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Aziz Bozkurt (SPD), Vorsitzender der AG Migration und
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Vielfalt, gab heute, 16.12.16, dem Südwestrundfunk ein
Interview zum Thema: „Abschiebungen nach Afghanistan“. Internet
Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Marion Theis.
Mit freundlichen Grüßen
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Datum:
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07221/929-22050
www.swr2.de
16.12.2016
SPD-Politiker Bozkurt: Abschiebungen nach Afghanistan "jenseits von Gut und Böse"
Baden-Baden: Der Vorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt, Aziz
Bozkurt, wirft dem Bundesinnenminister Rechtsbruch vor. Wenn in deren Herkunftsland Gefahr
für Leib und Leben bestehe, dürfe man keine Geflüchteten nach Afghanistan abschieben, sagte
Bozkurt im SWR (Südwestrundfunk), die gesetzliche Lage sei da klar.
Bozkurt warf de Maizière vor, mit einer Auswahl von 34 Flüchtlingen Bilder zu produzieren, die
den Afghanen Angst machen sollen. Das grenze an psychische Folter und sei „jenseits von Gut
und Böse.“ Dabei spüre man den „starken politischen Willen, das Gefühl zu erzeugen,
Afghanen seien nicht schutzbedürftig und könnten sich nicht integrieren, so der SPD-Politiker.
Bozkurt forderte seine Partei auf, sich in der Bundestagsfraktion deutlich gegen Abschiebungen
nach Afghanistan auszusprechen. Er wünsche sich mehr Stimmen, die sagen, dass das mit der
SPD nicht zu machen sei.
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Theis: „Vor Reisen nach Afghanistan wird dringend gewarnt.“ Das steht auf der
Internetseite des Auswärtigen Amtes. Trotzdem schicken die Bundesländer afghanische
Flüchtlinge zurück. Kriegen Sie das zusammen?
Bozkurt: Nein, keinesfalls, weil das Auswärtige Amt listet auch noch schön auf, was alles im
Jahr 2016 passiert ist und wie viele Menschen getötet wurden. Ein EU-Botschafter sagt, hier
herrscht Krieg. Und unsere gesetzliche Lage ist ja eigentlich klar, dass es heißt, dass bei
konkreter Gefahr für Leben und Freiheit man von Abschiebungen absehen sollte. Gerade, wenn
wir uns angucken, dass die Hauptstadt Mazar-i-Sharif der Provinz Balch, was als sicheres
Gebiet laut Bundesregierung gilt, dass da ein Anschlag passiert auf das deutsche Konsulat und
hunderte Menschen verletzt wurden und es Tote gab, dann passt das natürlich nicht
zusammen. Das, was Herr de Maizière da macht, mit 34 Geflüchteten, obwohl wir da ja 12.500
Ausreisepflichtige haben, das ist schon, ja, er produziert Bilder, die Geflüchteten Angst machen
sollen, und das gleicht dann eher einer psychischen Folter, die er dort macht. Und da stellt sich
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
die Frage, wie er schlafen will, wenn da tatsächlich einer der Abgeschobenen auch durch einen
Anschlag stirbt.
Theis: Andererseits leben und arbeiten ja auch Deutsche in Afghanistan. Sie haben
schon gesagt, das deutsche Generalkonsulat in Mazar-i-Sharif ist ausgebombt worden,
aber es wird wieder bezogen, und Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für
Internationale Zusammenarbeit sind auch dort. Kann die Situation dann so schlimm
sein?
Bozkurt: Na ja, man könnte ja gerne einmal mit den Mitarbeitern reden, wie die sich dort
bewegen in der Stadt, wie das Leben dort läuft. Das ist ja kein normales Leben, was da
funktioniert. Von daher ist das ziemlich makaber, solche Mitarbeiter heranzuziehen dafür und
glauben machen zu wollen, dass da ein völlig normales Leben abläuft.
Theis: Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Kofler von der SPD fordert,
die Abschiebung nach Afghanistan sofort zu stoppen, ähnlich wie Sie auch. Ansonsten
hält sich die SPD mit Kritik auffallend zurück. Wie erklären Sie sich das?
Bozkurt: Ich hoffe, es ist nicht die Angst, dass man irgendwelche Wählerschichten vergrault,
denn, falls man hier jemand vergraulen würde, wären das menschenverachtende Stammtische,
die sowieso nichts Gutes wollen. Ich habe zum Beispiel mit Rüdiger Veit, dem
Bundestagsabgeordneten in der SPD gesprochen, der sich mit der Geflüchtetenpolitik
fokussiert beschäftigt, und da ist auch die eindeutige Aussage, dass das nicht geht, was da
gerade passiert. Mehr Stimmen wünschte ich mir da auch, die deutlich sagen, dass das gar
nicht mit der SPD zu machen ist und dass man das jetzt auch in der Fraktion stoppen will.
Theis: Wir müssen solche Rückführungsaktionen machen, um unser Asylsystem
funktionsfähig zu halten, das ist unter anderem die Argumentation des
Bundesinnenministers. Hat er nicht insofern Recht, als dass es Afghanen
erfahrungsgemäß sehr viel schwerer fällt, sich in unserer freien Gesellschaft
zurechtzufinden als zum Beispiel Syrern?
Bozkurt: Das würde ich in Zweifel ziehen, und wir müssen ja auch gucken, welche
Integrationsangebote wir machen. Wir haben ja, oder gesetzlich wurde ja mit dem Asylpaket I
zum Beispiel unterbunden, dass Integrationskurse auch für Afghanen zur Verfügung gestellt
werden. Da hat man nämlich definiert, dass nur bei guter Bleibeperspektive den Menschen
diese Kurse angeboten werden sollen. Das orientiert sich so grob daran, dass man sagt, dass
die Schutzquote, also bei wie vielen Personen, die hier sind, auch die Schutzquote hoch ist,
dass die auch hier bleiben können. Und da ist plötzlich, muss man ja sagen, die Schutzquote
von 2015 von 77 Prozent auf 52 gefallen, und da merkt man halt, dass das ein starker
politischer Wille ist, das Gefühl zu erzeugen, die sind alle nicht schutzberechtigt, die können
sich nicht integrieren. Und das ist jenseits von Gut und Böse, was Herr de Maizière da macht.
Theis: In diesem Jahr sind ja schon 3200 Afghanen, deren Asylanträge abgelehnt
wurden, wieder ausgereist. Der Bundesinnenminister setzt auch auf freiwillige
Rückkehrer. Nächstes Jahr will er ein Programm auflegen, das solche Rückkehrer
fördert. Die bekommen dann Reisekosten und Startgelder. Ist das eine vernünftige Idee
Ihrer Meinung nach?
Bozkurt: Also, generell darauf zu setzen, die freiwillige Ausreise zu fördern, das kann man ja
gut begleiten, die Menschen, und sie vielleicht auch unterstützen, vielleicht auf dem Weg
dorthin und was dort halt passiert. Aber bei den Afghanen, glaube ich, ist das noch einmal ein
bisschen anders gelagert. Der afghanische Botschafter, der scheidende, Hamid Sidig, sagte,
dass aus Verzweiflung, Krankheit, Depressionen in den letzten zwei Jahren, glaube ich, 25
Menschen sich selbst umgebracht haben. Das heißt, da ist eine ziemlich große Verunsicherung,
Verzweiflung, was passiert am nächsten Tag bei mir. Und wie gesagt, die Bilder, die da jetzt
erzeugt werden mit 34 Geflüchteten, sind nichts weiter als psychische Folter.
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
- Ende Wortlaut -
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