In seiner Rede beklagte Sträter, dass das politische Klima rauer geworden sei. Manche international aufgestellte Universitäten wie Dresden hätten bereits jetzt die Folgen von Fremdenfeindlichkeit zu spüren bekommen. Universitäten seien kein Marktplatz für jedweden Blödsinn und sollten kein Ort für gezielte politische Provokationen sein. Friedrich der Weise habe 1502 zur Gründung der Wittenberger Universität die Hoffnung geäußert, dass sich von dort aus „Ströme der Weisheit über das Land ergießen mögen“, so Sträter. Doch in 500 Jahren Uni-Geschichte habe es nicht nur Exempel der Weisheit gegeben. „Der Geschichte der Weisheit ist die Geschichte der Torheit komplementär.“ Das gelte für Professoren wie für Studenten. Auch in Uni Halle habe unter politischer Radikalisierung ihre Ideale verleugnet. Eine der gefährlichsten akademischen Torheiten sei die Fachideotie gepaart mit politischer Ignoranz oder egozentrischem Karrierismus. Beispielhaft nannte er die Vertreibung eines pazifistischen Lehrenden Anfang der 30er Jahre. Damit habe der Nationalsozialistische Studentenbund zusammen mit der SA „alle Vernunft an unserer Universität zur Kapitulation gebracht.“ Der Begriff Dummheit werde gemeinhin als Bezeichnung für intellektuelle Minderleistung verstanden. „Das ist ganz falsch. Es gibt Formen von zwischenmenschlicher, gesellschaftlicher, auch demokratiefeindlicher Dummheit, die sehr wohl mit intellektuellen Leistungen auf bestimmten eng geführten Gebieten einhergehen können.“ Diese Art von Dummheit brauche keine Inklusion, sondern Therapie. „Wir sollten alle an dieser Therapie mithelfen.“ Möglicherweise brauche man eine neue politische Diskussionskultur. „Was sich in Social Media abspielt, ist keine Diskussion und schon gar keine Diskussion.“ Die Attacken auf die gewählten Abgeordneten und sogenannten „Altparteien“ finde er unterhalb jeder Akzeptanz. Attacken gegen diese Personen „zeigen eine antidemokratische Haltung, die nicht tolerierbar ist.“ Er wünsche sich, dass gerade von den Hochschulen Impluse ausgehen zu einer partizipativen und fairen Diskussionskultur.
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