Jahre wieder..." (1) Die Hirten

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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Cluster extra
"Alle Jahre wieder..."
Advents- und Weihnachtslieder (1)
Die Hirten
Von Bettina Winkler
Sendung:
Redaktion:
Dienstag, 27. Dezember 2016
Bettina Winkler
15:05 – 16:00 Uhr
Bitte beachten Sie:
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Alle Jahre wieder machen sie sich auf den Weg nach Bethlehem, die Hirten.
Symbolische stehen sie für das alte "Volk Gottes", die Israeliten. In biblischen Zeiten
zählten die Hirten zur untersten Bevölkerungsschicht, ohne festen Wohnsitz, draußen
auf dem Feld lebend.
Bereits im Alten Ägypten der 12. Dynastie wurde das Hirten-Thema literarisch
verarbeitet. In der antiken Dichtung war der Hirte die zentrale Gestalt der Bukolik, im
Mittelalter der Schäferdichtung. Die Bibel verwendet die Gestalt des Hirten als eine
Metapher für Gott oder den König, wie im 23. Psalm oder im Gleichnis vom guten
Hirten. Oft wird der Hirte auch als Symbol für die Wächterrolle verwendet. So finden
sich zahlreiche Vergleiche, in denen ein Prophet mit einem Hirten und seine
Schützlinge mit Schafen verglichen werden. Die Gestalt des Hirten (lat.: Pastor) ist
als Leitbild sowohl in das Berufsbild des christlichen Geistlichen (Pastor), als auch in
die Kunst (Pastorale) eingeflossen.
Ganz naiv bäuerlich mit entsprechendem Instrumentarium präsentiert uns Carl Orff
die Hirten in seiner Fassung der Weihnachtsgeschichte. Hier sind es alpenländische
Hütejungen, die sich um ein Lagerfeuer sammeln. Alle scheinen zu ahnen, dass
etwas ganz besonderes geschehen wird.
Musik 1
Carl Orff
Weihnachtsgeschichte – Anfang
Oberammergauer Hirtenbuben
Der Beginn der Weihnachtsgeschichte von Carl Orff mit den Oberammergauer
Hirtenbuben.
Im zweiten Kapitel des Lukas-Evangeliums erfahren wir, wie die Hirten von einem
Engel aufgesucht werden, der ihnen mitteilt, dass in Bethlehem der Heiland
(Messias) geboren worden sei. Nach dieser Verkündigung kommt eine Schar von
Engeln zu dem einen hinzu, . Sie lobpreisen Gott im Himmel und verheißen den
Menschen Frieden auf Erden. Die Hirten beschließen, nach Bethlehem zu eilen und
dem Kind zu huldigen. Nachdem sie das Christkind gesehen und allen Umstehenden
von ihrer Begegnung mit den Engeln erzählt haben, kehren sie wieder zu ihrer Herde
zurück und „priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten,
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wie denn zu ihnen gesagt war.“ – wie es bei Lukas heißt. Sie sind also die ersten, die
die frohe Botschaft vom Messias verbreiten.
In der katholischen Tradition werden an Weihnachten drei Messen gelesen: eine zur
Mitternacht, in der von der Geburt Christi berichtet wird, eine am frühen Morgen, die
auch Hirtenmesse genannt wird, weil das Evangelium von der Erscheinung der Engel
vor den Hirten und dem Besuch der Hirten im Stall berichtet, und eine Messe am
ersten Weihnachtsfeiertag, die vom Prolog des Johannesevangeliums geprägt ist:
"Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott."
In der frühmorgendlichen Hirtenmesse, der Missa in aurora, wird in der
gregorianischen Tradition der Introitus "Lux fulgebit" gesungen:"Ein Licht erstrahlt
heute über uns, denn geboren ist der Herr.Mann nennt ihn wunderbarer, starker Gott,
Friedensfürst, Vater der kommenden Welt. Sein Königtum wird ohne Ende sein."
Musik 2
Anon. (greg.)
"Lux fulgebit", Introitus zur Missa in aurora
Ensemble Venance Fortunat
Leitung: Anne-Marie Deschamps
Der Introitus zur gregorianischen Missa in aurora: "Lux fulgebit", gesungen vom
Ensemble Venance Fortunat.
Hirtenmessen erfreuten sich vor allem im Böhmischen, Tschechischen und
Mährischen einer großen Beliebtheit. Eine der bekanntesten stammt von Jakub Jan
Ryba, der sich musikalisch zwar an die Struktur des üblichen Messordinariums KyrieGloria-Graduale-Credo-Offertorium-Sanctus-Benedictus-Agnus Dei hält, dessen Text
mit dieser liturgischen Vorlage jedoch nichts gemein hat. Er ist als Gespräch der
Hirten konzipiert, die sich zur Reise nach Bethlehem rüsten. Das, was wir in der
Orffschen Weihnachtsgeschichte zu Beginn hörten, findet sich bei Ryba im Kyrie.
Musik 3
Jakub Jan Ryba
Hirtenmesse – Kyrie
Beno Blachut, Tenor
Zdenek Kroupa, Baß
4
Tschechischer Philharmonischer Chor, Prag
Prager Symphoniker
Leitung: Václáv Smetácek
"Dieses Brausen, dieses Sausen, all' das lässt mir keine Ruh', komm, wir geh'n dem
Wunder zu" – und nun käme im nachfolgenden Gloria der Hirtenmesse von Jakub
Jan Ryba der Chor der Engel, der den Hirten die frohe Botschaft verkündet. Es
sangen und spielten Beno Blachut, Tenor, Zdenek Kroupa, Baß, der Tschechische
Philharmonische Chor, Prag und die Prager Symphoniker unter der Leitung von
Václáv Smetácek.
Auch in dem bekannten deutschen Weihnachtslied "Kommet, ihr Hirten" wird jener
Ausschnitt aus dem zweiten Kapitel des Lukas-Evangeliums paraphrasiert, in dem
von den Hirten und der Verkündigung des Engels berichtet wird. Der Text wurde im
Jahre 1870 von dem Leipziger Kapellmeister Karl Riedel nach dem Weihnachtslied
"Nesem Vám noviny" aus Böhmen verfasst, die Melodie stammt aus Olmütz. Das
Lied ist bis heute beliebt und sowohl im Evangelischen Gesangbuch (EG 48) als
auch in einigen Diözesananhängen des Gotteslob zu finden. Und weil es so bekannt
ist, habe ich dafür eine ganz neue Interpretation mit Singer Pur ausgewählt.
Musik 4
Trad.
Kommet, ihr Hirten
Singer Pur
Singer Pur mit ihrer Fassung des Weihnachtsliedes "Kommet, ihr Hirten".
Diesen Teil der Weihnachtsgeschichte, die Hirten auf dem Feld, beschreibt Peter
Cornelius in seinem Lied "Die Hirten". Cornelius war ein äußerst produktiver
Liedkomponist. Die Grundlage für fast die Hälfte seiner Lieder waren eigene
Dichtungen, die auch von anderen Komponisten vertont wurden. Cornelius
bezeichnete sich selbst als „Dichterkomponisten“. Die Frage, ob er nun Dichter oder
Musiker oder Musikjournalist sein sollte, begleitete ihn fast sein ganzes Leben.
Gerade diese Unentschlossenheit und auch sein bescheidenes und eher
zurückhaltendes Wesen trugen dazu bei, dass er immer im Schatten seiner
Zeitgenossen Richard Wagner und Franz Liszt stand, die er beide bewunderte.
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Es singt Dietrich Fischer-Dieskau, begleitet von Hermann Reutter, eine Aufnahme
aus dem Jahre 1966.
Musik 5
Peter Cornelius
"Die Hirten" aus "Weihnachtslieder"
Dietrich Fischer-Dieskau, Bariton
Hermann Reutter, Klavier
"Die Hirten" aus Peter Cornelius Weihnachtslieder-Zyklus, gesungen von Dietrich
Fischer-Dieskau, begleitet wurde er von Hermann Reutter.
Dass
sich
auch
heute
noch
Komponisten
mit
den
Hirten
aus
dem
Weihnachtsevangelium befassen, beweist der englische Sänger Bob Chilcott, der
über zehn Jahre Mitglied der King's Singer war. Für den Chor des King's College,
der, seit 1982 Stephen Cleobury die Leitung übernahm, jedes Jahr für seinen
Weihnachtsgottesdienst ein Stück in Auftrag gibt, schrieb er "The Shepherd's Carol",
ein inniges Lied, in dem sich die Hirten an die Gottesmutter Maria wenden und ihr
von ihren Erlebnissen berichten.
Musik 6
Bob Chilcott
The Shepherd's Carol
Chor des King's College, Cambridge
Leitung: Stephen Cleobury
Der Chor der Westminster Abbey mit "The Shepherd's Carol" von Bob Chilcott.
Als Marc-Antoine Charpentier aus Rom, wo er bei Giacomo Carissimi in die Lehre
gegangen war, nach Paris zurückkehrte, brachte er die in Frankreich bis dahin
unbekannte Gattung des Oratoriums mit, in dem biblische Themen in dialogischer
Form, also per Vortrag mit verteilten Rollen, aufbereitet werden. Dazu kommt die
Figur des Erzählers, der die Handlung beschreibt. Um 1670 komponierte Charpentier
das Weihnachtskonzert "In nativitatem Domini canticum", das mit dem Text "Quem
vidistis, pastores" – "Wen habt ihr gesehen, Hirten" beginnt. Der Text beruht auf
einer Stundengebet-Antiphon, die durch Tropierung, also Textierung von langen
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Melismen, zu einer Betrachtung des weihnachtlichen Heilsgeschens erweitert wurde,
und wird ergänzt durch Einzelverse aus Psalm 97.
Musik 7
Marc-Antoine Charpentier
Weihnachtskonzert "In nativitatem Domini canticum" H 314
Solistenensemble Stimmkunst, Ensemble 94
Leitung: Kay Johannsen
Marc-Antoine Charpentiers Weihnachtskonzert "In nativitatem Domini canticum" mit
dem Solistenensemble Stimmkunst und dem Ensemble 94 unter der Leitung von Kay
Johannsen.
Denselben
Text
hat
auch
Francis
Poulenc
in
seinen
vier
Weihnachtsmotetten vertont.
Musik 8
Francis Poulenc
"Quem vidistis pastores dicite" aus den Weihnachtsmotetten
Polyphony
Leitung: Stephen Layton
Das Ensemble Polyphony sang eine der vier Weihnachtsmotetten von Francis
Poulenc: "Quem vidistis pastores dicite".
Der Begriff Pastorale (v. lat. pastor = „Hirte“) bezeichnet in der Musik dreierlei:
eine zumeist dreistimmige Kirchenmusikform des Mittelalters;
eine Operngattung bes. des 17. und 18. Jahrhunderts, die sich aus dem Schäferspiel
des Sprechtheaters entwickelte. In der Handlung finden sich ländliche, beschauliche
Motive, z. B. das Musizieren von Hirten auf der Schalmei oder idyllische
Liebesgeschichten. Und die Pastorale der Instrumentalmusik.
Diese hat ihren Ursprung im weihnachtlichen Musizieren der Pifferari, italienischer
Hirten, die zur Weihnachtszeit in Rom vor Madonnenbildern spielten. Pastoralen sind
meist im 12/8-Takt und in der Tonart F-Dur komponiert. Charakteristisch sind
außerdem lange Basstöne als Anspielung auf die Hirteninstrumente Dudelsack und
Drehleier. So perfekt wie die Capella de'Turchini unter Antonio Florio haben die
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Hirten damals wahrscheinlich nicht gespielt, aber die folgende Pastorale aus dem 17.
Jahrhundert kann dennoch einen Eindruck von dieser Gattung vermitteln.
Musik 9
Anon. (17.Jh.)
Pastorale
Capella de'Turchini
Leitung: Antonio Florio
Eine italienische Pastorale aus dem 17. Jahrhundert, gespielt von der Capella
de'Turchini. Kaum eines der berühmten italienischen Weihnachtskonzerte kommt
ohne einen solchen Satz und auch in Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium
gibt es selbstverständlich zu Beginn des zweiten Teils eine einleitende Sinfonia im
Stil einer Pastorale.
Zu den bekannten Weihnachtsliedern, in denen die Hirten vorkommen, gehört auch
der Quempas, eine Zusammenstellung von zwei lateinischen Weihnachtsliedern,
nämlich "Quem pastores laudavere" und "Nunc angelorum gloria", zu denen meist
eine Erweiterung ("Tropus") oder ein Refrain tritt. Die ältesten Quellen stammen aus
dem 15. Jahrhundert; die einzelnen Lieder dürften allerdings älter sein.
Musik 10
Anon. (greg. 15. Jh.)
Natus est Immanuel / Quem pastores / Huius sit memoria
Discantus
Leitung: Brigitte Lesne
Das Ensemble Discantus unter Brigitte Lesne mit einer frühen Fassung des
Weihnachtsliedes "Quem pastores", verbunden mit "Natus est Immanuel" und "Huius
sit memoria".
In weihnachtlichen Gottesdiensten gibt es den Brauch, das erste Quempas-Lied
(manchmal auch das zweite) zeilenweise im Wechsel durch Schüler oder
Schülerchöre zu singen, die in allen vier Ecken der Kirche aufgestellt sind. Dann
heißt es: "Der Quempas geht um." Der Brauch des Quempas-Singens schloss außer
der ursprünglichen Liedkombination auch weitere Lieder ein und war an vielen Orten
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ein fester Bestandteil der Weihnachtstradition, sowohl im Gottesdienst als auch auf
Straßen und Plätzen. Heute wird das Quempas-Singen zumeist nicht mehr am
Weihnachtsmorgen, sondern an einem Samstagabend oder Sonntagmorgen in der
späten Adventszeit ausgeführt. 1930 gaben Wilhelm Thomas und Konrad Ameln eine
Sammlung alter Weihnachtslieder unter dem Titel "Das Quempas-Heft" heraus und
regten damit das Quempas-Singen neu an.
Im 16. Jahrhundert finden sich erste deutsche Fassungen des Quempas, am
bekanntesten wurde diejenige von Michael Praetorius aus den Musae Sioniae 1607,
mit dem deutschen Text "Den die Hirten lobeten sehre".
Musik 11
Michael Praetorius
"Den die Hirten lobeten sehre"
Thomanerchor Leipzig
Leitung: Hans-Joachim Rotsch
"Den die Hirten lobeten sehre" - die deutsche Fassung des Quempas von Michael
Praetorius, gesungen vom Thomanerchor Leipzig.
Ich könnte Ihnen noch viele Hirten-Lieder vorstellen, vielleicht haben Sie auch
gerade Ihr Lieblingslied vermisst – aber ein Stück will ich noch zum Schluss spielen –
weit weg von der europäischen Tradition ist es 1964 in Argentinien entstanden und
bezieht folkloristische Elemente ein: die kleine Weihnachtshistorie "Navidad Nuestra"
von Ariel Ramirez – berühmt wurde er mit seiner "Misa Criolla". Bei ihm klingt die
Ankunft der Hirten so...
Musik 12
Ariel Ramirez
Navidad Nuestra – Los Pastores
José Careras, Tenor
Coral Salvé de Laredo
Sociedad Coral de Bilbao
Instrumentalensemble
Leitung: Damián Sanchez