Erklärung von Herrn Professor Dr. Martin Winterkorn vor dem 5. Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages der 18. Wahlperiode am 19.01.2017 Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, ich danke Ihnen für die Gelegenheit, mich zu Beginn meiner Vernehmung zunächst in allgemeiner Form erklären zu dürfen. Beginnen möchte ich mit einigen Angaben zu meiner Person. Ich bin gelernter DiplomIngenieur mit dem Schwerpunkt Materialwissenschaft. Als junger Mann habe ich einige Jahre am Max-Planck-Institut für Metallforschung gearbeitet und bin später – nach Stationen bei Bosch – im Jahr 1981 zu Audi gewechselt. Dort stieg ich auf zum Leiter der Qualitätssicherung bei Audi und später zum Leiter der Qualitätssicherung für den gesamten VW-Konzern. 1996 wechselte ich zu Volkswagen als Markenvorstand für den Bereich „Technische Entwicklung“. Von 2002 bis Ende 2006 war ich Vorstandsvorsitzender der Audi AG. 2007 folgte ich dem Ruf zurück nach Wolfsburg, um die Leitung des Volkswagen-Konzerns als Vorstandsvorsitzender zu übernehmen. Diese Position hatte ich bis zu meinem Ausscheiden am 25. September 2015 inne. Die dramatischen Ereignisse rund um den Einsatz verbotener Software in unseren Dieselmotoren haben unser Unternehmen in eine schwere Krise gestürzt. Das endgültige Ausmaß des Schadens ist bis heute noch nicht vollends absehbar. Volkswagen kostet dies Unmengen Geld und - was mindestens genauso schwer wiegt - das Vertrauen unserer Kunden und das Vertrauen der Öffentlichkeit. Sie, meine Damen und Herren Abgeordnete, stellen nun - zu Recht - viele Fragen. Wie konnte so etwas passieren? Wie ist so etwas trotz vieler Überwachungs- und Kontrollmechanismen möglich? Und natürlich die Kardinalfrage: Wer ist dafür verantwortlich? Lassen Sie mich als langjährigen Vorstandsvorsitzenden des Volkswagen-Konzerns zu allererst meine tiefe Bestürzung darüber zum Ausdruck bringen, dass wir Millionen unserer Kunden enttäuscht haben. Das belastet mich, der ich mein ganzes Berufsleben dem Streben nach allerhöchster Produktqualität gewidmet habe, ganz besonders. Ich bitte dafür erneut in aller Form um Entschuldigung. Jeder, der mich kennt, weiß, dass die Liebe zum Detail, die Auswahl der besten Materialien und perfekte Verarbeitung so etwas wie das Markenzeichen von meiner Mannschaft und mir waren. Unzählige Stunden haben wir auf der Suche nach der besten Lösung investiert, natürlich unter Einhaltung aller Gesetze, natürlich unter Beachtung aller Regeln und Richtlinien. Immer mit einem Ziel: Unseren Kunden das beste Produkt im Wettbewerb anbieten zu können. Dass ein Vorgang wie der Einsatz verbotener Software in Dieselmotoren ausgerechnet bei uns passiert, muss natürlich in Ihren Ohren wie Hohn klingen. Und ich möchte Ihnen sagen, ich verstehe das, denn mir geht es ganz genauso. Es ist für aussenstehende Betrachter nicht nachzuvollziehen, warum in einem so auf Perfektion ausgerichteten Unternehmen solches geschehen konnte. Auch ich hätte dies nie für möglich gehalten. Aber das Undenkbare ist geschehen und wir alle müssen damit umgehen. Als Vorstandsvorsitzender habe ich die politische Verantwortung übernommen und bin zurückgetreten. Glauben Sie mir, dieser Schritt war der schwerste meines Lebens, war doch die erfolgreiche Arbeit mit unserer großartigen Mannschaft über Jahrzehnte meine Antriebsfeder. Ich hatte in 35 Jahren meiner Tätigkeit für Volkswagen fast täglich Gelegenheit, direkt mit Mitarbeitern auf allen Ebenen unseres Hauses zu sprechen. Anders als Sie es in den Zeitungen lesen konnten, gab es mit Sicherheit kein „Schreckensregime“. Das werden Ihnen viele Menschen im Konzern bestätigen können. Niemals hatte ich den Eindruck, dass man sich scheute, ein offenes Wort an mich zu richten oder mir unangenehme Dinge zu sagen. Ich bin selbst ein Mensch, der ein klares Wort schätzt. Hart in der Sache, aber nie persönlich oder ehrverletzend. Ich hatte – wenn ich im Büro war - immer eine „offene Tür“ und habe mich auch persönlich um meine Mitarbeiter gekümmert. Lückenlose Aufklärung war und ist jetzt das Gebot der Stunde. Deswegen haben sowohl das Unternehmen als auch ich den untersuchenden Behörden und Staatsanwaltschaften die volle Unterstützung zugesichert und intensiv kooperiert. Das Ergebnis der 16monatigen Recherchen der US-Behörden konnten Sie in der vergangenen Woche den Medien entnehmen. Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass Ermittler, Medien und Öffentlichkeit natürlich auch meine Rolle in dieser Angelegenheit untersuchen und hinterfragen - so wie Sie es heute morgen tun. Glauben Sie mir, auch ich selbst suche bis heute nach befriedigenden Antworten. Wer mich kennt, weiß, dass ich sehr geradlinig bin. Jede Form der Täuschung oder Irreführung einer Behörde hätte ich sofort unterbunden. Meine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen wissen aus anderen Fällen allzu gut, wie ich gehandelt hätte, wäre ich über die Tragweite der Angelegenheit informiert gewesen. Umso bedrückender ist die Situation heute für mich. Es ist nicht zu verstehen, warum ich nicht frühzeitig und eindeutig über die US-Probleme aufgeklärt worden bin. Natürlich frage ich mich, ob ich einzelne Signale überhört oder falsch gedeutet habe. Das, was passiert ist, macht die Menschen wütend - mich auch. Von daher verstehe ich den Zorn und den Groll, den viele jetzt meiner Person gegenüber äußern. Daraus entspringt wohl auch der Vorwurf, Winterkorn müsse doch alles viel früher gewußt haben. Auch jüngste Medienberichte suggerieren, dass ich schon früher als bisher bekannt Kenntnis von den Vorgängen in den USA erlangt hätte. Das ist nicht der Fall. Die Aussagen der dort genannten Zeugen möchte ich heute nicht kommentieren: Weder kann ich Ihnen sagen, wer genau vernommen worden ist, noch weiß ich, welche Behörde – in Deutschland oder in den USA – diese Personen angehört hat. Ich kenne auch den Wortlaut der Aussagen dieser Personen nicht. Ich habe bislang noch keine Akteneinsicht erhalten. Wie Sie wissen, führt die Staatsanwaltschaft Braunschweig verschiedene Ermittlungsverfahren im „Diesel-Komplex“; eines davon betrifft auch mich. Es behandelt den Verdacht der Abgabe verspäteter Meldungen an den Kapitalmarkt. Ich habe mich gegenüber der Staatsanwaltschaft noch nicht geäußert. Ich werde dies tun, sobald meine Anwälte die Akten bekommen und ich Gelegenheit hatte, diese Akten einzusehen. Von daher bitte ich Sie um Verständnis, wenn ich mich heute zu den Vorgängen, die die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig berühren, nicht äußern werde; ich möchte der Arbeit der Staatsanwaltschaft nicht vorgreifen. Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, die Empörung und Verärgerung, auch aus Reihen der Politik, verstehe ich sehr gut. Mir ist es wichtig, dass die Menschen wieder Vertrauen entwickeln - in Volkswagen und die Volkswagen-Ingenieure. Dazu gehört einerseits vollumfängliche Aufklärung durch die Ermittler, zu der ich gerne beitrage, zum anderen aber auch eine vorurteilsfreie Betrachtung der Fakten. Mein Team und ich haben innerhalb von knapp zehn Jahren Umsatz und Gewinn vervielfacht und sage und schreibe mehr als 100.000 neue, zusätzliche Arbeitsplätze in der ganzen Welt geschaffen - nicht durch Betrug, wie viele jetzt argwöhnen, sondern durch harte, ehrliche Arbeit. An den Resultaten dieser in der Automobilgeschichte einmaligen Erfolge haben alle partizipiert: Kunden, Management und die gesamte Belegschaft. Auch deshalb schmerzt mich die zum Teil polemische und unsachliche Kritik an meiner Person besonders. Aber ich bin Realist: Ich muß akzeptieren, dass mein Name eng verbunden ist mit der sogenannten Diesel-Affäre. Vieles, was ich mit Kollegen und Mitarbeitern geleistet habe und auf das ich durchaus stolz bin, verblasst daneben. Damit umzugehen, muß ich und muß auch meine Familie noch lernen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Für Ihre Fragen stehe ich Ihnen nun zur Verfügung.
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