13.12.2016, Waffen aus dem Internet - Rechte rüsten auf

Manuskript
Beitrag: Waffen aus dem Internet –
Rechte rüsten auf
Sendung vom 13. Dezember 2016
von Hannes Vogel
Anmoderation:
Gleich knallt‘s! Deutsche besorgen sich Waffen aus dem Internet,
Waffen mit Namen wie „Bautzen Edition" oder „Migrantenschreck
Komplettpaket". Damit könne man besonders gut auf Ausländer
schießen, so die menschenverachtende Werbung. Rassisten
rüsten auf gegen Flüchtlinge. Nur ein paar Durchgeknallte? Oder
ist das schon ein erschreckender Beleg dafür, wie sehr unsere
Gesellschaft sich radikalisiert hat? Deutschland im Jahr 2016,
soweit ist es gekommen. Hannes Vogel über Migranten im Visier
und Politiker.
Text:
Seit Monaten kursieren im Internet erschreckende Videos. Ein
Vermummter schießt auf deutsche Spitzenpolitiker. Im Visier:
Justizminister Heiko Maas, Bundespräsident Joachim Gauck und
Kanzlerin Angela Merkel.
Die Clips sind Werbung für den Waffenshop „Migrantenschreck“.
Der Name ist Programm: Gewehre und Pistolen gegen
Flüchtlinge werden angeboten. Sie heißen „Bautzen Edition“,
nach der Stadt, wo Rechtsextreme Flüchtlinge jagten. „Handeln
Sie jetzt! Halten Sie Ihr Viertel sauber“ heißt es. Und offener
Aufruf zur Gewalt: „60 Joule Mündungsenergie strecken jeden
Asylforderer nieder.“
O-Ton Konstantin von Notz, B‘90/GRÜNE, MdB, Sprecher für
Netzpolitik:
Das ist eine Seite, die rassistisch rechtsradikal Ängste schürt
und versucht die Hemmschwelle für Gewalt gegen Migranten
offensichtlich herabzusetzen bei den Leuten. Das ist
rassistisch motivierte Gewaltverherrlichung und dagegen
muss vorgegangen werden.
Die Macher von „Migrantenschreck“ hetzen nicht nur, sie
versprechen diskreten Versand: „Ohne lästige bürokratische
Hürden oder ärgerlichen Papierkram.“
Im Werbeclip von „Migrantenschreck“ werden offenbar
Hartgummikugeln mit Schreckschussmunition verschossen - in
Deutschland verboten. Doch „Migrantenschreck“ agiert von einem
Server in Russland. Kann hier also wirklich jeder illegale Waffen
bestellen, so wie Bücher bei Amazon?
Wir treffen einen Informanten, der zeigt uns, wie leicht der
Waffenkauf ist. Er bestellt das Gewehr aus den Werbeclips. Es
heißt HD130.
O-Ton Informant:
Das funktioniert ganz einfach: Bestellung mit einem Klick,
dann zur Kasse und einfach E-Mail und Adresse eingeben.
Dauert alles höchstens ein paar Minuten.
„Migrantenschreck“ verlangt Vorkasse. Gezahlt wird auf ein Konto
der OTP-Bank in Budapest. Und tatsächlich: Drei Wochen später
kommt ein Paket aus Ungarn. Es ist ungeöffnet. Waffenhandel einfach per Post. Die Behörden haben nichts gemerkt.
Wir wollen wissen, wie gefährlich die Waffe ist. Auf einem
Schießstand lassen wir das testen. Schießen wird Prüfer Florian
Trapp, mit dabei auch Ingo Meinhard vom Verband Deutscher
Büchsenmacher.
Auf der Schießbahn lädt Florian Trapp das Gewehr. Auf etwa
sieben Meter schießt er auf Ballistikseife, härter als menschliches
Gewebe. Dann misst er die Durchschlagskraft.
O-Ton Florian Trapp Deutsche Versuchs- und Prüf-Anstalt für
Jagd- und Sportwaffen:
Einschusstiefen im Bereich von 15 bis 17 Millimeter haben
wir gemessen, das ist schon ordentlich. Wir hätten eventuell
aufgeplatzte Stellen. Und wenn es ganz dumm läuft und man
an den falschen Stellen getroffen wird, kann es mit Sicherheit
lebensbedrohlich sein. Getroffen werden möchte ich davon
mit Sicherheit nicht.
Luftgewehre dürfen in Deutschland höchstens 7,5 Joule
Mündungsenergie haben. Das Gewehr von Migrantenscheck
kommt auf das Acht- bis Zwölffache.
O-Ton Ingo Meinhard, Verband Deutscher Büchsenmacher
und Waffenfachhändler:
Wenn man sich diese Waffen von „Migrantenschreck“ nach
Hause bestellt, dann mache ich mich definitiv damit strafbar.
Denn diese Waffen sind illegale Schusswaffen. Und der
Verstoß gegen das Waffengesetz wird hier mitunter mit bis
zu drei Jahren Gefängnis bestraft. Das liegt daran, dass
diese Mündungsenergie um ein Vielfaches überschritten
wird, aber auch dass diese Waffen in Deutschland weder
geprüft noch zugelassen sind.
Doch die in Deutschland illegalen Waffen von „Migrantenschreck“
sind hier längst im Umlauf. Auf YouTube prahlen Rechtsextreme.
Ein Mann trainiert die Migrantenjagd. Er nennt sich „Reinhard
Heydrich“, so wie der SS-Verbrecher.
O-Ton „ReinhardHeydrich1942“, Quelle YouTube:
So das is jetzt hier ‘ne Steinwand. Also, ich glaube, jeder
Flüchtling hat damit erstmal genug.
Der Waffenhandel auf „Migrantenschreck“ boomt offenbar. Frontal
21 liegt ein internes Dokument vor. Es zeigt die
Verwaltungsoberfläche des Waffenshops. Er soll bereits mehr als
30.000 Euro Umsatz gemacht haben. Und Hunderte Bestellungen
sollen vorliegen.
Das Geschäft läuft so: Die Gewehre werden in den KeserüWerken, einer Waffenfabrik in Budapest, hergestellt. In Ungarn
kann man sie in Waffenshops legal kaufen. „Migrantenschreck“
schickt die Waffen dann per Post nach Deutschland. In unserem
Fall von einem Bürogebäude in Budapest – offensichtlich eine
falsche Adresse.
„Migrantenschreck“ macht dabei ordentlich Kasse. Unser Gewehr
kostet in den Keserü-Werken rund 280 Euro. Preis bei
„Migrantenschreck“: 749 Euro - fast dreimal so viel.
Wer steckt hinter „Migrantenschreck“ und den Waffengeschäften?
Bei der Berliner Staatsanwaltschaft erfahren wir: Sie ermittelt
wegen des Verdachts auf illegalen Waffenhandel.
O-Ton Martin Steltner, Pressesprecher Staatsanwaltschaft
Berlin:
Wir ermitteln seit Frühsommer diesen Jahres gegen einen
33-jährigen Mann. Der Beschuldigte stammt aus Thüringen.
Er ist nach unseren Erkenntnissen dem rechtsextremen
Spektrum zuzurechnen. Er hält sich nach unseren
Erkenntnissen allerdings im Ausland auf. Wir haben
Hinweise auf Ungarn, aber wir haben auch Spuren, die in die
USA hindeuten.
Ist der mutmaßliche Hintermann von Migrantenschreck wirklich so
schwer zu finden? Im Internet hinterlässt er jede Menge Spuren zum Beispiel in den Anmeldedaten des Waffenshops: Mario
Rönsch aus Erfurt. Inzwischen steht sein Name sogar ganz offen
im Impressum von „Migrantenschreck“. Seine GmbH ist sogar im
ungarischen Handelsregister eingetragen, inklusive Adresse und
Steuernummer.
Und Rönsch ist kein Unbekannter. In Erfurt war er AfD-Mitglied.
Bei einer Demo der Partei bedrängte er ZDF-Reporterin Dunja
Hayali.
O-Ton Mario Rönsch:
Geht nach Hause oder stellt euch mit auf die Straße, ihr
Journalisten, ja. Aber hört auf, diesen Mist zu berichten!
Rönsch ist vorbestraft wegen Betrugs. In der rechten Szene ist er
gut vernetzt. Auch wegen Volksverhetzung wird ermittelt. Denn
Rönsch soll jahrelang die Facebook-Seite „Anonymous.Kollektiv“
betrieben haben, die größte deutsche Hass-Seite im Netz. Sie
hetzte gegen Flüchtlinge, sie leugnete den Holocaust und sie
machte massiv Werbung für „Migrantenschreck“.
Auf Anfrage von Frontal 21 antwortet Rönsch, er sei nach Ungarn
ausgewandert, sein Geschäft sei dort legal,
Zitat:
„Von illegalem Waffenhandel (…) kann also in keinster Weise
die Rede sein. Ich tue nichts Verbotenes. Diese Tatsache ist
auch deutschen Behörden bekannt (…).“
Die Keserü-Waffenfabrik erklärt schriftlich, sie habe keine
Verbindung zu „Migrantenschreck“.
Während die Staatsanwaltschaft Rönsch nicht findet, posiert er
mit politischen Freunden im ungarischen Parlament.
Auf dem Foto unter anderem: Kai Homilius, Verleger des
rechtspopulistischen Compact-Magazins. Weder Rönsch noch
Homilius wollen sich dazu äußern.
Warum kann Rönsch weiter so offen agieren? Warum legen
Behörden Migrantenschreck nicht endlich das Handwerk?
O-Ton Ingo Meinhard, Verband Deutscher Büchsenmacher
und Waffenfachhändler:
Wie wir gesehen haben, wird diese Waffe aus Ungarn
geliefert und wird in Ungarn produziert. Dort sind diese
Waffen augenscheinlich völlig legal für den Selbstschutz zu
Hause zu erwerben. Wir leben in Europa, wir haben freie
Grenzen, einen freien Warenfluss. Problematisch ist
tatsächlich diesen Warenfluss zu kontrollieren.
Bis heute ist sich die europäische Politik nicht einig, wie der
grenzüberschreitende Handel mit Schusswaffen kontrolliert
werden soll. So hat „Migrantenschreck“ leichtes Spiel.
Nachfrage beim Innenminister: kein Interview. Schriftlich heißt es,
Deutschland stehe in intensivem Kontakt mit Ungarn und weiter,
Zitat:
„Weitere Vereinheitlichung in Europa soll die Änderung der
EU-Feuerwaffenrichtlinie bringen, insbesondere werden
Verbote bestimmter Waffen (…) diskutiert.“
O-Ton Konstantin von Notz, B‘90/GRÜNE, MdB, Sprecher für
Netzpolitik:
Es ist nicht hinnehmbar, dass ein Land wie Ungarn
sozusagen der Ausgangspunkt ist, für so gefährliche Waffen,
die dann am Ende des Tages in Deutschland landen. Es
handelt sich hier eindeutig um ein Angebot, das sich an
deutschsprachige Kunden richtet. Und insofern gibt es da
auf deutscher Seite auch absolut Handlungsbedarf.
Nach wie vor ist „Migrantenschreck“ online. Rechtsradikale
können sich weiter ungestört bewaffnen.
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