sonntagszeitung.ch | 4. Dezember 2016 Die SP hat grosses Editorial Die Genossen marschieren geschlossen in die nächste Wahlniederlage Wenn denn die Schweiz die Insel der Glück seligen ist, dann zeigt sich das an den Parteitagen der SP. Da kann die zweitgrösste Partei fern von jeder Realität beschliessen, was niemand will. Sei es 2010 die Einführung des demokratischen Sozialismus, den Beitritt zur EU oder die Überwindung des Kapitalismus – nichts ist zu radikal, um nicht ins Parteiprogramm der SP Einzug zu finden. Unvergessen ist der Parteitag in Lausanne, an dem die SP zielsicher die von ihr unterstützte und durchaus chancenreiche Initiative «Für den Schutz vor Waffengewalt» a bschoss, in dem sie kurz vor der Volksabstimmung mit der Forderung nach Armeeabschaffung den bürgerlichen Gegnern eine Steilvorlage lieferte. Hat Levrat etwas daraus gelernt, dass Trump die Wahlen gewonnen hat? «Wir haben wichtige Weichen gestellt», sagte SP-Parteipräsident Christian Levrat damals. Das Programm müsse die SP in der politischen Arbeit begleiten und dürfe nicht in einer Schublade verschwinden. Und Cédric Wermuth meinte, man müsse den Kapitalismus in den Köpfen und in den Herzen bekämpfen. Nun, geschehen ist seither natürlich nichts dergleichen; die Initiative ging verloren, und die SP muss sich mit einem Wähleranteil von knapp 20 Prozent begnügen. Dafür wurde mit Winkelzügen im Parlament erfolgreich Realpolitik betrieben. Levrat entpuppte sich als einer der geschicktesten Strippenzieher und gilt, trotz klaren bürgerlichen Mehrheits verhältnissen, als einer der mächtigsten Parlamentarier in Bern. Die Schweizer Sozialdemokraten geniessen innerhalb des Mittelstands eine Denis von Burg Bern Den Mittelstand muss man mit «Klassenkampf» gewinnen. Nur damit – und nicht mit der Diskussion um Fremdenfeindlichkeit – könne man der populistischen Rechten begegnen. Die von SPPräsident Christian Levrat arg zugespitzte Analyse zum zukünftigen Kurs der SP sass. Haushoch wurde das entsprechende Papier «Demokratische Wirtschaft» am gestrigen Parteitag in Thun von den Genossen verabschiedet. In den Wochen zuvor hatten die darin enthaltene Klassenkampfrhetorik und Rezepte aus der altlinken Küche noch zu hitzigen Richtungsdiskussionen innerhalb der Partei geführt. Ob Arbeit- nehmerbeteiligung, Arbeitszeitverkürzungen oder die faktische Verstaatlichung von Service-public-Aufgaben und von Finanzdienstleistungen: Nicht alle Sozialdemokraten sahen ein, wie man mit diesen Forderungen beim allseits umworbenen Mittelstand Stimmen gewinnen könnte. Hier heulten jene auf, die lieber entschiedener den «Fremdenhass» bekämpfen wollen. Dort sahen sich andere übergangen, die schon lange einen sozialliberalen Reformkurs anstreben. Und schliesslich fühlten sich alle provoziert, die glauben, der Mittelstand könne und dürfe gar nicht zum Zielpublikum der Linken gehören. Jetzt zeigt aber eine Umfrage der SonntagsZeitung: Levrat hat im Kern seiner Analyse recht. Für die SP gibt es im Mittelstand durchaus Potenzial. Aber: Mit einer Verschärfung des Linkskurses und Klassenkampfrhetorik, wie sie mit dem Wirtschaftspapier in Thun abgesegnet wurde, führt der SP-Chef seine Genossen auf den Holzweg. Im Mittelstand fühlen sich viele alleingelassen Die Umfrage zeigt auch: Es gibt einen ansehnlichen Teil im Mittelstand, der sich politisch alleingelassen fühlt. 23 Prozent, also fast ein Viertel der Befragten, können keine Partei nennen, die den Mittelstand vertritt. Ebenfalls zeigt sich, dass die politische Verunsicherung des Mittelstandes nicht unbedingt der SVP helfen muss. Stramm bürgerliche oder gar rechtsbürgerliche Politik gilt nicht a priori als Mittelstandspolitik. Die SVP erhält zwar am meisten Zuspruch als Verteidigerin des Mittelstandes, doch ist ihr Anteil mit 23 Prozent nicht so hoch, wie er aufgrund ihres Wähleranteils insgesamt (knapp 30 Prozent) sein könnte. Demgegenüber gilt die SP für 19 Prozent als Mittelstandspartei und schöpft ihren Wähleranteil voll aus. Gerade im klassischen Mittelstand – in den Einkommensklassen zwischen 5000 und 7000 Franken – schneidet die SP überdurchschnittlich ab. Das Renommee der SP als Interessenvertreterin der Mittelklasse ist also überraschend gut. Auch Politologe und Und nun also, sechs Jahre später, die Neuauf lage mit den genau gleichen Protagonisten, mit den genau gleich chancenlosen Inhalten, einfach neu als «Wirtschaftspapier» bezeichnet. Dies in Thun, neben Meyer Burger, dem Solarunternehmen, das vielen Leuten eine Arbeitsstelle gibt, aber wegen der Billigkonkurrenz aus China ums Überleben kämpft. Da haben die Leute Angst um ihre Stelle, genauso wie in vielen von der Digitalisierung betroffenen Unternehmen. In Thun, da produziert auch die staatliche Rüstungsfirma Ruag, die nichts Besseres zu tun hat, als am Golf ihre Kriegsgeräte zu bewerben. Und was tut Levrat? Hat er etwas daraus ge lernt, dass in den USA Donald Trump und in Europa seine populistischen Freunde die Wahlen gewinnen, weil das Volk glaubt, dass diese, und nicht die Linken, seine wahren Interessen vertreten? Nein, er betreibt ein Wochenende lang Rhetorik unter Gleichgesinnten, nur um nächste Woche in Bern wieder Machtspiele zu betreiben und zusammen mit der FDP die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative erstens zum grossen Teil zu verhindern und zweitens so zurechtzubiegen, dass es seiner finanziellen Basis, den Gewerkschaften, möglichst nützt. Das mag zwar clever sein und viel Einfluss im Parlament bringen. Wählerstimmen wird er dafür hingegen kaum erhalten – schon gar nicht jene aus dem Mittelstand. Arthur Rutishauser, Chefredaktor [email protected] www.facebook.com/sonntagszeitung Leserangebot — 68 Immobilien Kauf — 51 Rätsel — 63 Immobilien Miete — 51 Ferien und Reisen — 74 Kino — 72 Marktplatz — 74 Veranstaltungen — 72 Impressum — 23 Bildung und Kurse — 51 Sozialistisch stimmen, gutbürgerlich essen: Das Menü für die Basis am gestrigen SP-Parteitag in Thun Basis erteilt sozialliberalem Flügel eine Abfuhr An ihrem Parteitag in Thun demonstrierten die Sozialdemokraten Geschlossenheit Thun BE Und dann dieser erlösende Jubel. Und das Meer aus roten Zetteln, die in die Luft gestreckt werden. Die Delegierten der SP, die sich an diesem Samstag zum Zukunftsparteitag im Berner Oberland zusammenfanden, haben soeben den sozialliberalen Flügel der Partei um die Ständeräte Daniel Jositsch und Pascale Bruderer gestoppt. «Sozialliberal» ist bei den Juso-Leuten, die vor Freude in die Luft springen, ein Schimpfwort. Mit 375 zu 59 Stimmen bodigten die Sozialdemokraten den Rückweisungsantrag von Jositsch und Co., die sich gegen das Papier namens «Wirtschaftsdemokratie» gestemmt hatten. Die neuen Positionen werden schliesslich mit so überwältigender Mehrheit angenommen, dass man auf eine Stimmenzählung verzichtet. Die Messehalle versinkt in raschelndem Rot. Es ist der Tag von Parteipräsident Christian Levrat, der zuvor mit seiner Klassenkampfäusserung in der SonntagsZeitung manchen Genossen vor den Kopf stiess. Und sich jetzt grandios bestätigt fühlt. Es ist auch der Tag von Cédric Wermuth, des Aargauer Polittalents, der bereits als Levrats künftiger Nachfolger gehandelt wird. Die Rebellen von rechts haben eine empfindliche Niederlage kassiert. Ihnen gehen die ausformulierten Massnahmen zur Über- windung des Kapitalismus, wie sie im Parteipapier stehen, zu weit. Die Verstaatlichung des Zahlungsverkehrs zum Beispiel. Oder die obligatorische Mitarbeitendenvertretung ab einer bestimmten Unternehmensgrösse. «Ich frage mich einfach, ob wir damit neue Wähler ansprechen», sagt der Baselbieter Ständerat Claude Janiak. Sie wolle mit ihrem Antrag «die Breite der Partei» aufzeigen, hat die Aargauerin Pascale Bruder zuvor auf der Bühne vergeblich argumentiert, und das Papier besser «in der Lebensrealität der Menschen verankern». Die jungen Wilden von der Juso haben für die Einwände nur Spott übrig Die Berner Nationalrätin Evi Allemann wiederum vermisst im Dokument das Thema Digitalisierung. Die jungen Wilden haben für solche Einwände allerdings nur Spott übrig. Er schlage ein Trinkspiel vor, twittert ein Jungsozialist. «Jedes Mal, wenn das Wort ‹Digitalisierung› fällt, kippen wir eines.» Der Jungpartei geht es um viel Fundamentaleres. Ein Antrag von ihnen, der das «Privateigentum an den Produktionsmitteln» ganz grundsätzlich infrage stellt und dieses «zugunsten einer demokratischen und gemeinwohlorientierten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung transformieren» will, schafft es immerhin ins
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