Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des

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STELLUNGNAHME
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Institut für Sozialpolitik
& Arbeitsmarktforschung
A01
Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales im nordrheinwestfälischen Landtag am 07. Dezember 2016
Tim Obermeier
unter Mitarbeit von Maria Wirtz
„Solo-Selbstständige nicht unter Generalverdacht stellen - Abgrenzung
zwischen abhängiger Beschäftigung und Werk- bzw. Dienstverträgen angemessen und rechtssicher ausgestalten"
Antrag der Fraktionen der FDP, Drucksache 16/12356
Bibliografische Daten:
Obermeier, Tim (2016): Stellungnahme zur öffentliche Anhörung des Ausschusses für Arbeit,
Gesundheit und Soziales im nordrhein-westfälischen Landtag am 07. Dezember 2016,
Remagen.
Institut für Sozialpolitik und
Arbeitsmarktforschung (ISAM)
Hochschule Koblenz
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Inhaltsverzeichnis
1. Solo-Selbstständige in Deutschland – Struktur und Entwicklung .................... 4
2. Der Antrag der Fraktion der FDP .......................................................................... 6
3. Literatur .................................................................................................................. 9
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1. Solo-Selbstständige in Deutschland – Struktur und Entwicklung
Seit der Wiedervereinigung ist in Deutschland die Zahl der Selbständigen kontinuierlich gestiegen. Während die Zahl der Selbständigen mit Beschäftigten seit Mitte der 90er Jahre allerdings
stagnierte, hat ein Anstieg der Solo-Selbständigen bis 2012 stattgefunden, sodass der Zuwachs
der Selbstständigkeit fast ausschließlich auf die Solo-Selbstständigkeit zurückzuführen war
(Brenke/Beznoska 2016; Obermeier/Schultheis 2014). Von insgesamt 35,9 Millionen Kernerwerbstätigen, waren 2014 2,0 Millionen solo-selbstständig. Der Anteil ist damit von 1994 bis
2014 um 1,7 Prozentpunkte von 4,0 Prozent auf 5,7 Prozent gestiegen. Bei den Selbstständigen mit Beschäftigten ist in diesem Zeitraum hingegen ein marginaler Rückgang zu verzeichnen, von 5,2 Prozent auf 4,7 Prozent (Destatis 2016).
Gründe für den Anstieg der Solo-Selbstständigkeit sind in unterschiedlichen Entwicklungen zu
sehen. Dazu gehört etwa die Ausbreitung des Kreativsektors, in dem die Solo-Selbstständigkeit
stark verbreitet ist. Des Weiteren hat ein funktionaler Wandel stattgefunden, bei dem die Betriebe zunehmend Tätigkeiten auslagerten, um Kosten einzusparen. Die EU-Erweiterung und die
Nichtgewährung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Personen aus Beitrittsländern sowie die Liberalisierung des Handwerkrechts hatten ebenso Einfluss auf die Ausbreitung der SoloSelbstständigkeit. Konjunkturelle Entwicklungen sind ebenfalls als Grund für den Anstieg anzuführen. So führte ein Mangel an abhängiger Beschäftigung zu vermehrter Existenzgründung.
Subventionierungen der Solo-Selbstständigen durch spezielle Förderinstrumente der Arbeitsverwaltung trugen obendrein im erheblichen Maße zu einem Anstieg der Solo-Selbstständigkeit
bei. Hier ist im Besonderen die Förderung der sogenannten „Ich-AG’s“ anzuführen, die eine
Gründungswelle von 2002-2005 auslöste (Brenke/Beznoska 2016; Obermeier/Schultheis 2014).
Seit 2012 ist ein Rückgang der Solo-Selbstständigkeit zu beobachten. Man kann in diesem
Zusammenhang von einem Trendbruch sprechen, bei dem die Zahl der Selbstständigen mit
Beschäftigten weiterhin stagniert und die Zahl der abhängig Beschäftigten steigt. Als Ursache
für diesen Rückgang der Solo-Selbstständigkeit ist vorwiegend in einem Sinken der Neuzugänge in die Förderung von Selbstständigkeit zu nennen. Ein Rückgang der Solo-Selbstständigkeit
speist sich nicht aus einer verschärften arbeits- und sozialrechtlichen Regulierung der Selbstständigkeit, sondern ist fast ausschließlich auf den Rückgang der arbeitsmarktpolitischen Gründungsförderung zurückzuführen. Mit dem Gründungszuschuss, mit dem die Arbeitsagenturen
Gründungen aus der Arbeitslosigkeit unterstützen, indem Arbeitslose in der Anlaufphase ihrer
Gründung eine finanzielle Förderung erhalten, ist ein positiv evaluiertes Instrument (Heyer at al.
2012) faktisch aus dem Instrumentenkasten gestrichen worden. Der Rückgang der SoloSelbständige lässt sich daher eindeutig auf die arbeitsmarktpolitischen Einsparungen in der
Gründungsförderung zurückführen. Weiterhin sind jedoch auch Einflüsse der positiven Arbeitsmarktentwicklung, der gesellschaftlichen Einstellung zu ökonomischen Risiken und der Alterung
in Deutschland vorstellbar (Kreß/Weber 2016).
Insbesondere unter Frauen hat die Solo-Selbstständigkeit zur Zeit des Wachstums an Bedeutung gewonnen. Im Jahr 2014 betrug der Anteil der weiblichen Solo-Selbstständigen 38 Prozent
(Brenke/Beznoska 2016). Hier spiegelt sich der Trend einer wachsenden Wissensgesellschaft
und Akademisierung sowie die kontinuierlich zunehmende Frauenerwerbstätigkeit wieder (Bögenhold/Fachinger 2007). Zunehmende Bedeutung erlangt die Solo-Selbstständigkeit zudem
für ältere Personen, während die Solo-Selbstständigkeit für jüngere Personen unter 25 Jahren
von geringerer Relevanz ist. Der Anteil der Solo-Selbstständigen steigt mit dem Alter. Hier wirkt
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sich die Verschiebung der Altersstruktur positiv auf die Solo-Selbstständigkeit aus (Brenke/Beznoska 2016).
Insgesamt ist ein hohes Bildungsniveau kennzeichnend für die Selbstständigkeit und insbesondere Hochschulabsolventen gehen dieser nach. Dies trifft vor allem für die SoloSelbstständigkeit zu. Zudem ist der Anteil der Personen ohne Berufsausbildung von 2004 bis
2014 unter den Solo-Selbstständigen zurückgegangen. Die positive Entwicklung der SoloSelbstständigkeit bis 2012, wurde somit vorwiegend von Personen mit einer Hochschulausbildung getragen. Hier zeigen sich die Akademisierung und der damit steigende Wettbewerb im
höhergebildeten Bereich, der die Wahl der Selbstständigkeit vorantreibt (Obermeier/Schultheis
2014; Brenke/Beznoska 2016). Im europäischen Vergleich ist dies einzigartig. In keinem europäischen Land ist der Anteil der Akademiker unter den Solo-Selbstständigen so hoch wie in
Deutschland mit 44 Prozent. Im EU-Durchschnitt sind es lediglich 27 Prozent (Schulze Buschoff
2016).
Die Solo-Selbstständigkeit ist häufig eine Notlösung aufgrund der mangelnden Beschäftigungsalternativen. Die Mehrheit der Solo-Selbstständigen wechselt anschließend wieder in eine abhängige Beschäftigung. Kennzeichen der Solo-Selbstständigkeit sind unterdurchschnittliche
Einkommen und schlechte soziale Absicherung, da die Selbstständigen das Risiko allein tragen
und oftmals nicht die Mittel aufweisen, sich umfassend gegen soziale Risiken abzusichern (Absenger et al. 2016; Brenke 2013). Eine Studie kommt zu dem Ergebnisse, das 28 Prozent der
Selbständigen scheinselbständig sind (EY 2015). Solo-Selbstständige sind häufiger in unteren
Einkommensklassen zu finden und nur ein geringer Teil verdient mehr als der Durchschnitt der
Erwerbstätigen (Obermeier/Schultheis 2014). Man spricht in diesem Zusammenhang auch von
einem „prekären Unternehmertum“ (Bührmann 2012). Bei Solo-Selbständigen ist die Streuung
der Einkommen besonders hoch, sie erwirtschaften also sowohl sehr niedrige als auch überproportional hohe Einkommen (Fritsch et al. 2015). Besonders problematisch bei SoloSelbstständigkeit ist die Existenzsicherung im Alter. Phasen der Solo-Selbstständigkeit im Lebenslauf sind ein deutlicher Risikofaktor für späteren Grundsicherungsbezug im Alter. Im Jahr
2013 waren 57 Prozent der Solo-Selbstständigen nicht durch die gesetzliche Rentenversicherung für das Alter abgesichert (Brenke/Beznoska 2016). In vielen Fällen wird durch die Konstruktion einer Scheinselbstständigkeit Arbeitnehmerrechte und der Sozialversicherungsschutz
umgangen. Die weiterhin hohe Anzahl von Solo-Selbständigen bietet ein Einfallstor für Missbrauch und seit Langem wird deshalb über eine Erweiterung der staatlichen Pflichtversicherung
der Altersvorsorge auf Selbständige aus allen Berufsgruppen diskutiert (Schulze Buschoff
2016).
Verstärkt wird die in vielen Fällen prekäre Situation der Solo-Selbstständigen durch ein starkes
Wachstum der Teilzeitbeschäftigung unter ihnen. Mit einem Drittel liegt der Anteil noch höher
als unter den Arbeitnehmern. Analog zu der Abnahme der Solo-Selbstständigkeit insgesamt,
verringert sich ebenso der Anteil der Teilzeitbeschäftigungen. Hier zeigen sich zudem deutliche
Geschlechterdifferenzen. Während die solo-selbstständigen Frauen mit einem Anteil von zuletzt
50 Prozent einer Teilzeitbeschäftigung nachgingen, lag der Anteil bei den Männern bei lediglich
20 Prozent. Hier hat allerdings ebenso ein Zuwachs stattgefunden. Anfang der 90er Jahre gingen noch 5 Prozent der Männer einer Teilzeitbeschäftigung in Solo-Selbstständigkeit nach. Hier
schlägt der generelle Trend zur Teilzeitbeschäftigung nieder (Brenke/Beznoska 2016).
Die Struktur und Entwicklung der Solo-Selbstständigkeit in Deutschland und insbesondere die
weiterhin bestehenden Probleme bei der rechtssicheren Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und Solo-Selbstständigkeit machen Handlungsbedarf deutlich. In vielen Fällen müssen
Solo-Selbständigen die Risiken von Unternehmensstrategien tragen, bei denen Stammarbeits-
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plätze zu schlechteren Bedingungen an eine Randbelegschaft aus Leiharbeitern, Werkvertragsbeschäftigten und Solo-Selbständigen ausgelagert werden. Hier besteht weiterhin politischer Regulierungsbedarf, um Solo-Selbständige in Zukunft besser sozial abzusichern.
2. Der Antrag der Fraktion der FDP
Instrumente zur flexiblen Gestaltung der Arbeitswelt sind integraler Bestandteil einer arbeitsteiligen Wirtschaft. Dazu gehören Teilzeit- und Befristungsregelungen, Leiharbeit und Werk- und
Dienstverträge. In den letzten Jahren ist jedoch deutlich geworden, dass diese Instrumente
zunehmend missbräuchlich zum Einsatz gekommen sind und der Prekarisierung von Beschäftigung Vorschub geleistet haben. Daher ist ein berechtigtes Anliegen der Politik, diese Entwicklungen wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Mit dem gesetzlichen Mindestlohn sind vor allem
negative Auswüchse im Niedriglohnsektor bekämpft worden. Erste Erkenntnisse deuten daraufhin, dass es nicht zu einem Beschäftigungsverlust gekommen ist und die Flexibilität des Arbeitsmarktes nicht eingeschränkt wurde.
Mit dem Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) und anderer
Gesetze ist ein weitere Schritt in Richtung Re-Regulierung der Leiharbeit, verbunden mit der
Möglichkeit tarifdispositiver Öffnungsklausel, gegangen worden. Weiterhin wird im Bürgerlichen
Gesetzbuch (BGB) einer neuer § 611a eingefügt, der zur rechtssicheren Abgrenzung von Werkund Dienstverträgen zu Arbeitsverträgen beitragen soll und die wesentlichen von der Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien gesetzlich niedergelegt. Dazu schreibt die Bundesregierung (Deutscher Bundestag 2016), dass „mit der Einfügung eines neuen § 611a im
Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung gesetzlich
niedergelegt wird, wer Arbeitnehmer ist. Dabei entsteht für die Wirtschaft kein Erfüllungsaufwand, da die 1:1-Kodifizierung einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung die
Rechtslage in Deutschland unverändert lässt. Auch die Konkretisierung der Informations- und
Unterrichtungsrechte des Betriebsrats im Betriebsverfassungsgesetz geben ausschließlich das
geltende Recht wieder und begründen keine neuen Pflichten für die Wirtschaft.“ Mit dem neuen
§ 611a BGB kommt es also nicht zu einer Einschränkung der Flexibilität des Arbeitsmarktes,
sondern der Gesetzgeber konkretisiert ausschließlich die bestehende Rechtslage, der zufolge
die Abgrenzung aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls
vorzunehmen ist (ebd.). Ob und wie sich die neuen Regelungen in der Praxis bewähren, bleibt
abzuwarten. Da es sich jedoch „nur“ um eine eher unsystematische Konkretisierung der gefestigten Rechtsprechung handelt, wird der Beitrag zu besseren Abgrenzung von Werk- und
Dienstverträgen zu Arbeitsverträgen eher gering ausfallen. Jedoch wird die Rechtssicherheit ein
Schritt weit erhöht. Der neue § 611a BGB bleibt zudem deutlich hinter den ersten wesentlich
weitergehenden Referentenentwürfen im Gesetzgebungsverfahren zurück. Ein Missbrauch
beim Einsatz von Werkverträgen und Solo-Selbstständigkeit wird dadurch nicht verhindert. Von
einem Generalverdacht der Schein-Selbstständigkeit kann in der aktuellen Gesetzgebung nicht
gesprochen werden.
Die soziale Lage der Solo-Selbständigen liefert der Politik wenig Argumente, über eine bessere
soziale Absicherung nachzudenken, wenn sie immer noch ein großes Altersarmutsrisiko tragen,
dass am Ende der Erwerbsbiografie durch die soziale Mindestsicherung aufgefangen werden
muss. Wenn die gesamte Architektur des Systems der sozialen Sicherung in Form der verpflichtenden Sozialversicherung am Tatbestand der abhängigen Beschäftigung aufgehängt
wird, mit den daraus resultierenden Abgabenfolgen für die Arbeitgeber (neben den weiteren
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Pflichten, die aus einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis resultieren, wie beispielsweise
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Kündigungsschutzbestimmungen usw.), dann leuchtet es
unmittelbar ein, dass aus der Tatsache, dass Selbständige auf eigenes Risiko arbeiten (müssen) und keine solche Bindungswirkung beim Arbeitgeber entfalten, da sie immer nur als Auftragnehmer tätig sind und sein können, die auf Rechnung arbeiten (müssen), ein gewisser Anreiz entsteht, bisher von eigenen Mitarbeitern durchgeführte Arbeiten zu substituieren durch
selbständige Auftragnehmer (Sell 2015).
Dass weiterhin Handlungsbedarf besteht, zeigt die im Antrag zitierte Prüfpraxis der Deutschen
Rentenversicherung, bei der 2013 45 Prozent der überprüften „selbständigen“ Auftragsverhältnisse als abhängige Beschäftigung eingeordnet worden, während es 2009 noch 19 Prozent
waren. Entweder hat sich die Arbeitswelt und die Auftragsvergabe der Unternehmen in kürzester Zeit massiv verändert und entspricht nicht mehr den gesetzlichen Anforderungen zur Abgrenzung oder es ist tatsächlich so, dass Solo-Selbstständigkeit vermehrt missbräuchlich als
Deckmantel für abhängige Beschäftigung genutzt wird. Beide Sachverhalte erzeugen unterschiedlichen Handlungsbedarf. Viele Berichte und wissenschaftliche Studien (u.a. EY 2015)
deuten aber daraufhin, dass Solo-Selbstständigkeit anscheinend vermehrt dazu genutzt wird,
arbeitsrechtliche Schutzstandards zu umgehen und möglichst flexible und gleichzeitig billig auf
Arbeitskräfte zuzugreifen.
Der Antrag der Fraktion der FDP konzentriert sich auf die erste Fallkonstellation und unterbreitet den Vorschlag, ergänzend zu den geltenden Abgrenzungskriterien zwischen Selbstständigkeit und Beschäftigung, zusätzlich den eigenverantwortlichen Abschluss eines Vertrages unabhängig von der von den Vertragsparteien gewählten Bezeichnung dann als Indiz für das Fehlen
einer abhängigen Beschäftigung anzusehen, wenn die Vereinbarung ein Stunden- der Tageshonorar, das Lebenshaltungskosten, soziale Vorsorge und Auslastungsrisiko des Auftragnehmers abdeckt, umfasst. Eine Orientierungsgröße sollen die Beitragsbemessungsgrenzen in
der Kranken- und Rentenversicherung bieten, die bezogen auf die Rentenversicherung West für
2016 ein Stundenhonorar von 36 Euro bzw. ein Tageshonorar von 285 Euro ergeben. Für das
erste Jahr der Tätigkeit sollen Ausnahmen vorgesehen werden. Der Vorschlag unterschlägt,
dass die Sozialversicherungsbeiträge weitgehend paritätisch getragen werden und gibt keine
Antworten auf die strittige und vielen Kontexten diskutierte Frage, wo die Arbeitgeberbeiträge
für die Renten- und Krankenversicherung herkommen sollen. Hier wird das grundsätzliche Dilemma bei der Verbesserung der sozialen Absicherung von Selbständigen sichtbar, die alleine
nicht in der Lage und häufig nicht Willens sind, Vorsorge für Krankheit, Alter, Pflege und Arbeitslosigkeit zu treffen. Wenn überhaupt eine am Honorar orientierte Grenze in Frage käme,
dann sollte sich diese am Arbeitgeberbrutto der Beitragsbemessungsgrenzen in der Rentenund Krankenversicherung orientieren.
Das Honorar als Abgrenzungskriterium stellt in einer Gesamtbetrachtung keine Lösung für die
Fragen der Einhaltung bestehender Arbeits- und Sozialschutzstandards dar, denen sich Arbeitgeber durch die Beauftragung von Solo-Selbständigen entziehen. Auch vergleichsweise hohe
Honorare können daher kritisch sein, wenn weiterhin Arbeitnehmerschutzvorschriften unterminiert werden. Das Honorar schützt Selbständigen nicht vor Auftraggebern, die sich ihrer Verantwortung für Arbeitsschutz und soziale Sicherheit entziehen und diese einseitig zu Lasten der
Auftragnehmer auf die Selbständigen übertragen. Es führt zu einer Belastung der Sozialkassen,
da sich viele Gutverdienende und ihre Auftraggeber von der Versicherungspflicht lösen. Die
Einnahmeseite der Renten- Kranken-, Unfall-, Pflege- und Arbeitslosenversicherungen würde
Beiträge in hohem Ausmaß vorenthalten, wenn sich Solo-Selbständige mit hohen Einkommen
einer Prüfung weitgehend entziehen könnten und die Gefahr besteht, dass sie nur scheinselb-
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ständig sind. Dadurch entsteht volkswirtschaftlicher Schaden für die Sozialversicherungssysteme. Es untergräbt die Mitbestimmung und belastet die Beschäftigung. Eine indizielle Honorargrenze ist kein geeignetes Kriterium, um die soziale Schutzbedürftigkeit zu beurteilen. Eine
Honorargrenze in Analogie zur Beitragsbemessungsgrenze würde nur die Oberen 10 Prozent
der Solo-Selbständigen erfassen (siehe Brenke 2013: 13), die mit ihrer Tätigkeit Einkommen in
dieser Höhe erwirtschaften. Es handelt sich dabei also nur um eine marginale Gruppe, die keine
Sonderregelung rechtfertigt.
Die Höhe des Honorars tritt keine Aussage über das tatsächliche Abhängigkeitsverhältnis und
ergibt sich aus ganz anderen Determinanten. Mit der Weisungsgebundenheit und der Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers sowie dem Grad der persönlichen Abhängigkeit des Auftragnehmers/Arbeitnehmers, auf den das Bundesozialgericht besonders Wert
legt sowie dem § 611a BGB, stehen Kriterien bereit, die nicht durch eine Honorargrenzen unterlaufen werden sollten. Die Kontrolle der Honorare wäre in diesem Kontext eine systemfremde
Komponente, die im Antrag der Fraktion der FDP auch nicht hinreichend konkretisiert ist. Es ist
daher fraglich, ob eine Prüfung von Honoraren pro Stunde, pro Tag, pro Monat oder pro Jahr
ein Kriterium sein soll und für welchen Zeitraum und durch wen eine Prüfung stattfindet.
Zusammenfassend ist das Honorar kein geeignetes Abgrenzungskriterium zwischen Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung.
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3. Literatur
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Erwerbsverläufe. Forschungsbericht 465. Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Berlin.
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Soziologie 22 (1): 129-156.
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Destatis (2016): Datenreport 2016. Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland. Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn.
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Fritsch, Michael; Kritikos, Alexander S.; Alina Sorgner (2015): Verdienen Selbständige tatsächlich weniger als Angestellte? DIW Wochenbericht Nr. 7/2015.
Heyer, Gerd; Koch, Susanne; Stephan, Gesine; Wolff, Joachim (2012): Evaluation der aktiven
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Obermeier, Tim; Schultheis, Kathrin (2014): Selbstständigkeit. Bundeszentrale für politische
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Schulze Buschoff, Karin (2016): Solo-Selbstständigkeit in Deutschland. Aktuelle Reformoptionen. Policy Brief WSI. Düsseldorf.
Sell, Stefan (2015): Einige Solo-Selbständige in Deutschland proben den Aufstand gegen die
Rentenversicherung und andere möchten gerne rein. Aktuelle-Sozialpolitik vom 18. August
2015.