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Hildegard Hamm-Brüchers Vermächtnis
Die große Dame des politischen Liberalismus Deutschlands ist fortgegangen. Ihr politisches
Verständnis für die Demokratie spiegelte sich in ihren klaren Überlegungen, vor allem zum
zivilisierten politischen Umgang miteinander und in ihrem Sinn für universelle Menschlichkeit.
von Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait
Hildegard Hamm-Brücher war neben »Petra Kelly eine der wenigen herausragenden politischen
Persönlichkeiten Deutschlands, die den Übergang zur Demokratie Chiles als friedliches
Überwinden der Diktatur von General Augusto Pinochet verstand, nämlich keinen Aufstand zu
befürworten, sondern einen allmählichen politischen Prozess im Einverständnis mit den
Machthabern.
Nirgendwo ist ein Aufstand wünschenswert, um eine Diktatur oder ein Unrecht-Regime zu
überwinden. Aufstand führt zur eskalierenden Gewalt, Destruktion und Tod, wie die Französische
Revolution in abstoßender Weise demonstrierte mit all ihren Exzessen und Extremen, ja mit ihren
abscheulichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Deswegen war auch der Aufstand in Syrien von Anfang an zum Scheitern verurteilt, seitdem
bewaffnete Gruppen die Institutionen im Lande seit 2011 angreifen. Dadurch haben sich die
Aufständischen delegitimiert. Selbst wenn einer institutionellen Regierung der demokratische
Charakter fehlt, ist die von ihr verwaltete etablierte Ordnung besser als ein Vakuum für Revolten
und Revoluzzer. Bewaffnete Aufständische bringen die Gefahr des Chaos, unkontrollierter Gewalt
und Unregierbarkeit für das Land mit sich. Deshalb die Plausibilität der Position, keinen Aufstand,
keine Revolution zu befürworten oder sogar zu fördern, sondern die freie Entwicklung, die
Evolution und den Dialog in Frieden. Sie sind die wünschenswerte Wege und Mechanismen für jede
politische Wende und Veränderungen.
Das hatte Hildegard Hamm-Brücher hinsichtlich Chile verstanden. Ihre Rede vor dem Bundestag
für den Übergang Chiles zur Demokratie war beispiellos realistisch und hat sich bis heute als richtig
erwiesen. Mit tiefem demokratischen Verständnis sprach sie darüber im Deutschen Bundestag am
29.September1988 und betonte die Notwendigkeit, die Verfassungsreform Chiles durchzuführen.
Realistisch sah Hildegard Hamm-Brücher voraus, dass Chile wegen der erforderlichen Veränderung
der diktatorischen Verfassung ein langer Weg der Demokratisierung bevorstand.
Die große liberale deutsche Politikerin hat am besten die liberalen Politik-Grundsätze verkörpert
und bekannt gegeben. Sie konnte aber mit ihren FDP-Kollegen nicht weiter zusammenarbeiten und
verließ die Partei. Der 1.Oktober 1982 markierte die Zäsur. Hamm-Brücher hatte den Wechsel von
der sozialliberalen Koalition in die Koalition mit CDU und CSU nicht mitgemacht. In einer
persönlichen Erklärung sagte sie als bisherige Staatsministerin im Auswärtigen Amt:
„Ich finde, dass beide (Helmut Schmidt und Helmut Kohl) dies nicht verdient haben,
Helmut Schmidt, ohne Wählervotum gestürzt zu werden, und Sie, Helmut Kohl, ohne
Wählervotum zur Kanzlerschaft zu gelangen.“
So selbstsicher trat Hildegard Hamm-Brücher immer auf.
Als die FDP auf dem falschen Weg des Neoliberalismus und der Aggressionskriege entglitt und
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versank, war es unmöglich für eine große, echte Demokratin und Humanistin wie Hildegard HammBrücher, sich mit einer solchen dekadenten Partei weiter zu identifizieren. Sie hätte eine neue
authentisch politisch-liberale Partei gründen müssen, die die Tradition von »Thomas Dehler
repräsentiert und Konsequenzen daraus für die Gegenwart ziehen könnte. Als Staatssekretärin im
Auswärtigen Amt hatte sie gewiss die Erfahrung und Formation, eine solide Friedensaußenpolitik
zu konzipieren, was Deutschland bis heute nicht getan hat. Die eklatante bedauerliche Schwäche
der Außenpolitik Deutschlands und Europas insgesamt tradiert aus dem Kalten Krieg. In dieser
antagonistischen Zeit ist die deutsche CDU/CSU/SPD-Regierung noch heute befangen geblieben.
Hamm-Brücher erkannte gewiss auch dieses schwächende Handicap. Sie hatte die Kapazität und
die Courage, mit dieser Schwäche ganz gezielt und planvoll umzugehen, um sie zu überwinden. Ob
sie die Verkommenheit des US-Systems und Establishment auch erkannte? Darüber äußerte sie sich
niemals öffentlich.
Wegen der Schwäche der deutschen Außenpolitik haben es die USA mittels der NATO geschafft,
erneut über Europa als eventuellen Kriegsschauplatz zu verfügen. Schon der konstruierte Kalte
Krieg war ein enormes Risiko für Europa, ein Auslöschungs-Risiko, das die Amerikaner jetzt erneut
kaltblütig in Kauf nehmen. Europa ging damals in die Falle jener konstruierten Konfrontation.
Thomas Dehler (FDP) war der einzige Politiker, der diesen Wahnsinn im Bundestag in den
fünfziger Jahren signalisierte. Der ganze Kalte Krieg war eine vergeudete Zeit, dessen
Verschwendung von Ressourcen heute noch immer nicht nur Europa, sondern auch andere
Regionen der Welt, besonders die USA, stark belasten. Europa muss weg von dem bekanntlich
fatalen Muster, in wirtschaftlichen Krisenzeiten auf die Rüstungsindustrie zu setzen, um
Arbeitsplätze zu sichern, wobei die katastrophalen Erfahrungen mit dieser Art von Politik in der
Geschichte dieses Kontinents einfach ignoriert bleiben.
Tief geprägt von wahrem Demokratie-Verständnis und Rechtsstaatsbewusstsein in der Tradition von
Theodor Heuss und stark geformt zudem von christlichen Überzeugungen war eine Persönlichkeit
wie Hildegard Hamm-Brücher eine Nummer zu groß für die kleinkarierten Parteien der prekären
politischen Landschaft Deutschlands. Sie hätte Bundeskanzlerin oder Bundespräsidentin werden
können, wenn die deutsche Demokratie nicht zu einer schäbigen Postenschacher-Demokratie der
großen Parteien verkommen wäre, die nicht imstande waren, die politische Größe Hamm-Brüchers
anzuerkennen. Die Leere und schäbige Begrenzung dieser Parteien stellte sich auch erbärmlich
bloß, als die große Politikerin ihr Leben vollständig erfüllte. Kein Wort der Anerkennung, keine
Würdigung von den führenden Vertretern der politischen Parteien in den Medien.
Hildegard Hamm-Brücher war ihr Leben lang stark gezeichnet von den dramatischen Erlebnissen
ihrer Jugend in der Hitler-Zeit. Ihre Großmutter war die Heldin ihrer Jugend. Als die Nazis diese
längst zum Christentum konvertierte Jüdin 1942 nach Theresienstadt deportieren wollten, nahm die
79 Jahre alte Frau Schlaftabletten. Unten im Haus brüllte ein SS-Mann: „Ist die Judensau noch
nicht verreckt?“ Die Enkelin vergaß verständlicherweise diese abscheuliche Szene ihr Leben lang
nicht.
Sicherlich verstand Hamm-Brücher die Defizite des demokratischen Systems hierzulande als
Reflexion und Schatten des Nazi-Faschismus, vor allem als sie bei der CDU und der FDP selbst
diese verlorenen Söhne erkannte. Das musste höchst schockierend für sie gewesen sein. Ihren
Prinzipien und Gesinnung immer treu war Hildegard Hamm-Brücher auch eine fortschrittliche,
tatkräftige Bildungspolitikerin.
„Erst wenn die bildungspolitischen Ziele auf der Basis demokratischer Bedingungen
erneuert wären, können der Bazillus der NS-Ideologie und die konservativen
Verkrustungen überwunden werden,“ sagte sie (Aus dem Artikel „Bundespräsidentin
h.c.“ von Detlef Esslinger, SZ vom 10./11.12.16).
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Besorgniserregend fand Hildegard Hamm-Brücher die „Geschichtsvergessenheit“, ja, die
Geschichtsverdrehung, die heute die CDU/CSU/SPD-Regierung auf allen Ebenen betreibt und die
zu Rückfällen und Wahrnehmungsverlust der Realität führt. Deshalb machte sie sich ganz bewusst
zu ihrer Lebensaufgabe, die richtige Lehre aus der Geschichte zu ziehen.
Für ein US/NATO-Protektorat wie Deutschland ist vielleicht der fremde US-Wille entscheidend,
aber souveräne Staaten und souveräne politische Persönlichkeiten lassen ihre Handlungen nicht an
diesem deutschen politischen Entwicklungs-Defizit messen.
„Es gibt Länder, die demokratisch und selbstbewusst weiter entwickelt sind als
Deutschland,“ erkannte ganz realistisch Hildegard Hamm-Brücher in einem ihrer letzten
Fernsehauftritte im Jahr 2012, und zwar bei der ARD-Sendung „Menschen bei
Maischberger“ am 22.4.2012.
Ob sie die demokratischen Handicaps der Gegenwart mitbekommen hat wie das Attentat gegen die
Verfassung durch Kriegseinsätze und die lügnerischen Propaganda-Medien?
Die Pressefreiheit kann sich auch sehr negativ auf Menschen auswirken. So machte sie als
Volksverhetzung jenseits der Menschenrechte ihr Début in Frankreich am Anfang der Revolution
1789. Obszöne niederträchtige Pamphlete mit aller Art von Falschheiten, Hässlichkeiten und
Ungeheuerlichkeiten entlarvten grenzenlosen Hass und niederträchtige Instinkte eines Mobs, der
unter dem Terror des revolutionären Moralisten Maximilien Robespierre zügellos die neue Macht
Frankreichs von der Straße aus dirigierte. In diesem Zusammenhang war der Prozess gegen die
französischen Könige ein schändlicher Schauprozess, der gar nichts mit den frisch proklamierten
Menschenrechten zu tun hatte. Vor allem der Schauprozess gegen die Königin Marie Antoinette war
eine Tirade von falschen Anschuldigungen, die ohne jede Beweise, nur auf den mörderischen
abstoßenden Pamphleten der sogenannten öffentlichen Meinung beruhte. Die Menschenrechte
wurden sofort in dem Moment ignoriert, als dieser abstoßende populistische Schauprozess stattfand
und zum Mord der Königin von Anfang an abgestimmt und vorprogrammiert wurde.
Degeneration und Missbrauch der Pressefreiheit, um das Volk gegen Recht und Gesetz
umzustimmen, ist in einer rechtsstaatlichen zivilisierten Gesellschaft nicht zu dulden. Nicht jede
Meinung sollte willkommen und wünschenswert sein, sondern nur diejenige, die die Zivilisation
achtet, nicht diejenige, die sie zerstört. Sonst läuft die Gesellschaft Gefahr, in die Hände des Mobs
der Straße zu fallen.
Die »Theodor-Heuss-Stiftung sollte sich verstärkt mit diesen offenen Fragen befassen als
Vermächtnis von Hildegard Hamm-Brücher, vor allem was eine funktionierende deutsche
Demokratie und eine deutsche Friedensaußenpolitik heute bedeuten.
© Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait
*Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait ist eine chilenische Rechtsanwältin und Diplomatin
(a.D.). Studium der Rechtswissenschaften an der Katholischen Universität in Santiago de Chile mit
Spezialisierung auf das Völkerrecht und Praxis im Strafrecht. Nach ihrer Arbeit im
Außenministerium war sie Diplomatin in Washington D.C., Wien und Jerusalem und wurde unter
der Militärdiktatur aus dem Auswärtigen Dienst entlassen.
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Datum: Dienstag, 27. Dezember 2016
Thema: aktuelle News
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