Erstmals fachliche Evidenz

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CRYSTAL METH
Erstmals fachliche Evidenz
Die weltweit erste S3-Leitlinie zur Behandlung Methamphetaminbezogener Störungen liegt nun vor. Die Konsumenten und ihre
Konsummuster sind sehr heterogen. Das Krankheitsbild ist komplex.
G
laubt man, durch Crystal
Meth zunächst zum Heroen
zu werden, wird man durch das
Suchtpotenzial schnell zum Sklaven
– der körperliche Verfall ist dann nur
noch eine Frage der Zeit“, sagt der
Präsident der Bundesärztekammer,
Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery. Die synthetische Psychodroge Methamphetamin ist die problematischste Substanz unter den
Amphetaminen, denn die Wirkung
scheint neurotoxisch, das Suchtpotenzial ist extrem hoch, ebenso die
Notwendigkeit, die Dosis zu steigern, um den gewünschten Effekt zu
erreichen. Gleichzeitig sind die Konsumenten der illegal hergestellten,
kristallinen Substanz (Crystal) und
ihre Konsummuster sehr heterogen.
Das Krankheitsbild ist komplex:
Meist nehmen die Konsumenten das
Gesundheitssystem entweder wegen
unspezifischer Beschwerden, wie
zum Beispiel Zahn- oder Hautproblemen, in Anspruch oder sie werden mit Vergiftungserscheinungen,
in psychotischen Zuständen oder
starker Erregung in Notaufnahmen
eingeliefert.
Um allen Berufsgruppen im Gesundheitswesen mehr Handlungssicherheit im Umgang mit akut intoxikierten oder abhängigen Patienten zu
geben, hat das Bundesgesundheitsministerium die Bundesärztekammer
A 2240
(BÄK) dabei unterstützt, eine Behandlungsleitlinie zu erarbeiten: die
weltweit erste S3-Leitlinie „Methamphetamin-bezogene Störungen“.
Sie wurde vom Ärztlichen Zentrum
für Qualität in der Medizin zusammen mit einem interdisziplinär besetzten Expertenpanel erarbeitet.
Interdisziplinäres Vorgehen
„Die S3-Leitlinie richtet sich an alle
Berufe in der ambulanten und stationären Suchthilfe, niedergelassene Psychotherapeuten, Mitarbeiter
in Nachsorge und Rehabilitation sowie an Selbsthilfeorganisationen“,
erklärte Prof. Dr. med. Euphrosyne
Gouzoulis-Mayfrank, ärztliche Direktorin an der LVR-Klinik Köln
und Beauftragte der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, der
federführenden Fachgesellschaft bei
der Leitlinienerstellung.
Jährlich werden nach Angaben der Bundesdrogenbeauftragten
Marlene Mortler rund 3 000 Menschen wegen ihres Crystal-MethKonsums auffällig. Längst begrenzt
sich der Konsum der Droge nicht
mehr nur wie anfangs auf die grenznahen Regionen zu Tschechien.
„Der Konsum von Crystal Meth ist
in den letzten Jahren zu einer echten Herausforderung in vielen Regionen geworden. Umso wichtiger
ist neben unserer intensiven Präventionsarbeit eine gute medizinische Versorgung der Betroffenen“,
betonte Mortler. 500 000 Euro werden nach ihren Angaben pro Jahr
von staatlicher Seite für Präventionsprojekte aufgewendet, beispielsweise für das virtuelle Selbsthilfeangebot www.breaking-meth.de.
„Bisher gab es wenig fachliche
Unterstützung für die Behandlung
von Methamphetamin-bezogenen
Störungen, die Behandlung beruhte
vor allem auf klinischer Erfahrung“,
sagte Dr. med. Josef Mischo, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Sucht und
Drogen der BÄK. Für die Erstellung
der neuen S3-Leitlinie sei nun die
international verfügbare wissenschaftliche Literatur zu dem Thema ausgewertet worden und aus den Ergebnissen 135 Empfehlungen insbesondere für die Akut- und Postakutbehandlung sowie die Behandlung von
Begleiterkrankungen und speziellen
Patientengruppen erstellt worden.
„Ein besonderes Augenmerk sollte auf psychische Erkrankungen gelegt werden, die den Methamphetamin-Konsum häufig begleiten“,
betonte Mischo. Dazu gehören Psychosen, Depressionen, Bipolare Störungen, Posttraumatische Belastungsstörungen, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom oder
Angststörungen. Diese Störungen
sollten der Leitlinie zufolge in enger
Abstimmung mit der Behandlung
der Methamphetamin-Abhängigkeit
behandelt werden. Der Arzt wies
weiter darauf hin, dass Methamphetamin-Konsum zu ungehemmtem
Sexualverhalten führen kann, was zu
einem erhöhten Risiko für ungewollte Schwangerschaften führt.
„Schwangere sollten engmaschig betreut werden und zur Abstinenz angehalten werden, denn anhaltender
Konsum kann zu schweren Schäden
beim Ungeborenen führen“, erklärte
er. Besondere Aufmerksamkeit sollte
auch den betroffenen Familien gelten, weil Crystal-Meth-Konsum
auch mit erhöhter Gewaltbereitschaft
▄
einhergehen kann.
Petra Bühring
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Die Leitlinie kann in einer Kurz- und
in einer Langfassung abgerufen
werden: www.crystal-meth.aezq.de
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 49 | 9. Dezember 2016