Kreiszeitung vom 18. 11. 2016

BLICK IN DEN NORDEN
FREITAG
Hunderte Schweine
verenden in Flammen
KOMPAKT
Not-OP:
Ärzte retten
Vierjährige
Großeinsatz mit 141 Feuerwehrleuten
Von Matthias Röhrs
und Guido Menker
Paar gibt Mädchen in
Praxis ab und flieht
HAMBURG � Ein Paar soll nach
Medienberichten ein lebensgefährlich verletztes Kind in
einer Hamburger Notfallpraxis abgegeben haben und
dann verschwunden sein. Das
vier Jahre alte Mädchen
konnte demnach durch eine
Notoperation gerettet werden. Die Mitarbeiter der Notfallpraxis hätten am Sonntag
angesichts der schweren Verletzungen sofort die Polizei
alarmiert. Bevor die Beamten
kamen, habe das Paar bereits
die Praxis verlassen. Polizei
und Staatsanwaltschaft wollten sich zu dem Fall und zu
den Hintergründen gestern
nicht äußern.
Mehrere Fälle von schwerer
Kindesmisshandlung hatten
Hamburg in den vergangenen Jahren erschüttert. Die
elfjährige Chantal war 2012
an einer Überdosis Methadon
gestorben; die Heroin-Ersatzdroge war für ihre Pflegeeltern gedacht. Die dreijährige
Yagmur überlebte 2013 die
Misshandlungen durch ihre
Mutter nicht. Zwei Jahre später soll ein 27-Jähriger seinen
einjährigen Stiefsohn Tayler
zu Tode geschüttelt haben.
Im November vergangenen
Jahres hatten Ärzte durch
eine Notoperation das Leben
eines neun Monate alten Babys aus dem Stadtteil Osdorf
gerettet. Die Eltern stehen
unter Verdacht, den kleinen
Deljo beinahe zu Tode geschüttelt zu haben, sagte eine
Sprecherin der Staatsanwaltschaft. � dpa
„Reichsbürger“
verletzt Polizisten
SÖGEL/HANNOVER � Ein sogenannter Reichsbürger hat in
seiner Wohnung im emsländischen Sögel sechs Polizeibeamte mit Pfefferspray leicht
verletzt. Laut Polizeiangaben
waren die Beamten zu der
Wohnung des polizeibekannten 42-Jährigen gefahren,
weil gegen ihn ein Haftbefehl
vorlag. Als die Beamten ihn
an der Flucht hindern wollten, zielte er mit Pfefferspray
auf sie. Auch der 42-Jährige
wurde verletzt und kam ins
Krankenhaus. In der Wohnung fand sich eine geladene
Schreckschusspistole. Innenminister Boris Pistorius (SPD)
verurteilte den Angriff. Von
den „Reichsbürgern“ gehe
eine hohe Gefahr aus. � dpa
GEWINNQUOTEN
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6, 12, 13, 17, 22, 27, 28,
29, 30, 31, 33, 35, 36,
37, 38, 47, 59, 64, 68, 69
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(Angaben ohne Gewähr)
18. NOVEMBER 2016
H5N8: Immer mehr Landkreise ordnen Stallpflicht an
Um die Nutztierbestände vor einer
Infektion mit dem hochansteckenden Vogelrippevirus H5N8 zu
schützen, muss ab morgen auch im
Kreis Gifhorn das Geflügel in den
Stall. Zuvor war bei einer im Nachbarkreis Peine gefundenen Wild-
ente der Erreger nachgewiesen
worden. Bislang seien in diesem
Jahr rund 870 Wildtiere untersucht
worden, davon allein im November
170, sagte die Sprecherin des Landesamtes für Verbraucherschutz
und Lebensmittelsicherheit, Hiltrud
Schrandt, gestern. Unterdessen
gab der Landkreis Stade bekannt,
dass die zwei toten Bussarde und
eine Wildente, die am Wochenende gefunden worden waren, nicht
mit dem Vogelgrippevirus infiziert
waren. Inzwischen gilt in mehr als
der Hälfte der Landkreise in Niedersachsen die Stallpflicht. Mehrere Länder Europas und Asiens sowie Südafrika haben Einfuhrsperren für Geflügel und Geflügelerzeugnisse aus Deutschland verhängt. � Foto: dpa
Welfen haben an „Arisierung“
kräftig mitverdient
Untersuchung: Akten aus Familienarchiv belegen Verstrickung mit NS-Geschichte
Von Christina Sticht
HANNOVER � „Mein Sohn,
Dr. Lothar Elbogen, dessen Firma Sie, königliche Hoheit arisieren, befindet sich nun seit einem
Jahr in Haft“, schreibt Melanie
Elbogen am 4. Juli 1939 an Herzog Ernst August, den Chef des
Welfenhauses. „Ich bitte Sie,
flehntlichst, königliche Hoheit,
geben Sie mir mein Kind wieder.“ Der Hilferuf der Mutter des
rechtmäßigen Eigentümers der
Wiener Talkumfabrik blieb ungehört. Der Brief befindet sich im
vor einem Jahr geöffneten Familienarchiv des Hauses Hannover.
Nach Ausstrahlung einer
NDR-Dokumentation
über
die „dunklen Geschäfte der
Welfen“ in der Nazi-Zeit hatte
Ernst August von Hannover
(33) mehr als 3 200 Akten zu
Forschungszwecken dem niedersächsischen Landesarchiv
überlassen.
„Meines Erachtens muss
sich jede Familie – insbesondere diejenigen, die in dieser
Zeit Unternehmen geführt
haben oder Teil des öffentlichen Lebens waren – ihrer
NS-Geschichte stellen“, sagt
der in London aufgewachsene Repräsentant des Welfenhauses. „Auch deshalb war es
mir ein persönliches Anliegen, hier eine umfassende
und professionelle Aufarbeitung zu ermöglichen. Es geht
mir dabei vor allem um
Glaubwürdigkeit und Transparenz.“
Seit Ende 2015 untersuchen
junge Historiker der Unis
Hannover, Göttingen und
Bremen die NS-Geschäfte der
Welfen und haben dazu auch
Akten aus anderen Archiven
in Deutschland, Österreich
und den USA hinzugezogen.
Bislang konnte nachgewiesen
werden, dass Ernst August
(1887 bis 1953) an neun „Arisierungen“ – also der Entrechtung und gewaltsamen
Verdrängung von Juden aus
dem Geschäftsleben – beteiligt war. Nur die drei bedeutendsten Fälle waren der Forschungsliteratur zuvor bekannt. Außerdem geht aus
dem Welfenarchiv hervor,
dass der auf Schloss Blankenburg im Harz residierende
Herzog 1939 einen Rüstungsbetrieb im österreichischen
Wels gründete, wo im Verlauf
des Krieges immer mehr
Zwangsarbeiter
eingesetzt
wurden.
„Mit seinen Geschäften hat
sich Ernst August am NS-Un-
zeugungstäter waren“, erläutert die Professorin für Zeitgeschichte an der Uni Hannover.
Der letzte regierende Herzog der Welfen war nach der
Novemberrevolution
1918
ins österreichische Exil gegangen. 1924 erhielt er mehrere Besitztümer vom Land
Braunschweig zurückerstattet, die es – samt Personal –
zu unterhalten galt. Zu Beginn der NS-Zeit hatte er vor
Gericht gegen den Preußischen Staat eine Entschädigungssumme von 5,75 Millionen Reichsmark erstritten.
Anders als die Mehrzahl der
Hochadeligen setzte er bei
der Anlage dieses Geldes
nicht nur auf Land- und Forstwirtschaft, sondern auf Aktienbesitz oder direkte Beteiligungen an Unternehmen
der Industrie und Finanzwirtschaft. Pläne für einen Konzern, der in der Nachkriegszeit aufgebaut werden sollte,
zeigt eine Skizze aus dem Familienarchiv.
Die vom Schloss Marienburg bei Hannover ins Landesarchiv verlegten Familienakten sollen nach Projektab-
schluss auch für andere Wissenschaftler zugänglich sein.
Sie sind interessante Quellen:
„Wir haben kaum vergleichbare Studien zu vermögenden Familien, allenfalls zu
Unternehmerfamilien liegt
Forschung vor“, sagt Rauh.
Welche Konsequenz zieht
der junge Ernst August aus
den bisherigen Forschungsergebnissen? „Zunächst einmal
hilft es mir und meiner Familie, die in der damaligen Zeit
getroffenen Entscheidungen
besser verstehen und einordnen zu können“, sagt der
33-Jährige. Sein Vater Ernst
August, der Ehemann von
Professorin
Cornelia
Rauh
Prinzessin Caroline, hatte
schaute ins Welfen-Archiv.
schon in den 1990er-Jahren
recht beteiligt“, sagt Projekteine Aufarbeitung angekünleiterin Cornelia Rauh. Dabei
digt.
gibt es bisher keine konkreDirekt nach dem Krieg
ten Hinweise auf eine antiseherrschte bei den Welfen wie
mitische Einstellung, eine
bei den meisten Deutschen
Parteizugehörigkeit oder gar
eine Schlussstrich-Mentalität.
eine politische FührungsIn der britischen Besatzungsfunktion des Welfenoberzone wurde die Entnazifiziehaupts. „Viele Deutsche und
rung nicht so rigoros verÖsterreicher haben sich am
folgt, wie – zumindest anRaubzug zulasten jüdischer
fänglich – in der amerikaniUnternehmer beteiligt, ohne
schen. In seinem Spruchkamdass sie der NSDAP angehörmerverfahren 1949 in Sprinten oder ideologische Überge bei Hannover stellte Herzog Ernst August sein Mitwirken an der Enteignung von
Juden als normale geschäftliche Transaktion dar. Die
Kammer folgte dieser damals
gängigen Argumentation und
stufte ihn – auch weil er kein
Mitglied der NSDAP war – als
„entlastet“ ein.
Zwischen 1946 und 1965
gab es vor ordentlichen Gerichten zudem zehn Restitutionsverfahren, in denen
über den Entschädigungsanspruch der jüdischen Eigentümer oder ihrer Erben entschieden wurde. An einigen
im Zuge der „Arisierungen“
erlangten
Unternehmen
blieb das Adelshaus sogar
noch eine Zeit lang beteiligt.
Ernst August Prinz von Hannover hat das Familienarchiv der Welfen „Es wird noch zu klären sein,
wie das funktioniert hat“,
für die Wissenschaft geöffnet. � Fotos: dpa
sagt die Historikerin. � dpa
Adlige als Hitlers Helfer
Viele Adlige setzten schon zu Beginn der NS-Diktatur auf Adolf Hitler. Stephan Malinowski beschreibt
in seinem Buch „Vom König zum
Führer“, wie im Kaiserreich die Annäherung an rechtsradikale Bewegungen beginnt und Adlige bald in
der NS-Bewegung mitwirken. Hintergrund ist nach seiner Analyse
auch der politische und soziale Niedergang der früheren Elite. Kaum
eine bekannte adelige Familie – besonders aus dem preußisch-protestantischen Milieu – blieb ohne Eintritt in die NSDAP. Die Widerstandskämpfer rund um Claus Schenk Graf
von Stauffenberg, die am 20. Juli
1944 das Hitler-Attentat verübten,
waren allerdings auch zum größten
Teil Adlige. Karina Urbach beschreibt in ihrem kürzlich auch auf
Deutsch erschienenen Buch „Hitlers
heimliche Helfer“, dass sich Aristokraten als Geheimdiplomaten in den
Dienst des NS-Regimes stellten. Anhand bisher unveröffentlichter Quellen zeigt die Historikerin, wie Prinzen und Herzöge mit Hilfe ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen
über Ländergrenzen hinweg agierten und sogar Mitglieder des britischen Königshauses für den Nationalsozialismus gewannen. � dpa
VISSELHÖVEDE-HÜTTHOF � Es
ist auch für die 141 Feuerwehrleute kaum zu fassen,
was sich da am späten Mittwochabend auf einem Hof in
Visselhövede-Hütthof
im
Landkreis Rotenburg abspielt: Ein Schweinestall
steht lichterloh in Flammen –
und in dem Gebäude befinden sich Hunderte von Tieren. Sie schreien um ihr Leben, als nach und nach brennende Teile der Zwischendecke und auch des Daches auf
sie herunterfallen. Die Hitze
ist unerträglich. Am Tag danach ist klar: Mehr als 300
Tiere überleben diese Nacht
nicht.
Gegen 21.30 Uhr geht der
Notruf bei der Leitstelle ein,
ein Visselhöveder Feuerwehrmann ist zufällig in der Nähe
und trifft früh am Einsatzort
ein. Aufgrund seiner Einschätzung wird kurz darauf
der Großalarm ausgerufen.
Neun Ortsfeuerwehren inklusive der Leiterwagen aus Rotenburg und Walsrode machen sich auf den Weg nach
Hütthof.
Ein Einrücken in das Gebäude der Feuerwehrkräfte sei
laut Dennis Preißler, Sprecher der Feuerwehr im
Brandschutzabschnitt Rotenburg, unmöglich. Aufgrund
des Wellblechdachs können
die Flammen zunächst nicht
nach oben ausbrechen, das
Feuer wütet zunächst nur innerhalb des Gebäudes. So gut
es geht versuchen die Einsatzkräfte, von draußen Herr
der Lage zu werden. Etwa
eine halbe Stunde nach dem
Eintreffen der Feuerwehren
stoßen die Flammen laut
Preißler schließlich durch
das Dach, der Stall ist von diesem Zeitpunkt an nicht mehr
zu halten. Es gehe eigentlich
nur noch darum, ein Ausbreiten der Flammen auf angrenzende Gebäudeteile zu verhindern, sagt Preißler. Die
Feuerwehren geben ihr Bestes – können aber nur noch
wenige Tiere befreien. Ferkel,
Kühe und Kälber aus den benachbarten Ställen können
laut dem Feuerwehrsprecher
evakuiert werden.
Bereits mehrere hundert
Meter vor dem Hof verlegen
die Kräfte jede Menge Schläuche, um das erforderliche
Löschwasser herbeizuschaffen. Dessen Versorgung sei
unzureichend gewesen –
etwa zwei Kilometer Schläuche müssen sie laut Preißler
verlegen, um zusätzliches
Wasser aus naheliegenden
Gewässern wie der Vissel an
den Einsatzort zu schaffen.
Gegen 1 Uhr bekommt die
Feuerwehr die Flammen
schließlich unter Kontrolle.
134 Schweine wurden gestern Mittag in Bremen notgeschlachtet.
Die Brandexperten der Polizei nahmen die Ermittlungen
auf. Auch einen Gutachter zogen die Beamten hinzu. Allerdings sei mit Ergebnissen
laut Polizeisprecher Heiner
van der Werp nicht vor heute
Mittag zu rechnen. Die Beamten schätzen die Schadenssumme
auf
mehrere
100 000 Euro.
Großeinsatz für die Wehren im Landkreis Rotenburg: In einem brennenden Stall verenden mehr als 300 Schweine. � Foto: Menker
Land will Inklusion an
Schulen voranbringen
Beratungszentren sollen „Schwungräder“ sein
HANNOVER � Niedersachsen
will die Inklusion an seinen
Schulen organisatorisch und
pädagogisch weiter voranbringen. Im kommenden Jahr
werde unter anderem mit
dem flächendeckenden Aufbau eines Beratungs- und Unterstützungssystems zur Umsetzung der inklusiven Schule begonnen, sagte Kultusministerin Frauke Heiligenstadt
(SPD) gestern in Hannover.
Zudem sei ein neuer Erlass
„Die Arbeit in der inklusiven
Schule“ in Vorbereitung.
Das Konzept der Inklusion
beschreibt eine Gesellschaft,
in der jeder Mensch akzeptiert wird und gleichberechtigt und selbstbestimmt an
dieser teilhaben kann. Das
geschieht unabhängig von
Geschlecht, Alter oder Herkunft, von Religionszugehörigkeit, Bildung und von
eventuellen Behinderungen.
In Niedersachsen wurde die
inklusive Schule verbindlich
zum Schuljahresbeginn 2013/
14 eingeführt. Sie ermöglicht
allen Schülerinnen und Schülern einen barrierefreien und
gleichberechtigten Zugang
zu den Schulen. Eltern von
Schülerinnen und Schülern,
die eine sonderpädagogische
Unterstützung
brauchen,
können wählen, ob ihr Kind
die allgemeine Schule oder
eine Förderschule besuchen
soll.
Im vergangenen Jahr hatte
der Landtag ein „Rahmenkonzept Inklusive Schule“
auf den Weg gebracht. Sie sei
mit dem Start der Inklusion
„durchaus zufrieden“, sagte
Heiligenstadt. Es sei inzwischen in vielen Schulen normal, dass Schüler mit und
ohne Behinderung gemeinsam lernten. Ihr sei aber auch
bewusst, „dass es noch Nachsteuerungsbedarf gibt“, fügte
die Ministerin hinzu: „Mit
dem Rahmenkonzept gehen
wir jetzt Schritt für Schritt
weiter in dem komplexen
Prozess der Inklusion und
machen uns sozusagen an
den Feinschliff.“
Die regionalen Beratungsund Unterstützungszentren
inklusive Schule dienten dabei als „Schwungräder“, um
die Inklusion in den Schulen
weiter auszugestalten. Ziel
sei es, dass spätestens zum
Schuljahr 2020/2021 in allen
Kommunen neue Zentren bereitstünden. � epd