Impuls - Gertrudenstift

Verkündigung an Maria, Triptychon von Robert Campin (1425-1435)
Meditationsimpulse
Das Triptychon von Robert Campin ist m.E. ein außergewöhnliches Kunstwerk,
dessen tiefe religiöse Symbolik sich nur durch intensive Betrachtung und Reflexion
erschließt. Der Vorschlag, zuvorderst mit der eigenen Meditation des Bildes zu
beginnen, ist deshalb keine Floskel, sondern eine vielversprechende Einladung zu
einer spannenden Entdeckungsreise.
Ein grundlegender Hinweis dürfte sein, dass Campin das alte religiöse Thema der
Verkündigung Mariens in ein neues Bildgenre der Interieurdarstellung hineinnimmt. Für heutige Augen nicht gleich evident, wird das biblische Geschehen in
eine zeitgenössische Wohnstube des 15ten Jahrhunderts transferiert. Das Grundthema des Bildes wird deutlich. Dem Künstler geht es nicht um die „bildliche Darstellung“ des „biblischen Geschehens“, sondern um dessen Glaubensgeheimnis,
welches sich im Hier und Jetzt dem aktuellen Betrachter erschließen soll.
Beginnen wir mit dem Mittelbild. Maria, ganz in kostbarem Rot gewandet, liegt
halb kniend an eine Sitzbank gelehnt. Sie wirkt in sich gekehrt; in ein Buch vertieft, welches sie in ein Schutztuch gehüllt vor die Brust hält. Sie scheint den Engel, der schon in die Stube getreten ist, noch nicht bemerkt zu haben. Dieser, in
weißem priesterlichen Gewand mit blauer Stola gekleidet, schwebt und kniet zugleich. Die goldenen (göttlichen) Flügel betonen seine Botenfunktion zwischen
Himmel und Erde. Sein Blick, seine Körperhaltung ist auf Maria gerichtet. Seine
rechte Hand erhebt sich zum Segensgruß, wie seine linke Herzenshand(!) durch die
drei auffällig gespreizten Finger den Auftraggeber, den dreieinen Gott verkörpert.
Die Zeit scheint still zu stehen: ein Augenblick (für die) Ewigkeit?
Die Botschaft, die er bringt, ist wohl nicht in Worte zu fassen. Sein Mund bleibt
wie der Mariens verschlossen. Es geht um ein inneres Geschehen: „Fürchte dich
nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird
groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott der Herr, wird ihm den
Thron seines Vaters David geben!“ (Lk 1, 30b-31) Unglaublich? Bis heute bleibt
die erste Antwort Marias einleuchtend: „Wie soll das geschehen, da ich keinen
Mann erkenne?“ (Lk 1, 34b) So könnte auch der Betrachter heute fragen?
Die in der Kunstgeschichte erstmalig so real gemalte, gerade erloschene Kerze im
Zentrum(!) des Bildes liefert den entscheidenden Hinwei. Ein Luftzug, ein Windhauch muss die Wohnstube in diesem Augenblick durchwehen, erfüllen: „Der
Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden.“
(Lk 1, 35) Der Heilige Geist selbst bleibt im Bild gänzlich un-sicht-bar; nur sein
Wirken wird sichtbar, spürbar. Der zarte Rauch der Kerze kräuselt sich in Richtung
weißer Lilie, seit alters her Symbol der Jungfräulichkeit. Folgt der Blick weiter
dieser Richtung, so streift er das weiße Handtuch (zugleich an den jüdischen Ge-
betsschal erinnernd) und endet bei dem Wasserkessel. Beide Gegenstände
symbolisieren ebenfalls die Reinheit Mariens.
In unmittelbarer Nähe wird dem aufmerksamen Beobachter nicht entgehen,
dass durch das erste Rundfenster im siebenfachen goldenen Lichtstrahl eine
kleine weiße Person mit geschultertem Kreuz in die Szenerie hineinschwebt.
Parallel in entgegengesetzter Richtung beschreibt dieser kleine Jesus eine
Bewegung, die den Engel ebenso tangiert wie das geöffnete Buch um in den
Schoß Mariens einzugehen. Jetzt macht auch die außergewöhnliche Handhaltung Marias Sinn und lässt den wortlosen Dialog weitererzählen. Zwei Finger
ihrer linken Hand(!) weisen auf dieses kommende Jesuskind, während drei
Finger(!) auf ihr Herz zeigen. Zugleich symbolisiert ihre rechte Hand ein Annehmen. „Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt
hast.“ (Lk 38b). So erklärt sich auch das ungewöhnliche Motiv von grüner
Botentasche, Buch und Schriftrolle auf der Tischkante zwischen Maria und
dem Engel. Mit diesem Ja Mariens wird eine neue Seite der Heilsgeschichte
aufgeschlagen. Die Zeit des Gesetzes (Torarolle) wird erfüllt durch das
Kommen des Messias (neues Testament). Das nicht gegensätzliche, sondern
erfüllende Verhältnis dieser Offenbarungsbücher erklärt auch die Sitzhaltung
Mariens. Sie lehnt sich an eine Bank, die an den Ecken mit vier kleinen Löwengestalten verziert ist, wie der Thron Salomos (1 Kön 10,20). Wie sagte
der Engel: „Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben.“
(Lk 1, 32b) Auf diesen Thron kann der kleine Jesus nur durch Maria Platz
nehmen. Sie ist ganz von Liebe erfüllt (rot) und wird so einzig auf ihren tiefen
Glauben (blau) gestützt für Gott „durchlässig“.
Eine letzte Symbolik könnte diese geistgewirkte Empfängnis, dieses Glaubensgeheimnis unterstreichen. Der Thron Solomos steht gleichsam wie eine
Schranke vor dem Kamin. Das Sexualität symbolisierende Feuer ist erloschen. Das Schutzschild für die Funken ist in den Kamin gestellt. Der Kamin, an den Ecken links durch eine weibliche Figur und rechts durch eine
männliche verziert, ist kalt und dunkel. Es kann wohl keine Zufall sein, dass
gerade die Kerze auf der Männerseite fehlt und jetzt in hellem Weiß im Zentrum des Bildes steht. Spätestens an dieser Stelle fragt der moderne Betrachter nach der Rolle Josefs. Er wurde in der Kunstgeschichte bis zu Beginn des
15ten Jahrhunderts gänzlich ausgespart. Es darf deshalb nicht verwundern,
dass er in diesem Triptychon zu Beginn der Moderne nicht im Zentrum, sondern als „Randfigur“ im eigenen Seitenbild zu finden ist. Er sitzt in seiner
kleinen beengten Werkstatt. Gleichwohl ist er nicht in Handwerkerkleidung,
sondern aufwertend in edlem Gewand gehüllt (der zeitgenössischen Priesterkleidung ähnlich). Josef bohrt Löcher in ein Brett, dessen Anordnung die des
Funkenschildes im Kamin entspricht. Sein Alter und seine Haltung lassen
seine Indienstnahme erahnen. Der auffällig ganz in blau gefärbte Kopfschmuck erinnert an Josefs Traum, in dem ihm der Engel erschien: „Josef,
Frank Nienhaus
Vgl.: Günter Lange, Bilder zum Glauben. München 2002, 146-154.
Bildmeditation im Dezember 2016
Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das
Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist.“ (Mt 1, 20b) Josef ist also eingeweiht; er glaubt dem Engel und nimmt diesen Jesus als sein Kind an. So wird er
nach jüdischen Recht durch Josefs Adoption zum Sohne Davids. Das Blau des
Turban ist genau das Blau der Bezüge auf dem Thron Salomos.
Überhaupt weisen die Gegenstände in seiner Werkstatt und ihre Anordnung auf die
Bedeutung dieses Kindes hin. Nägel, Hammer, Zange, ja alle Gegenstände sind
irreal „überkreuzt“ angeordnet. Zuvorderst lässt der Wingbohrer im Schatten auf
der Werkbank an das Kreuz denken. Es war durchaus üblich, dass in Bildern der
Empfängnis oder der Geburt Jesu schon sein Ende angedeutet wird. Auffällig hingegen ist, dass sowohl auf der Werkbank als auch auf dem Fensterladen eine Mäusefalle steht, quasi als signifikantes Geschäftszeichen Josefs. Sie sind dem zeitgenössischen Betrachter als gewöhnlicher Alltagsgegenstand keinesfalls entgangen.
Hier hilft eine Reflexion des Hl. Augustinus, die in dem Erlösungstod Christi so
etwas wie eine Falle für den Teufel sehen will, der durch die Erniedrigung Christi
getäuscht wurde und nicht begreifen konnte, dass Gott gerade in diesem elenden
Verbrechertod das Heil für die Menschen wirkt. Im Spätmittelalter wurde diese
Vorstellung auch auf den Anfang, auf die Geburt Jesu bezogen, so dass dem Teufel
durch die Josefsehe die jungfräuliche Geburt des Gotteskindes verborgen blieb.
Vielsagend, dass eine Mausefalle gerade auf dem Fensterladen in Richtung Marktplatz ausgerichtet ist. Bleibt dieses doppelte Glaubensgeheimnis der modernen
Welt ebenso unverstanden, wie dem Teufel? An dieser Stelle kann der Blick noch
einmal zurück auf das geöffnete Fenster im Mittelbild fallen. Dort, wo auch die
Stadt zu sehen sein müsste, erstrahlt hinter dem Fensterkreuz genau über der erloschenen Kerze ein blauer Himmel oder wie es in der Offenbarung des Johannes
heißt: „Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde…“ (Offb 21, 1a).
Damit wäre der gesamte Bogen des göttlichen Heilsplanes in diesem Triptychon
aufgespannt. Dem Betrachter obläge dann die Frage, wie er sich dazu verhält -.
Die Spender dieses Gemäldes, die sich auf dem linken Bild verewigen ließen, geben ein letztes beredtes Zeugnis. Sie haben sich auf den Weg gemacht, die Stadt
(den Alltag) offensichtlich verlassen. Sie haben nicht nur flüchtig den Hut vor diesem Geheimnis gezogen, wie der junge Mann an der Stadtmauer, sondern sich dem
Glaubensgeheimnis betend und kniend genähert. Sie scheinen am Ziel angekommen. Gleichwohl können sie die Türe zu diesem Geheimnis nicht selbst öffnen.
Der Schlüssel steckt von „innen“! Bei allem ehrlichen menschlichen Suchen bleibt
das Heil, welches von dieser Verkündigung an Maria ausgeht, immer wohl ein
Geschenk, eine Gnade, die wir an Weihnachten feiern und zugleich erbitten.