Bombardier spart an Beschäftigten

faulheit & arbeit
Sonnabend/Sonntag,
10./11. Dezember 2016, Nr. 289
n Drucksachen
n Schwarzer Kanal
n Reportage
n XYZ
Gegen jeden Krieg? Lenins Kritik an der
Losung »Entwaffnung« im Herbst 1916.
Klassiker
Verhetzung und Aufpeitschung. FAZ: Was
wir machen, darf der Russe noch lange
nicht. Von Reinhard Lauterbach
Übe das Leben jetzt. Kunst und Kultur
aus Palästina in einer Ausstellung der
jW-Ladengalerie. Von Wolfgang Sréter
Der deutsche Publizist Klaus Mehnert
lieferte die Anleitung für den Überfall
auf Pearl Harbor. Von Otto Köhler
REUTERS
»Es gibt eine Art Selbstausbeutung
im Interesse des Kapitals«
Gespräch
Mit Thomas Bedall. Über die Aktualität von Marx, politische Freiheiten in der
Gastronomie und wie die 68er dem Kapitalismus den Weg in die Postmoderne ebneten
PRIVAT
S
ie sind nicht nur eine Schlüsselfigur des
Münchner Nachtlebens,
sondern haben kräftig in
der hiesigen Linken mitgemischt. Wie kam es dazu?
Ich bin 1961 nach München gekommen
und auf die Realschule gegangen. Das fiel
dann weiter in die Hochzeit der Kritik am
Vietnamkrieg, was bestimmt im Alter von
15 Jahren ein Politisierungsgrund war. Ein
zweiter ausschlaggebender Moment lag
darin, dass ich damals von Willy Brandt
ganz angetan war und mich in der SPD
engagiert habe. Ich war dann eine Zeitlang mit Christian Ude stellvertretender
Juso-Vorsitzender von München, die in
der Stadt in ein radikales und ein reformistisches Lager gespalten waren.
Wann haben Sie begonnen, sich mit
linker Theorie auseinanderzusetzen?
Ich habe nach dem Realschulabschluss
eine kaufmännische Lehre gemacht und
war in den frühen Siebzigern als Lehrling
Thomas Bedall
… studierte nach einer Lehre zum Industriekaufmann Sonderpädagogik.
1968 wurde er stellvertretender JusoVorstand, seine Mitgliedschaft in der
SPD dauerte aber nur von 1968 bis
1971. Seit 1979 ist er als Gastronom
tätig, unter anderem mit dem »Café
Größenwahn«, dem »Tanzlokal Größenwahn« oder der »Wunderbar«.
Heutzutage ist er als DJ unterwegs.
bei Krauss-Maffei in der IG Metall als Jugendvertreter engagiert. Zu dieser Zeit gab
es die »Revolutionäre Arbeiterjugend«.
Später wechselte ich an die Fachhochschule für Sozialarbeit, und durch diesen Abschluss hatte ich Zugang zur Universität,
wo ich noch Pädagogik studiert habe.
Die Auseinandersetzung mit den theoretisch sehr komplizierten Texten begann
Anfang der 70er Jahre. Das hat in unserer
Lehrlingsgruppe angefangen, und an der
Universität habe ich viele Veranstaltungen
der »Marxistischen Gruppe« besucht. Sie
ist davon ausgegangen, dass man dieses
System nur radikal verändern kann, wenn
man eine bestimmte Menge von Arbeitern
und Angestellten so über die Lage aufklärt, dass sie sich für ihre eigene Sache
einsetzen. Durch politische Bewusstseinsbildung und nicht mit Gewalt sollte eine
gesellschaftliche Antihaltung herbeigeführt werden. Die MG organisierte damals
Veranstaltungen mit 1.500 Leuten, wo auf
dem Podium für eineinhalb Stunden rela-
tiv komplizierte Dinge analysiert wurden.
Wie hat Sie das über die reine Bildung hinaus beeinflusst?
Im Rahmen dieser Bewegungen hat sich
Ende der 70er Jahre auch eine Schwulenbewegung gebildet. Wir haben ein Kommunikationszentrum am Glockenbach
gegründet und einen Informationsstand
am Marienplatz aufgemacht. Das war
der Ursprung des »Cafés Größenwahn«:
Wie es eben mit den selbstverwalteten
Kommunikationszentren ist, irgendwann
nervte die Arbeit, weil sie immer an einem hängenblieb, und wir haben beschlossen, das Ganze ein wenig professioneller
aufzuziehen. 1982 öffnete das »Tanzlokal
Größenwahn« seine Pforten, später kamen
das »Baader Café«, die »Wunderbar« und
das »Iwan« hinzu.
Wie sind Sie dann auf das Werk von
Karl Marx aufmerksam geworden?
Das kam durch die marxistischen Schu-
Wandelnde Gesamtkunstwerke, aber in
der heutigen Popkultur
finden sich daneben
kaum emazipatorische
Impulse
Partypolitik
Ein Gespräch mit der Münchner Szenegröße Thomas Bedall. Über die Aktualität von
Marx, politische Freiheiten in der Gastronomie und Irrwege der 68er. Außerdem:
Otto Köhler über den Publizisten Klaus
Mehnert, der die Anleitung für den japanischen Überfall auf Pearl Harbor lieferte.
n Fortsetzung auf Seite zwei
ACHT SEITEN EXTRA
GEGRÜNDET 1947 · SA./SO., 10./11. DEZEMBER 2016 · NR. 289 · 1,90 EURO (DE), 2,10 EURO (AT), 2,50 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT
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Problemzone
Entmachtung
Kahlschlag
Integrationsfalle
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Staunen in Berlin: Das erste Landesbündnis mit Grünen und Die
Linke unter SPD-Führung steht
Südkoreas Präsidentin Park ist ihres
Amtes enthoben und von Premier Hwang abgelöst worden
EU setzt durch, dass die Ukraine das
Moratorium auf Holzexport aufhebt. Von Reinhard Lauterbach
Wenn linke Parteien bürgerlichen
Regierungen beitreten, stärkt
das die Herrschaft des Kapitals
Hetzer wird Bombenleger
XXII. Internationale
Rosa Luxemburg
P
Tausende Menschen
verlassen Aleppo
egida-Chef Lutz Bachmann bat
im Juli 2015 auf dem Dresdner Altmarkt um einen »Riesenapplaus für unseren Nino«. Der
erst kürzlich erneut verurteilte Volksverhetzer, Serieneinbrecher und Gewalttäter Bachmann hatte das Mikro
übergeben, schickte noch eine aufmunternde Geste aus zwei geballten Fäusten hinterher. Als Nino Köhler stellte
sich der junge Mann beim Publikum
des rassistischen Aufmarschs vor. Er
zähle zum »harten Kern von Pegida«.
Was dann folgte, war eine Hasstirade,
wie sie häufig in Dresden zu hören
ist – »faule Afrikaner plündern unsere
Sozialkassen«, Merkel werde »keine
Gnade erhalten«.
Nino Köhler, der auf seinem Face­
book-Profil mit Deutschlandflagge
vor der Dresdner Skyline posiert,
reichte die verbale Hetze offenbar irgendwann nicht mehr. Wie der Leiter
des Operativen Abwehrzentrums in
Sachsen, Bernd Merbitz, am Freitag
dem MDR sagte, sei der 30jährige
Dresdner am Donnerstag in Hessen
festgenommen worden. Laut den
Ermittlungsbehörden ist er für die
Sprengstoffanschläge auf die FatihMoschee und das Kongresszentrum
am 26. September im Vorfeld der
»Einheitsfeierlichkeiten« in Dresden
verantwortlich. Bei Durchsuchungen
zweier Häuser in Dresden seien diverse Gegenstände gesichert worden,
die zur Herstellung von Spreng- und
Brandvorrichtungen genutzt werden
können, hieß es. »Im Ergebnis der
kriminaltechnischen Untersuchung
stimmen die an verschiedenen Tatmitteln gesicherten DNA-Spuren mit
der DNA des Beschuldigten überein«,
zitierte dpa die Ermittler.
Am Freitag ordnete ein Richter Untersuchungshaft gegen den früheren
YOUTUBE.COM/SCREENSHOT
Tatverdächtiger für Sprengstoffanschläge auf Moschee und Kongresszentrum in
Dresden gefasst, im Sommer 2015 war er Redner bei Pegida. Von Michael Merz
»Riesenapplaus für unseren Nino«: Pegida-Chef Lutz Bachmann (l.) mit Nino Köhler (r.) auf der Bühne
Pegida-Redner an. Bei den Angriffen
war nur durch viel Glück ausschließlich Sachschaden entstanden. Die
Sprengsätze explodierten kurz hintereinander. Der Imam der Moschee,
seine Frau und seine beiden Kinder
hielten sich zum Tatzeitpunkt in den
Räumlichkeiten auf, die Eingangstür
war schwer beschädigt worden. Der
Beschuldigte steht auch im Verdacht,
drei Tage später eine aus Gläsern und
Drähten bestehende Bombenattrappe
an der Marienbrücke plaziert zu haben.
Muslime in Dresden reagierten
verhalten angesichts des Fahndungserfolgs. »Im Zuge des Anschlags
gab es ein Krisentreffen beim Oberbürgermeister, aber danach ist lange
nichts passiert«, erklärte MuhammedRonald Wellenreuther von der multi-
kulturellen Begegnungsstätte SBS in
Dresden am Freitag gegenüber jW.
Sachsen habe ein latentes Problem
mit neonazistischem Gedankengut,
etablierte Parteien, allen voran die
CDU, und Exekutivorgane versagten.
Das Risiko, mit muslimischer Kleidung und dunklerer Hautfarbe abends
oder nachts auf der Straße angefeindet
zu werden, sei weiterhin groß. »Erst
vor drei Wochen wurde ein Asyl­
bewerber auf einem Dresdner Bahnhof zusammengeschlagen«, erinnerte
Wellenreuther. Die Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfrak­
tion im Sächsischen Landtag, Kerstin
Köditz, sagte am Freitag, die Beziehung des Tatverdächtigen zu Pedida
zeige, wie wenig Substanz die vom
Verfassungsschutz eigens zur »Verhätschelung Pegidas« eingeführte
Unterscheidung von »asylkritischem«
und »asylfeindlichem« Protest habe,
und sprach von »Rechtsterrorismus«.
Während die AfD laut dpa am
Freitag davor warnte, nun Pegida-Demonstranten in »Kollektivhaftung« zu
nehmen, beeilte sich Lutz Bachmann,
auf Distanz zum mutmaßlichen Bombenleger zu gehen. Hatte Bachmann
während der Pegida-Kundgebung am
Montag noch ein Ende des »Kuschelkurses« propagiert, um den »Idioten
in den Arsch zu treten«, verurteilte
er am Freitag auf Facebook »Gewalt
und Zerstörung als adäquates Mittel
im politischen Diskurs«. Nach Nino
Köhlers Auftritt war er einst begeistert
von dessen »starken und deutlichen
Worten«.
http://kurzlink.de/Pegida_Auftritt
Bombardier spart an Beschäftigten
Kanadischer Zughersteller will bis zu 2.500 Mitarbeiter in Deutschland entlassen
W
ie das Handelsblatt am
Freitag berichtete, will
der Zug- und Flugzeugfabrikant Bombardier in Deutschland
deutlich mehr Stellen abbauen als
bisher bekannt. In den sächsischen
Werken in Görlitz und Bautzen sowie
im brandenburgischen Hennigsdorf
bei Berlin seien 2.500 Jobs in Gefahr.
Laut Zeitung sollte der Aufsichtsrat
am Freitag über den Sanierungsplan
informiert werden.
Bombardier hatte im Oktober angekündigt, bis Ende 2018 in Produktion
und Verwaltung weltweit rund 7.500
Stellen zu streichen, davon etwa 5.000
im Bahnsektor. Ob deutsche Werke
betroffen sein sollen, ließ die Unternehmensführung offen. Im Frühjahr hatte das Unternehmen bereits
begonnen, 1.430 von damals knapp
10.000 Arbeitsplätzen in Deutschland
abzubauen. Der Konzern erwartet
durch die Entlassungen Kosteneinsparungen von rund 300 Millionen USDollar (275 Millionen Euro) bis Ende
2018. Der Gesamtbetriebsrat hat Gegenvorschläge für mehr Produktivität
und Effizienz vorgelegt, ohne dass
Arbeitsplätze verloren gehen müssten
(siehe jW vom 7. Dezember).
In Hennigsdorf droht bis Dezember 2018 das Ende einer 100jährigen
Tradition in der Serienproduktion von
Schienenfahrzeugen. Dort sollen nach
Angaben der Gewerkschaft IG Metall
nur noch Entwicklung, Konstruktion
und womöglich der Bau von Prototypen bleiben. Bezirksleiter Olivier
Höbel hatte am Donnerstag erklärt:
»Alle Pläne, die von einem Szenario
von betriebsbedingten Kündigungen
und Massenentlassungen ausgehen,
werden auf den entschiedenen Widerstand der IG Metall stoßen.« Die Gewerkschaft hatte am Mittwoch starken
Widerstand gegen die Stellenstreichungen angekündigt. Bisher arbeiten
in Görlitz rund 1.900 Beschäftigte, in
Bautzen rund 1.100 und in Hennigsdorf bei Berlin zu Jahresbeginn noch
rund 2.500. Beim Wirtschaftsministerium in Potsdam geht man davon aus,
dass die Pläne in der zweiten Hälfte
der kommenden Woche auf den Tisch
gelegt werden. (dpa/jW)
Konferenz
14. Januar 2017 | Mercure-Hotel MOA
Siehe Seiten 12/13 und 16
Moskau. Aus der umkämpften nordsyrischen Stadt Aleppo sind nach
Angaben Russlands Tausende Zivilisten in Sicherheit gebracht worden. Die russische Armee habe in
den vergangenen 24 Stunden dabei
geholfen, dass mehr als 8.000 Menschen aus dem von bewaffneten
Aufständischen gehaltenen Osten
der Stadt hätten fliehen können,
teilte das Militär am Freitag mit.
Darunter seien fast 3.000 Kinder.
Zudem hätten sich 14 Aufständische
den syrischen Regierungstruppen
ergeben. Sie seien umgehend begnadigt worden. Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte am
Donnerstag informiert, die syrische
Armee habe ihre Einsätze gestoppt,
damit Zivilisten gerettet werden
könnten. Die US-Regierung erklärte, sie könne eine Feuerpause nicht
bestätigen. Laut UN sitzen mehr
als 200.000 Menschen im Ostteil
Aleppos fest.
(Reuters/jW)
Bundesländer bekommen
mehr Geld aus Berlin
Berlin. Die Gesetzentwürfe zur
Neuordnung der Bund-LänderFinanzbeziehungen sollen kommende Woche im Bundeskabinett
verabschiedet werden. Das erfuhr
die Nachrichtenagentur AFP am
Freitag aus Regierungskreisen.
Bund und Länder hatten sich in der
Nacht nach den Worten von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf
»die notwendigen Grundgesetzänderungen« und die »politischen
Eckpunkte« verständigt.
Mitte Oktober hatten sich Kabinett und Landesregierungen schon
grundsätzlich geeinigt, dass Berlin
ab 2020 die Länderhaushalte mit
jährlich gut 9,5 Milliarden Euro
unterstützt. Das Gesetzespaket
umfasst auch die Gründung einer
Infrastrukturgesellschaft des Bundes für Bau und Betrieb der Autobahnen und wichtiger Fernstraßen.
(AFP/jW)
wird herausgegeben von
1.967 Genossinnen und
Genossen (Stand 6.12.2016)
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