s ü dwestrundfunk

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SÜDWESTRUNDFUNK
FS-INLAND
R E P O R T MAINZ
S E N D U N G:
05.07.2016
http://www.reportmainz.de
Lieblingswaffe der Amokschützen: Trotz
Orlando blockiert Deutschland ein
europaweites Verbot von
halbautomatischen, kriegsähnlichen
Gewehren
Autor:
Eric Beres
Kamera:
Ulrich Hohensee
André Schmidtke
Eduard Sperling
Schnitt:
Niko Zakarias
Moderation Fritz Frey:
Orlando – der Name steht für das jüngste Massaker in Amerika.
49 Menschen tot, erschossen mit einem halbautomatischen
Sturmgewehr.
Unsere Reaktion? Ja, wir schütteln den Kopf über die laxen
amerikanischen Waffengesetze und wundern uns, dass es keinem
Präsidenten bislang gelungen ist, dem Irrsinn ein Ende zu machen.
Aber halt: Sind wir Europäer wirklich die Musterknaben, für die wir
uns halten? Nach den Terroranschlägen von Paris sollte das
europäische Waffenrecht minimal verschärft werden. Gewehre, die
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aussehen wie vollautomatische Kriegswaffen, sie sollen verboten
werden – doch die Waffenlobbyisten laufen Sturm.
Eric Beres mit einer Recherche, die dort beginnt, wo Waffen von
Männern liebevoll gestreichelt werden und Frauen T-Shirts mit dem
Schriftzug BANG tragen.
Bericht:
In einem Schützenhaus im Sauerland vor zehn Tagen. Die „German
Rifle Association“ hat Waffenfreunde aus ganz Deutschland
eingeladen. Wir sind hier unerwünscht. Uns zugespielte Aufnahmen
zeigen: Hier dreht sich fast alles um so genannte halbautomatische
Gewehre. Gewehre, die Militärwaffen nachempfunden sind.
Ein deutscher Waffenhersteller hat sich mit seinem Infostand bestens
auf die Klientel eingestellt.
O-Ton, Gedächtnisprotokoll:
»Also das hier ist ein russisches Modell. Und
sehr putzig, sehr, sehr putzig.«
Viele Sportschützen können diese Waffen kaufen. Bisher ganz legal.
Rund 165.000 halbautomatische Gewehre sind in Deutschland
derzeit im Umlauf, darunter viele kriegsähnliche.
Mit aufwändig produzierten Internet-Videos zeigen Hersteller, wie
schnell man mit diesen Waffen schießen kann. Und damit auch
töten.
Orlando vor drei Wochen: 49 Menschen werden erschossen, die
gerade fröhlich in einem Club feiern. Der Attentäter, Omar Mateen,
benutzte ein solches halbautomatisches kriegswaffenähnliches
Gewehr.
Nach unseren Recherchen wurden mit solchen Waffen allein in den
USA seit 2012 mindestens neun Massaker begangen. Bilanz: 124
Tote.
Marc Schieferdecker ist von der „German Rifle Association“. Seine
Organisation setzt sich dafür ein, dass grundsätzlich jeder
zuverlässige Bürger in Deutschland eine Waffe tragen darf.
An halbautomatischen kriegswaffenähnlichen Gewehren kann er
nichts Schlimmes finden. In Deutschland sei damit schließlich noch
nicht viel passiert.
O-Ton, Marc Schieferdecker, „German Rifle Association“:
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»Man kann halt nicht von der Waffe darauf
schließen, was damit passiert, sondern man
muss sich halt um die Menschen kümmern
und versuchen halt Gewalt bei Menschen
reduzieren. Ich bin auf vielen Schießständen
und ich kenne auch keine Leute, die Waffen
haben, um irgendwelche Gewaltfantasien
auszuleben.«
Das Event im Schützenhaus hat er maßgeblich mit organisiert. Die
Waffenliebhaber können die Gewehre gleich testen. Ein Aufseher
erklärt die verschiedenen Magazine.
O-Ton, Gedächtnisprotokoll:
»Das hier müsste ein 10-Schuss-Magazin
sein. Ich glaube, ein 20er Magazin gibt’s auch.
Also mit 20 solltest du den Feind totkriegen.«
Sind das nur harmlose Sprüche? Geht es hier tatsächlich nur um
Konzentration und Präzision beim Schießen?
Wir zeigen die Aufnahmen Oliver Malchow. Er ist Bundesvorsitzender
der Gewerkschaft der Polizei. Viele seiner Mitglieder sind selbst
Sportschützen. Doch solche Waffen sieht er kritisch.
O-Ton, Oliver Malchow, Bundesvorsitzender, Gewerkschaft der
Polizei:
»Das ist natürlich Sex and Crime, sage ich
jetzt mal so. Allein die Art der Waffen macht ja
schon deutlich, und da passte diese
Präsentation auch zu, dass es hier wirklich um
Dominanz geht, und nicht nur um Sport.«
Norwegen, 2011 – Auf der Insel Utoya sterben 69 Menschen im
Kugelhagel. Der Attentäter Anders Breivik war Mitglied im
Schützenverein. Er besaß auch ein halbautomatisches Gewehr, das
„army-like“, also Armee-ähnlich aussah.
O-Ton, Oliver Malchow, Bundesvorsitzender, Gewerkschaft der
Polizei:
»Wir müssen alles unternehmen, damit solche
Waffen, mit denen man letztendlich auch
ziemlich viele Menschen in einem kleinen
Zeitraum töten kann, dass die aus dem
Verkehr gezogen werden.«
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So sieht es auch die EU-Kommission in Brüssel. Auch unter dem
Eindruck der Anschläge von Paris will sie „halbautomatische zivile
Feuerwaffen, die wie vollautomatische Kriegswaffen aussehen“
verbieten. Sie seien „sehr gefährlich“, unter anderem wegen der
„hohen Munitionskapazität“.
Félix Braz, grüner Justizminister in Luxemburg. Er hat das Verbot der
Waffen von Anfang an unterstützt.
O-Ton, Félix Braz, Die Grünen, Justizminister Luxemburg:
»Für den Sportgebrauch ist das ja eigentlich
eher wesensfremd. Warum sollen Waffen, die
eindeutig militärischer Natur sind, in Hände
kommen, wo eine nichtmilitärische Nutzung
davon vorgesehen und auch erlaubt dann
wäre?«
Eine Kampfansage an Waffenlobbyisten in ganz Europa. Seit
Monaten fahren sie eine massive Gegenkampagne, starten OnlinePetitionen, überhäufen Europa-Abgeordnete mit E-Mails. An
vorderster Front dabei: die „German Rifle Association“.
O-Ton Marc Schieferdecker, „German Rifle Association“:
»Es bildet sich schon so eine Gemeinschaft,
weil jetzt jeder versteht, okay wir sitzen alle in
einem Boot, wir wollen alle weiter unserem
Hobby nachgehen, unserer Leidenschaft
nachgehen. Und da haben unsere Mitglieder
Aufklärungsarbeit geleistet.«
Luxemburg, vor drei Wochen: Die EU-Innen- und Justizminister
beraten über das Thema. Von einem generellen Verbot wollen sie
nichts wissen. Verbieten wollen sie nur Gewehre, die mehr als elf
Schüsse abfeuern können, und alle anderen erlauben.
O-Ton, Félix Braz, Die Grünen, Justizminister Luxemburg:
»Diese Öffnung, die geht mir zu weit. Da
reicht es, dass nur sehr wenige schwarze
Schafe darunter sind, damit auf legalem Wege
militärähnliche Waffen doch noch im Umlauf
sein können.«
O-Ton, Oliver Malchow, Bundesvorsitzender, Gewerkschaft der
Polizei:
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»Ich habe den Eindruck, dass man sich hier
den Lobbyisten der Waffenhersteller, aber
auch der Verbände, der Sportschützen und
der Jäger angepasst hat. Und das ist falsch.«
Deutschland hat gegen das Verbot gestimmt. Ein Interview
dazu lehnt der zuständige Bundesinnenminister ab. Er lässt mitteilen,
das Aussehen der Waffen sei für die Gefährlichkeit „nicht
ausschlaggebend“.
Mit bis zu elf Schüssen aus solchen Waffen hat die Bundesregierung
offenbar kein Problem.
Links:
Beschluss der EU-Innen- und Justizminister v. 10.06.2016, insbes.
S. 25:
http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-9841-2016INIT/de/pdf
Entwurf der EU-Kommission zur Änderung der "WaffenrechtRichtlinie" 91/477/EWG v. 18.11.2015, insbes. S. 10 und 20:
https://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2015/DE/1-2015-750DE-F1-1.PDF