Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich – eine Parabel

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SCHL AGLICHTER 2016
Allergologie und Immunologie
Der Froschkönig oder der eiserne
Heinrich – eine Parabel
Prof. Dr. med. Andreas J. Bircher
Allergologie, Dermatologische Klinik, Universitätsspital Basel
«Heinrich, der Wagen bricht.»
«Nein, Herr, der Wagen nicht,
es ist ein Band von meinem Herzen,
das da lag in grossen Schmerzen,
als Ihr in dem Brunnen sasst,
als Ihr eine Fretsche (Frosch) wast (wart).»
(Aus «Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich»,
Märchen der Gebrüder Grimm, Ausgabe von 1857 [1])
Prolog
Die Interpretation dieses zweiteiligen Märchens ist
vielfältig und reicht von der sexuellen Initiation über
psychologische hin zu psychoanalytischen Ansätzen
[2]. Hier dient es zur Illustration von akuten Überempfindlichkeitsreaktionen bei der intravenösen Eisensubstitution.
Die anämische Prinzessin verliert ihre goldene Kugel,
welche die «magic bullet», das heisst die intravenöse
Eisentherapie, repräsentiert. Als sie die Kugel zurückerhält, ist dabei sozusagen eine Kröte zu schlucken –
therapie. Die perorale Substitution kann von ausge-
beziehungsweise eine Überempfindlichkeitsreaktion
prägten gastrointestinalen Nebenwirkungen begleitet
zu konstatieren –, ein Problem, das zwar nicht durch
sein und die Resorption ist oft nicht ausreichend. Des-
den eleganteren verweigerten Kuss, aber einen geziel-
halb gehört die intravenöse Eisentherapie heute zum
ten Wurf aus der Welt geschafft wird. Die Symptome
medizinischen Armamentarium und wird bei schwe-
des Eisenmangels sind durch die drei eisernen Bänder
ren Eisenmangelzuständen, zum Beispiel bei der chro-
um das Herz des treuen Dieners, des eisernen Hein-
nischen Niereninsuffizienz, routinemässig eingesetzt.
richs, symbolisiert: «Der treue Heinrich hatte sich so
Dadurch wurde in den letzten Jahren auch vermehrt
betrübt, als sein Herr war in einen Frosch verwandelt
über Überempfindlichkeitsreaktionen berichtet. Diese
worden, dass er drei eiserne Bande hatte um sein Herz
sind relativ selten (etwa 0,5% leichte Reaktionen, Ana-
legen lassen, damit es ihm nicht vor Weh und Traurigkeit
phylaxie bei 24 bis 68/100 000) [3] – in Einzelfällen
zerspränge.» [1].
wurde allerdings ein letaler Ausgang beschrieben [4].
Ein differenziertes Vorgehen kann somit zur erfolgrei-
Uns selbst ist ein letaler Ausgang der ersten Eisenin-
chen Therapie führen, was symbolisch durch das Zer-
fusion bei einer Risikopatientin bekannt.
brechen der drei eisernen Bänder repräsentiert wird.
Aufgrund solcher schwerer unerwünschter Wirkun-
Direkte Würfe an die Wand wie früher im Märchen
gen hat die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA)
sind allerdings nicht mehr zeitgemäss, weshalb ein dif-
im Jahre 2013 verfügt, dass Patienten, die eine schwere
ferenzierteres Herangehen notwendig ist.
Überempfindlichkeitsreaktion erlitten haben, keine intravenösen Eisenpräparate mehr erhalten sollen [5].
Intravenöse Eisentherapie
Andreas J. Bircher
Da intravenös verabreichtes, sogenanntes labiles freies
Eisen toxische Reaktionen wie Flushing, Kopfschmer-
Die Eisenmangelanämie ist ein weit verbreitetes Pro-
zen, thorakale Oppression, Nausea und Diarrhoe, Arth-
blem, als Therapie der ersten Wahl gilt die orale Eisen-
ralgien sowie lumbale Schmerzen und selten Fieber
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auslösen kann, wurden Eisenpräparate eingeführt, die
Urtikaria konnte erfolgreich durchgeführt werden. Bei
zur besseren Verträglichkeit in eine Kohlehydrathülle
11 Patienten wurde dasselbe Eisenpräparat verwendet,
eingearbeitet sind. Die früher meist verwendeten
bei 4 Patienten das andere auf dem Schweizer Markt er-
hoch- und niedermolekularen Eisendextrane haben
hältliche Präparat [8]. Eine Prämedikation wurde nicht
allerdings über einen immunologischen Mechanis-
verabreicht, da keine Evidenz besteht, dass schwere Re-
mus aufgrund präexistierender IgG-Antikörper zu
aktionen vermieden werden können [7]. Dies zeigt an
schweren, teils letalen Immunkomplex-Anaphylaxien
einer kleinen Fallserie, dass bei dringender Indikation
geführt und werden heute selten verwendet [6]. Heute
weiterhin eine intravenöse Eisentherapie – allerdings
werden Sucrose (Saccharose), Gluconate, Isomaltosid
mit erheblichem Aufwand und unter entsprechenden
und andere Karbohydrate als Hüllen verwendet. In der
Sicherheitsvorkehrungen – durchgeführt werden kann.
Schweiz sind aktuell zwei intravenöse Produkte, Eisensucrose (Venofer®) und Eisencarboxymaltose (Ferinject®), auf dem Markt.
Schlussfolgerungen
Auch diese neueren Präparate lösen, wenn auch deut-
– Überempfindlichkeitsreaktionen vom Soforttyp
lich seltener, Hypersensitivitätsreaktionen aus, welche
auf intravenöse Eisenpräparate sind heute insge-
die klinischen Charakteristika einer Anaphylaxie auf-
samt selten.
weisen können. Die Symptome umfassen an der Haut
– Isolierte Urtikaria bis zu anaphylaktischen Schock-
Pruritus, ausgedehntes Flushing, Urtikaria und Angio-
reaktionen können auftreten, sehr selten wurde ein
ödeme, am Respirationstrakt Dyspnoe und Bronchospasmus sowie Hyper- oder Hypotension bis zum Kreis-
letaler Ausgang beschrieben.
– Der Pathomechanismus ist nicht geklärt, somit ist
die allergologische Diagnostik basierend auf Haut-
laufschock.
und In-vitro-Tests nicht zielführend.
Allergologische Diagnostik
– Bei entsprechender Indikation kann eine Reexposition mit verlängerter Infusionsdauer, allenfalls mit
Der Mechanismus ist bei den moderneren Eisenpräpa-
einem Alternativpräparat durchgeführt werden.
raten im Gegensatz zu den dextranhaltigen Präparaten
– Diese Reexposition sollte von darin erfahrenen Spe-
nicht geklärt, ein IgE- oder IgG-vermittelter Mechanis-
zialisten
mus konnte bisher nicht dokumentiert werden, postu-
durchgeführt werden.
unter
entsprechender
Überwachung
liert wurde eine direkte Aktivierung der Komplementkaskade und Bildung der Anaphylatoxine C3a und C5a
[7]. Somit entziehen sich diese Reaktionen der allergologischen Diagnostik mit Hautprick- und Intradermal-
Somit endet das Märchen für alle Beteiligten doch
tests, dem Nachweis spezifischer IgG- oder IgE-Antikör-
noch in Minne. Die anämische Patientin erhält ihre
per oder dem Basophilenaktivierungstest [8]. Von
verlorene goldene Kugel – die intravenöse Eisenthera-
Hauttests wird zudem wegen der oft persistierenden Pig-
pie – zurück. Die zwar dabei erlittene Überempfindlich-
mentablagerung und der hohen Kosten abgeraten [7].
keitsreaktion, also die «adverse reaction» gegen den
Wir konnten in einer kürzlich zusammengestellten
Überbringer, kann, wenn auch mit vermehrtem Auf-
Übersicht das Management von 31 Patienten (30 F, 1 M;
wand, überwunden werden – ein simpler Wurf an die
Alter 17–77 Jahre, Mittelwert 37) mit Überempfindlich-
Wand oder ein erzwungener Kuss reichen allerdings
keitsreaktionen mit Hautsymptomen wie Urtikaria
nicht aus. Mit der kontrollierten Reexposition werden
und Angioödemen in 68% (Schweregrad I und II), respi-
die einengenden Symptome der Anämie, die Eisen-
ratorischen oder Kreislaufsymptomen in 32% (Grad III
bande um das Herz des treuen Dieners Heinrich, ge-
und IV) zusammenstellen. Bei 10 Patienten wurden
sprengt und die Prinzessin kann ihren Prinzen heira-
vorgängig Haut- und Basophilenaktivierungstests mit
ten. Und wenn sie nicht gestorben sind, so sind sie
durchwegs negativem Resultat durchgeführt. Bei 15 Pa-
zumindest nicht mehr anämisch.
tienten bestand eine absolute Indikation zur intravenösen Eisensubstitution, weswegen 18 kontrollierte Reexpositionen durchgeführt wurden. Diese erfolgten
Korrespondenz:
Prof. Dr. med.
unter intensiver Überwachung mit einer langsamen In-
Andreas J. Bircher
fusionsdauer von über drei Stunden. 12 Patienten tole-
Universitätsspital Basel
rierten die Prozedur problemlos, bei 3 Patienten trat
Petersgraben 4
CH-4031 Basel
andreas.bircher[at]usb.ch
Epilog
eine Urtikaria respektive einmal zusätzlich eine Dyspnoe auf. Eine spätere Reexposition bei 2 Patienten mit
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Literatur
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LITERATUR / RÉFÉRENCES Online-Appendix
Literatur
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SWISS MEDI CAL FO RUM
http://www.pitt.edu/~dash/froschkoenig.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Froschkönig_oder_der_
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