4. Das Design: Neuheit und Eigenart

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GEISTIGES EIGENTUM (OHLY)
4.
Das Design: Neuheit und Eigenart
Lit.:
Götting, §§ 38-40; Ohly, GRUR 2007, 731 ff.
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Überblick
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Design (früher: Geschmacksmuster) = Schutz der äußeren Erscheinungsform von Erzeugnissen, sowohl zwei- als auch dreidimensional
Idee: Schutz der Erscheinungsform von Erzeugnissen, Hybrid zwischen technischen
Schutzrechten (Registrierung, Neuheitserfordernis) und Urheberrecht (Schutzgegenstand,
Möglichkeit des formlosen Schutzes)
Wirtschaftliche Bedeutung
- Funktionalität
- Kaufappeal der ästhetischen Form
- Wiedererkennungswert der besonderen Form
Daher erhebliche Überschneidungen mit benachbarten Rechtsgebieten:
- Urheberrecht, vor allem seit BGH GRUR 2014, 175 – Geburtstagszug die bisherige höhere Schutzschwelle bei Werken der angewandten Kunst aufgegeben hat
- Markenrecht: dreidimensionale Marke = zeitlich unbegrenzter Schutz, deshalb aber
auch im Markenrecht strengere Ausschlussgründe (§ 3 II MarkenG) und strenge Prüfung der Unterscheidungskraft
- UWG: unter § 4 Nr. 3 UWG schützt die Rechtsprechung Designs, wenn zusätzlich zur
reinen Nachahmung die Unlauterkeitskriterien des § 4 Nr. 3 UWG vorliegen, ist dabei
aber vor allem bei identischer Nachahmung schnell bereit, eine Herkunftstäuschung (§
4 Nr. 3a UWG) zu bejahen.
- Näher dazu Ohly, GRUR 2007, 731 ff.
Zweispurige Europäisierung des Designrechts (wie im Markenrecht):
- Harmonisierung der nationalen (registrierten) Designrechte durch die GeschmacksmusterRL (auf EU-Ebene gilt vorerst noch der alte Begriff „Geschmacksmuster“!) von
1998, in Deutschland umgesetzt 2004
- Schaffung eines einheitlichen, autonomen Gemeinschaftsgeschmacksmusters durch VO
von 2002, dabei Unterscheidung zwischen eingetragenem GGeschmM (absoluter
Schutz für bis zu 25 Jahren) und nicht eingetragenem GGeschmM (Nachahmungsschutz für drei Jahre bei Veröffentlichung des Musters innerhalb der EU)
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Schutzvoraussetzungen: Muster, das neu ist und Eigenart hat (§ 2 I DesignG, Art. 4 I GGV)
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Design (§ 1 DesignG, Art. 3 GGV)
zweidimensionale oder dreidimensionale Erscheinungsform eines ganzen Erzeugnisses
oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen,
Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst
oder seiner Verzierung ergibt
Erzeugnis: weiter Begriff, umfasst auch Verpackungen und grafische / typografische
Symbole
Nicht aber Computerprogramme
 Ausschlusstatbestände (§§ 3, 4)
- Erscheinungsmerkmale, die ausschließlich durch technische Funktion bedingt sind (§ 3
I Nr. 1 DesignG, Art. 8 I GGV). Problem: modernes Design ist funktional („form follows
function“). Daher weniger strenge Handhabung als im Markenrecht, regelmäßig
Schutzfähigkeit (+), wenn Mitbewerber die Funktionalität auch auf andere Weise vermeiden können.
- Erscheinungsmerkmale, die zwangsläufig nachgebaut werden müssen, damit der Zusammenbau mit einem anderen Erzeugnis möglich ist (§ 3 I Nr. 2 DesignG, Art. 8 II
GGV) = „must fit“-Klausel, bedeutsam für Ersatzteile, Gegenausnahme aber für Bauteilsysteme (§ 3 II – „Lego-Klausel“)
- Problem: Schutz von „must-match“-Elementen, die nachgebaut werden müssen, damit
ein Teil ästhetisch zum Produkt passt? Erhebliche Bedeutung für die Automobilindustrie. Solche Teile sind nicht per se vom Schutz ausgenommen. Unterschiedliche Lösungen in GGV und in der Richtlinie. Nach Art. 110 GGV kann die Verwendung und das
Angebot dieser Teile zu Reparaturzwecken kann nicht verhindert werden. Anders die
„freeze plus“-Lösung der RL: Die Mitgliedstaaten dürfen ihr 2004 geltendes Recht beibehalten, aber wenn sie es ändern, müssen sie es liberalisieren. Deutsche Umsetzung:
§ 73 I DesignG, der praktisch auf den Ausschluss einer „must-match“-Klausel hinausläuft.
- Verstoß gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten (§ 3 I Nr. 3, Art. 9 GGV),
vgl. dazu einerseits BPatG GRUR 2004, 160 – Vibrator (nicht per se schutzunfähig, entscheidend ist die Form), andererseits BPatG GRUR 2000, 1026 – Penistrillerpfeife.
- Missbräuchliche Benutzung staatlicher Hoheitszeichen, z.B. Bild eines Geldscheins auf
einem Folienbeutel (BPatG Mitt. 2013, 145)
- Bei bestimmungsgemäßer Verwendung nicht sichtbare Bauelemente komplexer Erzeugnisse (§ 4), das gilt besonders für Motoren- oder Maschinenteile, die man bei
normalem Gebrauch nicht sieht.
 Neuheit (§§ 2 II, 5 DesignG, Art. 5, 7 GGV)
- = vor Anmeldetag kein identisches Design offenbart, verglichen wird das angemeldete
Design mit den nächstliegenden vorbekannten Designs
- Identisches älteres Design = genau identisches Design oder Design, das sich nur in
unwesentlichen Einzelheiten unterscheidet. Faustregel: das sind nur Einzelheiten, die
dem informierten Betrachter nicht auffallen. Daher im Zweifel bei ähnlichen Designs
Neuheit bejahen und dann bei der Eigenart den Gesamteindruck vergleichen.
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Offenbarung = Bekanntmachung, Ausstellung, Verwendung, aber nicht, wenn in der EU
tätigen Fachkreisen das Design nicht bekannt sein konnte (objektiver, relativer Neuheitsbegriff)
- Fallbeispiel: OLG Düsseldorf GRUR-RR 2012, 200 – iPad
- Neuheitsschonfrist von 12 Monaten (§ 6 DesignG, Art. 7 II GGV)
Eigenart (§ 2 III DesignG, Art. 6 GGV)
- Gesamteindruck, den Design beim informierten Benutzer hervorruft, unterscheidet sich
von dem Gesamteindruck, den vor Anmeldetag offenbartes Design hervorruft.
- Der „informierte Benutzer“ ist eine normative Figur, die zwischen dem Durchschnittsverbraucher und dem patentrechtlichen Durchschnittsfachmann steht – er kennt sich
mit Designs aus, hat aber kein enzyklopädisches Wissen über den Stand aller Designs
- Dabei Berücksichtigung des Grades der Gestaltungsfreiheit: wenn er gering ist, reichen
auch geringe Unterschiede.
Inhaber: Entwerfer (§ 7 I), im Arbeitsverhältnis im Zweifel Arbeitgeber (§ 7 II)
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Eingetragenes und nicht eingetragenes Design
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Das deutsche Designrecht ist ein reines Formalrecht: Erforderlich ist eine Anmeldung
beim DPMA (zum notwendigen Inhalt s. § 11), der Schutz entsteht mit der Eintragung ins
Register (§ 27 I).
Auch auf EU-Ebene gibt es ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, anzumelden beim HABM in Alicante
Anders das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das bei Veröffentlichung innerhalb der EU auch ohne Eintragung für 3 Jahre gegen Nachahmung schützt.
- Voraussetzung: Muster wird den innerhalb der Gemeinschaft tätigen Fachkreisen zugänglich gemacht.
- Problem: Was passiert bei erstmaliger Veröffentlichung außerhalb der EU? BGH GRUR
2009, 79 – Gebäckpresse: Das Recht entsteht nicht, aber die Vorveröffentlichung im
Ausland ist regelmäßig neuheitsschädlich (Also ein Modellkleid niemals zuerst auf einer Modenschau in New York vorstellen!).
- Wer ein nicht eingetragenes Designrecht behauptet, muss beweisen, dass die Voraussetzungen vorliegen, auch die Inhaberschaft dessen, der das Design der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht hat, wird nicht vermutet (BGH GRUR 2013, 830 – Bolerojäckchen).