Der Mensch, das Maß aller Tiere? Erik Schmid Fachtierarzt für Tierhaltung und Tierschutz Egg, 16.12.2014 1 Übersicht • • • • • Persönliches, Berufliches Geschichtliches, Philosophisches Gesellschaftliches, Gesundheitliches Ethisches Erfordernisse, Diskussion 2 Persönliches Berufliches • • • • • • • • Tierarzt aus Interesse an Tieren (deren Wohl) Assistent in Hamburg 1982: Abmagerungsdiät für Hunde!? Amtstierarzt: Sicherheits- und Gestaltungsvariante Schweinepest, IBR/IPV und Tollwut Interesse an Epidemiologie und Tierschutz Fachtierarzt für Tierhaltung und Tierschutz; ITT an VUW 1992 AG Nutztierschutz Gumpenstein, 2005 BTSchG 2008 Gründung Verein „Tierschutz macht Schule“ 3 Persönliches Berufliches • Tierschutztagungen Evangelische Akademie Bad Boll: 1992 „Der Tierarzt, berufener Tierschützer?“ • Freilandtagung des Freilandverbandes • >2000 Hotel Mercure Bregenz; Workshop mit Prof Hans Ruh: „Das ethische Anforderungsprofil für einen Tierarzt“ ca 5-7 TN • 2006 „Tierschutz im Advent“ mit Herwig Grimm • 2006 „Vethics“ Präsentation bei der EurSAFE • European Society for Agricultural and Food Ethics 4 Rundschreiben 03.10.2006 Betreff: Ethikworkshop für Tierärzte Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, mittlerweile befassen sich sogar die „Ländle-Marke“ und die Discounter mit ethischen Grundsatzfragen in der Lebensmittelproduktion. Auch die österreichische Tierärztekammer hat ein Positionspapier zum „vernünftigen Grund“ für das Töten eines Heimtieres ausgearbeitet. Aus Kollegenkreisen ist der Wunsch nach einem „Ethikseminar“ für Tierärzte an mich herangetragen worden. Diesem komme ich gerne nach. Ich habe mit Herrn Herwig Grimm von der Universität München auch einen kompetenten Referenten gefunden. In Vorgesprächen haben wir uns darauf verständigt, dass wir die Veranstaltung in Form eines Workshops mit Arbeitsgruppen (Nutztiere, Heimtiere, Veterinärverwaltung) an einem Nachmittag durchführen wollen. Da ich schon einmal mit einer ähnlichen Veranstaltung „ethisches Anforderungsprofil für den praktischen Tierarzt“ auf wenig Interesse gestoßen bin, möchte ich diesmal in den Vorbereitungen das Interesse verbindlich abfragen. Ich bitte deshalb alle Kolleginnen und Kollegen, die konkretes Interesse an der Teilnahme an einem Ethikworkshop hätten, sich in unserem Sekretariat zu melden und Terminwünsche anzugeben. Als Termine stehen derzeit noch zur Auswahl: Mittwoch, 29. November, Donnerstag, 30 November oder Freitag 1. Dezember jeweils von 14.00 bis 18.00 Uhr im Seminarraum der Tierklinik Schwarzmann. 5 Vethics Vets for Ethics Erik Schmid Eursafe 2006 6 7 8 9 Conclusions • Consumer final decision at point of sale • Need for clear and honest information (sustainability and ethics of products) • AW-Label and AW-Action Plan will facilitate upgrading of welfare standards in EU • Perhaps also in WTO • Let's do our best ! 10 Thank you for your attention! Acknowledgement to my colleague Thomas for his beautiful paintings of the cows 11 Herzlich Willkommen! Tierschutz im Advent Der Tierarzt als berufener Tierschützer!? Herwig Grimm Marsstraße 19 80335 München www.ttn-institut.de 12 Grundanliegen – Das Wohl der Tiere Ethik Veterinärmedizin Tierschutz als kontrovers diskutiertes Thema „Rolle des Tierarztes“ 13 Hintergrund – Geschichte des Tierschutzes 20. Jhdt. Tierschutz um der Tiere selbst willen organisierter Tierschutz im 19. Jhdt. Darwins Evolutionstheorie (1858) Die Frage ist nicht, können sie denken oder können sie sprechen, sondern können sie leiden? (Bentham, 1820) röm. Recht: Personen und Sachen (bis 19. Jhdt. einflussreich) aus ökonomischen Gründen 14 Hintergrund – Geschichte des Tierschutzes 20. Jhdt. - Umbruch: Tierschutz um der Tiere selbst willen! - Tiere werden Mitglieder der Gemeinschaft moralischer Objekte - Bsp.: Schweitzer: „Ehrfurcht vor dem Leben“ „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will“ (1963) A. Schweitzer (1875 – 1965) „Wie die Hausfrau, die die Stube gescheuert hat, Sorge trägt, daß die Türe zu ist, damit ja der Hund nicht hereinkomme und das getane Werk durch die Spuren seiner Pfoten entstelle, also wachen die europäischen Denker darüber, daß ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen.“ I. Kant (1724 – 1804) 15 Tierethische Begründungen und Positionen im 20. Jhdt. Warum sind Tier um seiner selbst willen ist schützenswert? Utilitaristische Ethik (P. Singer 1982): „Wenn ein Wesen leidet, kann es keine moralische Rechtfertigung dafür geben, dass man sich weigert, dieses Leiden zu berücksichtigen. […] Wenn ein Wesen nicht fähig ist zu leiden oder Freude oder Glück zu empfinden, dann gibt es auch nichts zu berücksichtigen.“ Tierrechtstheorien (T. Regan 1983): Tiere sind Subjekte ihres Lebens. Deshalb haben sie einen inhärenten Wert (unabhängig von anderen Werten z.B. Wert für Menschen). Folglich sollten wir sie in die moralische Gemeinschaft aufnehmen. 16 Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben „Als gut lässt sie nur Erhaltung und Förderung von Leben gelten. Alles Vernichten und Schädigen von Leben, unter welchen Umständen es auch erfolgen mag, bezeichnet sie als böse.“ Unmöglichkeit gut zu sein? „Nur da, wo es durch einen ausreichenden Zweck gerechtfertigt ist, dürfen wir eingreifen. Und weil uns die Natur zu Leben zerstörendem Tun knechtet, haben wir desto mehr danach [zu] streben, das andere [Tun], das Leben erhält und fördert, zu üben, wo es möglich ist, um zu erkaufen, was wir gezwungen begehen.“ Grausames Tun nur für wertvollen Zweck! „In jedem einzelnen Falle müssen sie erwogen haben, ob wirklich Notwendigkeit vorliegt, einem Tiere dieses Opfer für die Menschheit aufzuerlegen.“ „Aber auch hier darf uns niemals das Bewusstsein der Verantwortung verlassen.“ 17 Mitglieder der moralischen Gemeinschaft Egoismus Ich Anthropozentrismus alle Menschen Pathozentrismus alle Leidensfähigen Biozentrismus alle lebenden Wesen Holismus ALLES 18 Geschichtliches, Aktuelles zum Fleisch • • • • • • • Fleisch wurde „Grundnahrungsmittel“ Fleisch wird für Bürgertum Symbol für Identität, Distinktion Justus Liebig (1803-1873) Alles Leben = Chemie, Energie Carl von Voit (1831-1908) „Kostmaß“ Eiweiß = Standardenergie Bis heute gehalten „Fleisch bringt`s“ AMA Werbung Nach den Kriegen: nie wieder Krieg, nie wieder Hunger (EU) Unglaubliche Produktivitätssteigerung, Intensivierung, Folgen 19 20 21 Maßzahlen Produktivitätssteigerung extrem; Tierzucht Geflügelzucht weltweit noch 2 (Öl)Konzerne Masthuhn: Geburt 50 g, mit 28 Tagen 2.000 g Schwein: Geburt 1,2 kg, mit 6 Monaten 120 kg 1939: Schweinefleisch teurer als Bergkäse „Wer jeden Tag ein Schnitzel isst, der weiß nicht mehr wann Sonntag ist“ • Hundefutter (aus Nebenprodukt) teurer als Fleisch • Fleischkonsum massiv angestiegen 80-100 kg/Per/a • Maßlosigkeit? • • • • • • 22 Ethisches • ist es gut Fleisch zu essen, dafür Tiere zu töten • Buchtipp: Jonathan Safran Foer: „Tiere essen“; kritischer Trend • körperliche- gesundheitliche Überlegungen – Überernährung; Zivilistionskrankheiten – AB-Rückstände; Resistenzen • ökologisch-politische (soziale) Überlegungen – Verteilungsgerechtigkeit; Welternährung – Globalisierung (Welthandel); Klimawandel • sittlich-moralische Überlegungen – Ausbeutung der Tiere; Gewaltanwendung (Schlachthäuser = Krieg) – Tierrechte; Nutzungsfrage 23 Gesundheitliches • • • • • • • • • Fleischkonsum korreliert mit Zivilisationskrankheiten Buchtipp: Colin Campbell „China Study“ Wild, Fisch (nur Wildfang) gesünder Fettsäuremuster (Verhältnis 3:6), Columbus-Diät Massentierhaltung braucht massiven AB-Einsatz Kompensation für schlechte Haltungsbedingungen Rückstände im Fleisch, Harn, Kot (Gülle) Mehrfach resistente Keime (MRSA, ESBL) überspringen vom Feld auf LM/Spital EHEC 24 25 Ökologisches • • • • Über die Hälfte der Getreideproduktion ins Viehfutter „Das Vieh der Reichen frisst das Brot der Armen“ 20 % der gesamt CO²-Bilanz aus Landwirtschaft Pro kg Rindfleisch – 15.000 Liter Wasser, 16 kg Getreide, 50 m² Regenwald • Europa 2. größter Soja-Importeur aus Südamerika • Monokulturen, Abholzung Regenwald, Versteppung • Buchtipp: Felix zu Löwenstein: „Food Crash“ wir werden die Welt ökologisch ernähren, oder gar nicht 26 Ethisches • Tiernutzung „gesplittete Ethik“ • Wild-Haustiere, dann Nutz- und Heimtiere Ratte: Wildtier, Schädling, Versuchstier, Futtertier, Heimtier • Gesetzliche Normen (sehr) unterschiedlich: – Hund und Schwein (intelligenter) zB Kastration, Schlachtung • • • • • Personifizieren bei Heimtieren Anonymisieren bei Nutztieren Buchtipp: Hal Herzog „Wir streicheln und wir essen sie“ 80 kg Fleisch vernünftiger (rechtfertigender) Grund? (Tier) Ethik: Wohl des Tieres oder Moral des Menschen 27 Vermenschlichung Versachlichung - + Zeit pro Tier Aufwand pro Tier - Nutztiere Versuchstiere - Heimtiere + Verbraucher Partner + + Sache Freund Lebewesen mit eigenen Ansprüchen Tiere sind keine Sachen Tiere sind keine Menschen Tiere sind Lebewesen mit eigenen Ansprüchen Angemessene Mensch-Tier Beziehung bedeutet, Tiere in ihrer Eigenart zu achten! Eine unangemessene Mensch-Tier Beziehung missachtet die Eigenart des Tieres und macht sie zu Menschen oder Sachen. Tiere haben unterschiedliche Nutzen für Gesellschaften unterschiedliche Kontexte liefern unterschiedliche Rechtfertigungen nicht die unterschiedliche Behandlung an sich ist problematisch Missachtung der Eigenart des Tieres ist problematisch einzelne Handlung muss gerechtfertigt/verantwortet werden Die Schizophrenie liegt darin, dass wir gleiche Ansprüche der Tiere unterschiedlich respektieren. Die angemessene Mensch-Tier Beziehung zeichnet sich dadurch aus, dass in jedem Fall geprüft wird, ob man der Eigenart des Tieres besser entsprechen kann. 31 Verdinglichung ohne Rücksicht? Tiere als lebendiger Rohstoff Moralische Praktiken im Umgang mit Tieren Tierethik und Nutzungsfrage 32 Kritik an traditioneller Tierethik Was stört uns, wenn es nicht weh tut? Viele von Singers LeserInnen verurteilen die Verursachung von tierlichem Leid, weil sie darin eine respektlose Einstellung manifestiert sehen. Sie sehen darin die gleiche arrogante angenommene Überlegenheit und Dominanz, wie sie sich im Rassismus und Sexismus zeigt. Zudem verurteilen sie die Ausbeutung von Tieren beziehungsweise die Auffassung, Tiere seien Dinge, die uns zur Benutzung nach unserem Belieben zur Verfügung stehen. (Hursthouse 2014 [2011], 322) Nicht Schmerzen, Leiden, Schäden, sondern die respektlose Einstellung (bestimmte Beziehung/Praxis) ist das Problem! 33 Tugendethik: Haltung gegenüber Wehrlosen Milan Kundera: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins Die wahre menschliche Güte kann sich in ihrer absoluten Reinheit und Freiheit nur denen gegenüber äußern, die keine Kraft darstellen. Die wahre moralische Prüfung der Menschheit, die elementarste Prüfung (die so tief im Innern verankert ist, daß sie sich unserem Blick entzieht) äußert sich in der Beziehung der Menschen zu denen, die ihnen ausgeliefert sind: zu den Tieren. Kundera 1984, 328f. 34 Verwerten oder sich in seiner Macht zurücknehmen? Kundera zielt auf die “Ausgelieferten” ab: “die ihnen [den Menschen] ausgeliefert sind” M M-mm t T-m Pointe: Es geht Wir darum, lehnendie bestimmtes eigene Macht Verhalten gegenüber Wehrlosen ab, weil es Ausdruck einer zutiefst christlich gegenüber Ausdruck Ausgelieferten eines nicht tugendhaften Charakters ist. geprägten Moral. zurückzunehmen. Ausdruck unserer Vorstellung von Moralität 35 Praktiken der Verdinglichung (von Tieren durch Menschen) Instrumentalisierung: Tiere als Werkzeug für eigene Zwecke Leugnung der Autonomie: Tieren fehlt Autonomie und Selbstbestimmung Leugnung der Subjektivität: Tiere sind Objekte, daher Besitzverhältnis Trägheit: Tieren fehlt es an Handlungsfähigkeit, vielleicht auch an Aktivität Austauschbarkeit: Tiere sind austauschbar, werden durch andere ersetzt. Anonymisierung in Nutztierhaltung Mm t T-m Durch die Praktiken der Verdinglichung von Wehrlosen machen sich Menschen zu rücksichtslosen Verwertern der uns Ausgelieferten 36 Praktiken der Verdinglichung: Deckungsbeitragsrechnung Erlös/PE - variable Kosten/PE DB/PE (Begleichung der Fixkosten) Tiergerechtheit kommt hier nicht vor und kann nicht vorkommen ökonomische Effizienz: tierliche Eigenschaften werden zum Problem Tiere müssen als Produktionseinheiten und nicht als Tiere funktionieren o o o o o Anpassung an Haltungsbedingungen und nicht umgekehrt Zucht (gentechnische) Veränderung von Tieren nach Nutzungszweck Therapie als Produktionseinheiten funktionierend machen Keulung als Aufrechterhaltung des effizienten Produktionsprozesses Tötung als Folge ineffizienter Produktion Das Eigene (der Tiere) wird zum Störfaktor und durch Praktiken der Verdinglichung minimiert. Das Fremde (menschliche Ziele) wird zum Eigenen der Tiere gemacht. Mm t T-m 37 38 39 Der Mensch macht sich im Umgang mit Tieren selbst zum Thema Die wahre moralische Prüfung der Menschheit, die elementarste Prüfung [...] äußert sich in der Beziehung der Menschen zu denen, die ihnen ausgeliefert sind: zu den Tieren. Kundera 1984, 328f. eine wichtige Dimension unserer Moralvorstellung deutlich Wehrlose/Ausgelieferte üben keinen Zwang aus tugendhafter Mensch nimmt Rücksicht auf Wehrlose nimmt sich in seiner Macht zurück nutzt seine Macht nicht zur Verdinglichung Verdinglichung wehrloser Tiere (Wesen), um seine Zwecke zu erreichen (macht sie zu lebendigen Rohstoffen) als moralisches Problem 40 Persönliches Resume Der Mensch ist das Maß aller Tiere (Dinge) Er hat die Macht über Tiere (Dinge) errungen Damit hat er aber die Verantwortung und Pflichten Die Moralität/Tugend zeigt sich im Ausüben dieser Macht/Verantwortung • Im Zweifelsfall sollte er sich an der Natur orientieren • Das Ausmaß ist ihm (noch) nicht bewusst, die Sensibilität abhanden gekommen, Maß verloren. • • • • 41 Biomasse Wirbeltiere global • Berechnung Vaclav Smil, University Ontario • Was schätzen Sie? % Anteil an Gesamt Ihre Schätzung Menschen Nutztiere Wildtiere 42 Biomasse Wirbeltiere global • Veröffentlicht in „Eating our Future“ WSPA % Anteil an Gesamt Menschen Tatsächlicher Wert 32 Menschen Nutztiere 65 Wildtiere 3 Nutztiere Wildtiere 43 Erfordernisse • • • • • • Standortangepasste Tier- und Pflanzenzucht Energieautonomie 2050 heißt weg vom Kraftfutter Getreide in Gunstlagen; Vieh im Berggebiet Grünland = Freiland; weg von Intensivsystemen „Meisterklasse“ für praktizierende Landwirte Information, Transparenz, Kennzeichnung (wie Eier) – Betroffenheit wecken, Erlebnis bieten (Schulen, VHS) • Tierschutz- und Ethikunterricht in Schulen • Reduktion Fleischkonsum um mindestens 50% • Zurück zum Sonntagsbraten; Maß finden/halten 44 Wünschenswertes jetzt angeregte Diskussion 45
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