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ZRS 2016; 8(1–2): 25–29
Open Access
Ina Karg. 2015. Orthographie. Öffentlichkeit, Wissenschaft und Erwerb (Germanistische Arbeitshefte 46). Berlin, München, Boston: De Gruyter, vii, 152 S.
Besprochen von Miriam Balestra: TU Braunschweig, Institut für Germanistik, Bienroder Weg 80,
D-38106 Braunschweig, E-Mail: [email protected]
DOI 10.1515/zrs-2016-0005
Im Zentrum dieses Arbeitsheftes steht, wie im Titel bereits gesagt, das Thema
Orthographie, das aus sehr unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet wird.
Konkret lassen sich drei Schwerpunkte ausmachen, die in der Publikation verhandelt werden: (1) die Geschichte der (amtlichen) Orthographie und ihre Rezeption in der öffentlichen Wahrnehmung, (2) eine linguistisch fundierte Skizze der
Orthographie des Deutschen sowie (3) eine sowohl lerner- als auch lehrerzen­
trierte Auseinandersetzung mit zentralen Fragen rund um das Thema Schreibenlernen. Die Beschäftigung mit den einzelnen Gegenstandsfeldern ist dadurch
gekennzeichnet, dass gegenwärtige Verhältnisse beschrieben und darüber
hinaus (beinahe) konsequent im Kontext ihrer historischen Entwicklung in den
Blick genommen und besprochen werden.
Das Buch gliedert sich in sechs Teile. Während in den ersten fünf Kapiteln zentrale Aspekte der Orthographie behandelt werden, handelt es sich bei
Kapitel 6 um eine Zusammenstellung von Lösungshinweisen zu Arbeitsaufträgen. Die Aufgabenstellungen selbst sind am Ende der Kapitel 1 bis 5 zu finden
und knüpfen jeweils thematisch an deren Inhalt an. In der Einleitung weist die
Autorin darauf hin, dass die beigegebenen Aufgaben als Impuls zum Weiterarbeiten gedacht sind. Demnach handle es sich bei den zugehörigen Lösungen größtenteils weniger um solche im herkömmlichen Sinne als vielmehr um Hinweise
auf „Wege, die für die Arbeit zu beschreiten wären“ (S. 2). Neben Arbeitsaufträgen ist an alle Kapitel eine im Umfang variierende Auflistung von weiterführender Literatur angeschlossen. Sowohl ein Sachindex als auch ein Personenindex
stehen dem Leser für eine gezielte Informationsentnahme zur Verfügung. Darüber
hinaus sei erwähnt, dass sich die Verfasserin darauf versteht, ihre Ausführungen
stets mit anschaulichen und interessanten Illustrationen oder auch mit Beispielen aus der Unterrichtspraxis anzureichern.
Mit ihrer Publikation möchte Karg vorrangig alle Akteure ansprechen, die
mittelbar oder unmittelbar mit der Vermittlung von Orthographie befasst sind,
so beispielsweise Lehramtsstudenten, Referendare und Deutschlehrer. Der Inhalt
des Buches soll sowohl einen Einblick in die Funktionsweise der (deutschen)
Orthographie gewähren als auch den Rezipienten für den Facettenreichtum des
© 2016, Miriam Balestra, published by de Gruyter
This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 3.0 License.
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Gegenstands selbst sensibilisieren. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die anwendungsorientierte Ausrichtung des Arbeitsheftes, die die Autorin
besonders betont. Dieser Anspruch bestimmt konsequenterweise maßgeblich die
Auswahl der Themen und schlägt sich zudem auch im Aufbau des Buches nieder.
Die in den einzelnen Passagen verhandelten Aspekte werden in der Regel nicht
isoliert dargeboten, sondern kapitelübergreifend aufeinander bezogen und damit
in einen größeren Kontext gestellt.
Das erste Kapitel leitet die Autorin ein, indem sie der Frage nachgeht, was
Orthographie ist. Zu diesem Zweck präsentiert sie zunächst verschiedene denkbare
Schreibungen für das Wort Orthographie, um den Unterschied zwischen solchen
Repräsentationsformen, die „die Verständlichkeit der Aussage“ (S. 3) nicht gefährden, und jenen beiden, die durch die amtliche Regelung tatsächlich zugelassen
sind, zu verdeutlichen. Karg begründet ihre eigene Entscheidung für die Variante
Orthographie – und also gegen die Option Orthografie – mit dem Wissen um die Etymologie des Wortes. Die Orthographie diene dazu, so die Verfasserin weiter, dass
jemand etwas so schreibt, dass er und andere es lesen können. In diesem Zusammenhang betont Karg, dass die Gewährleistung von Verständlichkeit unabdingbar für alle Funktionen von Schrift sei. Später im Text liefert die Autorin unter der
gleichnamigen Überschrift eine inhaltliche Bestimmung des Schlagwortes orthographisches Können. Die übrigen Passagen des ersten Kapitels sind der Geschichte
der amtlichen Orthographie gewidmet. Hier werden wichtige Etappen ihrer Entstehung skizziert. Gut herausgearbeitet ist an dieser Stelle vor allem die (sich verändernde) Rolle des Rechtschreib-Dudens. Das Kapitel endet mit einer Synopse zu
einigen wichtigen Neuerungen, die die letzte Reform mit sich gebracht hat.
Das zweite Kapitel, das den Titel „Popularität der Orthographie“ trägt,
fokussiert die amtliche Rechtschreibung im Kontext ihrer Wahrnehmung in der
Öffentlichkeit. Beispielsweise zeichnet Karg hier unter Einbezug einschlägiger
Untersuchungen den Orthographie-Diskurs von 1996 bis 2006 nach, wobei sie
unter anderem auf den Befund eingeht, dass dieser maßgeblich von den beiden
Faktoren Selektion und Emotionalität geprägt sei. Zudem greift die Verfasserin
eine Umfrage von 2008 zum Thema Deutsche Sprache auf, aus der hervorging,
dass die Rechtschreibreform von 55 Prozent der Befragten abgelehnt und lediglich von neun Prozent befürwortet wurde, während sie den übrigen 31 Prozent
schlichtweg egal war. Als Fazit zur Reform formuliert Karg, dass diese eine Verunsicherung hervorgebracht habe, die bis heute anhalte. Auch findet in diesem
Kapitel eine Auseinandersetzung mit dem Gegenstand Orthographie vor dem
Hintergrund der neuen Kommunikationsmedien statt: Die Autorin stellt fest, dass
bei der Chat- oder auch SMS-Kommunikation Regelungen weniger ernst genommen werden, was sie beispielsweise auf die Geschwindigkeit der Nachrichtenübermittlung zurückführt.
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Das dritte Kapitel widmet sich der Orthographie aus sprachwissenschaftlicher
Perspektive. Eingeführt wird das konventionelle Notationssystem für Einheiten
der lautlichen und schriftlichen Ebene, bevor die Verfasserin kurz auf das Verhältnis zwischen geschriebener und gesprochener Sprache eingeht und in diesem
Zusammenhang sowohl auf die Dependenz- als auch auf die Autonomiehypothese zu sprechen kommt. Im Abschnitt „Die deutsche Orthographie: Prinzipien
der Verschriftung“ werden zunächst zentrale Begriffe der schriftlichen Repräsentationsebene voneinander abgegrenzt (wie ‚Buchstabe‘, ‚Graph‘ und ‚Graphem‘),
bevor anschließend ein Inventar von Segmenten beigegeben wird, denen laut
Karg eine bedeutungsunterscheidende Funktion zukommt. Das Grapheminventar deckt sich mit demjenigen, das auch Fuhrhop (2009) zugrunde legt. Dieser
Passage folgt eine Auseinandersetzung mit den Elementen der lautlichen Ebene,
wobei hier allerdings auf eine explizite Auflistung des Phonembestandes verzichtet wird. Welche bedeutungsunterscheidenden Einheiten für die lautliche
Ebene anzunehmen sind, muss sich der Leser demnach selbst aus einem gegebenen Set von Phonem-Graphem-Zuordnungen (Tabellen 7–9) erschließen. Das
ist allerdings nur bedingt möglich, wie sich am Beispiel /ts/→ <z> (S. 55) zeigt:
Hier ist unklar, ob die Affrikate als ein Phonem gezählt wird. Schließlich lässt
sich feststellen, dass beispielsweise Fuhrhop diese Korrespondenzbeziehung
ansetzt (2009: 9), obgleich die Affrikate nicht als eigenständige bedeutungsun­
terscheidende Einheit im Phoneminventar erscheint (2009: 7). Für eine monophonematische Wertung von /ts/ spricht sich hingegen unter anderem Noack
(2010: 42) aus. Um solche Unklarheiten zu beseitigen, wäre eine explizite Auflistung des angenommenen Phoneminventars unerlässlich. Die Elemente beider
Repräsentationsebenen stehen sich in den Tabellen beinahe ausschließlich in
einem 1:1-Verhältnis gegenüber. Eine Abweichung von diesem Schema lässt sich
allerdings bei Diphthongen erkennen: Da den Diphthongen unmittelbar eine
Beziehung zu mehreren Entitäten der schriftlichen Ebene zugebilligt wird, liegen
hier also polyrelationale Korrespondenzverhältnisse zugrunde. Die aufgeführten
Paarungen entsprechen in diesem Punkt jenen, die Nerius (2007: 123) ansetzt.
Ausgehend von der Feststellung, „dass es verfehlt wäre anzunehmen, man
beherrsche die deutsche Orthographie, wenn man sich die Phonem-GraphemKorrespondenzen einprägt“ (S. 56), leitet Karg eine Auseinandersetzung mit
weiteren in der Orthographie wirksamen Verschriftungsprinzipien ein. Der
­inhaltlichen Charakterisierung der Prinzipien – so beispielsweise des silbischen,
morphologischen und pragmatischen Prinzips – schließt sich ein Blick auf ihre
Behandlung in der einschlägigen Forschungsliteratur an. Konkret werden unter
anderem einige Werke von aktuellen Autoren, wie Noack oder Nerius, benannt
und hinsichtlich der darin gegebenen Verarbeitung und Systematisierung von
Prinzipien näher beleuchtet. Phänomene wie ‚Groß- und Kleinschreibung‘
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werden nicht in separaten Passagen abgehandelt, sondern kapitelübergreifend
aufgegriffen und in verschiedenen Kontexten thematisiert.
Das vierte Kapitel spricht unter der Überschrift „Orthographiedidaktik und
Orthographieerwerb“ zahlreiche Aspekte rund um das Thema Schreibenlehren
und -lernen an. Eingeleitet wird die Diskussion, indem die Verfasserin kurz die
folgenden Verfahren zum Erwerb der Schriftsprache vorstellt: die Buchstabier-,
die Lautier- und die Ganzwortmethode. Diesen Ausführungen folgt ein Abschnitt,
in dem die Orthographiedidaktik aus historischer Perspektive betrachtet wird.
Im Anschluss an diesen Exkurs rücken Modelle in den Fokus, die den Verlauf
des Orthographieerwerbs beschreiben. Diesbezüglich stellt Karg fest, dass sich
konkurrierende Konzepte vor allem in der Anzahl der angenommenen Erwerbs­
phasen voneinander unterscheiden. Näher dargestellt und inhaltlich skizziert
sind in dieser Passage die logographische, die alphabetische und die orthographische Phase. Eine Erörterung der Frage, ob sich Erwerbsmodelle als Diagnose­
instrumente für die Fähigkeit von Lernenden eignen, schließt mit dem Fazit,
dass ihnen hierfür lediglich eine begrenzte Tauglichkeit zuzusprechen sei. Eine
bessere Eignung komme laut Karg Fehlertypologien zu, da auf der Grundlage
der daraus gewonnenen Befunde gezielte Förderungen unternommen werden
könnten. Beigegeben ist diesem Abschnitt eine spezifische Fehlertypologie, zu
der die Autorin Überlegungen für eine mögliche Ergänzung anstellt. Kapitel
4 beschäftigt sich zudem mit dem Konzept Phonologische Bewusstheit, indem
der Terminus erst erläutert und anschließend im Kontext von Förderprogrammen und Prognosen für eine spätere Rechtschreibkompetenz diskutiert wird.
Darüber hinaus kommt die Verfasserin auf die von Jürgen Reichen entwickelte
Methode „Lesen durch Schreiben“ (Reichen 1982) und später auch auf die Rolle
des Diktats im Deutschunterricht zu sprechen. Das Kapitel schließt mit der Thematisierung von Möglichkeiten zur Förderung der Orthographiefähigkeit. Diese
Passage ist angereichert mit zahlreichen Vorschlägen für eine unterrichtspraktische Umsetzung.
Nachdem die Orthographie des Deutschen vor unterschiedlichen Hintergründen thematisiert worden ist, findet in Kapitel 5 eine Hinwendung zu anderen
Schriftsystemen und Orthographien statt. Im Fokus stehen die englische, die
französische, die tschechische und die finnische Sprache, also solche Sprachen,
die ebenfalls Gebrauch vom lateinischen Alphabet machen. Allerdings kommt
die Autorin nur kurz auf die Verschriftungssysteme der genannten Sprachen zu
sprechen, wobei zudem ein Vergleich mit dem Deutschen gänzlich ausbleibt. An
dieser Stelle wäre meines Erachtens eine ausführlichere Darstellung der Verhältnisse wünschenswert. So findet beispielsweise die Auseinandersetzung mit der
englischen Sprache, welcher schließlich im einschlägigen Diskurs nachgesagt
wird, über ein besonders tiefes Schriftsystem zu verfügen, lediglich auf gut einer
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Seite statt. Zum Abschluss erörtert Karg, inwiefern die Idee von einem lebenslangen Lernen für den Aufbau der Rechtschreibkompetenz relevant ist.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Passagen zu den systematischen Aspekten der Orthographie hinter dem zurückbleiben, was sich in anderen
Einführungen (so beispielsweise in Fuhrhop 2009) dazu findet. Die vorliegende
Publikation bietet dennoch insgesamt einen guten Überblick zum Thema. Das
Arbeitsheft ist adressatengerecht aufbereitet und kann daher allen denjenigen
empfohlen werden, die mit der Vermittlung von Rechtschreibung befasst sind.
Literatur
Fuhrhop, Nanna. 2009. Orthografie. Heidelberg: Universitätsverlag Winter.
Nerius, Dieter. 2007. Deutsche Orthographie. Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms.
Noack, Christina. 2010. Phonologie. Heidelberg: Universitätsverlag Winter.
Reichen, Jürgen. 1982. Lesen durch Schreiben. Zürich: Sabe.
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