Starkino: Brad Pitt und Marion Cotillard in der Wüste Feuilleton NEUESTE NACHRICHTEN AUS POLITIK, KULTUR, WIRTSCHAFT UND SPORT WWW.SÜDDEUTSCHE.DE HF1 (SZ) Wenn es am Schrecken irgendetwas Gutes gibt, dann dies, dass Pedanterie und kleinkrämerische Empfindlichkeiten fürs Erste ausgespielt haben. Wäre dem nicht so, kämen auf die Presse jetzt allerlei Beschwerden zu, des Inhalts, dass dieser oder jener wirklich entsetzt gewesen sei, sich also keineswegs, wie allerorten zu lesen, nur „entsetzt gezeigt“ habe. Auf diese journalistische Floskel ist Verlass. Da kann ein Präsident, ein Bundesminister, ein Funktionär, ein Kardinal oder ein Landesbischof noch so glaubhaft respektive – schauriges Modewort – authentisch entsetzt sein, es hilft ihm nichts: Sein Entsetzen wird, als wäre es etwas Unziemliches, bei der Wiedergabe in euphemistische Watte gepackt, und wenn sich daran nichts ändert, wird es wahrscheinlich auch beim Weltuntergang einmal heißen, das Kanzleramt, der Heilige Stuhl oder die Freiwillige Feuerwehr hätten sich „entsetzt gezeigt“. Wobei es schon mit dem Entsetzen selber eine seltsam ambivalente Sache ist. Einerseits, möchte man meinen, gibt es darüber hinaus nichts Schlimmeres mehr, steht das Entsetzen im Spektrum der Ängste am äußersten Rand. Einem alten Handwörterbuch zufolge bedeutet Entsetzen einen Zustand, „wo Furcht und Schreck das Gemüth gleichsam außer sich gesetzt haben“, einen Zustand mithin, der fast nicht zu ertragen ist und der seinerseits das Vermögen, darüber Auskunft zu geben, außer Kraft setzen müsste. Das mag in extremen Fällen so sein. Es gibt aber, und damit sind wir bei der Kehrseite des Phänomens, mildere oder gleich völlig andersartige Stufen des Entsetzens, darunter das zwar auch nicht ganz geheure, aber grundsätzlich willkommene freudige Entsetzen. Als Jesus einen Besessenen heilte, entsetzte sich das Volk und fragte, ob er nicht Gottes Sohn sei. So die Bibel. Wäre ein Pressevertreter zugegen gewesen, hätte er durchgegeben: „Und alles Volk zeigte sich entsetzt . . .“ Am unteren Ende franst das Entsetzen ins Beliebige aus. Nicht dass da, wie wir es von Schillers „Glocke“ her bedrohlich in Erinnerung haben, mit Entsetzen Scherz getrieben würde, aber es geht dem Entsetzen doch an die Würde, wenn jemand im Schaufenster ein Kleid sieht und dazu nichts sagt als: „Entsetzlich!“ Nicht immer sind es übrigens die um ein Statement Gebetenen, die von Entsetzen sprechen. Sie greifen zu den bei Schrecknissen gebräuchlichen, in gewisser Weise ja durchaus bewährten Formeln, beispielsweise zu der, dass einen die Tat betroffen mache und fassungslos zurücklasse, oder zu der, dass man von Wut und Trauer erfüllt sei. Damit werden sie dann auch zitiert, aber meist mit der hinführenden Bemerkung, dass sie sich „entsetzt gezeigt“ hätten. Es findet eine Abwertung statt, mit dem Ergebnis, dass das Entsetzen zur Alltagswährung wird. Leider gibt es im Leben immer wieder Ereignisse, die nur mit blankem Entsetzen zu begleichen sind. HEUTE Meinung Die EU-Staaten müssen Warschau endlich ermahnen, sich an die Rechtsstaatlichkeit zu halten 4 Feuilleton Eine Ausstellung zeigt, wie Martin Luther als Ikone der Nation missbraucht wird 12 Wissen Sehen und gesehen werden: Warum Menschen so gerne andere beobachten 16 Wirtschaft Wie der Traditionskonzern Linde nach einer Fusion amerikanisch werden könnte 19 MÜNCHEN, MITTWOCH, 21. DEZEMBER 2016 Am Tag danach: ein Bild des zerstörten Weihnachtsmarktes. Medien, TV-/ Radioprogramm Forum & Leserbriefe München · Bayern Rätsel Traueranzeigen 27 31,32 15 30 9 22 Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Straße 8, 81677 München; Telefon 089/2183-0, Telefax -9777; [email protected] Anzeigen: Telefon 089/2183-1010 (Immobilien- und Mietmarkt), 089/2183-1020 (Motormarkt), 089/2183-1030 (Stellenmarkt, weitere Märkte). Abo-Service: Telefon 089/21 83-80 80, www.sz.de/abo A, B, F, GR, I, L, NL, SLO, SK: € 3,40; dkr. 26; £ 3,20; kn 29; SFr. 4,80; czk 96; Ft 920 31051 4 190655 802602 FOTO: MARKUS SCHREIBER/AP Der Schock von Berlin Zwölf Tote, 48 Verletzte: Die Attacke auf dem Weihnachtsmarkt hat einen „terroristischen Hintergrund“, sagen die Ermittler. Zwar nimmt die Polizei schnell einen Verdächtigen fest, sie befürchtet aber, dass der wahre Täter noch auf der Flucht ist von annette zoch München – Wer saß am Steuer des Sattelschleppers, der am Montagabend über den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche gerast ist und mindestens zwölf Menschen in den Tod gerissen hat? Am Tag nach der schrecklichen Tat kannten die Ermittler auf diese Frage noch keine eindeutige Antwort. Ein am Montagabend festgenommener 23-Jähriger, der nach Angaben von Bundesinnenminister Thomas de Maizière aus Pakistan stammen soll und wohl im Dezember 2015 nach Deutschland einreiste, streitet die Tat ab. Generalbundesanwalt Peter Frank bestätigte, dass es an der Schuld des Mannes Zweifel gibt: „Wir müssen uns mit dem Gedanken vertraut machen, dass der gestern Abend als Verdächtiger Festgenommene eventuell nicht zur Tätergruppe gehört“, sagte er. Ein Augenzeuge hatte am Montagabend der Polizei berichtet, er verfolge den flüchtigen Fahrer des Lkw in Richtung Tiergarten. Nach Angaben des Berliner Polizeichefs Klaus Kandt war der Augenzeuge bei der späteren Festnahme des Pakistaners an der Siegessäule aber nicht mehr dabei. Offenbar hatte der Verfolger ihn aus den Augen verloren. Aus Sicherheitskreisen hieß es, Figur und Kleidung des Flüchtenden stimmten mit denen des verhafteten Mannes überein, andere Kennzeichen aber nicht. Womöglich ist der wahre Täter also noch auf der Flucht. Die Ermittler wüssten auch noch nicht, ob es sich um einen oder mehrere Täter handelt. „Wir sind natürlich hoch alarmiert“, sagte der Chef des Bundeskriminalamtes, Holger Münch. Dafür verdichten sich die Hinweise, dass es sich bei der Fahrt über den Weihnachtsmarkt tatsächlich um einen Terroranschlag gehandelt hat. Hierfür spreche Sport Die Reichen und die Schönen: ein Vergleich zwischen dem FC Bayern und RB Leipzig 72. JAHRGANG / 51. WOCHE / NR. 295 / 2,60 EURO die Art der Tat, die an das Attentat von Nizza im Juli erinnere, sowie der „Modus Operandi“, so Frank: Weihnachtsmärkte würden wegen ihres hohen symbolischen Wertes schon seit Langem in den Aufrufen dschihadistischer Terrororganisationen als Ziele genannt. Noch habe niemand die Tat für sich reklamiert. „Wenn wir es mit einem Einzeltäter zu tun haben, der nicht unbedingt Kontakt zu einer islamistischen Terrororganisation hatte, ist es nicht unge- wöhnlich, dass sich noch niemand dazu bekannt hat“, sagte Münch. Noch unklar ist außerdem, wie der Täter an den Lastwagen gelangt ist. In der Fahrerkabine des polnischen Sattelschleppers fand die Polizei die Leiche des 37-jährigen Lukasz U., eines Fahrers der Spedition aus der Nähe von Stettin. Sein Cousin Ariel Zurawski, Inhaber der Spedition, berichtete polnischen Journalisten, dass er Lukasz U. auf einem Polizeifoto identifiziert habe. Seine Leiche habe Kampfspuren aufgewiesen. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen soll der Fahrer mit einer kleinkalibrigen Waffe erschossen worden sein; die Waffe ist noch nicht gefunden. Lukasz U. sollte Baustahl aus dem italienischen Turin nach Berlin bringen. Weil der Lkw zu früh bei der Thyssen-Krupp-Schulte-Niederlassung eintraf, konnte er nicht sofort entladen werden und parkte am Friedrich-Krause-Ufer. Lukasz U. telefonierte noch ein- Der Anschlag in Berlin Die schreckliche Stille: Was über die Opfer der Tragödie bisher bekannt geworden ist Seite 2 Konjunktiv einer Katastrophe: Nach der Tat stellt sich die Frage nach der Verantwortung – auch für Merkel Seite 3 Hass aufs Leben: Terroristen sind Verbrecher, aber das Land ist nicht im Krieg. Leitartikel von Kurt Kister Seite 4 Gespenstisch verwaist: Ein Stück heiler Berliner Gegenwart ist am Montagabend versunken Seite 5 Beruhigen und warnen: Was die Polizei aus dem Amoklauf in München gelernt hat Seite 6 Poller, Betonsperren, Gewehre: Nicht alle Großveranstaltungen können geschützt werden Seite 7 Schweigen: Berlins Bürgermeister Michael Müller, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Innenminister Thomas de Maizière am Ort des Anschlags. FOTO: H. HANSCHKE / REUTERS Bloß kein Aktionismus: Händler und Besucher der Märkte in Nürnberg und München reagieren gelassen Lokales Milliarden für Italiens Banken Rom will in die Krise geratenen Instituten helfen – vor allem das älteste Geldhaus der Welt soll davon profitieren Rom – Die italienische Bank Monte dei Paschi di Siena (BMPS) könnte noch in diesem Monat vom Staat gerettet werden müssen. Der Schritt ist inzwischen wahrscheinlicher, nachdem die Regierung in Rom verkündet hat, die kriselnden Banken des Landes notfalls mit bis zu 20 Milliarden Euro zu unterstützen. Die Institute sitzen auf faulen Krediten in Höhe von insgesamt 360 Milliarden Euro. „Das ist eine Vorsichtsmaßnahme“, sagte Regierungschef Paolo Gentiloni nach einer Kabinettssitzung. „Wir halten es für unsere Pflicht, die Ersparnisse zu schützen.“ Die EU-Kommission erklärte am Dienstag, sie sei von dem Schritt nicht in Kenntnis gesetzt worden. Die 1471 gegründete BMPS, die älteste Bank der Welt und drittgrößte Italiens, muss das Eigenkapital um fünf Milliarden DIZdigital: Alle Alle Rechte Rechte vorbehalten vorbehalten –- Süddeutsche Süddeutsche Zeitung Zeitung GmbH, GmbH, München München DIZdigital: Jegliche Veröffentlichung Veröffentlichungund undnicht-private nicht-privateNutzung Nutzungexklusiv exklusivüber überwww.sz-content.de www.sz-content.de Jegliche Euro erhöhen. Die Europäische Zentralbank gibt ihr dazu bis 31. Dezember Zeit; einen Antrag auf Verlängerung der Frist um drei Wochen hat sie abgelehnt. Gelingt die Erhöhung nicht, wäre die Bank wohl pleite. Die Nachrichtenagentur Bloomberg zitierte am Dienstag Insider mit der Ansicht, die fünf Milliarden kämen zumindest von privaten Investoren nicht zusammen. Eine Milliarde hatte unter anderen der Staatsfonds von Katar investieren wollen, der nun aber zögert. Gentiloni hat mehrmals deutlich gemacht, dass der Staat notfalls zu Hilfe kommen werde. Der Sozialdemokrat, der sein Amt kürzlich von seinem zurückgetretenen Parteifreund Matteo Renzi übernommen hatte, appellierte an die Abgeordneten, die Regierung zu unterstützen: „Ich hoffe, dass alle politischen Kräfte diese Verantwortung teilen“, sagte er. Wenn der Staat einspringen müsste, käme die Hilfe in Form einer „präventiven Rekapitalisierung“. Aktionäre und Besitzer von nachrangigen Anleihen würden dazu gezwungen, ihre Papiere umzutauschen und sich so an der Rettung zu beteiligen. Nach EU-Regeln dürfen Banken grundsätzlich keine Staatsbeihilfen erhalten, ohne dass zunächst Anteilseigner und Kunden der Institute zur Kasse gebeten werden. In Italien wären vor allem Kleinanleger betroffen. Bei einer Rettung würde möglicherweise die Regierung die Anleihen aufkaufen. Eine andere Variante wäre, dass die Anleihen zwar in Aktien umgewandelt werden, die Verluste der Kleinanleger aber mit Steuergeld ausgeglichen werden. Die BMPS steckt seit Jahren in Schwierigkeiten. 2007 übernahm sie die Konkurrentin Antonveneta für etwa das Doppelte des geschätzten Wertes. Kurz darauf wurde Spitzenmanagern der BMPS Betrug vorgeworfen. Größte Last der Bank bleiben Kredite von etwa 45 Milliarden Euro, die vermutlich nie zurückgezahlt werden. Beim Stresstest der Europäischen Bankenaufsicht Ende Juli schnitt die BMPS am schlechtesten ab. Das höhere Eigenkapital braucht sie unter anderem, um Verluste zu decken, die durch den geplanten Verkauf von 27,6 Milliarden Euro an faulen Krediten entstehen würden. Unter faulen Krediten leidet auch die größte italienische Bank Unicredit. Ihr kürzlich vorgelegter Sanierungsplan sieht unter anderem vor, 14 000 Jobs abzubauen. sz Wirtschaft mal mit seinem Chef. Von 16 Uhr an sei er nicht mehr erreichbar gewesen. Im Nachhinein ausgewertete GPS-Daten zeigen, dass das Fahrzeug nach 16 Uhr mehrmals gestartet worden sei. Möglicherweise habe ein Entführer geübt, den Sattelschlepper zu fahren. Um 19.45 Uhr sei dann der Wagen vom Parkplatz gerollt. Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte am Dienstagnachmittag mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller den Anschlagsort. „Dies ist ein sehr schwerer Tag“, sagte sie. Merkel versprach eine harte Bestrafung des Täters und fügte hinzu: „Auch wenn es in diesen Stunden schwerfällt: Wir werden die Kraft finden für das Leben, wie wir es in Deutschland leben wollen: frei, miteinander und offen.“ CSU-Chef Horst Seehofer erhöht unterdessen den Druck auf die Schwesterpartei in der Flüchtlingspolitik: Das CSU-Präsidium stellte am Dienstag das für Februar geplante Spitzentreffen mit der CDU in München unter Vorbehalt. Vorher müssten entscheidende Fragen in der Flüchtlingspolitik geklärt werden. Die Polizei durchsuchte am Dienstagmorgen eine Flüchtlingsunterkunft in Tempelhof, wo der festgenommene Mann untergebracht war. In Berlin blieben am Dienstag die Weihnachtsmärkte geschlossen. In vielen Städten erhöhte die Polizei ihre Sicherheitsvorkehrungen. Auf dem Christkindlesmarkt in Nürnberg wurden die bestehenden Sperren ausgeweitet. Am Dienstagabend sollte ein ökumenischer Gedenkgottesdienst in die Gedächtniskirche stattfinden. Das Brandenburger Tor sollte in Schwarz-RotGold angestrahlt werden. Der Schaustellerbund rief zu einer Schweigeminute auf. Um 18 Uhr sollten bundesweit auf allen Weihnachtsmärkten die Lichter erlöschen. Dax ▲ Dow ▲ Euro ▶ Xetra 16:30 h 11451 Punkte N.Y. 16:30 h 19967 Punkte 16:30 h 1,0383 US-$ + 0,22% + 0,42% - 0,0019 DAS WETTER ▲ TAGS 7°/ -6° ▼ NACHTS Teils neblig-trüb, teils sonnig. Im Laufe des Tages werden im Nordwesten die Wolken dichter und es kann etwas regnen. Je nach Sonnenscheindauer werden ein bis sieben Grad erreicht. Im Nebelgrau bleibt es kälter. Seite 15 Die SZ gibt es als App für Tablet und Smartphone: sz.de/plus
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