Vorlesung Zivilrecht IVa, Prof. Peukert, Wintersemester 2016/2017 § 2 Geschäftsführung ohne Auftrag IV. Rechtsfolgen Hinweise zu Fall 9: Anspruch GF-GH auf Aufwendungsersatz aus §§ 677 1. Hs., 683 S. 1, 670 • Tatbestand des § 677 1. Hs. (+) • Berechtigung der Geschäftsübernahme gem. § 683 S. 1: o Interesse und mutmaßlicher Wille (+), da und soweit Maßnahmen realistische Erfolgschance hatten und Kosten nicht außer Verhältnis zum Erfolg stehen o Auch bei Misserfolg der Bemühungen • Rechtsfolge: Anspruch auf Ersatz der „erforderlichen“ Aufwendungen o Aufwendung = Vermögensopfer, die GF zur Besorgung des Geschäfts freiwillig erbringt und die sich als notwendige Folge der Geschäftsbesorgung ergeben Kosten für Holz trotz Misserfolgs der Bemühungen (+) Risikotypische Begleitschäden werden als Aufwendungen anerkannt (h.M.) oder sind nach dem Grundsatz der Risikozurechnung vom GH zu tragen (s.o. Fall 6) Hinweise zu Fall 10: Anspruch des H gegen F auf Schadensersatz in Höhe der Fahrradmietkosten aus I. §§ 280 II, 286, 695, 328 I • Ein vertraglicher Anspruch des H gegen F auf Herausgabe des Fahrradträgers könnte sich aus einem Verwahrungsvertrag zugunsten des H ergeben, der gem. § 328 I dann das jederzeitige Rückforderungsrecht des Hinterlegers gem. § 695 als eigenen Anspruch geltend machen kann. Dazu müsste die Entgegennahme des Pakets als konkludente Annahmeerklärung des F eines Angebots des Paketunternehmens (bzw. des Verkäufers) auf Abschluss eines echten Verwahrungsvertrags mit allen Rechten und Pflichten gem. §§ 688 ff. zugunsten des H anzusehen sein. Das liegt in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls eher fern (a.A. vertretbar). II. §§ 280 II, 286, 677 1. Hs., 681 S. 2, 667 • Schuldverhältnis H/F o Gesetzliches Schuldverhältnis der echten GoA gem. § 677 1. Hs. Problematisch ist hier, ob ein „Geschäft“ oder lediglich eine alltägliche „Gefälligkeit“ vorliegt, die keine rechtlichen Konsequenzen nach sich zieht. Einerseits gehört die Entgegennahme von Paketen zu den alltäglichen Gefälligkeiten unter Nachbarn. Andererseits muss dem Besteller ein Herausgabeanspruch gegen F zustehen, soweit ein solcher aus §§ 695, 328 I verneint wird (ein Anspruch aus § 985 liegt mangels Übergabe an H nicht vor). Überdies handelt es sich hier um ein außergewöhnlich großes Paket von erheblichem Wert. Daher liegt ein „Geschäft“ vor. Fremdgeschäftsführungswille F wird vermutet (s.o.) F handelte im Verhältnis zu H ohne Auftrag und sonstige Berechtigung. • Nichtleistung trotz Fälligkeit: o Leistungspflicht des F: Pflicht zur Herausgabe des Pakets gem. §§ 677 1. Hs., 681 S. 2, 667 (ohne dass es auf die Berechtigung zur Übernahme ankommt) o Fälligkeit sofort, § 271 I • Mahnung durch Zettel (+) • Vertretenmüssen gem. § 286 IV (+) o Haftungsmaßstab § 276 I 1 20 Vorlesung Zivilrecht IVa, Prof. Peukert, Wintersemester 2016/2017 o Haftungsmilderung gem. § 680 (-) o Hier: normale Fahrlässigkeit ist zu vertreten • Rechtsfolge: Schadensersatz gem. § 251 I 1. Alt. o Hätte F das Paket rechtzeitig herausgegeben, hätte H keine Mietkosten tragen müssen. o Aber: Vorteil ersparter Benzinkosten wegen Windwiderstands des Fahrradträgers ist nach Zweck des Schadensrechts auszugleichen. o Und: Mitverschulden des H gem. § 254 I wegen zu später Bestellung = 50 %. III. Identischer Anspruch aus §§ 280 II, 286, 677 wegen Verzugs bei der interessegemäßen Ausführung des Geschäfts vom spezielleren Anspruch wegen Verzugs mit der Herausgabepflicht verdrängt Hinweise zu Fall 11: Anspruch des A gegen B auf Schadensersatz aus I. § 678 wegen Übernahmeverschuldens • Heimfahrt als Fall der echten GoA gem. § 677 1. Hs.? o Heimfahrt ist hier ein Geschäft und keine alltägliche Gefälligkeit o Für den A (+) o Ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung im Verhältnis A/B? Auftrag oder sonstiges rechtsgeschäftliches Verhältnis (-) Sonstige Berechtigung des B? • Organoder Amtsstellung (Testamentsvollstrecker), familienrechtlicher Status (Ehegatten, Eltern), öffentliches Rechtsverhältnis • Nicht aber Notwehr (§ 227), Notstand (§ 904) und allgemeine Pflicht zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr (§ 323c StGB), arg. § 680 • Widerspruch zum wirklichen oder mutmaßlichen Willen des A (+) o Wirklicher Wille analog §§ 104 Nr. 2, 105 unbeachtlich o Aber Widerspruch zum mutmaßlichen Willen des A: Heimfahrt durch fahruntüchtigen B ist ihm nicht objektiv nützlich, sondern gefährlich. • Diesen Widerspruch musste B erkennen: Hätte seine eigene Trunkenheit erkennen und anders handeln müssen; handelte insoweit fahrlässig = Übernahmeverschulden (+) o Rechtsfolge an sich: Schadensersatz auch unabhängig von einem Verschulden beim späteren Unfall (Ausführung) • Aber: § 680 ist nach Auffassung des BGH (a.A. vertr.) auch auf das Übernahmeverschulden anwendbar: o Geschäftsführung bezweckte die Abwendung einer dem A drohenden, dringenden Gefahr (Selbstschädigung). o Rechtsfolge: B haftet gem. § 678 nur, wenn die willenswidrige Übernahme der Geschäftsführung grob fahrlässig war. o Grobe Fahrlässigkeit: Feststellung eines objektiv schwerwiegenden Fehlers und Würdigung der personalen Verantwortlichkeit dieses Täters in dieser Situation: Hat B das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem eingeleuchtet hätte? o Nein: A entschlossen, loszufahren; Zustimmung der anderen; dringliche Situation ohne Überlegensfrist • Daher Anspruch (-), a.A. vertr. II. §§ 280 I, 677, 276 wegen Ausführungsverschuldens (Unfall) • Schuldverhältnis: echte GoA gem. § 677 1. Hs. (+), s.o. • Rechtsfolge gem. § 677 2. Hs.: Pflicht zur sorgfältigen, interessengemäßen Ausführung des Geschäfts 21 Vorlesung Zivilrecht IVa, Prof. Peukert, Wintersemester 2016/2017 o Pflicht 1: Heimfahrt nur, wenn selbst fahrtüchtig o Pflicht 2: unfallfreie Heimfahrt • Pflichtverletzung jeweils (+) • Vertretenmüssen wird vermutet, § 280 I 2 o Maßstab des Vertretenmüssens: § 276 I 1 o Aber Haftungsprivilegierung gem. § 680: Heimfahrt bezweckte die Abwendung einer dem Geschäftsherrn drohenden dringenden Gefahr (s.o.) B haftet daher nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit bei der Ausführung o Subsumtion hier bzgl. Fahrlässigkeitsmaßstab: Trunkenheitsfahrt in Anbetracht der Umstände nicht grob fahrlässig (s.o.) Zusammenstoß mit unbeleuchtetem Anhänger nur normal fahrlässig III. § 823 I, II • Widerrechtliche Rechtsgutsverletzung (+) bzw. Verstoß gegen Schutzgesetze (+) • Aber das Verschulden ist ebenfalls gem. § 680 auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt • Daher Ansprüche (-) 22 Vorlesung Zivilrecht IVa, Prof. Peukert, Wintersemester 2016/2017 Übersicht: Ansprüche zwischen Geschäftsherr (GH) und Geschäftsführer (GF) aus §§ 677 ff. I. Berechtigte GoA, §§ 677 1. Hs., 683 S. 1 1. Hs. • • Ansprüche GH gegen GF (actio directa) o Auskunft und Rechenschaft, §§ 677, 681 S. 2, 666 o Herausgabe alles Erlangten (Gewinn!) und Verzinsung, §§ 677, 681 S. 2, 667 f. o Schadensersatz wegen Ausführungsverschuldens, §§ 677, 680, 280 I Ansprüche GF gegen GH (actio contraria) o Aufwendungsersatz, §§ 677, 683, 679, 670 II. Unberechtigte GoA, §§ 677 1. Hs., 684 • • Ansprüche GH gegen GF o Auskunft und Rechenschaft, §§ 677, 681 S. 2, 666 o Herausgabe alles Erlangten (Gewinn!) und Verzinsung, §§ 677, 681 S. 2, 667 f. o Schadensersatz wegen Übernahmeverschuldens, § 678 o Schadensersatz wegen Ausführungsverschuldens, §§ 677, 680, 280 I Ansprüche GF gegen GH o Anspruch auf Herausgabe der Bereicherung, §§ 684 S. 1, 818 ff.; Aufwendungsersatz nur bei Genehmigung, § 684 S. 2, 683, 670 III. Irrtümliche Eigengeschäftsführung, § 687 • Keine Ansprüche aus §§ 677-686 IV. Angemaßte Eigengeschäftsführung, § 687 II 1 1. Hs. • • Ansprüche GH gegen GF gem. § 687 II 1 2. Hs. o Auskunft und Rechenschaft, §§ 677, 681 S. 2, 666 o Herausgabe alles Erlangten (Gewinn!) und Verzinsung, §§ 677, 681 S. 2, 667 f. o Stets Schadensersatz wegen Übernahmeverschuldens, § 678 o Schadensersatz wegen Ausführungsverschuldens, §§ 677, 280 I (praktisch irrelevant wegen Haftung aus § 678) Ansprüche GF gegen GH o Keine, nur Anspruch auf Herausgabe der Bereicherung gem. §§ 684 S. 1, 818 ff., wenn GH seinerseits Ansprüche gem. § 687 II 1 geltend macht. 23
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