vom 9. Januar 2017 - Bernseite - Reformierte Kirchgemeinde

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— Montag,
9. Januar 2017
Bern
Fleiss und Akribie
Paul Bruppacher kennt fast jedes
Detail aus Hitlers Leben. 19
Luthers Buchstabensuppe
Ask-Force
Mit der «Kopflastigkeit» des Reformations­jubiläums haben Heinz Wulf und Karolina Huber Mühe. Darum
haben sich die Pfarrleute in Wohlen ein Projekt ausgedacht, bei dem die Reformation durch den Magen geht.
Wie denken
Tiere?
Dölf Barben
Als die 40 000 Suppen schliesslich geliefert wurden, «haben wir schon leicht gestaunt», sagt Heinz Wulf. «Wir dachten,
die Packungen seien klein und dünn,
und es seien einfach ein paar Dinge
mehr, die im Keller lagern.» Aber es waren 13 Paletten. Jede anderthalb Meter
hoch. Das Material belegt nun im Kipferhaus ziemlich viel Raum.
Wulf und seine Frau Karolina Huber
teilen sich in Wohlen ein Pfarramt. Die
Idee mit der Suppe hatten sie «an einem
jener netten Abende bei einem Glas
Wein», wie Wulf erzählt. Wieder einmal
hätten sie sich über die Kopflastigkeit
des Reformationsjubiläums geärgert.
«Vorträge, Bücher – der allergrösste Teil
der Festivitäten wieder nur für den intellektuellen Bereich.» Dabei habe doch
Luther dem Volk «aufs Maul geschaut»,
wie der Reformator oft zitiert wird.
Mueshafen für die Armen
Ausserdem habe die Reformation ganz
praktische Auswirkungen gehabt, sagt
Wulf. Zwinglis Almosenordnung habe
auch den Staat zur Versorgung der Armen verpflichtet. Diese seien am Zürcher Mues­hafenplatz täglich mit einer
warmen Mahlzeit versorgt worden. «Mit
dem Duft der warmen Suppe verbreitete
sich der neue Glaube», sagt er.
Mithilfe des Grafikers Bruno Fauser
kreierten sie drei Suppenpackungen.
Die Reformationssuppe Sola scriptura
(allein die Schrift) ist eine Buchstabensuppe. Auf der Packung sieht man Luther mit einem Löffel. Dazu steht der
Satz: «Woran du dein Herz hängst, das
ist dein Gott.» Die anderen Packungen
– Sola fide (allein der Glaube) und Sola
gratia (allein die Gnade) – zeigen die
Reformatoren Zwingli und Calvin,
ebenfalls mit Löffeln. Eigentlich handelt es sich um normale Suppen der Migros mit den üblichen Informationen
auf der Rückseite. Der Grossverteiler
hat es den beiden aber ermöglicht, auf
der Produktionsanlage die SuppenSpezialauflage mit dem eigenen Design
abzufüllen.
Es sei «eine rein private Initiative»,
die in der Kirchgemeinde aber auf viel
Zustimmung gestossen sei, sagt Wulf,
der mit seiner Frau auf knapp 40 000
Suppen sitzt. Klar habe sie das «ein
bisschen etwas gekostet» und der riesige Lagerbestand stelle für sie ein gewisses Risiko dar, aber die Reformation
sei «wohl das viel grössere Risiko gewesen». Was Luther, Zwingli und die anderen Reformatoren taten, «war kein abgesichertes Projekt mit Erfolgsgaran-
Ein bisschen früh
Berner Reformation war 1528
500 Jahre Reformation – dieses Jubiläum
bezieht sich auf Martin Luthers Thesenanschlag, der gemäss Überlieferung 1517 in
Wittenberg stattgefunden haben soll. Im
Jubiläumsjahr 2017 erinnert man sich somit
an den Anfang einer Bewegung, deren
kulturelle, gesellschaftliche und politische
Kraft bis heute Wirkung entfaltet. Es feiert
der protestantische Teil der Christenheit,
weltweit, hauptsächlich aber in Deutschland
und in der Schweiz. Gemäss einer Broschüre
der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn soll es nicht nur darum gehen, sich an
ein historisches Ereignis zu erinnern. Mindestens ebenso sehr sollen sich Kirchen und
Gesellschaften die Frage stellen, «welches die
bleibenden Wirkungen und die bis heute
aktuellen Anfragen der Reformation sind».
In der Schweiz waren die Reformierten
zunächst etwas skeptisch, das Jubiläum
bereits jetzt zu begehen. Nachdem aber klar
war, dass sich die Feierlichkeiten auf die
Reformation als Ganzes und nicht bloss auf
Luther beziehen sollten, begannen die
Schweizer, Engagement zu zeigen.
In Zürich setzte sich die Reformation 1523
durch, in Bern erst 1528. Weil Berns Einfluss
und Machtbereich damals sehr gross war,
gab Berns Übertritt zum neuen Glauben der
Bewegung aber starken Auftrieb. (db)
Karolina Huber schüttet einen Beutel «Sola scriptura» in den Topf, und Heinz Wulf führt den Schwingbesen. Foto: Manu Friederich
«Die Reformation
war kein abgesichertes Projekt mit
Erfolgsgarantie.»
Heinz Wulf, Pfarrer in Wohlen.
tie». Am 22. Januar erfolgt im Rahmen
eines Gottesdiensts der «offizielle Start
des Suppenverkaufs» – im Beisein des
«Gault Millau»-Kochs Urs Messerli, der
Suppe kochen wird. Die Packungen mit
den Reformationssuppen sollten ab
heute über die Website der Kirchgemeinde bestellt werden können – für
zwei Franken.
Vielleicht werden andere Kirchgemeinden Suppen bestellen und sie an
Anlässen abgeben oder im Jubiläumsjahr als Dank an Freiwillige verschenken, sagt Wulf. Oder Private, denen die
spezielle Verpackung gefällt. Ein Ge-
winn würde an die reformierte Kirchgemeinde im Gambarogno und die politische Gemeinde Safiental fliessen.
Undogmatisch, aber nicht banal
Der Kopflastigkeit etwas entgegensetzen.
Doch wie soll das gehen, etwa mit der ersten «Kernbotschaft» zum Jubiläum, die
auf einem Dokument der reformierten
Berner Kirche zu finden ist: «Die Reformation erinnert an den gnädigen Gott als
Grundlage allen Lebens.» Werde über die
Reformation gesprochen, geschehe das
oft auf eine hochintellektuelle Weise.
Doch gebe es Leute, die mit «KirchenSprech» dieser Art nichts anfangen könnten. Die Schwierigkeit bestehe darin, dies
in die Alltagssprache zu übersetzen. Dabei dürfe man «nicht einfach billig banalisieren», sagt Wulf. «Wir müssen ohne
grosse Dogmatik verständlich machen
können, was Gott unserer Meinung nach
mit dem Leben der Menschen zu tun hat.»
Er habe zum Reformationsjubiläum viel
kreativere, radikalere und lustvollere Projekte erwartet: zum Beispiel, dass der Synodalratspräsident jede Woche an einem
Marktstand auf dem Waisenhausplatz
stehe oder «die Synodalräte das Jahr hin-
durch wöchentlich am Stammtisch jeder
Beiz im Kanton Bern auftauchen – oder,
oder, oder». Aber Aussagen wie «allein
die Gnade» in der heutigen Welt? Was sollen die Leute damit anfangen?
Wulf sagt, man müsste sie selbst fragen. Die Reformation habe Fragen gestellt, die die Leute stark beschäftigten.
Das sei auch heute so. Er frage sich etwa,
ob Leistung denn alles sei? Oder ob er aus
sich selber heraus immer so stark sein
müsse, um alles allein bewältigen zu können. Und dann zitiert er den Philosophen
Martin Buber: «Alles wirkliche Leben ist
Begegnung.» Die Kirche müsse Begegnungen ermöglichen, sagt er – ob in einem spirituellen oder in einem praktisch-sozialen
Bereich sei letztlich zweitrangig. Wesentlich sei, dass es geschehe, dass Menschen
zueinanderfinden, feiern, nachdenken,
beten oder Suppe essen. Und dass die Kirche «die befreiende Botschaft des Evangeliums überzeugend im Alltag lebt».
Bilder Der Auftakt des Reformations­jubiläums
im Berner Münster.
www.reformation.derbund.ch
Reformationsjubiläum im Kanton Bern
«Es ist enorm, was alles läuft»
Synodalratspräsident An­
dreas Zeller freut sich über all
die Anlässe, die im Jubiläums­
jahr geplant sind – und kei­
neswegs nur «Kopflastiges».
Dölf Barben
Selbstverständlich würden in diesem
Jahr zahlreiche Vorträge gehalten zu allen möglichen Aspekten der Reformation, sagt Synodalratspräsident Andreas
Zeller auf Anfrage. Aber wenn er an all
die Veranstaltungen denke, die landauf
landab vorgesehen sind, könne man
wirklich nicht von übermässiger Kopflastigkeit reden. Der höchste Vertreter
der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn reagiert damit auf die Kritik von
Pfarrer Wulf aus Wohlen (Artikel oben).
Geplant seien auch Theateraufführungen, Konzerte – «Musik ist ganz wichtig»
–, Gemeindereisen an Lutherstätten in
Deutschland oder Wanderungen. Im
Juni etwa steht ein ökumenisches
Pfingstpilgern von Flüeli Ranft im Kanton Obwalden nach Bern zum Münster
auf dem Programm. «Es ist enorm, was
alles läuft», findet Zeller. Und das Interesse sei gross. Das habe sich am 3. und
4. Januar gezeigt, als der Truck des Vereins Reformationsjubiläum 2017, das
«Geschichtenmobil», in Bern auf dem
Münsterplatz haltmachte. Der «Stationenweg» führt den Truck in 8 schweizerische und 59 weitere europäische
Städte. Allein am zweiten Tag hätten
rund 600 Besucherinnen und Besucher
die Veranstaltung im Münster und den
Truck besucht. «Es war ein voller Erfolg», sagt Zeller.
Bisher habe er den Eindruck gewonnen, das Jubiläum werde in den Kirchgemeinden und an der Basis dazu genutzt,
sich vertieft mit der Frage nach reformierter Identität zu befassen. Ganz anders sei es 1978 gewesen, sagt Zeller und
spricht von einem «akademischen Fest».
Damals wurde das Jubiläum 450 Jahre
Berner Reformation begangen.
Thema «eigenständig aufnehmen»
Damit die Übersicht über das Angebot
nicht verloren geht, haben die reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn
gar einen Koordinator Reformations­
jubiläum bezeichnet – Damian Kessi.
Viele Kirchgemeinden hätten beeindruckende Programme zusammengestellt,
die sich über das ganze Jahr verteilten,
sagt er. Mit dem Feedback aus den Kirchgemeinden sei man sehr zufrieden. Es
sei erfreulich zu sehen, wie diese das
Thema Reformation «eigenständig aufnehmen und innovativ umsetzen».
Die Kantonalkirche unterstützt einzelne Projekte von Kirchgemeinden und
auch von externen Partnern wie dem
Bernischen Historischen Museum. Dieses zeigt bis Mitte April die Ausstellung
über Niklaus Manuel, den Söldner, Bilderstürmer und Totentänzer.
Website und Smartphone-App
Alle relevanten Veranstaltungen im Kirchengebiet Bern-Jura-Solothurn werden
nach und nach auf der Website www.
ref2017.ch aufgeschaltet. Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK)
wiederum hat eine Gratis-App für Smartphones lanciert. Die App R-City Guide
bietet buchstäblich Hilfe von oben an –
durch Satellitennavigation unterstützte
interaktive Rundgänge in zehn Schweizer Reformationsstädten.
Die letzte AskForce im alten Jahr
war ein Ereignis.
Erstmals in der
Geschichte der
beliebten Kolumne
wurde die Artengrenze überschritten, beantwortete unser Gremium
doch eine Frage der gewitzten Dalmatinerhündin Chelsea R. aus Bern-Nord
zum Thema Polizeihunde («Bund» vom
31. Dezember). Damit war der Damm
gebrochen. Weitere Fauna hat sich
seither vertrauensvoll an die AskForce gewandt.
Darunter Edwin
T., ein schon etwas
älteres Eichhörnchen aus dem
Könizbergwald
(«Wo habe ich nur Edwin T. aus Köniz.
meine Nüsse
vergraben?»), Agnes S., eine Taube aus
dem Schlag in der Heiliggeistkirche
(«Müssen die Glocken so laut läuten?»),
und Lucy X., eine Katze mit Revieransprüchen in ganz G. («Whiskas kaufen?
Come on!»). Auf einem Spaziergang mit
der Hündin Chelsea R. suchte die
Ask-Force alle gefiederten und pelzigen
Fragesteller vor Ort auf und antwortete
ihnen bilateral, ganz ohne Aufhebens,
wie es halt unsere Art ist.
Noch etwas atemlos, aber mit vielen
neuen Eindrücken, widmen wir uns
nun wieder Fragen, die die Menschheit umtreiben. Jene von Frau R. P.
aus B. passt gerade gut, weil sie ebenfalls auf artübergreifende Verständigung zielt. Schon lange habe sie in
nachgenannter Angelegenheit bei der
Ask-Force vorstellig werden wollen,
lässt uns Frau P. wissen: «Wie denken
Tiere, wenn sie ja keine Wörter und
Begriffe kennen? Oder auch kleine
Kinder: Was geht in ihrem Kopf vor,
wenn sie etwas sehen, für das sie noch
kein Wort kennen?» Ein legitimes
Auskunftsbegehren, das wir gerne
einer öffentlichen Beantwortung
anheimführen.
Tiere sind keineswegs nur von Instinkten und Reflexen gesteuert, sondern
sie besitzen auch kognitive Fähigkeiten. Das ist heute weitgehend unbestritten. Sonst würde die Kreatur ja
nicht an die Ask-Force gelangen. Auch
hat man schon Sprachen lernende
Graupapageien gesehen, Border-Collies, die die Namen von zweihundert
Spielzeugen kennen, Schimpansen,
die Werkzeuge und Waffen benutzen.
Was genau dabei in ihren Köpfen
vorgeht, war allerdings schon Franz
von Assisi, Goethe und Darwin ein
Rätsel. Und es entzieht sich vorläufig
– offen gesagt – auch der Kenntnis der
Ask-Force.
Doch ist das so schlimm, werte Frau
P.? Die Ask-Force meint: Nein. Aus
zwei Gründen. Erstens: Nicht nur die
Tiere, auch wir Menschen grübeln
doch über Dinge nach, von denen
wir uns keinen Begriff machen können. Denken Sie nur an Gott, die
Kernspaltung oder die politischen
Positionen von Alec von Graffenried.
Zweitens: Die Gedanken sind frei.
Wer kann sie erraten? Sie fliehen
vorbei wie nächtliche Schatten. Kein
Mensch kann sie wissen, kein Jäger
erschiessen. Es bleibet dabei, die
Geda-han-ken sind frei.
(Kurz zuvor auf dem Hundespaziergang:)
Ask-Force: Chelsea! Sitz!
Chelsea R. (denkt): Träum weiter,
Mann.
Fragen Sie die Ask-Force! Die Ask-Force
gibt gerne Laut: [email protected]