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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Glauben
EIN HELD IST UNS GEBOREN
VON DER SEHNSUCHT NACH HEROEN
VON KIRSTEN DIETRICH
SENDUNG 25.12.2016 / 12.05 UHR
Redaktion Religion, Migration und Gesellschaft
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MUSIK Daniel Kallauch
Je-je-jesus - du bist der Held, du bist der Held, du bist der Champion, du bist der Held…
TEXT
Fromme Lobpreismusik für Kinder – Jesus wird als Held besungen. Das Kind
in der Krippe: ein Held? Hatte man sich die nicht immer ganz anders
vorgestellt, mächtig und stark, mit eiserner Faust und Superkräften, so etwa:
O-TON 1
Karl und Georg
1’26
K: man nennt die halt Helden, weil die irgendne besondere Tat gemacht haben – /
G: die machen das, was sehr sehr gut ist. Die retten die Wälder!
K: nein, die retten die Welt. / G: ja, die Welt. / K: vor manchen Schurken.
TEXT
Für Kinder ist die Sache klar: Helden tun Gutes und retten die Welt. Und
bevölkern in ihren bunten Elastic-Anzügen die Spielzeugregale.
In der Antike war das eigentlich genauso klar: der Held besiegte Götter und
mythische Monster, starb dabei vielleicht, aber wurde ewig besungen. Und
heute? Essen ins Haus bringen: Lieferheld! Beim Kaffee to go auf Einweg
verzichten und stattdessen den eigenen Becher zum Einsatz bringen:
Becherheld! Briefe zustellen:
O-TON 2
Pin-Werbung
Respekt – bei jedem Wetter für uns unterwegs. – Für mich definitiv die grünen Heldinnen
und Helden des Berliner Alltags.
TEXT
Auf der mythischen Ebene genauso wie in der Politik sind die Helden immer
noch eher verdächtig, aller Wahlerfolge des Populismus zum Trotz. Ein
Misstrauen, das gerade in Deutschland begründet liegt in der Verherrlichung
des heldenhaften Mannes in grauenhaften Weltkriegen. Fürs Alltägliche
allerdings, so scheint es, sind heute die Helden zuständig.
O-TON 3
Münkler
4’20
Das hat damit was zu tun, dass eigentlich wir als postheroische Gesellschaft keine Helden
mehr haben.
TEXT
Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler forscht über die Gesellschaft und
ihre Helden.
O-TON 4
Münkler
4’20
Dann spüren wir aber, dass wir damit etwas verloren haben /, deswegen inflationieren wir
den Begriff des Helden, da ist jeder ein Held, da ist der ein Held, der zwei Stunden ein Buch
gelesen hat, ohne einzuschlafen, das ist ein Universitätsheld.
MUSIK
Spiderman
2
Darauf:
ZITATOR
Vergiss niemals: Aus großer Kraft folgt große Verantwortung.
TEXT
Das Glaubensbekenntnis des Superhelden: als Spiderman muss der junge
Peter Parker lernen, verantwortlich mit seinen Kräften umzugehen. Ein guter
Held zu werden. Das ist mehr als ein Filmzitat – das ist inzwischen das Credo
einer ganzen Generation, die mit diesen Superheldenfilmen großgeworden ist.
Wie die Jungs von „Heroes“.
O-TON 5
Breidenstein
1’45
Wir diskutieren, wir versuchen, andere anzuregen, wir rennen nicht mit einem Heiligenschein
rum, sondern wir haben einen harten Job, ja, wir sind deswegen Helden.
TEXT
Der harte Heldenjob der Jungs vom Projekt Heroes: sie engagieren sich
gegen Unterdrückung im Namen der Ehre und für Gleichberechtigung, so die
Selbstbeschreibung. Praktisch heißt das: sie besuchen Schulklassen und
Jugendgruppen, geben Workshops und diskutieren mit Jugendlichen über
Frauen- und Männerrollen. Jenny Breidenstein hat lange für das Projekt
gearbeitet.
O-TON 6
Breidenstein
8’15
Als wir das Projekt gegründet haben, haben alle gesagt: ok, das klingt vom Konzept
her cool, aber warum sollen sich Jungs freiwillig bereit erklären und zu euch
kommen, um dann gegen Privilegien, die sie selbst haben und genießen,
ankämpfen, ist doch total unrealistisch. Und dieses Unrealistische spiegelt sich
vielleicht in diesem Heldenbegriff wider.
TEXT
Ausgehend von Berlin gibt es inzwischen in knapp zehn Städten solche
Heroes. Die eine schwierige Vermittlungsarbeit unter jungen Männern leisten
– gerade deswegen ist es auch wichtig, neben der guten Absicht auch
Coolness zu haben, sagt Jenny Breidenstein.
O-TON 7
Breidenstein
5’03
Vorbild hat eben mehr so eine Zeigefingerfunktion, das ist das Belehrende, Moralische – bei
Jugendlichen muss ein bisschen mehr diese Lockerheit und Lässigkeit rüberkommen.
TEXT
Auch wenn Jenny Breidenstein manchmal Heldenallüren einbremsen muss:
Die jungen Männer, die sich bei den „Heroes“ engagieren, leisten etwas, was
3
weit über das Erwartbare hinausgeht: nämlich sich gegen den Druck ihres
kulturellen Umfelds stellen und, noch schwerer vielleicht, wenn man 17 ist:
gegen den Druck der Peergroup. Eines allerdings ist ganz klar: Männlichkeit
ist das Grundprinzip dieses Projekts, sagt Jenny Breidenstein.
O-TON 8
Breidenstein
Wir wollen eben nicht noch mehr, dass ein Mädchen dasteht und sagt: ihr müsst uns
besser behandeln, das ist nicht fair, wie es ist, dann bilden sich so Fronten, sondern
genau aus der Mitte heraus, die Brüder, die Söhne, die sich anders verhandeln und
Vorbild sind. Mädchen können definitiv Heldinnen sein, aber sie werden bei uns
keine Heroes werden.
TEXT
Der Held ist ein männliches Konzept. Frauen stehen nicht auf den
Listen der klassischen Heroen. Und selbst wenn es inzwischen Pippi
Langstrumpf und Lara Croft gibt und es auch junge Frauen zur
Terrormiliz Islamischer Staat zieht:
O-TON 9
Toprak 10’45
Das ist ein starkes männliches Konzept, weil Stärke basiert auf Virilität, Wettkampf,
gewinnen, und Helden machen das ja auch.
TEXT
Ahmet Toprak, Pädagogikprofessor an der Fachhochschule in Dortmund.
O-TON 10
Toprak 10’45
Und deshalb ist derjenige, der zb nicht in der Lage ist, zu kämpfen, an Grenzen zu gehen,
kein Held.
TEXT
Um diese Grenzen des Heroischen muss man wissen, sagt Ahmet Toprak.
Doch bei aller generellen Kritik: ganz verzichten auf das Konzept vom
Heldentum möchte auch Ahmet Toprak nicht. Denn es setzt eben auch Kräfte
frei, die nur im Regelbetrieb nicht motiviert würden.
O-TON 11
Toprak 3’05
Wir haben im Alltag viele Ehrenamtliche, die Helden sind, die viel leisten, viel tun, die täglich
in Sportvereinen, bei der Flüchtlingsarbeit etc tätig sind, das sind Alltagshelden, die kein
Honorar bekommen, keine Anerkennung, die in der Öffentlichkeit nicht auffallen, das sind die
eigentlichen Helden.
O-TON 12
Weiland
22’15
4
Ein Lieblingssuperheld von mir ist Batman, der immer in so Konflikten war. Er als schwarzer
Rächer hat angefangen, das Gesetz in die Hand zu nehmen, wo er geglaubt hat, dass das
Gesetz versagt hat. / Ob das Helden, Aktivisten, Vereine sind, schon immer war deren
Aufgabe, den Status quo zu hinterfragen.
TEXT
Andi Weiland ist Pressesprecher beim Verein „Sozialhelden“. Er zieht nicht
durch die Nächte, um ungesühnte Verbrechen zu rächen. Auf seiner Agenda
steht: mehr Inklusion. Seit zehn Jahren stoßen die Sozialhelden Projekte an
wie einen interaktiven Stadtplan für barrierefreien Zugang, Schulung fürs
Berichten über behinderte Menschen oder Rampen für Rollstuhlfahrer. Das
Motto bei den Sozialhelden lautet „Einfach mal machen“.
O-TON 13
Weiland
4’17
So verstehen wir auch unsere Arbeit bei den Sozialhelden, dass wir halt sagen, wir sehen
ein soziales Problem und wir wollen Lösung dafür anbieten. Ob es immer die einzige wahre
Lösung ist, diesen Anspruch erheben wir gar nicht, aber wir wollen zumindest irgendeine
Lösung anbieten.
TEXT
Der Name Sozialhelden sollte eigentlich nur ein Hingucker sein, schließlich
kommt der Gründer des Vereins aus der Werbebranche. Aber irgendwie hat
die Sache mit dem Heldentum einen Nerv getroffen, sagt Andi Weiland.
O-TON 14
Weiland
7’47
Wir sind alle im Team nicht Leute, die lange irgendwas reden wollen, und dann schauen wir
mal, ob wir vielleicht in einem Jahr das Projekt schaffen, sondern wir wollen jetzt was
machen. Ich glaube, das ist auch so vielleicht ein bisschen der Zeitgeist von Menschen, dass
sie, wenn sie etwas anfangen, sofort auch Veränderung sehen wollen.
TEXT
Andi Weiland nimmt die Selbstbezeichnung als Held ernst – und interpretiert
sie mit Hilfe eines Gedankens des amerikanischen Sozialpsychologen Philipp
Zimbardo.
O-TON 15
Weiland
4’17
„Helden sind Menschen, die dem eigenen Drang widerstreben, die Tatenlosigkeit zu
rechtfertigen.“ Bei mir hat es ungefähr ein halbes Jahr gedauert, bis ich den Satz verstanden
habe, ich hab dann immer versucht, das so zu übersetzen: Dass man nicht sagt, für dieses
Problem zahl ich Steuern oder da kümmert sich schon die Polizei drum, sondern man geht
das Problem an.
MUSIK
Superman
5
TEXT
Der Held handelt – die Frage nach dem Erfolg ist erstmal zweitrangig, die
nach Dingen wie Budget, Controlling oder Dokumentation schon ganz und gar.
Helden haben so etwas schön Konkretes. Sie haben allerdings auch: ein
gewisses Demokratieproblem. Denn wer sich selbst als Held versteht, nimmt
für sich besondere Bedingungen fürs Handeln in Anspruch. Und selbst wenn
der Missstand, um den es geht, eindeutig ist, muss er sich der Rückfrage
stellen: wer hat dich eigentlich beauftragt? Bei Herakles und Odysseus war die
Antwort noch eindeutig: das waren die Götter. Für Andi Weiland von den
Sozialhelden stellt sich die Situation nicht mehr so eindeutig dar.
O-TON 16
Weiland 1b 28’05
Woher nimmt man die Legitimation? Das ist eine interessante Frage. Ich glaub, man nimmt
sie halt als erstes darüber auf, dass wir davon ausgehen, dass wir – in Anführungsstrichen –
das Richtige tun. Und dann, in dem Moment, wo wir etwas angefangen haben, müssen wir
dann aber auch auf die Kritik hören. / Und da glaub ich, das macht dann den Unterschied
zwischen Batman und vielen anderen Helden, realistischen Helden jetzt, aus: wir müssen
zuhören, um dann zu hören: hat nicht vielleicht die andere Seite auch mal recht.
TEXT
Ziehen Helden nicht vielleicht gerade das Böse an, das sie dann so
spektakulär zerstören? Wäre die Welt mit weniger Heldentum und mehr
Mittelmaß nicht also vielleicht ein bisschen langweiliger, aber eben auch:
sicherer?
O-TON 17
Münkler
16’30
Die postheroische Gesellschaft ist für die meisten eine angenehme Gesellschaft, weil keiner
mit ausgestrecktem Finger auf einen zukommt und sagt: und du mein Lieber musst jetzt zu
den Waffen gehen und dich fitmachen, ein Held zu werden. Wie Uncle Sam auf dem
berühmten Plakat. Das ist angenehm.
TEXT
Herfried Münkler, Politikwissenschaftler.
O-TON 18
Münkler
16’30
Aber auf der anderen Seite gibt es für viele die Erfahrung, Empfindung der
Bedeutungslosigkeit, Beliebigkeit, und das ist wohl einer der Hintergründe dafür, warum
Leute aus unserer Gesellschaft diese verlassen und sich kleinen Gruppen Kämpfender
anschließen.
TEXT
Münkler denkt dabei an junge Männer, die sich religiös radikalisieren und sich
dann dem bewaffneten Terror des sogenannten Islamischen Staates
anschließen. Aber auch in anderen Kriegs- und Krisengebieten der Welt
entfalte das Heroische seinen Lockruf.
O-TON 19
Münkler
16’30
6
Das ist eine Mischung aus Abenteurertum und der Erfahrung von Kameradschaft, von
bedingungsloser Kameradschaft, aufeinander Angewiesensein, sich Verlassenkönnen, alles
Formen, die in hohem Maße mit heldischen Gemeinschaften verbunden sind und die
offenbar für viele junge Leute eine große Attraktion darstellen.
O-TON 20
Toprak 4’04
Das sind diejenigen, die auf der Seite von James Bond stehen würden. Die sagen: das ist
Held, weil er immer der ist, der immer alle besiegt und triumphiert. Und am Ende immer gut
aussieht und eine attraktive junge Frau an der Seite hat.
TEXT
Der Pädagoge Ahmet Toprak beobachtet eine kulturelle Problematik: Ein Held
zu sein, appelliert ans Archaisch-Männliche – das macht das Konzept nach
seiner Erfahrung vor allem attraktiv für Jugendliche mit geringer Bildung. Ein
Grundzug, den das Konzept vielleicht schon immer hatte: wer an den
Regularien der Gesellschaft scheitert, kann immer noch die besondere Tat
suchen. Das war leichter, als der Krieg noch zum Tagesgeschäft gehörte.
O-TON 21
Toprak 4’04
Ich hab sehr lange zB mit problematischen, gewalttätigen Jugendlichen gearbeitet, die
sagen: naja, wenn ich nichts auf die Kette kriege, werd ich Drogendealer, dann hab ich auch
meinen BMW. Dann ist er der Held, weil er mit krummen Geschäften zum Erfolg kommt. Ist
oft so, dass viele Misserfolge mit Machogehabe kaschieren.
TEXT
Helden stehen eben, auch diese Lektion aus der griechischen Mythologie
vergisst man leicht, nicht notwendig auf der Seite des Guten. Sie stehen auf
der Seite ihres Auftrags.
MUSIK
Superman alt – Tympani Beat Extension
TEXT
Menschen brauchen Helden und ihre Geschichten. Auch wenn die Namen der
klassischen Helden der antiken Mythologie vielen nicht mehr vertraut sein
mögen: anscheinend ist die Grundstruktur des Heroischen tief eingewoben ins
kulturelle Gedächtnis.
O-TON 22
Zilcher 6’25 / 2‘34
Wenn ich den ganz klassischen Ruf nehme, wo der Bote des Königs ins Dorf kommt und den
Prinzen ruft, die Tochter des Königs ist entführt worden, und du musst sie befreien. Das wär
der klassische Ruf. Und er geht los, auf seinem Weg kommen dann die Prüfungen bis zum
ultimativen Kampf mit dem Drachen.
TEXT
Der Gestaltherapeut Torsten Zilcher arbeitet mit mythischen Bildern.
7
O-TON 23
Zilcher 6’25
Das wär der ganz klassische Plot einer Heldenreise, // Geschichten, die über Jahrzehnte und
Jahrhunderte entstanden sind.
TEXT
Helden werden nicht geboren, sie werden gemacht. Das ist die Grundthese,
nach der der Mythenforscher Joseph Campbell aus Mythen, Sagen und
Märchen verschiedenster Kulturen und Religionen einen einzigen
sogenannten Monomythos destilliert hat: die Heldenreise. Torsten Zilcher
wendet dieses Prinzip mit seinen Klienten an – er formt vielleicht nicht Helden
im klassischen Sinne, aber die Entdeckungsreise ins Ich ist als
Herausforderung durchaus vergleichbar mit den Aufgaben, vor die sich
Herakles und Odysseus und Theseus in ihrer Zeit gestellt sahen, sagt er.
O-TON 24
Zilcher 23’30 / 24‘20
Wenn ich mich diesem innersten Abenteuer stelle, dann kann auch sein, dass auf dieser
Reise irgendwann die höchste Prüfung ansteht, und diese höchste Prüfung ist die
Begegnung mit meiner tiefsten existentiellsten Angst. Wenn man Leute fragt, was ist ihre
tiefste Angst, dann gehört der Tod sicher dazu, würd ich sagen. Aber hier im inneren ist von
psychischem Tod die Rede, dass ich tatsächlich was Altes in mir loslasse, das fühlt sich halt
an wie Sterben. Aber gleich im nächsten Moment gibt’s die Belohnung, denn erst wenn ich
Altes voll und ganz loslasse, dann gibt’s Platz für Neues.
TEXT
Therapeut Zilcher ist in seinem ersten Beruf evangelischer Diakon.
O-TON 25
Zilcher 24‘20
Das wäre im christlichen Kontext die Erlösung.
TEXT
Das Konzept der Heldenreise lässt sich in vielem kritisieren: sein Begründer
Joseph Campbell mischt unterschiedslos Erzählungen aller Art, aller Zeiten
und aller Kulturen zusammen. Es ist in seiner klassisch tiefenpsychologischen
Ausrichtung hemmungslos blind für weibliche Lebensrealität. Und doch ist
diese mythologische Gesamtschau ein brauchbares Werkzeug, für
Therapeuten wie für Erzähler.
MUSIK
Star Wars – Thema – optimistisch
O-TON 26
Helmke
14’20
Dieses klassische Konzept von einer Figur, die aus dem Alltag gerissen wird, sich auf eine
Reise begibt und dann Schwierigkeiten meistern muss, bis in die tiefste Höhle Verzweiflung
geführt wird, dann erlöst und verändert den Rückweg in die andere Wirklichkeit antreten
kann, auch ein Elixir mitbringt, das anderen helfen kann, dieses Motiv der Erlösung für
andere, das kann man grad in Blockbustern oder klassischen Heldenfilmen wie Terminator 1
zu 1 sehen.
8
TEXT
Julia Helmke ist Theologin und Präsidentin der evangelischen Vereinigung
Interfilm.
O-TON 27
Helmke
12’25
Wenn ich Filme als Seismographen von Zeit und Gesellschaft deuten will, wage ich doch
aber zu sagen, dass wir in einer Welt leben, die gerade nach Orientierung ringt, wo es auf
der einen Seite, gerade auch auf der politischen Seite ja neue Anführerhelden gibt, die sehr
klar und scheinbar einfach die Welt unterteilen in gut und böse, hell und dunkel, und dass
sich das auch in Blockbustern oder großen Produktionen widerspiegelt.
TEXT
In Krisenzeiten boomen die Heldengeschichten, sagt die Soziologie. Der
Begriff des Helden ist besonders im 20. Jahrhundert missbraucht worden, um
totalitäre Herrschaft schönzufärben. Nationalsozialismus wie Stalinismus
feierten ihre Kriegshelden. Und noch in der DDR sollte der Held der Arbeit die
ernüchternde Realität des Alltags übertünchen. Die deutsche Gesellschaft der
Gegenwart versteht der Politikwissenschaftler Herfried Münkler deshalb als
postheroische Gesellschaft. Helden haben in ihrem Alltagsgeschäft eigentlich
keinen Ort mehr.
O-TON 29
Münkler
9’45 / 4’20
1‘08‘‘
Diese Gesellschaften produzieren keine demographischen Überschüsse mehr, sie haben
nicht das Problem, zu viele junge Männer zu haben, die in irgendeiner Weise verbraucht
werden müssen, wenn ich das mal so hart sagen darf. / Und andererseits sind postheroische
Gesellschaften religiös erkaltete Gesellschaften, das heißt die Formen des Denkens von
Sinnhaftigkeit des Opfers – das ist ja ein wesentlich religiöser Gedanke, also // das Konzept
des Heldentums im Sinne des Sakrifiziellen, des Selbstopfers, der rettenden Tat, letzten
Endes des Sterbens für andere, dass das unserer Gesellschaft zutiefst fremd ist.
TEXT
Das Opfer macht den Helden, nicht der Erfolg, nicht, was er genau tut. Aus
dieser religiösen Grundstruktur gewinnt das Heroische seine besondere Kraft
und Faszination.
O-TON 30
Münkler
6’40
Der Held hat eine Idee oder eine Verpflichtung gegenüber anderen, die er beschützen und
retten will. Und für die – die Idee, die anderen – setzt er alles ein. Er denkt nicht über Flucht
oder Rückzug nach, sondern steht für sie ein. Er ist also einer, der sich zum Opfer bringt für
andere.
TEXT
Weil es den Helden nicht ohne Opferbereitschaft gibt, davon ist der
Politikwissenschaftler Herfried Münkler überzeugt, ist das Konzept des Helden
ganz grundlegend religiös:
O-TON 31
Münkler
24‘47
9
Der Held und der Märtyrer sind vermutlich Geschwister.
TEXT
Einspruch, sagt der türkischstämmige Pädagoge Ahmet Toprak:
O-TON 32
Toprak 14’43
Heldsein und Religion hat in keinster Weise was miteinander zu tun. Held und hegemoniale
Männlichkeit hat miteinander zu tun. Dh dieser klassische Mann muss stark sein, in der Lage
sein, zu kämpfen, diese klassische Rolle, hat religionsübergreifend mit diesem
Männlichkeitsbild zu tun.
TEXT
Dabei ließe sich Mohammed leicht als Glaubensheld interpretieren –
überliefert doch der Koran selber ihn als Kämpfenden. Aber gerade die enge
Verwandtschaft von Held und Märtyrer ist in der postheroischen Gesellschaft
eher ein Warnzeichen: auch Selbstmordattentäter lassen sich als Märtyrer
interpretieren – das warnt davor, zu schnell von Glaubenshelden zu reden.
Auch wenn sich die Geschichten der Religionsgründer durchaus so deuten
ließen, sagt der Politologe Herfried Münkler.
O-TON 33
Münkler
25’58
Ich würde nicht sagen, sie sind Helden, aber sie werden als Helden erzählt. Diejenigen, die
die Berichte über ihr Leben aufgeschrieben haben, haben drauf geachtet, dass die
Darstellung den Dargestellten in einer letztlich heroischen Pose zeigt. Das kann die im
Prinzip stoische Haltung des historischen Jesus am Kreuz sein, das kann das Agieren
Mohammeds sein, das kann die Entscheidung eines Mose sein, der Volk ins Ungewisse
führt, der aber immer die Härte und Entschlossenheit zeigt, diese Führung fortzusetzen.
MUSIK
Du bist der Löwe von Juda, der Retter, der Held…
TEXT
Härte, Entschlossenheit – nichts, was man gewöhnlich mit Jesus verbindet.
Wenn frommer Lobpreis Jesus als den „Löwen von Juda“ preist, dann
verwendet er biblische Bilder – und doch bleibt ein Unbehagen.
O-TON 34
Schröter
6’20
Nach meiner Auffassung ist Jesus kein Held gewesen, weil sich mit seinem Weg und Wirken
eigentlich Merkmale verbinden, die man normalerweise nicht mit dem Begriff Helden in
Verbindung bringen würde.
TEXT
Jens Schröter, Professor für Neues Testament an der Berliner HumboldtUniversität.
O-TON 35
Schröter
2’23
10
Dass jemand insbesondere auf seine eigenen Kräfte und Fähigkeiten vertraut und sich mit
diesen in Szene setzt oder hervortut, das würde natürlich zu dem, was mit Glauben oder
religiöser Überzeugung verbindet, nicht so passen. Da geht es eher darum, dass man auf
Gott vertraut oder auf eine transzendente oder überirdische Macht vertraut und nicht auf sich
selber.
TEXT
Das war schon für die frühen Christen nicht immer leicht zu schlucken: Es gibt
Erzählungen vom Leben Jesu, in denen er anders auftritt:
O-TON 36
Schröter
10’50
Dass Jesus schon als Kind besondere Dinge tun konnte, Vögel aus Lehm fertigen konnte,
die dann fliegen konnten, ähnliche wunderhafte Dinge.
TEXT
Ins Neue Testament haben es solche Berichte allerdings nicht geschafft, den
heldenhaften Jesus hat die frühe Kirche bald aussortiert, sagt Jens Schröter.
O-TON 37
Schröter
18’30 / 16’05
Es gibt natürlich in der Wirkungsgeschichte von Jesus, sowohl in Texten als auch in
bildlichen Darstellungen, diese Tendenz, ihn als Sieger und Herrscher darzustellen, der auf
dem Thron sitzt und Herrschaft ausübt. //Es drückt sich darin sicher eine Sehnsucht aus,
nämlich dass man sich auf starke Figuren bezieht.
MUSIK mystisch
Darauf:
TEXT
Wie tief ist das Heldenhafte in die Religion eingeschrieben, mit allen seinen
Ambivalenzen?
O-TON 39
Zilcher 17’10
Gerade das Neue Testament ist für mich eine Heldenreise par excellence, da sind alle
Elemente glasklar vorhanden, die ganzen Schritte, die Jesus durchlebt ist klare Heldenreise.
TEXT
Therapeut und Diakon Torsten Zilcher zieht da keine Grenzen: Jesus ist nicht
so anders, dass man ihn nicht auch als Held verstehen könnte. So wie andere,
die sich auf die Heldenreise begeben.
O-TON 40
Zilcher 18’05
Es gab viele Prüfungen und eine letzte große Prüfung. Und er ist ans Kreuz gegangen und
hat sich der letzten großen Prüfung gestellt. Im Jargon der Heldenreise ist davon die Rede,
dass die große Prüfung ist: Begegnung mit deiner größten und tiefsten existentiellen Angst.
Das hat Jesus, find ich, glasklar erlebt.
TEXT
Die Theologin und Filmexpertin Julia Helmke widerspricht nicht grundsätzlich
– aber schränkt ein. Kino und Mythen setzten eben doch an entscheidenden
Stellen andere Schwerpunkte.
11
O-TON 41
Helmke
20’28
So würde ich schon sagen, dass auch das Leben Jesu als eine Art Heldenreise, Reise des
Helden zu bezeichnen ist. Aber eben als Heldenreise der ganz anderen Art, die auch heute
noch befremdet, weil sie nicht so ist, wie wir es von einem Held erwarten, wo es nicht um
Gewalt geht, sondern um Nächstenliebe.
MUSIK Bach, Weihnachtsoratorium tr.3
Nun ist mein süßer Bräutigam, nun ist der Held aus Davids Stamm….
TEXT
Ein Held aus Davids Stamm – geboren zu Weihnachten. Ist Jesus ein Held
oder nicht? Das ist nur ein besonders prägnantes Beispiel für die Frage:
Brauchen wir Helden – oder doch nicht mehr? Stehen Helden so jenseits
dessen, was eine Gesellschaft aushalten kann, im Guten wie im Bösen? Oder
setzen Helden eben doch Kräfte frei, die andere nicht freisetzen können: Als
Ansporn, für Nichtalltägliches jenseits der bloßen Pflichterfüllung. Mit der
Hoffnung, dass der Held, ganz modern, auch weiß, wann es Zeit ist, andere
mit einzubeziehen. Weniger Opfer, mehr: Loslegen – auch wenn es
schiefgehen könnte. Eben: postheroische Helden.
12