Naive Fantasie

21.12.2016
Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen
Naive Fantasie
Seit der Nacht auf den gestrigen Dienstag steht definitiv
fest, dass Donald Trump am
20. Januar als 45. Präsident
der USA sein Amt antreten
wird. Damit haben sich die
letzten verzweifelten Hoffnungen derer endgültig zerschlagen, die sich immer noch
nicht damit abfinden wollten,
dass ein Typ zum mächtigsten
Mann der Welt erkoren wird, der noch vor wenigen
Wochen als unwählbar galt. Ganz anders die Börse,
die sich schon längst mit Trump arrangiert hat. Und da
an der Börse bekanntlich die Zukunft gehandelt wird,
kann so schlecht Trump ja gar nicht sein – oder eben
doch?
2016 wird jedenfalls als ein Börsenjahr in die Geschichte eingehen, in dem sich – gemessen am Kursverlauf sämtliche Befürchtungen vor potenziellen Rückschlägen nicht bewahrheiteten. Die Erdung der chinesischen Wirtschaft, der freie Fall des Ölpreises, der
Brexit, das vom Volk verworfene Referendum in Italien
und schliesslich die Wahl Trumps entpuppten sich in
der Retroperspektive lediglich als kleine Betriebsunfälle
an den Finanzmärkten. Nach dem Brexit gab der britische Leitindex immerhin noch deutlich nach, bevor
eine Rallye einsetzte, die praktisch niemand auf der
Agenda hatte. Heute notiert er 17% höher als nach
der Brexitabstimmung. Ähnliche Kursavancen verzeichnete der italienische Leitindex nach dem verlorenen Referendum Renzis Anfang Dezember. Mittlerweile liegt er gar 18% höher. Und die Wahl Trumps führte
gerade mal am Tag nach der Wahl zu kleineren Irritationen. Seitdem klettern die amerikanischen Börsen
von einem historischen Hoch zum anderen. Man weiss
ja, dass es an den Finanzmärkten oft alles andere als
normal läuft. Aber wie es zu solch raschen Meinungsumschwüngen kommen konnte, ist schlichtweg nicht
nachvollziehbar und alles andere als rational. Euphorie
statt Crash, Plus statt Minus, böse wird plötzlich zu gut
und keiner weiss warum.
Vorschusslorbeeren
Mittlerweile gibt es wenigstens für die US-Wahl eine
erste Erkenntnis, warum die Börsen kletterten statt
abzusteigen. Es ist einzig die Fantasie der Marktteilnehmer, die den Kursen Auftrieb verlieh, denn sie
hoffen auf kräftige Fiskalimpulse, wenn Trump sein
Amt antritt. Das ist insofern paradox, als dieser Optimismus die noch vor Monatsfrist weitverbreitete Skepsis komplett eliminierte und die Erwartungen dessen,
was in den USA in den kommenden Monaten passieren wird, von Weltuntergangsstimmung in Euphorie
wandelte. Die Märkte kommen plötzlich zum Schluss,
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Raiffeisen Economic Research
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dass Trump den Banken die Fesseln lockern wird, die
Pharmaindustrie in Ruhe lässt, vor allem aber der Konjunktur in den USA Flügel verleihen wird. All dies preisen die Investoren, vor allem aber die Händler nun mit
gehörigen Vorschusslorbeeren ein.
Enorme Fallhöhe
Ein solch rascher Meinungsumschwung ist selbst für
die wankelmütigen Märkte ungewöhnlich. Der Dow
Jones hat nun die 20‘000-er Marke zielstrebig im Visier
und dürfte diese sehr wahrscheinlich auch noch 2016
knacken. Doch damit steigt auch die Gefahr grösserer
Rückschläge. Denn wenn Trump nur weiter labert
ohne zu liefern, wird sich rasch einmal der Kater einfinden und die rosarote Brille, durch welche die Marktteilnehmer die kommenden Taten des zukünftigen USPräsidenten heute noch betrachten, durch eine Klarsichtbrille ersetzt werden. Von daher ist niemand
schlecht beraten, zum Jahresende Gewinne mitzunehmen. Das sprichwörtliche Januarloch könnte sich
schon bald auftun, wenn die Realität die Märkte einholt. Diese Realität ist schliesslich immer noch dieselbe
wie vor der Wahl Trumps. Weder in China noch in
Europa hat sich wesentliches getan, dort verläuft der
Wirtschaftsgang nach wie vor so zaghaft, dass auf die
Schützenhilfe der Notenbanken nicht verzichtet werden kann. Die geopolitischen Risiken bergen Potenzial
weiterer Eskalationen, insbesondere angesichts der
Unberechenbarkeit der beiden Exzentriker Putin und
Trump an den Schalthebeln der Macht.
Pump dank Trump?
Sollte darüber hinaus das Modell Trump tatsächlich die
Renaissance der Fiskalpolitik einläuten und auch in
Europa Schule machen, ist die nächste Schuldenkrise
vorprogrammiert. Schon heute neigen die Peripheriestaaten Europas dazu, die Austeritätspolitik zu beenden, mit der unheilvollen Konsequenz, einen neuen
Teufelskreis heraufzubeschwören. Wir erinnern uns:
Noch vor nicht allzu langer Zeit übernahm die Geldpolitik das Zepter, nachdem die Staaten über ihre Verhältnisse gewirtschaftet hatten. Nun werden Stimmen
laut, die genau dies wieder anfordern: Wachstum auf
Pump. Das kann nicht gut gehen, das wissen auch die
Märkte. Aber noch keimt die Hoffnung auf das Unmögliche. 2017 wird daher mindestens so spannend
wie 2016, und alles anders als entspannend. Diese
Prognose ist ausnahmsweise ziemlich sicher.
Ich bedanke mich für die treue Leserschaft und wünsche Ihnen frohe Festtage und einen guten Rutsch
ins 2017. Die nächste Ausgabe dieser Publikation
erscheint am 11. Januar 2017.
Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen
Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen
Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen
Rekord ohne Jubel
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21.12.2016
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