DI Dr. Thomas Fent in der Versicherungsrundschau 7-8/2016

wissenschaft aktuell
CHANCEN uND HERAuSFORDERuNGEN FüR DiE VERSiCHERuNGSWiRTSCHAFT iN ZEiTEN DES DEMOGRAFiSCHEN WANDElS
Chancen und Herausforderungen
für die Versicherungswirtschaft in
Zeiten des demografischen
Wandels
Die Bevölkerung in den westlichen Industriestaaten – und damit auch in Österreich – ist
deutlichen Umwälzungen unterworfen. Der demografische Wandel ist ein langfristiger Prozess,
der weitreichende Veränderungen der Altersstruktur bewirkt. Die Alterung stellt das staatliche
Pensionssystem vor neue Herausforderungen, beeinflusst aber auch die Situation auf den
Geldmärkten und damit die Zinssätze.
Infolge der Alterung unserer Gesellschaft werden die zweite und dritte Säule des Pensionssystems in Zukunft eine
immer wichtigere Rolle spielen. Da diese
beiden Säulen im Gegensatz zum staatlichen Pensionssystem nicht auf dem
Umlageverfahren sondern auf dem
Kapitaldeckungsverfahren basieren,
sind sie von positiven Zinssätzen abhängig. Die Erhaltung unseres Wohlstands
steht und fällt in einer alternden Gesellschaft mit real positiven Zinssätzen.
Demografische Trends
Die Veränderung der Bevölkerung
erfolgt durch Geburten, Sterbefälle und
Migration. Seit dem Babyboom der
1960er-Jahre ist nicht nur die Geburtenrate gesunken, sondern auch das Alter,
56
versicherungsrundschau
ausgabe 7-8/16
in dem Frauen Kinder bekommen ist
angestiegen. Gleichzeitig steigt durch
medizinischen Fortschritt und verbesserte hygienische Bedingungen die
Lebenserwartung. Beide Veränderungen bewirken einen Anstieg des Durchschnittsalters der Bevölkerung – es
kommen weniger junge Menschen hinzu und die älteren Menschen verbleiben
länger in der Bevölkerung. Da Einwanderer im Durchschnitt jünger sind als die
bereits ansässigen Einwohner kann die
Migration den Alterungsprozess verlangsamen aber nicht gänzlich kompensieren.
Das wirkt sich auf die Zusammensetzung in puncto Erwerbsfähigkeit aus.
Der Anteil der Mitbürger im erwerbsfähigen Alter (20 bis 64 Jahre) lag 1981 bei
56,2 % und stieg durch die niedrige
Geburtenrate bis 2016 auf 61,9 %. In
Zukunft wird dieser Anteil wieder
abnehmen; gemäß Hauptvariante der
aktuellen Bevölkerungsprognose von
Statistik Austria bis 2051 auf 53,5 %.
Durch diese Verschiebungen wird das
umlagefinanzierte staatliche Pensionssystem unter Druck geraten und ergänzende kapitalgedeckte Versicherungen
werden ein zunehmend wichtigerer
Bestandteil der Altersvorsorge.
Zinsen im demografischen Wandel
Das Geschäftsmodell von Banken und
Versicherungen ruht auf dem Fundament der Zinsmarge – der Differenz zwischen dem Soll- und Habenzinssatz.
Bei negativen Zinssätzen funktioniert
www.versicherungsrundschau.at
wissenschaft aktuell
TExT Dr. Thomas Fent
dieses Geschäftsmodell nicht, so lange
Sparern die Matratze als alternative
Anlagestrategie zur Verfügung steht.
Angesichts der steigenden Bedeutung
von Banken und Versicherungen für die
Altersvorsorge verdient die Entwicklung
der Zinssätze besondere Aufmerksamkeit.
Leider erfüllen die Geldmärkte zurzeit
nicht die Wünsche der Anleger. Sparern
die die Verzinsung ihrer Guthaben
beobachten läuft schon lange kein
Lächeln mehr über das Gesicht. Als
Gegenmaßnahme zum Krisenquartett –
Subprime-, Finanz-, Wirtschafts- und
Staatsschuldenkrise – senkten die
Notenbanken die Zinssätze in bisher
unbekannte Tiefen. Einige nationale
Notenbanken und auch die EZB haben
sich sogar zu negativen Einlagezinsen
vorgewagt. Der Drei-Monats-Euribor,
der sich unmittelbar nach der LehmannPleite zu Höchstständen deutlich über
fünf Prozent aufschwingen konnte,
durchkreuzte die Nulllinie im April des
vergangenen Jahres (2015) und setzt
seitdem seine Talfahrt beständig im
negativen Bereich fort. Was Kreditnehmer und Finanzminister freut, lässt Sparer verzweifeln.
Die niedrigen Zinsen werden vor allem
der expansiven Geldpolitik und dem
schwachen
Wirtschaftswachstum
zugeschrieben. Wie stehen die Chancen auf steigende Zinsen angesichts
der demografischen Entwicklung?
Die Alterung – und der damit einhergehende Rückgang von Personen im
erwerbsfähigen Alter – trübt die Wachstumsaussichten. Niedriges Wirtschaftswachstum versetzt den Zinsen unmittelbar einen Dämpfer. Dazu kommt ein
weiterer Effekt. Weniger Arbeitskräfte
bedeuten eine höhere Kapitalintensität,
da im Produktionsprozess pro Arbeitsplatz im Durchschnitt mehr Kapital zur
1
Dr. Thomas Fent,
Institut für
Demographie
Österreichische
Akademie der
Wissenschaften
Wittgenstein Centre
for Demography
and Global Human
Capital
Verfügung steht. Das führt zu einer
höheren Arbeitsproduktivität aber zu
einer niedrigeren Rendite auf das eingesetzte Kapital. Der Abwärtstrend der
Zinsen wird zusätzlich verstärkt.
Die unterschiedlichen Bedürfnisse im
Lebenszyklus beeinflussen ebenfalls die
Zinsentwicklung. Junge Erwachsene,
die gerade dabei sind sich im Berufsleben zu etablieren und eine Familie zu
gründen, treten am Kapitalmarkt als
Kreditnehmer auf, ältere Erwerbstätige,
die ihre Kredite bereits abbezahlt
haben, bilden Ersparnisse und Pensionisten lösen ihre Ersparnisse teilweise
auf, um den gewohnten Lebensstandard trotz Wegfall des Erwerbseinkommens aufrecht erhalten zu können. In
einer Volkswirtschaft mit vielen jungen
Erwerbstätigen übersteigt die Nachfrage nach Krediten das Angebot an Spareinlagen. Steigt die Zahl der älteren
Erwerbstätigen, so steigen auch die
Spareinlagen, aber die Nachfrage nach
Krediten nimmt ab. Überwiegen
schließlich die Pensionisten, gehen die
Spareinlagen wieder zurück. Der Wandel von einer jungen zu einer alten
Gesellschaft bedingt daher zunächst
einen Überhang der Kreditnachfrage,
dem ein Überhang an Spareinlagen und
schlussendlich eine Phase des Entsparens folgen. Da Finanzmärkte durch
Angebot und Nachfrage bestimmt werden treibt eine hohe Nachfrage nach
Krediten die Zinssätze in die Höhe während ein Überangebot an Spareinlagen
die Zinssätze drückt. In einer weltweit
vernetzten Wirtschaft werden diese
Überhänge durch internationale Kapitalströme ausgeglichen. Alternde Gesellschaften exportieren Kapital in boomende Weltregionen wo höhere Rendi-
ten locken. Auch Boomregionen (emerging markets) altern und das sogar
schneller als die bereits lang etablierten
Industrieländer. Insgesamt verursacht
die demografische Alterung ein Drittel
des Rückganges der realen Zinsen1.
Was bedeutet das für die mittel- bis
langfristige Entwicklung der Zinsen. So
lange die Babyboomer im Erwerbsleben stehen, bleiben auch die Zinssätze
unter Druck. Erst wenn diese in den
Ruhestand wechseln bekommen die
Zinssätze Unterstützung von Seiten der
Demografie.
Schlussfolgerung
Der demografische Wandel begründet
zwei einander entgegengesetzte Einflüsse für die Versicherungswirtschaft.
Zum einen führt die Alterung zu einer
steigenden Nachfrage nach Produkten
zur privaten oder betrieblichen Altersvorsorge, zum anderen drückt die Alterung die Zinsen und erschwert eine
Ergänzung des umlagegedeckten Pensionssystems durch kapitalgedeckte
Verfahren.
Anmerkung: Dieser Beitrag basiert teilweise auf dem Artikel „Schlechte Zeiten
für Sparer – Wie beeinflusst die Altersstruktur einer Bevölkerung die Zinssätze?“ der im Demografie-Portal für Wirtschaft und Tourismus von ecoplus veröffentlicht wurde.
Carlos Carvalho, Andrea Ferrero, Fernanda Nechio (2016). Demographics and Real Interest Rates: Inspecting the Mechanism. European Economic Review.
www.versicherungsrundschau.at
versicherungsrundschau
ausgabe 7-8/16
57