Hauptausgabe - Migros

MENSCHEN | MM52, 27.12.2016 | 7
Neujahrsgruss
Liebe Kundinnen und Kunden
Liebe Genossenschafterinnen und
Genossenschafter
W
Wenn «Der Spiegel» auf der Titelseite
das Ende der Welt ankündigt, lässt das
aufhorchen. Auch wenn natürlich nicht der
Weltuntergang gemeint ist, sondern das
Ende jener Welt, wie wir sie bisher kennen.
Stehen wir tatsächlich vor einem
Paradigmenwechsel? Es gab noch nie
so viele Terroranschläge wie 2016, die
Engländer stimmten für den Austritt aus
der Europäischen Union, in Deutschland
sind die fremdenfeindliche Pegida und AfD
im Vormarsch, in der Schweiz schlagen wir
uns mit der Masseneinwanderungsinitia­
tive herum, und das mächtigste Land wird
neu von einem Mann regiert, der den Frei­
handel einschränken will und Hass predigt.
Statt sich darüber zu freuen, dass seit dem
Ende des Kaltes Krieges und dem Mauerfall
Grenzen an Bedeutung verloren haben,
misstrauen wir zunehmend allem, was uns
fremd erscheint. Wir haben Angst vor Ver­
lust, Angst vor dem Unbekannten, Angst
vor der Freiheit. Es ist die Gegenreaktion
auf die Globalisierung, verbunden mit der
Sehnsucht nach der vertrauten Vergangen­
heit. Wir glauben und hoffen, dass wir die
alte Welt mit Handelshemmnissen und der
Errichtung von Zäunen zurückholen kön­
nen. Das ist jedoch ein Irrtum.
Bild: Vera Hartmann/13 Photo
Das Rad lässt sich nicht zurückdrehen.
Wir brauchen andere Antworten auf die an­
spruchsvollen Herausforderungen einer
vernetzten, zusammengerückten Welt.
Wir brauchen eine Politik, die allen dient –
auch denen, die meinen, auf der Verlierer­
seite zu stehen, auch den wirklichen Verlie­
rern und auch den Menschen, die am Rand
der Gesellschaft stehen. Und wir brauchen
eine Wirtschaft, die nicht von Gier getrie­
ben ist, sondern für alle Menschen da ist.
«Der Mensch im Mittelpunkt und nicht
das Kapital» lautet einer der Leitsätze
von Migros­Gründer Gottlieb Duttweiler.
Visionär, wie er war, hat er dieses Credo
bereits 1950 in den 15 Thesen festgehalten.
Der Mensch, nicht der Schweizer, steht da.
Unsere Zahlen und Fakten machen deut­
lich, dass wir uns an diesem Vermächtnis
orientieren. Denn in der Migros leben wir
längst ein globalisiertes Leben – mit der
Vielfalt der Hautfarben, Sprachen und
Kündigt die Lancierung einer digitalen Gesundheitsplattform an: Migros-Chef Herbert Bolliger
Religionen. Bei uns arbeiten mehr als
100 000 Menschen aus über 130 unter­
schiedlichen Nationen friedlich zusammen
und geben für Sie, liebe Kundinnen
und Kunden, jeden Tag ihr Bestes.
Dank dieses Engagements und Ihrer Treue
als Kunde können wir wiederum auf ein
gutes Migros­Jahr zurückschauen.
2015 und 2016 haben wir uns intensiv
mit dem Thema Gesundheit auseinander­
gesetzt. Nicht nur, weil das gesellschaft­
liche Bewusstsein für Gesundheit immer
ausgeprägter wird, sondern weil auch das
ein Auftrag Duttweilers ist. Die Migros
fördert die Gesundheit der Bevölkerung,
hat er in den Statuten verankert.
Nachdem wir zuerst die Sportkliniken
Medbase, dann von der Krankenkasse
Swica 23 Santémed­Praxen übernommen
haben, gehören nun auch 35 Gesundheits­
zentren zur Migros­Gruppe. Diese
Akquisitionen sind eine konsequente
Ergänzung zu den inzwischen 92 Fitness­
centern und Fitnessparks, die wir in
der Schweiz betreiben.
Neben dem Gesundheitstrend existiert
ein weiterer Megatrend, der uns derzeit
sehr beschäftigt: die Digitalisierung. Wir
werden beide Bedürfnisse kombinieren, in­
dem wir in den nächsten Tagen die digitale
Gesundheitsplattform Impuls lancieren, die
Sie mit einer attraktiven App auch auf Ihr
Handy laden können. Das neue Online­
angebot vereint die Themen Ernährung,
Fitness, Sport und Wohlbefinden und wird
Sie bei der Umsetzung Ihrer Aktivitäten für
ein gesundes Leben unterstützen.
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen fürs
kommende Jahr von Herzen Gesundheit!
Santé! Salute! Möge es ein Jahr geprägt von
Freude, Freiheit und Toleranz werden!
Gleichzeitig bedanke ich mich herzlich
für Ihre Treue zur Migros.
Ihr Herbert Bolliger
12 | MM52, 27.12.2016 | MENSCHEN
Alan Roura
In 78 Tagen
um die Welt
Alan Roura ist der jüngste Teilnehmer in der
Geschichte der Vendée Globe. Der 23-jährige Schweizer
bestreitet die härteste Einhandsegelregatta mit
minimalem Budget – und einem alten Secondhandboot.
Text: Claudia Langenegger
S
chon im zarten Alter von acht Jahren sah er die Boote der Segelregatta
«Mini Transat» auf ihrem Zwischenstopp bei den Kanarischen Inseln
ankommen. Da wusste Alan Roura: «Das will
ich mal machen.» Der Junge war damals
schon selbst mit dem Schiff unterwegs, mit
seinen Eltern und den älteren Geschwistern
von Frankreich zu den Kanaren gesegelt.
Nun ist der Genfer der jüngste Teilnehmer
an der Vendée Globe, dem weltweit härtesten Segelwettbewerb: allein auf einem
18-Meter-Segelboot rund um den Globus.
29 Segler sind am 6. November im westfranzösischen Les Sables-d’Olonne gestartet,
22 sind zurzeit noch dabei: Havarie, Mastbruch oder Ausfall der Elektronik haben
sieben Segler zum Aufgeben gezwungen.
Am 21. Dezember, bei Redaktionsschluss,
war Alan Roura bereits 46 Tage unterwegs,
weitere 50 Tage wird die Fahrt schätzungsweise noch dauern. Er hat soeben das Kap
der Guten Hoffnung passiert und navigiert
allmählich in die eisige Kälte des südlichen
Indischen Ozeans. «Ein Monat auf See, und
es ist nichts Gravierendes passiert – ich
klopfe auf Holz –, mein Schutzengel ist noch
Bilder: Christophe Breschi
immer da», sagt der sympathische Genfer,
dessen Bart mit jedem Tag etwas länger
wird: Erst ein Mal hat er sich rasiert – das
war am 13. November, am siebten Tag, als
das Wetter heiss und der Wind flau war.
Nun ist die See rau und gefährlich.
Wellen türmen sich bis zu zehn Meter
hoch, das Wasser schäumt eisig, die
«Fabrique», Rouras Segelboot, taumelt
immer wieder. An manchen Tagen konnte
Roura kaum schlafen, keine zwei Minuten
am selben Platz verbringen, so stark
schaukelte es. «Der Indische Ozean ist
der Ozean des Teufels», sagte er am Tag 40,
als er sich mit 55 Knoten in den Segeln
durch das Unwetter kämpfte.
Zeit für eine Liebeserklärung
Eine erste kleine Panne hat Alan Roura
allerdings schon hinter sich: Seine Antenne,
die ihn mit dem Festland, dem Wetterbericht und allen erforderlichen technischen
Daten verbindet, gab am 13. Tag den Geist
auf. «Sie hatte wohl Wasser abgekriegt.»
Segeln geht auch ohne hochmoderne Technik, ein paar Tage später hatte er aber das
Notkommunikationssystem zum Laufen
gebracht und war wieder mit dem Festland
verbunden. Seither kann er wieder Selfies
und News übermitteln, die seine Freundin
Aurélia Mourand, Sportjournalistin und
Leiterin des Projekts, online postet. Einen
romantischen Moment hat er mit der
Weltöffentlichkeit geteilt: Am 14. Dezember,
am Tag des dreijährigen Bestehens seiner
Beziehung, sandte er eine Liebeserklärung
an Aurélia über den Äther.
Alan Roura schläft pro Nacht nur vier bis
fünf Stunden, jeweils 20 bis 30 Minuten am
Stück. «Schlafen kann ich, wenn der Wind
stabil ist – und wenn keine Transporter in
der Nähe sind», sagt er. «Ich stelle jeweils
den Bordalarm. Der weckt mich, ich kontrolliere, ob alles okay ist. Danach lege ich mich
wieder schlafen.» Das Schiff fährt dann mit
Autopilot. Das Nachtlager besteht aus einem
grossen Sitzsack, der als Bett oder Sessel
dient. Seine Kabine ist etwa sechs Quadratmeter klein. Hier schläft und navigiert er
nicht nur, sondern hört auch mal Musik oder
«kocht»: Er wärmt Fertiggerichte auf, knabbert Picknickwegzehrung oder bereitet
Astronautenfutter zu – Gefriergetrocknetes,
das mit Warmwasser essbar gemacht
MENSCHEN | MM52, 27.12.2016 | 13
«Ich will ankommen»:
Alan Roura auf
seiner 18 Meter
langen «Fabrique» –
das Segelboot
zählt bereits 16 Jahre
und wird nicht
mit den Ersten
mithalten können.
14 | MM52, 27.12.2016 | MENSCHEN
1
2
1 Ein Sitzkissen in der sechs Quadratmeter
kleinen Kajüte muss als Schlafplatz reichen.
2 Alles in greifbarer Nähe: Alan Roura ist auf
seiner «Fabrique» ganz auf sich allein gestellt.
3 Die Schaltzentrale an Bord: Dank neuester
Technik ist Alan Roura stets auf dem Laufenden
bezüglich Wetterprognosen, Windstärken
und Kurse der Konkurrenten.
3
wird. Kaffee ist Luxus: 150 Liter Süss­
wasser hat er an Bord. Zähne putzen,
Körperpflege – das passiert draussen,
damit möglichst keine Feuchtigkeit
ins Innere dringt. «Manchmal reicht
es nur für eine Minikatzenwäsche mit
Feuchttüchern», sagt er. Wichtig ist
anderes: die abenteuerliche Fahrt zu
überstehen. «Wir riskieren täglich
unser Leben», sagte Roura vor der
Abfahrt. Für ihn ist klar: «Sicherheit
geht über alles. Ich will ankommen.»
Der Genfer hat mehr als sein hal­
bes Leben auf dem Wasser verbracht.
Mit acht Jahren ging es los auf grosse
Fahrt mit Eltern und Geschwistern.
Auf dem familieneigenen Schiff «Lud­
milla» segelten sie zu den Kanaren, in
die Karibik, weiter zu den Inseln vor
Venezuela, Brasilien und wieder zu­
rück in die Karibik. Home­Schooling
war angesagt – im Alter von 13 war
für Alan Roura Schluss mit Schule: Er
heuerte mit seinem Vater als Skipper
und Hafenarbeiter an, denn er wollte
schnell Geld für ein eigenes Schiff
verdienen. Mit 14 startete er an ersten
Regatten in der Karibik. Mit 17 über­
querte er gemeinsam mit dem Vater
den Atlantik – mit 20 allein. Damit
verwirklichte er sich einen Kind­
heitstraum: «Ich liebe es, allein auf
dem Meer zu sein. So fühle ich mich
lebendig.»
Angst scheint Roura fremd zu sein.
Auf seinen Touren hat er schon Wind­
stärken von bis zu 60 Knoten im
orkanartigen Meer erlebt. «Das ruft dir
in Erinnerung, dass du nicht unbesieg­
bar bist, und lehrt dich Demut gegen­
über der Natur.» Auf dieser Fahrt hatte
er sogar Angst – um seine «Fabrique».
An der Vendée Globe ist er gut
im Wind: Er liegt auf Platz 15, mit
5330 Seemeilen Rückstand auf den
Ersten. «Gewinnen kan ich mit
meinem Boot nicht, es ist schon
16­jährig – das ist alt. Es hat schon die
vierte Weltumseglung hinter sich.»
Für sein Abenteuer hat er ein ver­
gleichsweise kleines Budget zur Verfü­
gung: Während andere mit modernsten Booten und Budgets in Millionenhöhe unterwegs sind, konnte er
«nur» 370 000 Franken ins Projekt
investieren – dank Sponsoring und
Crowdfunding. Ein ganzes Jahr lang
hat er mit seinen Leuten am Boot ge­
arbeitet, um es Vendée­tauglich zu
machen. Sollte Roura im Februar 2017
das Ziel erreichen, wird er sich zwar
auf sein Zuhause im bretonischen
Lorient freuen. Aber die Lust, wieder
hinaus aufs Meer zu segeln, wird ihn
wohl nicht lange ruhen lassen. MM
MENSCHEN | MM52, 27.12.2016 | 15
Vendée Globe
Hart am Wind
Vendée Globe – die Route
Auf sich allein gestellt, segeln die Skipper über 45000 Kilometer, vorbei an gefährlichen Landspitzen: Kap Hoorn, Kap der Guten Hoffnung und Kap Leeuwin.
Die Segelregatta wurde
1989 ins Leben gerufen
und findet alle vier Jahre
statt. Die Teilnehmer
segeln 24 000 Seemeilen
(45 000 Kilometer) weit
von der französischen
Atlantikküste um den
Globus. Nach Havarien
und Todesfällen wurden
die Sicherheitsbestimmungen verschärft.
Les Sables d’Olonne
(Start und Ziel)
Europa
Amerika
AZORENHOCH
«DOLDRUMS»
Asien
NORDOSTPASSAT
Bisherige Rekordzeit:
78 Tage, 2 Stunden,
16 Minuten, 40 Sekunden
Afrika
SÜDOSTPASSAT
ST.-HELENAHOCH
Bester Schweizer:
Australien
Segelroute
Dominique Wavre
Segelroute
Kap der Guten
Hoffnung
Kap Hoorn
Beste Frau:
Kap Leeuwin
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26 | MM52, 27.12.2016 | MENSCHEN
Dieter Flury
Dernière auf
14 Karat Gold
Über 50 Millionen TV-Zuschauer in aller Welt verfolgen
am 1. Januar 2017 das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker.
Im Orchester spielt zum letzten Mal auch ein Schweizer: Vor seiner
Abschiedsgala kommt bei Starflötist Dieter Flury Wehmut auf.
Text: Reto E. Wild
K
onzentriert sitzt er hinter seinem
Notenpult, die Augen auf den
Dirigenten gerichtet. Dieter Flury
(64) bläst in seine Querflöte. Sie
ist mit 14 Karat Gold veredelt. Kostenpunkt:
70 000 Euro. «Schweres Material entwickelt
weniger Eigenschwingungen, die den Klang
stören.» Der Zürcher probt an diesem
Morgen in der Wiener Staatsoper an der
Ringstrasse, mitten im Stadtzentrum.
Vier Stunden dauert das Einspielen mit den
Orchesterkollegen, dazwischen eine kurze
Pause. Flury gehört seit fast 40 Jahren
zum Orchester der Wiener Philharmoniker.
Seine Querflöte ist für Flury «wie ein
Körperteil, mit dem man zusammenwächst». Bis Sommer 2016 hat er 25 Jahre
lang auf demselben Instrument gespielt.
Dann wurde es ihm in einem Wiener Kaffeehaus gestohlen. «Das war ein totaler Schock.»
Flury ist der einzige Schweizer Musiker
in der bald 175-jährigen Geschichte des
weltberühmten Orchesters, das nur die
Besten der Besten anstellt. In den fast vier
Jahrzehnten arbeitete er mit Stars wie Herbert von Karajan, Carlos Kleiber oder Leonard Bernstein zusammen. Diese grossen
Dirigenten seien auf jedes der 147 Mitglieder
der Philharmoniker individuell eingegangen.
Die Philharmoniker sind Weltklasse.
«Die Qualität stimmt nur, wenn diese von
jedem Pult aus kommt. Ich musste strampeln, um mitzuhalten.» 50 Opern muss
er auftrittsreif spielen können. Man dürfe
mit einem Auftritt nie zufrieden sein,
weil der nächste stets noch besser werden
soll. Und wenn die Leistung nachlasse,
Bild: Regina Hügli
wird im Orchester darüber geredet. Auch
heute noch übt er täglich, wenn auch
manchmal nur eine halbe Stunde. «Das
Orchester hat eine hohe soziale Kompetenz.
Wenn ein Mitglied mal eine schwächere
Phase hat, wird es mitgetragen und wieder
aufgebaut.» Trotzdem ist es auch schon
vorgekommen, dass man für ein Mitglied der
Philharmoniker eine andere Aufgabe finden
musste. Dieter Flury weiss dies, weil er von
2005 bis 2014 zusätzlich als Geschäftsführer
des Wiener Staatsopernorchesters unter
anderem für die Qualität verantwortlich war.
Vom Mathematiker zum Flötisten
Die Flöte hat Dieter Flury durch die ganze
Schulzeit begleitet. Wegen seiner Zahnstellung war er aber alles andere als prädestiniert für eine Karriere als Flötist – eine
Spange löste das Problem. Ihn faszinieren
die Klangfarben der Flöte und dass das
Instrument sehr direkt durch den Atem
einen Ton erzeugt. «Emotionen bestimmen
den Atemfluss, also die Gestaltung und
die Weite des Tons. Die hohen Töne
kann man selbst dann noch spielen, wenn
man wütend ist – sogar besonders leicht.»
Sein französischer Hauptfachlehrer
André Jaunet an der Musikhochschule
Zürich habe ihn tief geprägt, er habe seinen
Schülern das Potenzial der Flöte aufgezeigt
und erklärt, «wie man mit ihr eine eigene
Stimme bilden kann». 1976 schloss Flury
mit dem Solistendiplom ab. Vier Jahre zuvor
hatte er noch Mathematik an der ETH
Zürich studiert. Eine Freundin erzählte ihm
von der offenen Stelle bei der Wiener
Staatsoper. Er durfte vorspielen – hinter
einem Vorhang. «Eine lähmende Erfahrung.
Ich weiss heute noch nicht, weshalb ich es
trotzdem in die zweite Runde geschafft
habe.» Er musste Mozarts Flötenkonzert
Nummer 1 für die zweite Runde vorbereiten
– und erhielt die Stelle. Mit seiner Frau
Marianne (65), einer Thuner Psychologin,
beschloss Flury, «mal für ein Jahr nach Wien
zu gehen. Dann nahm es mir den Ärmel so
richtig rein, weil ich realisierte, was es wirklich heisst, in diesem Orchester zu spielen.»
Nächstes Jahr geht Flury in Pension,
er wird aber noch mindestens drei Jahre an
der Kunstuniversität Graz unterrichten.
Dem neuen Lebensabschnitt schaut er mit
gemischten Gefühlen entgegen: Einerseits
schätzt es der vierfache Vater, dann nicht
mehr dem Leistungsdruck der Philharmoniker ausgesetzt zu sein. Andererseits
würden ihm die Auftritte bestimmt auch
fehlen. «Gewisse Ereignisse nehme ich jetzt
schon bewusster wahr, etwa meine letzte
Japanreise mit dem Orchester diesen Herbst
oder das Neujahrskonzert. Da kommt schon
Wehmut auf.»
Für Dieter Flury ist klar, dass er auch
nach der Pensionierung mit seiner Frau am
Stadtrand von Wien leben und nicht
in die Schweiz zurückkehren möchte; seine
Freunde, sein Zuhause seien hier. «Ich
könnte mir die Schweizer Lebenskosten nur
mit Mühe leisten.» Zum Schluss fügt Dieter
Flury mit einem Augenzwinkern an: «Die
Österreicher sagen über Zürich: Die Stadt
ist vielleicht doppelt so gross wie der Wiener
Zentralfriedhof aber nur halb so lustig.» MM
MENSCHEN | MM52, 27.12.2016 | 27
Hörprobe
und Porträt
von Flötist
Dieter Flury
www.migmag.ch/
flury
Dieter Flury mit
seiner Querflöte,
die mit 14 Karat
Gold veredelt ist.
Kostenpunkt:
70 000 Euro
Bild: Terry Linke
175-jährige
Geschichte,
147 Mitglieder,
1 Schweizer:
die Wiener
Philharmoniker