REPORT 33. OLDTIMERRALLYE WIESBADEN ZEIT »Eine Fahrerbesprechung ist überflüssig. Das Roadbook lässt keine Fragen offen!« ZEICHEN Karlheinz Schott, Fahrtleiter Die Internationale HMSC Oldtimerrallye Wiesbaden habe sich neu erfunden, frohlockt der veranstaltende Hesse Motor Sports Club. Wir gehen einen Schritt weiter und fragen: Wie sieht die Oldtimer-Rallye der Zukunft aus? Fan-Meile in ländlicher Atmosphäre Sekundenbruchteile entschieden an der Spitze über Sieg oder Niederlage. Ältere Fahrzeuge profitierten von einer Bonusformel E s ist schon eine Weile her, dass ich als Fahrer des OLDTIMER-MARKT-Teams bei der Oldtimerrallye Wiesbaden an den Start gegangen bin. Damals war es quasi ein Familienausflug, schließlich ist es von Mainz aus nur ein Katzensprung über den Rhein. Beim ersten Mal hatten wir mit dem Vorkriegs-MG noch für die gemütliche Variante gemeldet: eine kleine Runde durch den Taunus, entspanntes Cruisen durch die herrlichen Rheingauer Weinberge. Die größte Schwierigkeit bestand damals darin, als Pilot im Interesse der Fahrtüchtigkeit bei den Weinproben rechtzeitig auf Wasser umzusteigen. Beim zweiten Mal fuhren wir sportlich. Also mit Stoppuhren, Schnitttabelle, Twinmaster und allem, was sonst noch zum vollen Rallye-Ornat gehört. Es war ein Desaster! Die Navigation über Chinesenzeichen gestaltete sich einfach, doch kurz vor 244 OLDTIMER MARKT 7/2016 Schluss folgten noch ein paar Überraschungen namens Tischrallye, Schachbrett, Fischgräte und Drehpunktskizze. Das haben Sie jetzt nicht verstanden? Wir damals auch nicht. Wie gesagt: Das ist lange her, und inzwischen haben wir Fortschritte gemacht. Die obigen Überraschungen sind keine mehr. Die verbuchen wir inzwischen unter K wie Kindergartenspiele, gleich hinter Sackhüpfen und Eierlaufen. Als Neueinsteiger sind wir damals von dieser Art der Aufgabenstellung regelrecht abgeprallt. Warum? Weil sie eigentlich nichts mit Fähigkeiten zu tun haben, die beim Autofahren irgendwie sinnvoll wären, Dinge wie Karten lesen oder Fahrzeugbeherrschung. Trotzdem arbeiten viele Veranstalter mit solchen Denksportaufgaben, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Denn Rallye-Routiniers machen keine Fehler bei der Orientie- Wer das Roadbook nicht gründlich gelesen hatte, fuhr leicht eine Runde zu viel Mit einer Uhr war es nicht getan: Bis zu fünf Stopper wurden gebraucht Prolog in Wiesbadens guter Stube zwischen Rathaus und Hessischem Landtag Wer zu zügig unterwegs war, konnte vor der nächsten Startuhr ein Päuschen machen OLDTIMER MARKT 7/2016 245 REPORT 33. OLDTIMERRALLYE WIESBADEN Nur selten kamen alle Teams an einem Ort zusammen, wie hier auf Schloss Johannisberg Landwirtschaftlicher Verkehr und RallyeTeilnehmer frei: Dank Sondergenehmigung ging es oft über kleine Wirtschaftswege zum Ziel Weinland mit jeder Menge Kurven und Abzweigungen: Der Rheingau forderte die Konzentration der Beifahrer rung, und sie übersehen auch keine „Stummen Wächter“ am Straßenrand. Die Alternative: Gleichmäßigkeitsprüfungen, bei denen es darum geht, in einer genau definierten Zeit Lichtschranken oder Messschläuche zu passieren. Diese Geräte liefern Ergebnisse im Tausendstelsekundenbereich – da gibt es immer einen Sieger. Für beide Disziplinen gibt es inzwischen echte Experten. Menschen, die mit einem Auto auf die Hundertstelsekunde genau auf dem Schlauch stehen können, und Strategen, denen keine Fischgräte im Hals stecken bleibt. Das eigentliche Problem dabei: Wer sich als Neuling zwischen die Experten wagt, wird schnell frustriert. Wenn Oldtimerrallyes eine Zukunft haben sollen, müssen aber auch Einsteiger Spaß an der Sache haben, und Experten müssen weiterhin gewinnen können. Dieser Spagat wurde in Wiesbaden äußerst gelungen gemeistert. Fahrtleiter Karlheinz Schott verzichtete auf sämtliche Stolperfallen in der Navigation und führte die 119 Teams mit einem unmissverständlichen Roadbook durch die Rallye. An den zwei Fahrta- Noble Autos vor nobler Kulisse: Lancia Aurelia B24 Spider am Kurhaus von Bad Ems gen ging es zunächst durch die malerische Weinlandschaft des Rheingaus und danach durch den Taunus zu den Burgen an Lahn und Rhein. Und damit die Beifahrer angesichts der landschaftlichen Reize nicht ausschließlich aus dem Fenster schauten, hatte Schott noch ein paar Zeitprüfungen eingebaut, bei denen dann doch noch das volle Uhren-Programm zum Einsatz kam. Bis zu fünf Stopper wollten gleichzeitig bedient werden. Dabei war es durchaus hilfreich, wenn der Copilot den kostenlosen Beifahrerlehrgang am Prolog-Abend besucht hatte, denn nicht immer war auf den ersten Blick klar, ob die Zeiten nacheinander oder ineinander verschachtelt abgearbeitet werden sollten. Die „Rollprüfung“ erwies sich für die Fahrer üppig motorisierter Autos als besonders anspruchsvoll. Dabei galt es, ohne Motorkraft zwei hintereinander platzierte Lichtschranken in vorgegebener Zeit zu durchfahren. Wer – wie die meisten Teilnehmer – zu früh an der ersten Schranke eintraf und bremsen musste, durfte dann verzweifelt auf die Uhr schauen, während ihr Klassiker allein von der Schwerkraft beschleunigt wieder Fahrt aufnahm. 33. HMSC OLDTIMERRALLYE WIESBADEN DAUER Vier Tage (inklusive Prolog und Concours) STRECKENLÄNGE ca. 400 km TEILNEHMER 119 Teams BAUJAHRSGRENZE 1986 KOSTEN 980 € Nenngeld beinhalteten Verpflegung sowie zwei Abendveranstaltungen und den Galaband für zwei Personen VERANSTALTER Hesse Motor Sports Club www.hmsc-wd.de Zwei Besonderheiten machen die Wiesbadener Oldtimerrallye auch zum gesellschaftlichen Event: der große Galaabend im sehenswerten Saal des Kurhauses, der auch kulinarisch einiges zu bieten hat, und der Concours d’Élégance, der am Sonntagvormittag nach der Rallye vor Publikum im Kurpark stattfindet. Gemessen am Gebotenen erscheint das Nenngeld von 980 Euro durchaus moderat – vor allem, wenn man es mit anderen internationalen Top-Veranstaltungen vergleicht. Machbar wird das durch die stattliche Anzahl von Sponsoren, die hinter der Wiesbadener Rallye stehen. Mit der Neuausrichtung in Richtung Genuss hat der HMSC den Trend innerhalb der Oldtimerszene erfolgreich umgesetzt. Jetzt fehlen nur noch ein paar Herausforderungen für die Fahrer – aber damit tun sich alle Veranstalter schwer... TEXT Peter Steinfurth FOTOS Thomas Reinhard [email protected] Strahlende Gesamtsieger: Wilfried Schäfer und Sandra Hübner auf Invicta S-Type Für Autos normalerweise tabu: Der Concours d’Élégance fand traditionell im Wiesbadener Kurpark statt 246 OLDTIMER MARKT 7/2016 Stimmiger Auftritt: Tschaika-Besatzung im Stil russischer Offiziere OLDTIMER MARKT 7/2016 247
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