Foto: Thomas Heinemann Über die Strategien und Wege der Salafisten zur Rekrutierung von Jugendlichen referierte der Psychologe Ahmad Mansour im Haus Menden. 16.01.2017 SANKT AUGUSTIN. Der Psychologe und Autor Ahmad Mansour hat in Sankt Augustin-Menden über die Rekrutierung Jugendlicher durch Salafisten gesprochen. Seine These: Radikale Anwerber stellen die staatliche Jugendarbeit in Deutschland in den Schatten. „Heute sind Islamisten, Salafisten und Radikale die besseren Sozialarbeiter.“ Diese These des Psychologen Ahmad Mansour polarisierte am Freitag bei einem Fachtag im Haus Menden besonders – und sie sorgte bei den Gästen für einen gehörigen Kloß im Hals. Denn die These sei zu wahr, um schön zu sein, wie der Psychologe glaubhaft und ausführlich belegte. Rund 90 Fachkräfte von Kinderschutzbund, Sankt Augustiner Jugendeinrichtungen, Jugendarbeit, Bildungseinrichtungen und Stadtverwaltung waren ins Haus Menden gekommen, um sich gemeinsam mit Ahmad Mansour der Frage zu widmen, wie der „Missionierung und Rekrutierung von Jugendlichen durch salafistische Gruppen“ im pädagogischen Alltag begegnet werden kann. Eine Frage, die sich zum sprichwörtlichen Fass ohne Boden entwickelte und das Gefühl von Ohnmacht in den Raum stellte. Denn Mansour ging weniger auf die Symptome als die Ursache von Radikalisierung ein. „Wir haben heute in den Schulen eine Jugend, die den Islam als unantastbares Tabu versteht, die also jede kritische Diskussion über den Islam als Angriff auf die eigene Identität sieht“, sagte Mansour und erfuhr vom Kopfnicken zahlreicher Gäste Bestätigung. Ursachen gebe es viele, auch auf verschiedenen Ebenen: Verletzlichkeit, instabile familiäre und wirtschaftliche Verhältnisse, das Gefühl der mangelnden Wertschätzung und Aufmerksamkeit, aber auch schlechte Perspektiven bei Ausbildung und Beruf lasteten auf vielen Jugendlichen aus Familien mit Migrationshintergrund. „Der einzige, der meine Krise erkannt hat, war der Imam von nebenan – nicht die Eltern, die Lehrer oder Sozialarbeiter“, sprach Ahmad Mansour aus eigener Erfahrung aus seiner Zeit als gebürtiger Palästinenser in Israel: „Die ersten Monate war der Imam wunderbar. Ich hatte Freunde, es war spannend.“ Nach sechs Monaten Koranlehre kam die Radikalisierung, später sogar das nächtliche Probeliegen im ausgehobenen Grab, um Angst vor dem Teufel und Ehrfurcht vor Allah zu erfahren. Eine Ideologie, die bei jungen Menschen tief unter die Haut gehe, warnte der Diplom-Psychologe rückblickend. „Salafisten und auch Rechtsradikale vermitteln der Jugend, dass sie zu einer Elite gehört, dass sie etwas verändern kann, dass man ein Held sein kann.“ Mansour fordert eine besserer Vernetzung der Sicherheitsbehörden Geraten Jugendliche in eine persönliche Krise, müsse man innerhalb der ersten zwei Jahre handeln – und schneller sein als radikale Anwerber, die nicht warten, bis Jugendliche zu ihnen kommen, sagte Mansour. Internetkanäle, die mal unterschwellig, mal subtil und auch ganz direkt Jugendliche für die Ideologie gewinnen und als Kanonenfutter für den Islamismus rekrutieren wolle, gebe es zu Tausenden. Perfektionierte Strategien und Taktiken sowie Anwerber, die unmittelbar bei den Jugendlichen vor Ort seien, stellten die Effektivität der in den 1980er Jahren stehen gebliebenen staatlichen Jugendarbeit in Deutschland in den Schatten, so die These des Experten. „Die Naivität ist Teil des Problems in unserer Gesellschaft.“ So glaubten immer mehr Jugendliche in der gefährdeten Zielgruppe vehement und unverrückbar an Verschwörungstheorien, die im Internet geschürt würden, die den Islam als Opfer westlicher Mächte ansähen und Attentate wie zuletzt den Anschlag in Berlin als „Insiderjob“, als Auftragsarbeit der westlichen Geheimdienste, betitelten. Ist diese Generation gefährdeter Jugendlichen, die meist nach dem 11. September 2001 geboren und in Fachkreisen „Generation Allah“ genannt wurde, verloren? Auf die Frage konnte Mansour keine Antwort geben, dafür aber Strategien benennen, die er später gemeinsam mit den Pädagogen in Workshops vertiefte: Schon Kinder sollten stark gemacht werden, um sich differenziert mit der Welt und mit Aussagen und Meinungen auseinandersetzen zu können. Auch müsse die besondere theologische Ebene in die Schulbildung glaubhaft und mit erfahrenem Personal eingebunden werden, um einen Gegenpol zu radikalislamischen Ideologien zu setzen. Erheblich mehr Personal und Geld, wie es die Pädagogen forderten, seien wohl nötig, stimmte Mansour zu, aber auch eine bessere Vernetzung der Sicherheitsbehörden, um Gefährder frühzeitig auf dem Radar zu haben: „Wie wollen wir ein globales Problem angehen, wenn der Verfassungsschutz in NRW nicht einmal mit dem Verfassungsschutz in Berlin redet und erst recht nicht mit den italienischen Behörden?“ (Thomas Heinemann) General-Anzeiger vom 16.01.2017
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