Anästhesie beim alten Menschen / POCD

"Anästhesie beim alten Menschen / POCD"
Jan-Peter Braun | Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin| Martin Luther Krankenhaus
Anästhesiewerkstatt
16.01.2017
Akademisches Lehrkrankenhaus der Charité – Universitätsmedizin Berlin
Alter Mensch……
Laut WHO gilt
n ein Mensch als alt, wenn er älter als 65 Jahre ist.
n Geriatrische Patienten werden definiert durch eine Geriatrietypische Multimorbidität sowie ein
höheres Lebensalter (70 Jahre oder älter).
n Ab einem Alter >80 Jahre spricht man von betagten Menschen,
n ab einem Alter >90 Jahre von Hochbetagten.
Jan-Peter Braun| Januar 16, 2017
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Veränderungen im Nervensystem
n  Abnahme von Hirnmasse („Normaldruckhydrocephalus“)
Folgen:
o  Reduzierte Nervenleitgeschwindigkeit, Polyneuropathie
o  Reduziertes Kurzzeitgedächtnis, assoziatives und prospektives Gedächtnis
o  Reduziertes Hör- und Sehvermögen
o  Zunahme Sympathikotonus
o  Andere spezielle Veränderungen: (Demenz, M. Parkinson, Zerebrovaskuläre Veränderungen)
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Veränderungen Kardiovaskulär
n  Arteriosklerose (Verlust von Elastin und vermehrte Fragilität des Endothels)
n  Verlust von Kardiomyozyten, Reizleitungsfasern, Sinusknotenzellen
n  Größenzunahme von Myozyten, LV Wandstärkenzunahme
n  Abnahme der Kontraktilität und Koronarreserve
n  Abnahme Inotropie und Chronotropie, Diastolische Funktion
n  Spezielle Veränderungen: Herzklappen, Rhythmusstörungen, KHK, Hypertonus, pAVK
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Veränderungen Respiratorisch
n  Zunahme Rigidität der Thoraxwand, Abnahme der Muskelkraft,
n  Abnahme von Alveolärer Oberfläche, Diffusionskapazität, VK und 1sec. Kapazität, VentilationsPerfusions-Kopplung, (Zunahme Residualvolumen),
n  Abnahme Sensibilität für Hypoxämie und Hyperkapnie
n  paO2 = 102 – 1/3 Alter
n  Spezielle Erkrankungen: Emphysem, chron Bronchitis, Bronchiektasen, pulm. Stauung,
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Veränderungen Leber und Nieren
n  Abnahme der Nephronen, Renale Perfusion, glomeruläre Filtrationsrate,
n  Verminderung von Körperwasser und Rückresorption von Elektrolyten, Exkretion von
Substanzen
n  Abnahme des Dustgefühls
n  Reduktion der Lebermasse, Perfusion im Splanchnikus
n  Reduktion der Proteinsynthese und Entgiftungsfunktionen
n  Speziell: Substanzmissbrauch Alkohol u.v.a.m., Hepatitiden, Nephitiden
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Veränderungen Thermoregulation
n  Reduktion der metabolischen Rate pro Dekade ab 20. Lebensjahr um 1-2%
n  Reduktion von Kältezittern und Vasokonstriktion auf Reize,
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Pharmakokinetik und -Dynamik
n  Reduzierte Albuminkonzentration, Muskelmasse
n  Zunahme Körperfettanteil
n  Polypharmazie
n  Reduzierte Leber- und Nierenfunktion
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Konsequenzen für Anästhetika
n  Volatile:
n  Induktionsanästhetika:
n  Opioide:
n  Relaxantien:
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Konsequenzen für Anästhetika
n  Volatile: Abnahme MAC um 0,6% / Jahr
n  Induktionsanästhetika: Dosisreduktion um 30-40%
n  Opioide: Vermehrte Sensitivität, verlängerte Wirkzeit
n  Relaxantien: längere Anschlagzeit und Wirkverlängerung
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Risikoeinschätzung
Dr. med. Max Mustermann | Bezeichnung des Fachbereichs | Januar 16, 2017
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Beispiel:
n  Weiblich, 84 Jahre, 79 kg, 175cm, periprot. Femurfraktur rechts, art. Hypertonus, chron.
Bronchitis, kompensierte renale Retention (GFR 43ml/min/1,73 m²) Latexallergie,
Penicillinallergie, Altersdepression, chronische Bewegungsschmerzen, Brille, Presbyakusis,
Zahnersatz VP, Z.n. Bio AKE, Hemikolektomie rechts, Duodenumresektion bei NET, H-TEP
bds. wg. Coxarthrose, Inverse Schulterprothese rechts, Z.n. intermittierendem Vorhofflimmern
(stabil im SR seit 4 Jahren), in den letzten 2 Jahren 3 Stürze mit jeweils Frakturen
(Ellenbogenfraktur rechts, subcap. Humerusfraktur re. + li.), MRSA positiv Nase/Rachen,
n  Medikation: Amiodaron, Metoprolol, Amlodipin, Pantoprazol, Citalopram, Pregabalin, ASS,
Metamizol,
n  bislang mobil an Gehstützen,
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Vorbereitung:
n  Prämedikation
n  Nüchternheit
n  Prophylaxen
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Dtsch Arztebl Int 2012; 109(21): 391-400; DOI: 10.3238/arztebl.2012.0391
Delir Prävention ist Teamarbeit:
• Erhaltung der Integrität des Patienten (Brille, Zähne, Hörgerät, Bilder, Gewohntes)
• Tag-Nachtrhythmus und Orientierungshilfen (Uhr, immer wieder ansprechen)
• Angehörigenbetreuung
• Vermeiden von Hektik
• Möglichst keine additiven ZNS-wirksamen Medikamente (Benzos)
• Wenig Nahrungskarenz (bis 2 h vor OP klare Flüssigkeit)
Narkoseverfahren?
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Narkoseverfahren?
n  Wärmemanagement
n  Femoralisblock,
n  Allgemeinanästhesie:
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Narkoseverfahren?
n  Femoralisblock,
n  Allgemeinanästhesie:
Propofol
Opioid
Ketamin
Relaxans
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Propofol
n  „(20 – 40 mg Propofol alle 10 Sekunden) titriert, bis die klinischen Zeichen den Beginn der
Allgemeinanasthesie erkennen lassen. Bei Erwachsenen bis 55 Jahre durfte in der Regel eine
Gesamtdosis von 1,5 – 2,5 mg Propofol/kg Körpergewicht erforderlich sein. Bei älteren
Patienten und bei Patienten der Risikogruppen ASA III und IV, insbesondere bei kardialer
Vorschädigung, ist eine geringere Dosis erforderlich, und die Gesamtdosis kann auf minimal 1
mg Propofol/kg Körpergewicht reduziert werden. Bei diesen Patienten sollte Propofol 10 mg/ml
langsamer verabreicht werden (ungefähr 2 ml entsprechend 20 mg Propofol alle 10
Sekunden).“
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Fentanyl
n  „niedrige Dosis: Analgetische Komponente bei Allgemeinanästhesie Niedrige Dosis: 2 µg
Fentanyl/kg KG ist in niedriger Dosierung sehr gut geeignet zur Schmerzlinderung für kleine,
aber sehr schmerzhafte chirurgische Eingriffe.
n  Mittlere Dosis: 2 – 20 µg Fentanyl/kg KG Je umfangreicher die chirurgische Maßnahme, desto
größer ist die erforderliche Dosis. Die Wirkdauer ist dosisabhängig. Unter dieser Dosierung
kommt es zu Atemdepression, die eine künstliche Beatmung während der Anästhesie sowie
eine Überwachung der postoperativen Atemtätigkeit erforderlich machen. Bei Bedarf kann bei
Stressreaktionen oder sonstigen Anzeichen für ein Abklingen der Anästhesie als
Erhaltungsdosis 0,5 – 2 ml Fentanyl 0,5 mg (entsprechend 25 – 100 µg Fentanyl) intravenös
oder intramuskulär verabreicht werden.“
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Sufentanil
Einleitungsdosis 0,5 -5 µg/kgKG
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Ketamin (S)….
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Ketamin S
„Dosierung
Zur Einleitung einer Allgemeinanästhesie
werden 0,5 bis 1mg Esketamin/kg KG i.v.
bzw. 2 bis 4mg/kg KG i.m. verabreicht, zur
Aufrechterhaltung wird die halbe Initialdosis
bei Bedarf nachinjiziert, im Allgemeinen alle
10 bis 15Minuten.
Alternativ zur Injektion kann der Wirkstoff als
Dauerinfusion in einer Dosierung von 0,5 bis
3mg Esketamin/kg KG pro Stunde verabreicht
werden. Bei Mehrfachverletzung (Polytrauma)
und bei Patienten in schlechtem
Allgemeinzustand ist eine Dosisreduktion
erforderlich.“
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Ketamin….
„Dosierung
Zur Einleitung einer Allgemeinanästhesie
werden i. v. 1,0 bis 2,0 mg Ketamin pro kg
KG, i.m. 4 bis 8 mg Ketamin pro kg KG verabreicht;
zur Aufrechterhaltung wird die
halbe Initialdosis bei Bedarf nachinjiziert, im
Allgemeinen alle 10 bis 15 Minuten.
Alternativ kann Ketamin als Dauerinfusion
in einer Dosierung von 1 bis 6 mg
Ketamin pro kg KG und Stunde verabreicht
werden. Bei Mehrfachverletzung (Polytrauma)
und Patienten in schlechtem Allgemeinzustand
ist eine Dosisreduktion erforderlich.“
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Delirvermeidung: Propofol kontinuierlich vs. Volatil
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Spielt die Art der Narkose eine Rolle?
Z. Moyce et al. Anaesthesia 2014, 69, 259–269
Nein!
Maßnahmen im Rahmen der Anästhesie
Z. Moyce et al. Anaesthesia 2014, 69, 259–269
Messung der Narkosetiefe
28 Schmertherapie
n  Regionalverfahren
n  Opioide
n  Periphere Analgetika
n  Wie lang
n  Nach welchen Kriterien
n  Dosis
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Die Nu-DESC (Nursing Delirium Screening Scale)
Symptome
Symptom Bewertung
1
Desorientierung
Manifestierung einer Desorientierung zu Zeit oder Ort durch Worte oder
Verhalten oder Nicht-Erkennen der umgebenden Personen.
o 0
o 1
o 2
2
Verhalten
Unangemessenes Verhalten zu Ort und/oder Person: z.B. Ziehen an
Kathetern oder Verbänden, Versuch aus dem Bett zu steigen, wenn es
kontraindiziert ist und so weiter.
o 0
o 1
o 2
3
Kommunikation
Unpassende Kommunikation zu Ort und/oder Person, z.B.
zusammenhanglose- oder gar keine Kommunikation; unsinnige oder
unverständliche sprachliche Äußerungen.
o 0
o 1
o 2
4
Illusionen / Halluzinationen
Sehen oder Hören nicht vorhandener Dinge, Verzerrung optischer
Eindrücke
o 0
o 1
o 2
5
Psychomotorische Retardierung:
Verlangsamte Ansprechbarkeit, wenige oder keine spontane Aktivität /
Äußerung, z.B. wenn der Patient angestupst wird, ist die Reaktion
verzögert und/oder der Patient ist nicht richtig erweckbar.
o 0
o 1
o 2
Summe
max.10 Punkte
Delir
≥2
! ja
<2
! nein
A Lütz et al., AINS 2008
Delir Management durch Anästhesie:
• Risiko (I.S.A.R., NU DESC): im Rahmen der Anästhesieuntersuchung soll DelirRisiko bekannt sein (multiprofessionelle Aufgabe)
• Vermeiden: Benzodiazepine (außer bei Alkoholentzug)
• Flüssigkeitsgebot: es soll bis zwei Stunden vor OP klare Flüssigkeit getrunken
werden (prä OP Lösung?), möglichst im Aufwachraum fortsetzen (Anweisung an Station
formulieren)
• Patientenintegrität (Hausmedikation, Brille, Zähne, Hörgerät, anderes), ggf.
Angehörige involvieren
• Orientierung ermöglichen (Uhrzeit, Wochentag), Tag-Nacht-Rhythmus beachten,
immer Uhr sichtbar machen
• Adäquate(r) Narkosetiefe, Flüssigkeitshaushalt, Gasaustausch,
• Screening: NU DESC im AWR und 1mal pro Schicht bis 3 Tage post-OP
32 Dtsch Arztebl Int 2012; 109(21): 391-400; DOI: 10.3238/arztebl.2012.0391
•  Interessiert nachfragen und nicht widersprechen!!!
Vielen Dank
für ihre
Aufmerksamkeit