SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Tandem Tröglitz ist überall Über Hassattacken und warum der Ex-Bürgermeister Markus Nierth trotzdem im Ort bleibt Das Gespräch führt Natalie Putsche Sendung: Freitag, 13. Januar 2017, 10.05 Uhr Redaktion: Petra Mallwitz Produktion: SWR 2017 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Tandem können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Tandem sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bestellungen per E-Mail: [email protected] Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? 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Markus Nierth: Meine Menschenkenntnis hat da ja im letzten Jahr offensichtlich nicht ausgereicht. Also ich bin misstrauischer geworden, aber versuche bewusst mein Herz nicht zu verbittern, sondern offen zu halten. Das hilft mir, nicht hart zu werden. Natalie Putsche: Die Höhepunkte der Anfeindungen des Brandanschlages auf das geplante Flüchtlingsheim und Ihres Rücktritts sind jetzt eben so knapp eineinhalb bis zwei Jahre her. Sie wohnen immer noch im gleichen Ort, Sie wohnen immer noch im gleichen Haus, ein ehemaliger Gasthof, den Sie umgebaut haben mit Ihrer Frau. Welche Worte, welche Begegnung hat sich besonders schmerzlich in Erinnerung eingebrannt bei Ihnen aus dieser Zeit heraus? Markus Nierth: Also nicht unbedingt die Demonstration, die damals begann, sondern eher das Wegducken von Bekannten, die mir eigentlich ans Herz gewachsen waren, von Menschen zu denen ich Beziehungen hatte, unter anderem etwa ein Mensch der CDU, der mich damals ins Amt geworben hatte und den ich seit vielen Jahren kenne und der auf einmal, obwohl er vorher noch mit Blumenstrauß oder zum Geburtstag da war oder mit mir Bierchen trank, auf einmal weggetaucht war, nachdem die Morddrohungen und die ganze politische Thematik auftauchte. Da war ich plötzlich alleine und bekam keinen Anruf, bekam kein Nachfragen, gar nichts. Natalie Putsche: War die Demonstration das, was das Fass zum Überlaufen gebracht hat? Das war die Demo, die vor Ihrem Haus stattfinden sollte. War das ein Aufmarsch von Rechten? Markus Nierth: Also dass Demonstrationen kommen, hatte ich eigentlich erwartet, deswegen hatte ich damals auch den Informationsbrief geschrieben, um das zu verhindern, was nicht ganz gelungen ist. Aber es hat dazu geführt, dass durch weitere Informationsbriefe, 2 die wir im Ort verteilt haben, die absolute Mehrzahl der Tröglitzer zuhause geblieben ist, dass dann nur noch zwanzig, dreißig bei der zweiten, dritten Demo mitgelaufen sind, weil die Leute verstanden haben, dass das wirklich die NPD ist, die die Leute da anführt. Und dass dann die perfide Idee aufkam, uns als Familie heimzusuchen, um es uns zu zeigen, um uns zu bedrohen, weil wir das einzig sichtbare Feindbild waren, bei der achten Demonstration, das war der eigentliche Grund gewesen für den Rücktritt. Dass die vor unser Haus wollten, aber vor allem das Landratsamt das nicht verhindert hat. Natalie Putsche: Ist es denn zu dieser Demonstration gekommen oder konnte man das irgendwie noch abwenden? Also Sie sind ja vorher zurückgetreten, ja? Markus Nierth: Das war ja das Verrückte. Es wäre zu dieser Demonstration gekommen. Es hätten 120 Rechtsradikale vor meinem Haus rumgetobt, hätten ihre Abschlusskundgebung vor den Kinderzimmern gehalten, wenn ich nicht zurückgetreten wäre. Das Landratsamt und die Behörde hätten uns nicht davor geschützt, sondern erst als das Landratsamt der NPD mitteilte, dass ich zurückgetreten sei, strich die zufrieden die Segel und schrieb dann intern auf ihren Seiten: „Nun auf zum nächsten Bürgermeister“. Natalie Putsche: Was gehen einem da für Gedanken durch den Kopf, wenn man so was liest? Markus Nierth: Eine absolute Wut erstmal, dass damals das Landratsamt so versagt hat, was nicht nötig wäre, wir haben uns wirklich als Ehrenamtliche aufgeopfert, haben versucht nahe zu bringen, was der Job des Landkreises ist, die Flüchtlingsunterbringung. Aber auch die Wut, dass die Rechten so dreist sind und dass einige Einwohner so dumm sind, dass sie da mitgehen und Familien was Böses tun, Familien einschüchtern. Und deswegen kam auch die Wut hoch. Zum Einen klar zu sagen, der Grund sind nicht eigentlich die Rechten, sondern das Versagen der Behörden. Und B, bitte passt auf, dass es nicht wieder passiert. Die wollen ja jetzt die nächste Familie beeindrucken. Es muss was passieren. Deswegen sind wir an die Medien damals gegangen und die waren ja nun zuhauf da gewesen. Natalie Putsche: Ihnen wurde natürlich auch Mediengeilheit unter anderem vorgeworfen. Haben Sie irgendwann noch gewusst zwischendurch was richtig ist, was falsch, was Sie da sagen und in Interviews zum Beispiel erklären sollen. Steht man da nicht irgendwann völlig verwirrt vor so einem Mikrofon und denkt: „Am besten sage ich lieber gar nichts mehr“? Markus Nierth: Also erwartet hätte ich einen Zeitungsartikel in der Örtlichen. Dass das so hoch pusht hätte niemand von uns erwartet, das ging ja bis zur „New York Times“ oder bis nach Japan. Aber der Knackpunkt ist ja, dass laufend neue Ereignisse kamen, wo Leute geschwiegen haben und wir was erklären mussten. Erst habe ich die Tröglitzer dann 3 in Schutz genommen, weil sie pauschal als braun dargestellt wurden, dann wollte ich andere Bürgermeister, Ehrenamtliche beschützen und habe den Mund aufgemacht. Und dann ging es weiter mit diesem Brand. Natalie Putsche: Als dieser Anschlag verübt wurde, war zu dem Zeitpunkt noch ein Ehepaar im Erdgeschoss, das in nächster Zeit ausziehen sollte, so war es geplant. Die beiden sind gerade nochmal unverletzt rausgekommen, weil eine Nachbarin das, glaube ich, früh genug gemerkt hat, mit dem Brand. Das heißt also, da wurde sogar ein Mord in Kauf genommen. Sind eigentlich die Täter gefasst worden? Markus Nierth: Leider nicht. Das wäre sehr wichtig gewesen, aber trotz hohen Aufwands, die Polizei hatte wirklich gute Arbeit geleistet, ist das nicht gelungen. Es können die Rechten, in Anführungsstrichen, gewesen sein, es kann aber auch ein Bürger aus der Umgebung gewesen sein. Die meisten Brände in Deutschland gegen Flüchtlingsheime sind ja von so genannten Normalobürgern ausgegangen. Und was Entscheidendes, was uns später ein Aussteiger aus der rechten Szene erklärte, ist... „Markus“, hat er gesagt, „sei froh, dass die Medien sich so um euch gekümmert haben, dass das so beachtet wurde. Denn dadurch seid ihr an die Öffentlichkeit gelangt und das hat euch wirklich vor den Rechten geschützt, die hätten euch fertig gemacht.“ Natalie Putsche: Im Buch nennen Sie so was wie eine stumme Hinrichtung. Was genau hat Ihnen das Gefühl gegeben, dass Sie hingerichtet werden in Tröglitz? In Ihrem Ort, wo Sie seit über zwanzig Jahren immerhin wohnen? Markus Nierth: Nun das war eine spezielle Situation, die ich extra in dem Buch auch separat beschrieben habe. Eine Versammlung der Einwohner, der Nachbarn, wo einzelne Nachbarn, mit denen ich wirklich per du bin über zwei Jahrzehnte, mich so übel behandelt haben, dass ich wirklich innerlich gestorben bin. Natalie Putsche: Wie haben die Sie behandelt? Markus Nierth: Also das ist schwer zu sagen, es war so viel Lüge im Raum und Reden in der dritten Person über mich, obwohl man mich hätte direkt ansprechen können. Natalie Putsche: Sie waren im Raum mit dabei? Markus Nierth: Ich war im Raum und Leute, die regten sich tierisch auf über die Öffentlichkeit und den falschen Ruf des Ortes und dass es ja niemanden im Ort gäbe, der was gegen Asylberber hätte. Und dieser Satz wurde dreimal wiederholt von einem offensichtlich fremdenfeindlichen Menschen, der mir früher relativ bekannt war, und niemand 4 widersprach. Und dieses gehetzte Gemurmel der Menge, der aufgebrachten Menge, das hat mich erahnen lassen wie früher so was wie Progrome entstanden sind. Wie eine Menge murmelt und sich selber bestätigt, obwohl sie eigentlich feige ist, aber dann zu bösen Tat übergeht. Und wenn sie gekonnt hätten, hätte ich mir da auch eine böse Tat vorstellen können. Natalie Putsche: Das heißt, Ihnen ist der Gedanke an einen Mob zum Beispiel gekommen? Markus Nierth: Den Mob haben wir erlebt, das kann man sagen. Natalie Putsche: Somit das Schlimmste, was ich mir ehrlich gesagt vorstellen kann, wenn man irgendwo lebt, dass man Angst haben muss, dass so eine aufgewühlte Menge plötzlich hinter einem her ist. Aber so haben Sie sich gefühlt? Markus Nierth: Ja, also das war ein Lebensgefühl gewesen. Dass eine Menge, die eigentlich schweigt, aggressiv werden kann. Und das ist ja nun überall in Deutschland zu erleben. Und was für uns das eigentlich Wichtige ist, dass wir uns fragen: „Wie konnte es so weit kommen?“ Deswegen habe ich auch versucht das in dem Buch zu verarbeiten. Und was kann man dagegen tun? Denn die Mehrzahl der Menschen sind ja nicht irgendwie anders oder böse, sondern sie haben gute Herzen. Ich weiß das, ich kann das deswegen so deutlich sagen, weil ich sie ja kennenlerne als Trauerredner. Natalie Putsche: Wie lange standen Polizeiwagen vor Ihrer Haustür, Tag und Nacht? Markus Nierth: Fast ein Dreivierteljahr. Es war so, dass der Schutz verstärkt wurde, weil die Morddrohungen dann noch mehr wurden und auch die Polizeistreife ums Haus herumlief. Natalie Putsche: Mit was für einem Gefühl sind Sie aus dem Haus gegangen? Sie haben ja jetzt keinen Bodyguard permanent gehabt, sondern Sie mussten Ihrer Arbeit nachgehen, das heißt, Sie hatten im Ort zu tun und sind dort Leuten begegnet. Mit was für einem Gefühl sind Sie aus der Haustür rausgegangen? Markus Nierth: Jeder Tag hat sehr viel Kraft gekostet. Die Nächte waren schon manchmal durchheult und durchkämpft, wir haben ganz viel diskutiert meine Frau und ich. Und der Knackpunkt ist, dass ich draußen natürlich auch..., dass ich da Angst hatte. Dass ich aufgepasst habe, gelernt habe mich umzublicken, zu überlegen wohin ich fahre, die Wege zu wechseln, wenn ich mit dem Hund spazieren gehe. Bis hin, dass ich mich selbst beim Einkaufen umgucke, wer hinter mir im Gang läuft. Das ist 5 wahrscheinlich normaler Reflex und das noch Schlimmere ist, man gewöhnt sich an diese Gefährdung, das sagen ja viele. Natalie Putsche: Sie sind so ein bisschen zu so einer, nicht für alle in Tröglitz, aber für einige, persona non grata im Ort geworden. Und diese Unbeliebtheit hat auch dazu geführt, dass sich das wirtschaftlich bemerkbar gemacht hat bei Ihnen und bei Ihrer Frau. Markus Nierth: Ja, das ist das Verrückte, dass zum Teil Leute durch den Ort gegangen sind und gesagt haben: „Geht dort nicht mehr zur Tanzschule.“ Und eine Frau dann eines Tages auftauchte, die ganz begeistert ihre Tochter geschickt hatte. Und dann aber meine Frau nachfragte, warum denn die Tochter jetzt nicht mehr kommen will und die Frau erklärte, das liegt daran, dass die Eltern der besten Freundin gesagt haben: „Ne, ne, wenn ihr da weiter hingeht, dann wollen wir mit euch nichts mehr zu tun haben.“ Da fragt man sich, über wen ist man wütender? Über die Leute, die da gehetzt haben oder über die Leute, die so feige sich wegducken? Und wenn dreißig Prozent der Einnahmen wegbrechen, auch bei mir als Trauerredner, also auch von Leuten, die mich früher begeistert gebucht haben, die ein gutes Einkommen haben, aber dann mich plötzlich nicht mehr wollen, obwohl ein persönlicher Draht bestand, da fragt man sich schon, warum denn nicht zwischen fachlicher Kompetenz und politischer Einstellung da unterschieden wird. Natalie Putsche: Haben Sie versucht die Leute, zumindest die, die einem zumindest ein bisschen am Herzen liegen, zur Rede zu stellen, warum sie so reagieren, wie sie reagieren auf Sie? Markus Nierth: Also die Leute reagieren nicht offen, viele sind ja viel zu feige. Auch hier regiert das Schweigen, so dass ich mich kaum direkt verteidigen konnte. Wenn ich angesprochen worden wäre, hätte ich wenigstens reden können. Ich muss ja immer mutmaßen bis heute. Und so spare ich mir meine Kraft, denn es kostet natürlich Kraft Menschen zu begegnen, jedes Mal einzuschätzen, wo steht der eigentlich, ist das Lächeln echt oder nicht? Und die Gefahr, dass das Misstrauen das Herz vergiftet ist viel größer. Natalie Putsche: Können Sie sagen was Ihnen zum Beispiel gefehlt hat zu der Zeit? Was für eine Art Gesprächspartner oder was für eine innige Beziehung? Sie haben sich, Sie haben Ihre Frau, Sie haben sieben Kinder, wenn ich das richtig gelesen hab? Die Familie ist da, die steht natürlich komplett hinter einem, aber trotzdem, da wird es bestimmt irgendwas gegeben haben, wo Sie gedacht haben, hätte man jetzt das und das oder wäre das jetzt so und so, dann wäre das vielleicht leichter? Markus Nierth: Ach, das war eigentlich trotzdem erträglich, weil wir viele Freunde dazu gewonnen haben. Es sind auch viele gerade von außerhalb gekommen, ein paar aus dem Ort, die tapfer mit gegen gehalten haben und die gesagt haben: „Wir stellen uns neben 6 euch, damit ihr nicht mehr alleine Zielscheibe seid.“ Das war toll und heldenhaft und diese Freundschaften haben wir Gott sei Dank bis heute. Gefehlt haben die Politiker und zwar die mutigen. Vom Bundestagsabgeordneten vor Ort, ob der CDU oder anderen. Und wir mussten auch unser politisches Weltbild etwas sortieren, denn es waren vor allem die Linken und auch die Grünen, die da waren, die sich zu uns gestellt haben und die auch den Mund aufgemacht haben. Das Wegducken der politischen Kaste, gerade der regierenden Parteien, das hat uns sehr enttäuscht. Natalie Putsche: Zu dem Zeitpunkt, als schon die Bedrohung da war und Sie Morddrohungen bekommen haben und ganz furchtbar schlimme Post mit Fäkalien drinnen. Haben Sie da schon gedacht: „Hätte ich mal was anders gemacht“? Markus Nierth: Also Wegducken war noch nie meine Stärke, ich war schon als Jugendlicher oppositionell reingewachsen durch den Pfarrhaushalt in dem ich aufgewachsen bin. Ich hatte immer schon politisch Ärger mit der DDR-Diktatur, ich habe sie als üble menschenverachtende Diktatur erlebt, habe das auch so benannt und war deswegen auch immer schon sicher etwas außerhalb der eigentlichen Menge gewesen. Und was sollte ich anderes machen außer zu Mitmenschlichkeit aufzurufen und zu bitten, das habe ich ja gemacht, zu bitten: „Bitte empfangt die Fremden freundlich“. Mehr habe ich nicht gemacht. Und dass dafür Hass reinkommt, nun gut, dann habe ich das halt einzustecken, aber letztendlich ist doch das Gewissen, das Herz das Höchste, was ich niemals verraten möchte. Natalie Putsche: Sind Sie denn nie morgens aufgewacht und haben zu Ihrer Frau sagen wollen: „Du, jetzt habe ich es mir wirklich überlegt, lass und konkret darüber sprechen, wir ziehen hier weg. Wir bauen uns wo anders was wir hatten neu auf und dann wird es vielleicht wieder harmonischer“? Markus Nierth: Nicht nur einmal, zig mal. Wir waren bereit, wirklich alles Materielle, wie diesen riesigen Gasthof, der ja aus vier Gebäuden besteht, aufzugeben,- und für Verlust zu verschleudern, weil wir uns gefragt haben: Was brauchen unsere Kinder, ist es für unsere Kinder gut? Da waren zwei Punkte, die uns, drei Punkte, die uns abgehalten haben. Der eine ist, dass unsere Kinder sagen: „Papa, lass uns hier bleiben. Die nächste Generation ist schon gar nicht mehr so drauf.“ Und das Zweite war, dass wir gemerkt haben, dass auch woanders wir auch wieder auf eine Gesellschaft treffen, die auch gespalten ist, wo die Menschen sich vielleicht noch besser versteckt haben hinter ihren Fassaden. Und das Dritte war unser Glauben. Dass wir merken, wir sind da, so lange wie wir hin gerufen werden und wir gehen da wieder weg, wenn uns ganz klar gesagt wird: „Euer Platz ist wo anders.“ Und so aktiv ist schon, und so lebendig ist schon unser Glaubensleben, dass wir genau wissen, wo unser Platz ist. Natalie Putsche: Und der ist offenbar immer noch hier in Tröglitz. 7 Markus Nierth: Eindeutig, wir haben als Familie, nach einem Familienrat dann beschlossen, als es einen Pat gab: Okay, so lange es nicht eine ganz klare Stimme gibt und eine ganz klare Stimmung gibt, bleiben wir hier. Natalie Putsche: Sie haben es vorhin schon kurz angedeutet, wie sind Ihre Kinder damit umgegangen in dieser Zeit? Wie haben Sie Ihre Kinder erlebt? Die haben ja auch von diesen Anfeindungen auch was mitbekommen durchaus? Markus Nierth: Die sind die eigentlichen Helden in dieser Geschichte. Die Großen, die von außen mitgebibbert haben, weil sie die ganzen Geschichten aus den Medien hörten und die Jüngeren, gerade die Mädels bis hin zum Siebenjährigen, die hier vor Ort vieles erdulden mussten, die untereinander auch so manche Tränen geweint haben, die wir dann nur noch getrocknet haben, die wir am Rande mitbekommen haben. Wir haben sicher viele Gespräche gehabt, aber die Kinder sind auch unvorstellbar gereift in dieser Zeit und Gott sei Dank nicht zerbrochen. Natalie Putsche: Ihre Kinder haben auch Morddrohungen mitbekommen gegen Sie? Markus Nierth: Als die erste ekelhafte Morddrohung reinkam, las meine Frau den Brief gerade und brach natürlich in Tränen aus, weil das so eine fürchterliche Wortwahl war. Und unser Siebenjähriger, damals Fünfjähriger stand dabei und fragte: „Mama, was ist denn los?“ Und wir mussten dann unserer Tochter zu Ihrem sechzehnten Geburtstag, der bei uns eigentlich ganz heilig ist und groß gefeiert wird, erzählen, dass Morddrohungen gegen mich vorliegen. Natalie Putsche: Darf ich noch mal kurz nachfragen, was genau stand denn in diesem Brief, was war die Wortwahl, was sticht dann so ins Herz, wenn man das hört? Markus Nierth: Ich glaube: „Pfarrer, wir holen dich. Du Schande der weißen Rasse und werden dich an ein Kreuz nageln und du wirst elendig brennen.“ Also eine von diesen Sachen zum Beispiel, unterschrieben vom Ku-Klux-Klan Deutschland, den es ja wirklich gibt. Bis hin zu Leuten aus der Umgebung, die mit dem Baseball-Schläger gedroht haben, dass sie mein blödes Köpfchen bald zertrümmern werden, aber eben auch diese Fäkalbriefe, die meine Frau aufgemacht hat, weil sie an sie adressiert waren und sie wirklich in Kot rein fassen musste. Und das als künstlerischer Mensch, war natürlich zutiefst betroffen und angeekelt. Das hat Tage gedauert, dann kam der nächste Brief und so gingen über Wochen hinweg Fäkalbriefe ein, offensichtlich aus unserem näheren Umfeld, die uns so hassen, dass sie uns weghaben möchten und Kot zuschicken mit dem Schriftzug innen drinnen: „Gülle für euch, Lügenpaar Nierth verzieht euch aus Tröglitz.“ 8 Natalie Putsche: Sie beschreiben in Ihrem Buch auch eine Szene, da steht Frauke Petry bei Ihnen im Hausflur. Markus Nierth: Das war ja im März 2015, da war die noch nicht so bekannt und da standen zwei, mit dunkelblauen Anzügen bekleidete Leute vor der Tür, meine Frau ließ sie rein. Sie sagten, dass sie Landtagsabgeordnete sind und ich dachte erst das seien Mormonen, weil sie so dunkelblau angezogen waren, und als sie sich dann mir nach einer Weile vorstellten, da sagte die Frau: „Ich bin auch Fachfrau“ und versuchte sich damit anzubiedern. Bis dann meine Frau nochmal fragte: „Sagen Sie, von welcher Fraktion aus dem sächsischen Landtag sind Sie eigentlich?“ Und da sagte sie: „Na, von der AFD.“ Und da war dann unsere Gastfreundschaft doch relativ bald zu Ende. Natalie Putsche: Mussten Sie sie raus schieben oder ist sie freiwillig wieder gegangen? Markus Nierth: Sie hat das gemerkt, dass sie nicht mehr willkommen war. Natalie Putsche: Sie widmen sich auf den letzten Seiten Ihres Buches der Beschreibung der Bürger, die Sie umgeben und deren Haltung eben auch. Die Namen sind verändert, Sie beschreiben die Biographien dieser Menschen, Sie loben die, die trotz Ihrer eigenen, sagen wir mal harten Lebensumstände offen und freundlich geblieben sind. Und es wirkt so, als ob Sie auch den Anderen, den offensichtlich fremdenfeindlichen, immer noch irgendwo eine Art Verständnis entgegenbringen. Wo bitte nehmen Sie das her? Markus Nierth: Also her nehmen tue ich es daraus, dass ich selber merke, dass ich laufend immer wieder auf Gnade und Vergebung angewiesen bin. Ich selber mache viele Fehler, ich versuche meine Fehler zu reflektieren und daraus zu lernen. Und deswegen kann ich selbstverständlich auch Fehler, und gerade, wenn jemand sagt „Entschuldigung“, von anderen Leuten annehmen. Das ist der Knackpunkt und ich merke, dass ich wirklich die Leute lieb habe, weil ich wirklich mit ihnen aufgewachsen bin, zumindest ihre Kultur kenne, nachvollziehen kann, warum sie so geworden sind, dass sie niemals das politische Diskutieren, aber auch das geistige Reflektieren nicht gelernt haben. Dass viele einfach bildungsmäßig nicht viel mitbekommen haben, dass sie nicht so ein Elternhaus haben durften wie ich, und dass sie damit automatisch nie auch Freundschaft oder einen Draht zu dieser neuen Gesellschaftsform gefunden haben, die 1990 über sie kam. Die Demokratie ist hier nicht verankert. Das ist ein Irrtum, der in Berlin vorherrscht. Gerade in den ländlichen, abgehängten Gebieten, die ausgeplündert sind, ist die Demokratie nicht wirklich lebendig. Natalie Putsche: Eine Geschichte hat mich sehr berührt, von einem jungen Tröglitzer über den Sie da erzählen, den Sie mal mit auf eine Freizeit genommen haben glaube ich, zusammen mit einem Freund. Was hat Sie da so berührt an diesem Jungen, wo Sie 9 offensichtlich dem Leser ja so eine Hintergrundgeschichte mitgeben wollen von jemandem, der so ein bisschen aus einer perspektivlosen Ecke kommt. Markus Nierth: Ja, weil es mir so leid tut, wenn ich Jungen sehe, die junge Männer werden und von ihrem Elternhaus, gerade von ihrem Papa, keinen Rückhalt mitbekommen haben. Kein „du bist okay“, kein Lob, vielleicht weil der Vater selber mit sich selbst und seinem eigenem Inneren zu kämpfen hat und dass diese jungen Leute dann einen Halt suchen. Und die suchen Halt in Hitler und sie sagen: „Ich finde Hitler eigentlich ganz cool, der hat ja das und das gemacht...“ Natalie Putsche: Das war Günni, so haben Sie ihn genannt im Buch. Markus Nierth: Ja und sein Kumpel auch, also sie fanden das gar nicht so schlecht, weil damals wenigstens Ordnung im Laden war. Natalie Putsche: Wo haben Sie ihn mal ganz anders kennen gelernt? Markus Nierth: Als wir in Kroatien waren und er mir freudenstrahlend sagte: „Markus, ich bin jetzt zum ersten Mal am Wasser, am Meer.“ Und seine Augen so strahlten, wie ich es noch nie erlebt hatte und er dann mit mir zum Wasser rannte und sich aber vorher noch einen pinkfarbenen Schwimmring, als sechzehnjähriger Junge, als Rechtsradikaler, schnappte, um nicht zu ertrinken, er konnte nicht schwimmen. Und damit planschte er im Mittelmeer, mir kamen die Tränen damals. Natalie Putsche: War dieser Günni, den Sie im Buch so nennen, auch bei den Demonstrationen im Ort dabei? Markus Nierth: Wäre er vielleicht, aber er ist inzwischen schon durch Drogenkonsum zerstört. Natalie Putsche: Nach all Ihren Erfahrungen und Sie haben sich zum Thema sehr viele Gedanken gemacht inzwischen, werden auch immer wieder zu Podiumsdiskussionen, Vorträgen eingeladen, was denken Sie denn, wie sollte man diesen Menschen, den Fremdenhassern begegnen? Was brauchen die? Markus Nierth: Mich wundert und ärgert immer, dass alles nur an den Fremdenhassern und der Fremdenfeindlichkeit festgemacht wird. Unsere Gesellschaft ist schon viel länger in einer viel größeren Krise. Wir propagieren seit zwanzig Jahren ungehemmten EgoKult und Konsumsucht und Nebenwirkung von „ich zuerst“ ist eben dann automatisch auch bald „mein Land zuerst“. Und umso wichtiger ist es, dass auch eine neue Kultur 10 des Umgangs mit Schwäche und um Vergebung bitten umso wichtiger wird. Denn wo ist das noch erlaubt? In der Politik ist es nicht möglich, überall finden Schauspiel und Schaukämpfe statt und wenn es möglich wäre das wieder neu einzuüben, dass auch ein Schwächerer einfach sein darf und auch von seinen Ängsten erzählen kann, wäre viel gewonnen. Denn der eigentliche Grund, der dahinter steckt ist ja, dass die Menschen Angst haben nichts mehr wert zu sein. Wir müssten also den Menschen ihren Wert zurückgeben. Und dazu braucht es Kümmerer, eben Leute, die sich auch stärker fühlen als die Anderen, die sich zurückgelassen fühlen - und denen eben sagen: „Du bist so okay, wie du bist.“ Natalie Putsche: „Tröglitz ist überall“ heißt ein Kapitel bei Ihnen im Buch. Das heißt, überall in Deutschland hat es ja ähnliche Anfeindungen auf Bürgermeister, Politiker, Pfarrer und so weiter gegeben, weil sie die Arme für Flüchtlinge, eben auch wie Sie, geöffnet haben. Haben Sie mal Leidensgenossen in dem Sinne kontaktiert, Austausch gesucht, Trost auch zum Beispiel. Weil inzwischen muss das ja eine Riesentruppe sein, habe ich mir so vorgestellt? Markus Nierth: Leider gibt es inzwischen sehr viele angegriffene Politiker. Wir haben damals sehr viel Zuspruch bekommen von Bürgermeistern, die vor mir zurückgetreten waren und gesagt haben: „Das habe ich mich damals bloß nicht getraut, ich wollte halt mein soziales Umfeld nicht verlieren.“ Bis hin zu Petra Pau oder anderen Leuten, die selber ja täglich Morddrohungen kriegen und hier waren. Auf jeden Fall ein Zeichen, dass sehr viele Leute heute betroffen sind und dass es total an der Zeit ist, dass eine Mehrheit der Bürger aufsteht und sich gegen diese Gewalt ausspricht. Und dass nicht das fragile Schiff unserer freiheitlichen Gesellschaft kippt und absäuft. Natalie Putsche: Trotz allem sind wie geplant Flüchtlinge mittlerweile in Tröglitz. Müssen die ein Leben in Angst führen hier, gab es da schon Vorfälle von denen Sie wissen oder können die hier wirklich leben? Markus Nierth: Nein, wie wir es gehofft hatten überhaupt nicht in Angst. Sie fühlen sich wohl, es gab mal eine Anfeindung und sicherlich auch mal ein paar böse Blicke und Worte, aber es sind Familien, die sich Mühe geben, die lächeln und zurück gelächelt bekommen von den Einwohnern, die zum Teil sich beim Fußball mit einbringen im Verein und die auf den Straßen sich schon mal unterhalten. Also die Flüchtlinge, die fühlen sich eigentlich wohl und ein Teil möchte auch hier bleiben. Natalie Putsche: Das heißt, so viel Theater vorher und diese ganzen Anfeindungen, die Sie erlebt haben und jetzt läuft das reibungslos ab. Das kann man sich fast gar nicht vorstellen. Markus Nierth: Da wo Vernunft nicht mehr ausreicht, da ist umso wichtiger, dass die Menschen Erfahrungen machen können. Und so war es auch hier, die Menschen kennen kaum Ausländer, haben nun freundliche, absolut harmlose Ausländer kennen gelernt und 11 sagen nun zum Teil auch: „Wenn wir das gewusst hätten, wären wir nicht mit marschiert.“ Ein zweiter Teil ist aber, wird nun aus dem Weg geräumt, was falsch war, wird bekannt das war falsch oder wird nun ein Versuch der Versöhnung eingeschlagen, das ist ein Punkt, der aussteht, der wird wahrscheinlich doch wieder von uns ausgehen müssen, weil wir vielleicht da die Stärkeren sein sollen oder dürfen. Und wir selber, ich erlebe das von meiner Frau und mir, wir versuchen wieder innerlich Fuß zu fassen und wieder Kümmerer zu werden, weil wir merken, wir können helfen, wir können Mut machen. Denn die Zeiten, die werden schwieriger werden, das wird sich nicht nur an Flüchtlingen festmachen, was an harten Zeiten auf uns wohl zukommen wird. Natalie Putsche: Abschließend, wie geht es Ihnen und Ihrer Frau heute in Tröglitz? Gibt es noch so was wie ein Sich-Zuhause-Fühlen hier oder ein Wieder-Sich-Zuhause-Fühlen? Markus Nierth: Also wir fühlen uns in unserem Hof wohl, das ist unsere große Festung, die unser Familienstandpunkt ist und die ist ja auch wunderschön, romantisch. Und was die Zeit bringt, ob da ein Heilungsprozess mit dem Ort eintritt oder nicht, das können wir natürlich noch nicht abschätzen. Natalie Putsche: Aber das gärt noch, also das ist noch nicht geheilt? Diese Wunden brauchen noch ein bisschen? Markus Nierth: Das hat ein Mann treffend zusammengefasst, der sagte, als er nach dem Buch von dem Nierth gefragt wurde: „Das war das Schlimmste, was der machen konnte. Jetzt muss der da auch sich nochmal wichtig machen und ein Buch schreiben. Da hätte doch über das Brandhaus eine Plane gereicht und gut ist.“ Und eine andere Frau sagt, und das zeigt den Zwiespalt in unserem Ort auf: „Wenn das nicht aufgearbeitet wird und wenn das nicht verarbeitet wird, wenn nicht benannt wird was falsch ist, dann können wir doch nicht draus lernen, ich selber habe doch auch den Krieg erlebt.“ In diesem Spannungsfeld leben wir weiterhin und das ist ja auch eine Frage, die sich unsere gesamte Gesellschaft stellen muss. Natalie Putsche: Herr Nierth, vielen Dank für dieses Gespräch. Alles Gute. Markus Nierth: Ja, ich danke Ihnen auch. Alles Gute für Sie. 12
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