Ernst Gehmacher FAST EIN PARTEIPROGRAMM POLITISCHE WEISHEIT IM PLAUDERTON Franz Fischler, Wolfgang Lutz: Zukunft denken, Werden es unsere Kinder besser haben?, Wien: Galila 2014, 169 Seiten Franz Fischler, der Politiker, und Wolfgang Lutz, der Sozialstatistiker, zwei Spitzenfachleute, führen ein Zwiegespräch über die großen Probleme unsrer Zeit, kompetent und persönlich, fern jedem Auftrumpfen. Und sie kommen fast überall zu gemeinsamen Schlüssen, wie in unsrer schwierigen, aber faszinierenden Wendezeit die Zukunft gestaltet werden sollte. Ihre Analysen sind fundiert, ihre Empfehlungen leuchten ein. Einige Beispiele seien hier textgetreu angeführt. „In etwa 40 Jahren werden 9 bis 10 Millionen Menschen die Welt bevölkern.“ (S 17) Was tun? „Bildung scheint der beste Geburtenregulator zu sein.“ (S 19) „Es muss uns gelingen, ein gutes Bildungsklima zu schaffen.“ (S 23) „Die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen hat verlautbart, dass Adipositas eine Pandemie ist.“ (S 43) „Die wichtigsten Prägungen passieren schon vor dem Kindergartenalter ... in Finnland hat man in jedem Dorf Eltern-Kind-Beratungszentren.“ (S 44) „Wie viel Bildung braucht der Mensch künftig – Matura für alle, Studium für alle?“ (S 80) „In Singapur haben über 80 Prozent eines Jahrgangs eine postsekundäre Ausbildung – nicht unbedingt einen universitären Abschluss, aber zumindest einen zweijährigen Kollegabschluss.“ (S 80) „1970 gab es in Österreich knapp zwei Millionen Pensionsbezieher, heute sind es 2,8 Millionen und wir gehen in großen Schritten auf 3 Millionen zu.“ (S 86) „Was gemacht gehört: Grundversorgung – Zusammenlegen von Pensionsbeiträgen mit der Steuer, weil sie im Prinzip ohnehin eine Steuer sind – Lösung des Pensionssystems von der berufsständischen Organisation.“ (S 93) „Es gibt viele Dörfer, in denen nur die wenig gebildeten Männer zurückbleiben.“ (S 96) „In Friesach in Kärnten, mit 5000 Einwohnern, wird die Schule zugesperrt und in ein Altersheim umgewandelt.“ (S 99) „Baumaßnahmen führen nicht zur erhofften Stimulation der Wirtschaft... Ob in Österreich die riesigen Investitionen in den Semmering-Basistunnel oder den Koralpen-Tunnel sinnvoll sind? Oder ob man das Geld nicht besser in Menschen investieren sollte? (S 102) „Ohne umfangreiche zusätzliche Maßnahmen zur Emissionsvermeidung ist bis 2100 im globalen Mittel ein Temperaturanstieg von 3 bis 5 Grad Celsius im Vergleich mit dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zu erwarten...in den letzten Jahren hat sich das Ausmaß der Natur-Schadensereignisse mehr als verdoppelt.“ (S 109 – 110) „Die hochentwickelten Staaten müssen ihre Emissionen um 80 Prozent zurückfahren, damit das globale Ziel erreicht werden kann. Aber zur Zeit kann sich kaum ein Politiker vorstellen, wie er das zuhause durchsetzen soll.“ (S 117) „Ein neuer Zweckoptimismus unter dem Begriff Green Growth – man will bis 2020 erreichen, dass die Treibhausbelastung um 20 Prozent weniger wird, indem der Anteil an erneuerbarer Energie um 20 Prozent steigt und die Energieeffizienz um 20 Prozent zunimmt.“ (S 120) „Der Klimawandel wird uns sicher großen Schaden zufügen, aber er wird die Menschheit nicht ausrotten – wir Menschen sind so zäh wie Ratten.“ (S 122) „Nächstes Jahr ist ein entscheidendes Jahr. Die UNO möchte die „Sustainability Goals“ beschließen, die an Stelle der Millenniumsziele treten, in Paris soll das neue WeltklimaAbkommen beschlossen werden und in Adis Abeba sollen neue Abmachungen über die Entwicklungs-Finanzierung getroffen werden.“ (S 123) „Aber .. die UNO vertritt nicht repräsentativ die Weltbevölkerung, sondern die nationalen Egoismen.“ (S 124) „Wir bräuchten eine moralische Stimme der Repräsentanten der Völker dieser Welt – ein Weltparlament.“ „Wir müssen die absolute Unantastbarkeit der Nationalstaaten hinterfragen.“ (S 125) „Ähnliches gilt für die durch und durch sinnvolle Finanztransaktionssteuer.“ „Heute macht die Realwirtschaft in Summe nur noch 3 Prozent des gesamten Finanzmarktvolumens aus.“ (S 126) „Migration ist per se nichts Ungewöhnliches oder gar Böses, sondern Teil des Menschseins. Fixe Landesgrenzen, innerhalb derer die Leute bleiben, weil sie dort geboren sind, hat es in der Menschheitsgeschichte kaum gegeben.“ (S 138) „Was wäre dem für die Integration verantwortlichen Minister zu empfehlen?“ (S 153) „eine rationale Zuwanderungspolitik ...regionale Verteilung...Integration vom Anfang her ... Kleinkinder sollten viel stärker gefördert werden...in den Schulen Förderstunden ... Jugendliche einbinden..“ (S 153) „Es ist über 30 Jahr her, dass die UNO-Vollversammlung beschlossen hat, dass die Industriestaaten 0,7 Prozent ihres BIP für die Entwicklungsarbeit zur Verfügung stellen ...Noch immer stehen wir bei 0,3 Prozent.“ (S 157) „Weltweit sind zirka 800 Millionen Menschen unterernährt oder vom Hunger bedroht.“ (S 159) „Für die letzte Verdoppelung der weltweiten Agrarproduktion hat man nur zwanzig Jahre benötigt. Nur 8 Prozent kamen aus dem Flächenzuwachs, 92 Prozent aus höheren Ernteerträgen. Allerdings haben wir einen schweren Fehler gemacht, die Intensivierung ist sehr stark auf Kosten der Umwelt erfolgt ... das neue Konzept heißt Nachhaltige Intensivierung. Es ist damit sehr wohl möglich, eine Welt mit 9 Milliarden Menschen zu ernähren.“ Die Probleme werden klar und hart dargestellt und die möglichen Lösungen programmatisch skizziert. Fast wie ein Parteiprogramm jenseits der Interessenpolitik, wissenschaftlich ohne Fachsprache, politisch ohne Polemik, sachlich und persönlich. Zu empfehlen!
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