Tröglitz ist überall

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Tandem
Tröglitz ist überall
Über Hassattacken und warum der Ex-Bürgermeister Markus Nierth
trotzdem im Ort bleibt
Das Gespräch führt Natalie Putsche
Sendung: Freitag, 13. Januar 2017, 10.05 Uhr
Redaktion: Petra Mallwitz
Produktion: SWR 2017
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TRÖGLITZ IST ÜBERALL
Natalie Putsche:
Herr Nierth, wann sind Sie das letze Mal angefeindet worden, so ganz im normalen
Alltag?
Markus Nierth:
Als ich einen Stinkefinger aus einem Auto heraus gezeigt bekommen habe, ist
gerade mal ein paar Wochen her. Man ist immer unter Beobachtung und dann ist
aber auch mal der Gedanke dabei: Musst du dich vorsehen? Könnte was passieren?
Es ist Feind oder Freund.
Natalie Putsche:
Sind Sie dann wieder schneller geworden, auch inzwischen mit dem Erkennen von
Feind oder Freund,oder sind Sie wollmöglich leider misstrauischer geworden?
Markus Nierth:
Meine Menschenkenntnis hat da ja im letzten Jahr offensichtlich nicht ausgereicht.
Also ich bin misstrauischer geworden, aber versuche bewusst mein Herz nicht zu
verbittern, sondern offen zu halten. Das hilft mir, nicht hart zu werden.
Natalie Putsche:
Die Höhepunkte der Anfeindungen des Brandanschlages auf das geplante
Flüchtlingsheim und Ihres Rücktritts sind jetzt eben so knapp eineinhalb bis zwei
Jahre her. Sie wohnen immer noch im gleichen Ort, Sie wohnen immer noch im
gleichen Haus, ein ehemaliger Gasthof, den Sie umgebaut haben mit Ihrer Frau.
Welche Worte, welche Begegnung hat sich besonders schmerzlich in Erinnerung
eingebrannt bei Ihnen aus dieser Zeit heraus?
Markus Nierth:
Also nicht unbedingt die Demonstration, die damals begann, sondern eher das
Wegducken von Bekannten, die mir eigentlich ans Herz gewachsen waren, von
Menschen zu denen ich Beziehungen hatte, unter anderem etwa ein Mensch der
CDU, der mich damals ins Amt geworben hatte und den ich seit vielen Jahren kenne
und der auf einmal, obwohl er vorher noch mit Blumenstrauß oder zum Geburtstag
da war oder mit mir Bierchen trank, auf einmal weggetaucht war, nachdem die
Morddrohungen und die ganze politische Thematik auftauchte. Da war ich plötzlich
alleine und bekam keinen Anruf, bekam kein Nachfragen, gar nichts.
Natalie Putsche:
War die Demonstration das, was das Fass zum Überlaufen gebracht hat? Das war
die Demo, die vor Ihrem Haus stattfinden sollte. War das ein Aufmarsch von
Rechten?
Markus Nierth:
Also dass Demonstrationen kommen, hatte ich eigentlich erwartet, deswegen hatte
ich damals auch den Informationsbrief geschrieben, um das zu verhindern, was nicht
ganz gelungen ist. Aber es hat dazu geführt, dass durch weitere Informationsbriefe,
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die wir im Ort verteilt haben, die absolute Mehrzahl der Tröglitzer zuhause geblieben
ist, dass dann nur noch zwanzig, dreißig bei der zweiten, dritten Demo mitgelaufen
sind, weil die Leute verstanden haben, dass das wirklich die NPD ist, die die Leute
da anführt. Und dass dann die perfide Idee aufkam, uns als Familie heimzusuchen,
um es uns zu zeigen, um uns zu bedrohen, weil wir das einzig sichtbare Feindbild
waren, bei der achten Demonstration, das war der eigentliche Grund gewesen für
den Rücktritt. Dass die vor unser Haus wollten, aber vor allem das Landratsamt das
nicht verhindert hat.
Natalie Putsche:
Ist es denn zu dieser Demonstration gekommen oder konnte man das irgendwie
noch abwenden? Also Sie sind ja vorher zurückgetreten, ja?
Markus Nierth:
Das war ja das Verrückte. Es wäre zu dieser Demonstration gekommen. Es hätten
120 Rechtsradikale vor meinem Haus rumgetobt, hätten ihre Abschlusskundgebung
vor den Kinderzimmern gehalten, wenn ich nicht zurückgetreten wäre. Das
Landratsamt und die Behörde hätten uns nicht davor geschützt, sondern erst als das
Landratsamt der NPD mitteilte, dass ich zurückgetreten sei, strich die zufrieden die
Segel und schrieb dann intern auf ihren Seiten: „Nun auf zum nächsten
Bürgermeister“.
Natalie Putsche:
Was gehen einem da für Gedanken durch den Kopf, wenn man so was liest?
Markus Nierth:
Eine absolute Wut erstmal, dass damals das Landratsamt so versagt hat, was nicht
nötig wäre, wir haben uns wirklich als Ehrenamtliche aufgeopfert, haben versucht
nahe zu bringen, was der Job des Landkreises ist, die Flüchtlingsunterbringung. Aber
auch die Wut, dass die Rechten so dreist sind und dass einige Einwohner so dumm
sind, dass sie da mitgehen und Familien was Böses tun, Familien einschüchtern.
Und deswegen kam auch die Wut hoch. Zum Einen klar zu sagen, der Grund sind
nicht eigentlich die Rechten, sondern das Versagen der Behörden. Und B, bitte passt
auf, dass es nicht wieder passiert. Die wollen ja jetzt die nächste Familie
beeindrucken. Es muss was passieren. Deswegen sind wir an die Medien damals
gegangen und die waren ja nun zuhauf da gewesen.
Natalie Putsche:
Ihnen wurde natürlich auch Mediengeilheit unter anderem vorgeworfen. Haben Sie
irgendwann noch gewusst zwischendurch was richtig ist, was falsch, was Sie da
sagen und in Interviews zum Beispiel erklären sollen. Steht man da nicht irgendwann
völlig verwirrt vor so einem Mikrofon und denkt: „Am besten sage ich lieber gar nichts
mehr“?
Markus Nierth:
Also erwartet hätte ich einen Zeitungsartikel in der Örtlichen. Dass das so hoch pusht
hätte niemand von uns erwartet, das ging ja bis zur „New York Times“ oder bis nach
Japan. Aber der Knackpunkt ist ja, dass laufend neue Ereignisse kamen, wo Leute
geschwiegen haben und wir was erklären mussten. Erst habe ich die Tröglitzer dann
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in Schutz genommen, weil sie pauschal als braun dargestellt wurden, dann wollte ich
andere Bürgermeister, Ehrenamtliche beschützen und habe den Mund aufgemacht.
Und dann ging es weiter mit diesem Brand.
Natalie Putsche:
Als dieser Anschlag verübt wurde, war zu dem Zeitpunkt noch ein Ehepaar im
Erdgeschoss, das in nächster Zeit ausziehen sollte, so war es geplant. Die beiden
sind gerade nochmal unverletzt rausgekommen, weil eine Nachbarin das, glaube ich,
früh genug gemerkt hat, mit dem Brand. Das heißt also, da wurde sogar ein Mord in
Kauf genommen. Sind eigentlich die Täter gefasst worden?
Markus Nierth:
Leider nicht. Das wäre sehr wichtig gewesen, aber trotz hohen Aufwands, die Polizei
hatte wirklich gute Arbeit geleistet, ist das nicht gelungen. Es können die Rechten, in
Anführungsstrichen, gewesen sein, es kann aber auch ein Bürger aus der Umgebung
gewesen sein. Die meisten Brände in Deutschland gegen Flüchtlingsheime sind ja
von so genannten Normalobürgern ausgegangen. Und was Entscheidendes, was
uns später ein Aussteiger aus der rechten Szene erklärte, ist... „Markus“, hat er
gesagt, „sei froh, dass die Medien sich so um euch gekümmert haben, dass das so
beachtet wurde. Denn dadurch seid ihr an die Öffentlichkeit gelangt und das hat euch
wirklich vor den Rechten geschützt, die hätten euch fertig gemacht.“
Natalie Putsche:
Im Buch nennen Sie so was wie eine stumme Hinrichtung. Was genau hat Ihnen das
Gefühl gegeben, dass Sie hingerichtet werden in Tröglitz? In Ihrem Ort, wo Sie seit
über zwanzig Jahren immerhin wohnen?
Markus Nierth:
Nun das war eine spezielle Situation, die ich extra in dem Buch auch separat
beschrieben habe. Eine Versammlung der Einwohner, der Nachbarn, wo einzelne
Nachbarn, mit denen ich wirklich per du bin über zwei Jahrzehnte, mich so übel
behandelt haben, dass ich wirklich innerlich gestorben bin.
Natalie Putsche:
Wie haben die Sie behandelt?
Markus Nierth:
Also das ist schwer zu sagen, es war so viel Lüge im Raum und Reden in der dritten
Person über mich, obwohl man mich hätte direkt ansprechen können.
Natalie Putsche:
Sie waren im Raum mit dabei?
Markus Nierth:
Ich war im Raum und Leute, die regten sich tierisch auf über die Öffentlichkeit und
den falschen Ruf des Ortes und dass es ja niemanden im Ort gäbe, der was gegen
Asylberber hätte. Und dieser Satz wurde dreimal wiederholt von einem offensichtlich
fremdenfeindlichen Menschen, der mir früher relativ bekannt war, und niemand
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widersprach. Und dieses gehetzte Gemurmel der Menge, der aufgebrachten Menge,
das hat mich erahnen lassen wie früher so was wie Progrome entstanden sind. Wie
eine Menge murmelt und sich selber bestätigt, obwohl sie eigentlich feige ist, aber
dann zu bösen Tat übergeht. Und wenn sie gekonnt hätten, hätte ich mir da auch
eine böse Tat vorstellen können.
Natalie Putsche:
Das heißt, Ihnen ist der Gedanke an einen Mob zum Beispiel gekommen?
Markus Nierth:
Den Mob haben wir erlebt, das kann man sagen.
Natalie Putsche:
Somit das Schlimmste, was ich mir ehrlich gesagt vorstellen kann, wenn man
irgendwo lebt, dass man Angst haben muss, dass so eine aufgewühlte Menge
plötzlich hinter einem her ist. Aber so haben Sie sich gefühlt?
Markus Nierth:
Ja, also das war ein Lebensgefühl gewesen. Dass eine Menge, die eigentlich
schweigt, aggressiv werden kann. Und das ist ja nun überall in Deutschland zu
erleben. Und was für uns das eigentlich Wichtige ist, dass wir uns fragen: „Wie
konnte es so weit kommen?“ Deswegen habe ich auch versucht das in dem Buch zu
verarbeiten. Und was kann man dagegen tun? Denn die Mehrzahl der Menschen
sind ja nicht irgendwie anders oder böse, sondern sie haben gute Herzen. Ich weiß
das, ich kann das deswegen so deutlich sagen, weil ich sie ja kennenlerne als
Trauerredner.
Natalie Putsche:
Wie lange standen Polizeiwagen vor Ihrer Haustür, Tag und Nacht?
Markus Nierth:
Fast ein Dreivierteljahr. Es war so, dass der Schutz verstärkt wurde, weil die
Morddrohungen dann noch mehr wurden und auch die Polizeistreife ums Haus
herumlief.
Natalie Putsche:
Mit was für einem Gefühl sind Sie aus dem Haus gegangen? Sie haben ja jetzt
keinen Bodyguard permanent gehabt, sondern Sie mussten Ihrer Arbeit nachgehen,
das heißt, Sie hatten im Ort zu tun und sind dort Leuten begegnet. Mit was für einem
Gefühl sind Sie aus der Haustür rausgegangen?
Markus Nierth:
Jeder Tag hat sehr viel Kraft gekostet. Die Nächte waren schon manchmal
durchheult und durchkämpft, wir haben ganz viel diskutiert meine Frau und ich. Und
der Knackpunkt ist, dass ich draußen natürlich auch..., dass ich da Angst hatte. Dass
ich aufgepasst habe, gelernt habe mich umzublicken, zu überlegen wohin ich fahre,
die Wege zu wechseln, wenn ich mit dem Hund spazieren gehe. Bis hin, dass ich
mich selbst beim Einkaufen umgucke, wer hinter mir im Gang läuft. Das ist
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wahrscheinlich normaler Reflex und das noch Schlimmere ist, man gewöhnt sich an
diese Gefährdung, das sagen ja viele.
Natalie Putsche:
Sie sind so ein bisschen zu so einer, nicht für alle in Tröglitz, aber für einige, persona
non grata im Ort geworden. Und diese Unbeliebtheit hat auch dazu geführt, dass sich
das wirtschaftlich bemerkbar gemacht hat bei Ihnen und bei Ihrer Frau.
Markus Nierth:
Ja, das ist das Verrückte, dass zum Teil Leute durch den Ort gegangen sind und
gesagt haben: „Geht dort nicht mehr zur Tanzschule.“ Und eine Frau dann eines
Tages auftauchte, die ganz begeistert ihre Tochter geschickt hatte. Und dann aber
meine Frau nachfragte, warum denn die Tochter jetzt nicht mehr kommen will und die
Frau erklärte, das liegt daran, dass die Eltern der besten Freundin gesagt haben:
„Ne, ne, wenn ihr da weiter hingeht, dann wollen wir mit euch nichts mehr zu tun
haben.“ Da fragt man sich, über wen ist man wütender? Über die Leute, die da
gehetzt haben oder über die Leute, die so feige sich wegducken? Und wenn dreißig
Prozent der Einnahmen wegbrechen, auch bei mir als Trauerredner, also auch von
Leuten, die mich früher begeistert gebucht haben, die ein gutes Einkommen haben,
aber dann mich plötzlich nicht mehr wollen, obwohl ein persönlicher Draht bestand,
da fragt man sich schon, warum denn nicht zwischen fachlicher Kompetenz und
politischer Einstellung da unterschieden wird.
Natalie Putsche:
Haben Sie versucht die Leute, zumindest die, die einem zumindest ein bisschen am
Herzen liegen, zur Rede zu stellen, warum sie so reagieren, wie sie reagieren auf
Sie?
Markus Nierth:
Also die Leute reagieren nicht offen, viele sind ja viel zu feige. Auch hier regiert das
Schweigen, so dass ich mich kaum direkt verteidigen konnte. Wenn ich
angesprochen worden wäre, hätte ich wenigstens reden können. Ich muss ja immer
mutmaßen bis heute. Und so spare ich mir meine Kraft, denn es kostet natürlich Kraft
Menschen zu begegnen, jedes Mal einzuschätzen, wo steht der eigentlich, ist das
Lächeln echt oder nicht? Und die Gefahr, dass das Misstrauen das Herz vergiftet ist
viel größer.
Natalie Putsche:
Können Sie sagen was Ihnen zum Beispiel gefehlt hat zu der Zeit? Was für eine Art
Gesprächspartner oder was für eine innige Beziehung? Sie haben sich, Sie haben
Ihre Frau, Sie haben sieben Kinder, wenn ich das richtig gelesen hab? Die Familie ist
da, die steht natürlich komplett hinter einem, aber trotzdem, da wird es bestimmt
irgendwas gegeben haben, wo Sie gedacht haben, hätte man jetzt das und das oder
wäre das jetzt so und so, dann wäre das vielleicht leichter?
Markus Nierth:
Ach, das war eigentlich trotzdem erträglich, weil wir viele Freunde dazu gewonnen
haben. Es sind auch viele gerade von außerhalb gekommen, ein paar aus dem Ort,
die tapfer mit gegen gehalten haben und die gesagt haben: „Wir stellen uns neben
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euch, damit ihr nicht mehr alleine Zielscheibe seid.“ Das war toll und heldenhaft und
diese Freundschaften haben wir Gott sei Dank bis heute. Gefehlt haben die Politiker
und zwar die mutigen. Vom Bundestagsabgeordneten vor Ort, ob der CDU oder
anderen. Und wir mussten auch unser politisches Weltbild etwas sortieren, denn es
waren vor allem die Linken und auch die Grünen, die da waren, die sich zu uns
gestellt haben und die auch den Mund aufgemacht haben. Das Wegducken der
politischen Kaste, gerade der regierenden Parteien, das hat uns sehr enttäuscht.
Natalie Putsche:
Zu dem Zeitpunkt, als schon die Bedrohung da war und Sie Morddrohungen
bekommen haben und ganz furchtbar schlimme Post mit Fäkalien drinnen. Haben
Sie da schon gedacht: „Hätte ich mal was anders gemacht“?
Markus Nierth:
Also Wegducken war noch nie meine Stärke, ich war schon als Jugendlicher
oppositionell reingewachsen durch den Pfarrhaushalt in dem ich aufgewachsen bin.
Ich hatte immer schon politisch Ärger mit der DDR-Diktatur, ich habe sie als üble
menschenverachtende Diktatur erlebt, habe das auch so benannt und war deswegen
auch immer schon sicher etwas außerhalb der eigentlichen Menge gewesen. Und
was sollte ich anderes machen außer zu Mitmenschlichkeit aufzurufen und zu bitten,
das habe ich ja gemacht, zu bitten: „Bitte empfangt die Fremden freundlich“. Mehr
habe ich nicht gemacht. Und dass dafür Hass reinkommt, nun gut, dann habe ich das
halt einzustecken, aber letztendlich ist doch das Gewissen, das Herz das Höchste,
was ich niemals verraten möchte.
Natalie Putsche:
Sind Sie denn nie morgens aufgewacht und haben zu Ihrer Frau sagen wollen: „Du,
jetzt habe ich es mir wirklich überlegt, lass und konkret darüber sprechen, wir ziehen
hier weg. Wir bauen uns wo anders was wir hatten neu auf und dann wird es
vielleicht wieder harmonischer“?
Markus Nierth:
Nicht nur einmal, zig mal. Wir waren bereit, wirklich alles Materielle, wie diesen
riesigen Gasthof, der ja aus vier Gebäuden besteht, aufzugeben,- und für Verlust zu
verschleudern, weil wir uns gefragt haben: Was brauchen unsere Kinder, ist es für
unsere Kinder gut? Da waren zwei Punkte, die uns, drei Punkte, die uns abgehalten
haben. Der eine ist, dass unsere Kinder sagen: „Papa, lass uns hier bleiben. Die
nächste Generation ist schon gar nicht mehr so drauf.“ Und das Zweite war, dass wir
gemerkt haben, dass auch woanders wir auch wieder auf eine Gesellschaft treffen,
die auch gespalten ist, wo die Menschen sich vielleicht noch besser versteckt haben
hinter ihren Fassaden. Und das Dritte war unser Glauben. Dass wir merken, wir sind
da, so lange wie wir hin gerufen werden und wir gehen da wieder weg, wenn uns
ganz klar gesagt wird: „Euer Platz ist wo anders.“ Und so aktiv ist schon, und so
lebendig ist schon unser Glaubensleben, dass wir genau wissen, wo unser Platz ist.
Natalie Putsche:
Und der ist offenbar immer noch hier in Tröglitz.
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Markus Nierth:
Eindeutig, wir haben als Familie, nach einem Familienrat dann beschlossen, als es
einen Pat gab: Okay, so lange es nicht eine ganz klare Stimme gibt und eine ganz
klare Stimmung gibt, bleiben wir hier.
Natalie Putsche:
Sie haben es vorhin schon kurz angedeutet, wie sind Ihre Kinder damit umgegangen
in dieser Zeit? Wie haben Sie Ihre Kinder erlebt? Die haben ja auch von diesen
Anfeindungen auch was mitbekommen durchaus?
Markus Nierth:
Die sind die eigentlichen Helden in dieser Geschichte. Die Großen, die von außen
mitgebibbert haben, weil sie die ganzen Geschichten aus den Medien hörten und die
Jüngeren, gerade die Mädels bis hin zum Siebenjährigen, die hier vor Ort vieles
erdulden mussten, die untereinander auch so manche Tränen geweint haben, die wir
dann nur noch getrocknet haben, die wir am Rande mitbekommen haben. Wir haben
sicher viele Gespräche gehabt, aber die Kinder sind auch unvorstellbar gereift in
dieser Zeit und Gott sei Dank nicht zerbrochen.
Natalie Putsche:
Ihre Kinder haben auch Morddrohungen mitbekommen gegen Sie?
Markus Nierth:
Als die erste ekelhafte Morddrohung reinkam, las meine Frau den Brief gerade und
brach natürlich in Tränen aus, weil das so eine fürchterliche Wortwahl war. Und
unser Siebenjähriger, damals Fünfjähriger stand dabei und fragte: „Mama, was ist
denn los?“ Und wir mussten dann unserer Tochter zu Ihrem sechzehnten
Geburtstag, der bei uns eigentlich ganz heilig ist und groß gefeiert wird, erzählen,
dass Morddrohungen gegen mich vorliegen.
Natalie Putsche:
Darf ich noch mal kurz nachfragen, was genau stand denn in diesem Brief, was war
die Wortwahl, was sticht dann so ins Herz, wenn man das hört?
Markus Nierth:
Ich glaube: „Pfarrer, wir holen dich. Du Schande der weißen Rasse und werden dich
an ein Kreuz nageln und du wirst elendig brennen.“ Also eine von diesen Sachen
zum Beispiel, unterschrieben vom Ku-Klux-Klan Deutschland, den es ja wirklich gibt.
Bis hin zu Leuten aus der Umgebung, die mit dem Baseball-Schläger gedroht haben,
dass sie mein blödes Köpfchen bald zertrümmern werden, aber eben auch diese
Fäkalbriefe, die meine Frau aufgemacht hat, weil sie an sie adressiert waren und sie
wirklich in Kot rein fassen musste. Und das als künstlerischer Mensch, war natürlich
zutiefst betroffen und angeekelt. Das hat Tage gedauert, dann kam der nächste Brief
und so gingen über Wochen hinweg Fäkalbriefe ein, offensichtlich aus unserem
näheren Umfeld, die uns so hassen, dass sie uns weghaben möchten und Kot
zuschicken mit dem Schriftzug innen drinnen: „Gülle für euch, Lügenpaar Nierth
verzieht euch aus Tröglitz.“
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Natalie Putsche:
Sie beschreiben in Ihrem Buch auch eine Szene, da steht Frauke Petry bei Ihnen im
Hausflur.
Markus Nierth:
Das war ja im März 2015, da war die noch nicht so bekannt und da standen zwei, mit
dunkelblauen Anzügen bekleidete Leute vor der Tür, meine Frau ließ sie rein. Sie
sagten, dass sie Landtagsabgeordnete sind und ich dachte erst das seien
Mormonen, weil sie so dunkelblau angezogen waren, und als sie sich dann mir nach
einer Weile vorstellten, da sagte die Frau: „Ich bin auch Fachfrau“ und versuchte sich
damit anzubiedern. Bis dann meine Frau nochmal fragte: „Sagen Sie, von welcher
Fraktion aus dem sächsischen Landtag sind Sie eigentlich?“ Und da sagte sie: „Na,
von der AFD.“ Und da war dann unsere Gastfreundschaft doch relativ bald zu Ende.
Natalie Putsche:
Mussten Sie sie raus schieben oder ist sie freiwillig wieder gegangen?
Markus Nierth:
Sie hat das gemerkt, dass sie nicht mehr willkommen war.
Natalie Putsche:
Sie widmen sich auf den letzten Seiten Ihres Buches der Beschreibung der Bürger,
die Sie umgeben und deren Haltung eben auch. Die Namen sind verändert, Sie
beschreiben die Biographien dieser Menschen, Sie loben die, die trotz Ihrer eigenen,
sagen wir mal harten Lebensumstände offen und freundlich geblieben sind. Und es
wirkt so, als ob Sie auch den Anderen, den offensichtlich fremdenfeindlichen, immer
noch irgendwo eine Art Verständnis entgegenbringen. Wo bitte nehmen Sie das her?
Markus Nierth:
Also her nehmen tue ich es daraus, dass ich selber merke, dass ich laufend immer
wieder auf Gnade und Vergebung angewiesen bin. Ich selber mache viele Fehler, ich
versuche meine Fehler zu reflektieren und daraus zu lernen. Und deswegen kann ich
selbstverständlich auch Fehler, und gerade, wenn jemand sagt „Entschuldigung“, von
anderen Leuten annehmen. Das ist der Knackpunkt und ich merke, dass ich wirklich
die Leute lieb habe, weil ich wirklich mit ihnen aufgewachsen bin, zumindest ihre
Kultur kenne, nachvollziehen kann, warum sie so geworden sind, dass sie niemals
das politische Diskutieren, aber auch das geistige Reflektieren nicht gelernt haben.
Dass viele einfach bildungsmäßig nicht viel mitbekommen haben, dass sie nicht so
ein Elternhaus haben durften wie ich, und dass sie damit automatisch nie auch
Freundschaft oder einen Draht zu dieser neuen Gesellschaftsform gefunden haben,
die 1990 über sie kam. Die Demokratie ist hier nicht verankert. Das ist ein Irrtum, der
in Berlin vorherrscht. Gerade in den ländlichen, abgehängten Gebieten, die
ausgeplündert sind, ist die Demokratie nicht wirklich lebendig.
Natalie Putsche:
Eine Geschichte hat mich sehr berührt, von einem jungen Tröglitzer über den Sie da
erzählen, den Sie mal mit auf eine Freizeit genommen haben glaube ich, zusammen
mit einem Freund. Was hat Sie da so berührt an diesem Jungen, wo Sie
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offensichtlich dem Leser ja so eine Hintergrundgeschichte mitgeben wollen von
jemandem, der so ein bisschen aus einer perspektivlosen Ecke kommt.
Markus Nierth:
Ja, weil es mir so leid tut, wenn ich Jungen sehe, die junge Männer werden und von
ihrem Elternhaus, gerade von ihrem Papa, keinen Rückhalt mitbekommen haben.
Kein „du bist okay“, kein Lob, vielleicht weil der Vater selber mit sich selbst und
seinem eigenem Inneren zu kämpfen hat und dass diese jungen Leute dann einen
Halt suchen. Und die suchen Halt in Hitler und sie sagen: „Ich finde Hitler eigentlich
ganz cool, der hat ja das und das gemacht...“
Natalie Putsche:
Das war Günni, so haben Sie ihn genannt im Buch.
Markus Nierth:
Ja und sein Kumpel auch, also sie fanden das gar nicht so schlecht, weil damals
wenigstens Ordnung im Laden war.
Natalie Putsche:
Wo haben Sie ihn mal ganz anders kennen gelernt?
Markus Nierth:
Als wir in Kroatien waren und er mir freudenstrahlend sagte: „Markus, ich bin jetzt
zum ersten Mal am Wasser, am Meer.“ Und seine Augen so strahlten, wie ich es
noch nie erlebt hatte und er dann mit mir zum Wasser rannte und sich aber vorher
noch einen pinkfarbenen Schwimmring, als sechzehnjähriger Junge, als
Rechtsradikaler, schnappte, um nicht zu ertrinken, er konnte nicht schwimmen. Und
damit planschte er im Mittelmeer, mir kamen die Tränen damals.
Natalie Putsche:
War dieser Günni, den Sie im Buch so nennen, auch bei den Demonstrationen im Ort
dabei?
Markus Nierth:
Wäre er vielleicht, aber er ist inzwischen schon durch Drogenkonsum zerstört.
Natalie Putsche:
Nach all Ihren Erfahrungen und Sie haben sich zum Thema sehr viele Gedanken
gemacht inzwischen, werden auch immer wieder zu Podiumsdiskussionen, Vorträgen
eingeladen, was denken Sie denn, wie sollte man diesen Menschen, den
Fremdenhassern begegnen? Was brauchen die?
Markus Nierth:
Mich wundert und ärgert immer, dass alles nur an den Fremdenhassern und der
Fremdenfeindlichkeit festgemacht wird. Unsere Gesellschaft ist schon viel länger in
einer viel größeren Krise. Wir propagieren seit zwanzig Jahren ungehemmten EgoKult und Konsumsucht und Nebenwirkung von „ich zuerst“ ist eben dann automatisch
auch bald „mein Land zuerst“. Und umso wichtiger ist es, dass auch eine neue Kultur
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des Umgangs mit Schwäche und um Vergebung bitten umso wichtiger wird. Denn wo
ist das noch erlaubt? In der Politik ist es nicht möglich, überall finden Schauspiel und
Schaukämpfe statt und wenn es möglich wäre das wieder neu einzuüben, dass auch
ein Schwächerer einfach sein darf und auch von seinen Ängsten erzählen kann,
wäre viel gewonnen. Denn der eigentliche Grund, der dahinter steckt ist ja, dass die
Menschen Angst haben nichts mehr wert zu sein. Wir müssten also den Menschen
ihren Wert zurückgeben. Und dazu braucht es Kümmerer, eben Leute, die sich auch
stärker fühlen als die Anderen, die sich zurückgelassen fühlen - und denen eben
sagen: „Du bist so okay, wie du bist.“
Natalie Putsche:
„Tröglitz ist überall“ heißt ein Kapitel bei Ihnen im Buch. Das heißt, überall in
Deutschland hat es ja ähnliche Anfeindungen auf Bürgermeister, Politiker, Pfarrer
und so weiter gegeben, weil sie die Arme für Flüchtlinge, eben auch wie Sie, geöffnet
haben. Haben Sie mal Leidensgenossen in dem Sinne kontaktiert, Austausch
gesucht, Trost auch zum Beispiel. Weil inzwischen muss das ja eine Riesentruppe
sein, habe ich mir so vorgestellt?
Markus Nierth:
Leider gibt es inzwischen sehr viele angegriffene Politiker. Wir haben damals sehr
viel Zuspruch bekommen von Bürgermeistern, die vor mir zurückgetreten waren und
gesagt haben: „Das habe ich mich damals bloß nicht getraut, ich wollte halt mein
soziales Umfeld nicht verlieren.“ Bis hin zu Petra Pau oder anderen Leuten, die
selber ja täglich Morddrohungen kriegen und hier waren. Auf jeden Fall ein Zeichen,
dass sehr viele Leute heute betroffen sind und dass es total an der Zeit ist, dass eine
Mehrheit der Bürger aufsteht und sich gegen diese Gewalt ausspricht. Und dass
nicht das fragile Schiff unserer freiheitlichen Gesellschaft kippt und absäuft.
Natalie Putsche:
Trotz allem sind wie geplant Flüchtlinge mittlerweile in Tröglitz. Müssen die ein Leben
in Angst führen hier, gab es da schon Vorfälle von denen Sie wissen oder können die
hier wirklich leben?
Markus Nierth:
Nein, wie wir es gehofft hatten überhaupt nicht in Angst. Sie fühlen sich wohl, es gab
mal eine Anfeindung und sicherlich auch mal ein paar böse Blicke und Worte, aber
es sind Familien, die sich Mühe geben, die lächeln und zurück gelächelt bekommen
von den Einwohnern, die zum Teil sich beim Fußball mit einbringen im Verein und die
auf den Straßen sich schon mal unterhalten. Also die Flüchtlinge, die fühlen sich
eigentlich wohl und ein Teil möchte auch hier bleiben.
Natalie Putsche:
Das heißt, so viel Theater vorher und diese ganzen Anfeindungen, die Sie erlebt
haben und jetzt läuft das reibungslos ab. Das kann man sich fast gar nicht vorstellen.
Markus Nierth:
Da wo Vernunft nicht mehr ausreicht, da ist umso wichtiger, dass die Menschen
Erfahrungen machen können. Und so war es auch hier, die Menschen kennen kaum
Ausländer, haben nun freundliche, absolut harmlose Ausländer kennen gelernt und
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sagen nun zum Teil auch: „Wenn wir das gewusst hätten, wären wir nicht mit
marschiert.“ Ein zweiter Teil ist aber, wird nun aus dem Weg geräumt, was falsch
war, wird bekannt das war falsch oder wird nun ein Versuch der Versöhnung
eingeschlagen, das ist ein Punkt, der aussteht, der wird wahrscheinlich doch wieder
von uns ausgehen müssen, weil wir vielleicht da die Stärkeren sein sollen oder
dürfen. Und wir selber, ich erlebe das von meiner Frau und mir, wir versuchen wieder
innerlich Fuß zu fassen und wieder Kümmerer zu werden, weil wir merken, wir
können helfen, wir können Mut machen. Denn die Zeiten, die werden schwieriger
werden, das wird sich nicht nur an Flüchtlingen festmachen, was an harten Zeiten auf
uns wohl zukommen wird.
Natalie Putsche:
Abschließend, wie geht es Ihnen und Ihrer Frau heute in Tröglitz? Gibt es noch so
was wie ein Sich-Zuhause-Fühlen hier oder ein Wieder-Sich-Zuhause-Fühlen?
Markus Nierth:
Also wir fühlen uns in unserem Hof wohl, das ist unsere große Festung, die unser
Familienstandpunkt ist und die ist ja auch wunderschön, romantisch. Und was die
Zeit bringt, ob da ein Heilungsprozess mit dem Ort eintritt oder nicht, das können wir
natürlich noch nicht abschätzen.
Natalie Putsche:
Aber das gärt noch, also das ist noch nicht geheilt? Diese Wunden brauchen noch
ein bisschen?
Markus Nierth:
Das hat ein Mann treffend zusammengefasst, der sagte, als er nach dem Buch von
dem Nierth gefragt wurde: „Das war das Schlimmste, was der machen konnte. Jetzt
muss der da auch sich nochmal wichtig machen und ein Buch schreiben. Da hätte
doch über das Brandhaus eine Plane gereicht und gut ist.“ Und eine andere Frau
sagt, und das zeigt den Zwiespalt in unserem Ort auf: „Wenn das nicht aufgearbeitet
wird und wenn das nicht verarbeitet wird, wenn nicht benannt wird was falsch ist,
dann können wir doch nicht draus lernen, ich selber habe doch auch den Krieg
erlebt.“ In diesem Spannungsfeld leben wir weiterhin und das ist ja auch eine Frage,
die sich unsere gesamte Gesellschaft stellen muss.
Natalie Putsche:
Herr Nierth, vielen Dank für dieses Gespräch. Alles Gute.
Markus Nierth:
Ja, ich danke Ihnen auch. Alles Gute für Sie.
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